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Foto: Frederik van den Berg
Tourentipps

Crans-Montana: Wintersport zwischen Luxus und alpiner Einsamkeit

• 27. Januar 2020
8 Min. Lesezeit

15 Skitouren-Routen mit insgesamt 8.000 Höhenmetern warten im lawinensicheren Rando-Parc in Crans-Montana. Eine Erkundung des Walliser Hochplateaus.

Yvonne Ineichen aus dem Bergwelten-Magazin Februar/März 2020 für die Schweiz

Bevor Pierre-Olivier Bagnoud überhaupt ein Wort sagt, ist klar: Vor uns steht ein Mann der Berge. Das Gesicht braun gebrannt, die Haut von Wind und Wetter gegerbt und mit Lachfalten überzogen. Um seine Augen drapiert, erinnern sie an ein Netz von kleinen Gebirgsbächen.

Freudestrahlend erwartet der Bergführer uns in Barzettes-Violettes, einem Ortsteil von Crans-Montana, von dem aus eine der drei Seilbahnen ins Skigebiet führt. Für uns beginnt hier der Tourentag. „Heute gibt’s ein Warm-up im RandoParc“, erklärt er und schreitet zielstrebig voran.

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„A walk in the parc … away from all the busy streets of my mind …“ summe ich den Discoschinken der Nick Straker Band gedankenverloren vor mich hin, während wir den Schildern der Route 7 mit dem Ziel Cabane des Violettes folgen. Über den Köpfen schaukelt ab und zu ein Sessel des nahen Lifts vorbei. Ansonsten: Stille.

Kaum zu glauben, dass man sich innerhalb des Skigebiets bewegt und dennoch nach nur kurzer Zeit den Trubel komplett hinter sich lässt. Über dem Südplateau steht die Mittagssonne und brennt an diesem Spätwintertag so intensiv, dass wir uns nach Abkühlung sehnen.

Mächtige Fichten und Lärchen spenden wenigstens etwas Schatten. Wir lauschen Pierre-Oliviers abenteuerlichen Geschichten – über seine Skitouren in Sibirien oder wie er mit Gästen die legendäre „Patrouille des Glaciers“ bestritten hat.

Die Skitourengruppe beim Aufstieg.
Foto: Frederik van den Berg
Gastgeber und Guide Pierre-Olivier Bagnoud führt seinen Gast auf Route 7.

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Spektakuläre Routen planen, Gästen unvergessliche Erlebnisse ermöglichen – genau das ist sein Ding. Kommt ihm da der neu eingerichtete Rando-Parc nicht in die Quere, wo es doch hierfür keinen Bergführer mehr braucht? Er winkt ab: „Im Gegenteil. Immer mehr Menschen unternehmen Skitouren, um im Winter fit zu bleiben. Hier finden sie die sichere Alternative zum Aufstieg über die Skipiste.“

15 Routen umfasst der vor alpinen Gefahren abgesicherte Skitourenpark, und er ist für Anfänger genauso geeignet wie für Ambitionierte – für Athletinnen wie beispielsweise die Walliserin Séverine Pont Combé. Die ehemalige Staffel-Weltmeisterin im Skibergsteigen hat die Routen mitentwickelt, die mitten durch das Skigebiet führen.

Die ganz Wilden sammeln hier an einem Tag bis zu 3.000 Höhenmeter. „Ist doch perfekt! Dann reicht die Kondition auch für die großen 4.000er-Touren“, analysiert Bergführer Bagnou ganz pragmatisch. Wir haben heute keinen Viertausender im Visier und bescheiden uns mit der Cabane als Ziel. Irgendwie praktisch, dieser „walk in the park“: einfach den Schildern folgen, seinen Gedanken nachhängen und dabei Schritt für Schritt die Ski in der Aufstiegsspur den Berg hochschieben.

Erst im Wald, dann im offenen Gelände, in dem sich ein paar letzte Nadelbäume mit ihren knorrigen Wurzeln trotzig in die Erde klammern. Sie passen in diese wilde Gegend. Genau wie die Einheimischen, denen man nachsagt, sie seien „plus sauvage“, also wilder als anderswo in den Bergen.

Pierre-Olivier bestätigt: „Früher war ich Sportlehrer, aber mir wurde es in der Turnhalle zu eng.“ Jetzt sind die Berge der Welt sein Arbeitsplatz. Aber nicht nur.

Der Bergführer blickt in die Ferne.
Foto: Frederik van den Berg
Auch nach 15 Jahren erfreut sich Bergführer Bagnoud immer noch an der majestätischen Erscheinung der Viertausender im Wallis.

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Der Bergführer ist auch Gastgeber und bewirtet gemeinsam mit seinem Freund Franck Reynaud die SAC-Hütte Cabane des Violettes. Sie liegt auf einer Höhe von 2.220 Metern, direkt neben der gleichnamigen Bergstation. Oben angekommen, manövriert uns Pierre ohne Umwege auf die Terrasse und serviert ein herbes Hausbier.

Die Skitourenkarte liegt schon ausgebreitet auf dem Tisch. Beim Blick darauf fühlen wir uns wie Kinder auf einem Rummelplatz – total überwältigt von der Auswahl. Unser morgiges Ziel, die Pointe des Favèrges, liegt nicht weit vom Rothorngipfel auf nicht ganz 3.000 Metern.

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Für heute jedoch ist nur noch Sitzen und Staunen angesagt. Unter uns liegt Crans-Montana, dessen Häuser so klein sind, dass sie an eine Modelleisenbahnlandschaft erinnern. Über uns die majestätischen Gipfel, die eine natürliche Grenze zwischen den Gebirgskantonen Bern und Wallis bilden.

Wie die Zacken einer Krone erheben sich auch die schneebedeckten Gipfel auf der Südseite des Rhonetals – unter ihnen die Mehrheit der 48 Schweizer Viertausender. Eine Aussicht zum Niederknien. Ein Skitourengeher kommt soeben keuchend heroben an: „Enchantée, Donovan Nanchen.“

Der Architekt aus Crans-Montana strahlt: „Der Rando-Parc ist mein Fitnesscenter im Freien. Für die Strecke habe ich knapp fünfzig Minuten gebraucht.“ Sagt es, zieht die Felle von den Ski und rast wenig später wieder hinab ins Tal. Die Ruhe am Berg und die warme Gaststube gehören heute uns.

Sämtliche Bergromantik-Klischees sind erfüllt: Das Fondue blubbert im Caquelon träge vor sich hin. Dezent rezent, sämig und dickflüssig – exquisit! Es ist die Mischung einer einheimischen Alp, verrät Pierre. Von welcher, will er nicht verraten. Unseren Absacker, einen Erdbeerschnaps, hat er dagegen selbst angesetzt, wie er nicht ohne Stolz erwähnt.

Pappsatt schlüpfen wir schließlich unter karierte Decken. Der Mond strahlt durchs Zimmerfenster und stellt die Gipfel ins Rampenlicht. „Die ziehen wirklich alle Register …“, mein letzter Gedanke, bevor der Schlaf mich übermannt. 

Das Käsegericht wird mit frischen Kräutern serviert.
Foto: Frederik van den Berg
Auf halbem Weg erwartet sie bei der Buvette de Pépinet eines der typischen Käsegerichte.

Abseits vielbegangener Routen

Bereits um sechs in der Früh errötet der Himmel sanft, während wir noch einen Moment brauchen, um uns von der Nestwärme loszureißen. Die morgenfrische Bergluft kribbelt in den Lungen, und die Härchen stehen in „Abwehrhaltung“ auf.

Die 670 Höhenmeter bis zur Gipfelstation Plaine Morte schlucken wir bequem mit der Gondelbahn. Die Natur kennt hier oben nur den Superlativ. Ein topfebener Gletscher von gewaltigem Ausmaß, darum in Reih und Glied die formschönsten Berggipfel.

Und Pierre liefert die passenden Geschichten und Sagen: Die ganze Gletscherfläche sei früher eine fruchtbare Alp gewesen und deren Besitzer so wohlhabend, dass sie aus Butter und Käse Kugeln formten, um damit zu kegeln. Für einen hungrigen Wandersmann hätten sie jedoch nur Hohn und Spott übrig gehabt.

Worauf dieser die ganze Fläche in einen Gletscher verwandelt habe und alle Bewohner umgekommen seien. Daher der Name Plaine Morte, tote Ebene. Doch das Eisfeld ist voller Betriebsamkeit: Man kann hier oben in Iglus übernachten, langlaufen oder Hundeschlittentouren unternehmen. Und Skitourengeher, die auf der Berner Haute-Route unterwegs sind, queren den Gletscher ebenfalls.

Der 3.243 Meter hohe Wildstrubel auf der gegenüberliegenden Seite ist zum Greifen nah und eine lohnende Tagestour von Crans-Montana aus. Nicht für uns. Nicht heute. Pierre entführt uns in die abgeschiedenen Hänge von Aminona. Auch wer angestrengt lauscht, hört trotzdem nichts als den eigenen Herzschlag.

Wir passieren den Gletscher in Richtung Les Favèrges und rätseln über die beiden riesigen Krater. „Wir nennen sie Schwiegermutterlöcher. Hier werden die ungeliebten Schwiegermütter versenkt“, sagt Pierre-Olivier mit einem schelmischen Lachen und kurvt ein paar Höhenmeter bergab. Die Tour von heute ist so auf keiner Karte eingezeichnet.

Warum also hat er diese Route gewählt? „Weil sie schöner ist!“ Bald sind die letzten Meter geschafft, und vom Gipfel können wir die unverspurten Hänge erkennen, über die wir in Kürze in eleganten Schwüngen talwärts fahren werden. Vorher genießen wir den Ausblick auf Fünf-Sterne-Niveau.

Im Osten das Aarmassiv, im Westen der Mont Blanc und dazwischen der Blick auf die Couronne Impériale – die Kaiserkrone, bestehend aus Matterhorn, Ober Gabelhorn, Zinalrothorn, Weisshorn und Dent Blanche. Selbst für den Local Pierre-Olivier ist dieser Ausblick jedes Mal ein Geschenk: „Ich bin seit fünfzehn Jahren Bergführer und liebe meinen Beruf nach wie vor jeden Tag.“ Bei diesem Arbeitsplatz ist das kaum verwunderlich.

„Oben wird es noch etwas eisig sein. Aber weiter unten haben die Hänge perfekte Südlage“, kündigt unser Guide an und fährt los. Die Natur streift sich alle paar Tiefenmeter ein neues Gewand über. Firn vom Feinsten, weite Hänge, umrahmt von eindrücklichen Felsformationen mit eigenwilligen Namen wie „Le trou de la vierge“.

Gletscher soweit das Auge reicht.
Foto: Frederik van den Berg
Die Klischees halten sich fast so hartnäckig wie die zwei grossen Krater auf der Plaine Morte, in denen die Einheimischen zumindest in bösen Gedanken ihre Schwiegermütter versenken.

Die Abfahrt nach Aminona führt eine wilde Schlucht entlang, der Weg ist gerade einmal vier Skischuhe breit. Unter uns schlängelt sich die Tièche ins Tal. „Hunger?“, fragt unser Guide. Natürlich! „Ausgezeichnet, dann nehmen wir die Seilbahn hinauf und gönnen uns ein Mittagessen in der Buvette de Pépinet“, lautet sein Vorschlag.

Michèle und Paulette Vocat bewirtschaften die Alp sommers wie winters. Auf der Speisekarte stehen herzhafte Gerichte aus dem selbst produzierten Käse. Mit vollen Bäuchen hängen wir in den Stühlen. „Noch eine Runde im Rando-Parc?“, fragt Pierre-Olivier und kann sich ein schallendes Lachen nicht verkneifen, als er unsere entsetzten Gesichter sieht.

Freier Lauf der Gedanken

Für heute ist es genug. Liebend gerne würden wir allerdings den Aufenthalt um ein paar Tage verlängern. Uns gefällt das Konzept des Rando-Parc von Crans-Montana, das uns für einmal die zeitintensive Routenplanung sowie die Beurteilung der Lawinensituation erspart.

Der Kopf ist so viel freier, und man kann seinen eigenen Gedanken nachhängen, wenn die Route vorgegeben ist und die Gewissheit herrscht, dass die Strecke vor alpinen Gefahren gesichert ist. In der letzten Abfahrt nach Aminona begegnen uns auf halbem Weg ein paar Skitourengeher im Aufstieg.

„Wohin des Weges?“, fragt sie unser Bergführer. „Ach, nur kurz hinauf zur Cabane des Violettes.“ Wie wir sie beneiden um diese Ruhe, um diesen Ausblick.

Das sind die schönsten Touren und Hütten rund um Crans-Montana im Detail

Auf einer sonnenverwöhnten Hochebene über dem Rhonetal gelegen, formen die beiden Nachbarorte Crans und Montana auf 1500 m gemeinsam eine der grossen Walliser Feriendestinationen. Ein Paradies für Skifahrer, Tourengeher und Schneeschuhwanderer.

1. Für Einsteiger: Skitour zur Sonnenterrasse von La Violette

Im Ski Rando Parc von Crans-Montana gibt es 15 signalisierte und kontrollierte Skitouren-Strecken unterschiedlicher Schwierigkeit. Ein besonders Highlight ist die Route Nr. 7 mit dem verheissungsvollen Namen "La Violette". Von Barzettes führt die Tour hinauf zur gemütlichen Cabane des Violettes, wo auf 2.208 m die grosse Sonnenterrasse zu einer ausgedehnten Einkehr einlädt. 

2. Für Skibergsteiger: Skihochtour zum Wildstrubel

Alpinistisch anspruchsvoll, aber auch landschaftlich besonders reizvoll geht es auf der Skihochtour von der Bergstation Plaine Morte auf den Wildstrubel (3.244 m) zu. Der Aufstieg über die Südflanke ist steil und fordert einen versierten Bergsteiger. Unterwegs lohnt ein Abstecher zur Wildstrubelhütte (2.793 m).

3. Für Geniesser: Schneeschuhwandern auf dem Aminona-Aprili-Trail

Auf dieser Tour muss niemand hungern. Es gibt Einkehrmöglichkeiten und Sonne im Überfluss: Ein Café mit sonniger Terrasse beim Startpunkt, das Restaurant La Cure mit wunderbaren regionalen Spezialitäten auf halbem Weg und das Raclette beim Ökomuseum im Weiler Colombire zum Finale.

4. Für Einkehrer: Die Cabane des Violettes

Auf der Cabane des Violettes gibt es nicht nur fantastisches Essen, sondern auch eine grandiose Gipfelkulisse. Kein Wunder, denn hier sind gleich zwei Profis am Werk: Die SAC-Hütte wird von Bergführer Pierre-Olivier Bagnoud und dem Sternekoch Franck Reynaud bewartet. 

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