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Foto: Raisa Durandi
Wandern

Whiskeytrek im Alpstein

• 29. Oktober 2021
4 Min. Lesezeit

Bergwandern im Alpstein geht ordentlich in die Beine - doch das atemberaubende Naturschauspiel, originelle Bergwirte und trinkbare Trophäen wiegen diese Anstrengung mehr als auf. 

Thomas Wyss für das Bergweltenmagazin Juni/Juli 2018 aus der Schweiz

Der Weg zum Whisky führt übers Bier! Das ist keine originelle Appenzeller Werbung, das ist eine nüchterne Tatsache – wer im Alpsteinsteingebirge dem Säntis Malt nachjagen will, muss vorgängig bei der Bierbrauerei Locher einen Whiskytrek-Pass kaufen. Wahre Nerds – also Menschen, die sogar von entlegensten Kleinbrennereien im schottischen Hochland eine Flasche daheim haben – werden selbstverständlich die „Grand Tour“ mit allen 26 Posten absolvieren. Wer die Wanderung am Stück machen möchte, sollte dafür eine Woche einplanen.

 

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Ein Bergsee in der Alpenlandschaft.
Foto: Raisa Durandi
Blick auf den Hohen Kasten mit dem Sämtisersee im Vordergrund.

Unser Zeitbudget beträgt zwei Tage, was zum Whisky-Sammeln in neun Berggasthäusern reicht. Doch wegen dem Spiritus allein sind wir natürlich nicht in diesen ruralen Zipfel Ostschweiz gefahren. Was ebenso reizt, ist das ambitionierte Wanderabenteuer. Schließlich vermeldet die Berggängergilde unisono, der Alpstein sei etwas Besonderes; erhaben und doch mystisch, aber auch fordernd, nichts für launige Spaziergänge. „Keine Sorge“, beschwichtigt Kuno Mock von der Brauerei Locher, der uns Fläschchen Nummer 1 überreicht, „ihr seid jung und fit, ihr macht das mit links".

Ein Gasthaus auf dem Berg
Foto: Raisa Durandi
Das Berggasthaus Bollenwees kurz nach Sonnenuntergang.

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Sönd Willkomm!

Der Leitsatz, den man hier auf Tourismusplakaten, Post- und Speisekarten liest, lautet: „Sönd willkomm!" Teil dieser Willkommenskultur ist auch der Hohe Kasten: Bei prächtigem Wetter beschert er dem Besucher ein schlicht stupendes Panorama, welches das ganze Appenzell, aber auch das Rheintal und den Bodensee einschließt – alles auch vom Drehrestaurant aus bei Kaffee und Kuchen zu genießen.

Eine Wucht, da sind wir uns einig, doch wir wollen mehr! Schnell am Kiosk einen Bon gegen die Edition „Hoher Kasten“ eingetauscht, dann stampfen wir los. Der Weg führt einen Grat entlang; er ist steinig, arg kupiert und entsprechend schweißtreibend.

 

Der Whiskey in kleinen Flaschen.
Foto: Raisa Durandi
In kleine Fläschchen abgefüllt, erhalten Wanderer den feinen Tropfen.

Wir müssen das Schritttempo droßeln, wodurch zwei ältere englische Gentlemen, die wir davor pfeifend überholt haben, an uns vorbeiziehen (und dabei witzeln, sie seien halt Nachfahren von Edward Whymper, der habe uns Schweizer ja sogar am berühmtesten Berg des Landes, dem Matterhorn, geschlagen).

Erfrischung holen wir uns wenig später im schattigen Berggasthaus Staubern. Beim Knuddeln der Hauskatze kommen wir mit dem Tischnachbarn ins Gespräch, der uns rät, statt durchs waldige Tal unbedingt via Saxer Lücke zum Gasthaus Bollenwees zu wandern. 

Der Wirt posiert für das Foto vor der Whiskeykammer.
Foto: Raisa Durandi
Meglisalp-Wirt Sepp Manser gehört zu den Initianten des Whiskytreks.

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Der Tipp ist gülden wie die Abendsonne! Wir wandern durch ein imposantes Naturschauspiel aus schroffen Felskulissen, weichen Wiesenmatten und glitzernden Seen, mit schwofenden Schmetterlingen und stetigem Blick auf den achtzackigen Chrüzberg. Das Auf und Ab geht zwar arg in die Beine, aber nach sechs Stunden ist es geschafft: Bollenwees-Wirt Thomas Manser heißt uns herzlich willkommen, wir blinzeln groggy, aber happy, in die scheidende Sonne.

Eine Dusche später sitzen wir in der Wirtsstube und stillen den Bärenhunger mit Währschaftem aus der Region. Beim Kaffee gesellt sich der Patron zu uns, spendiert Whisky vom Bollenwees-Fass und berichtet aus dem Bergwirtalltag, dem er mitsamt Familie seit 2004 nachgeht. Er macht klar, dass man im Alpstein nicht gegen-, sondern miteinander arbeitet. Dass diese Gastronomen – obwohl fast jeder ein urchiges Original – das Kollektiv über die Konkurrenz stellen. Auch wenn sie sich längst nicht immer einig seien: „Wir sind schließlich Appenzeller.“ 

Ein Wegweise auf einem Wanderweg.
Foto: Raisa Durandi
Im kupierten Alpstein brauchen selbst die Geissen mal eine Pause.
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Ob diese „Harmonie“ auch beim Whisky spiele, möchte ich wissen, er schüttelt lachend den Kopf: „Natürlich behauptet jeder, seiner sei der beste.“ Nach einem tiefen Bergschlaf brechen wir auf. Die Topographie ist ähnlich wie am Vortag, die Szenerie jedoch, die sich zwischen den Widderalpstöck und der Marwees auftut, ist rauer, wilder. Doch offenbar sind wir akklimatisiert, es geht nun flott bergan.

Nach gut zwei Stunden verneigen wir uns auf dem Widderalpsattel vor dem jetzt gut sichtbaren „König“ Säntis, ziehen weiter zum Bötzel, und einen Steilhang danach sind wir da, wo der Mann lebt, den man – Achtung, Wortwitz – als „Spiritus rector“ des Whiskytreks bezeichnen könnte. Er heißt Sepp Manser und ist Wirt im Gasthaus Meglisalp.

Aussicht auf die Berglandschaft.
Foto: Raisa Durandi
Mit Sicht auf den Säntis unterwegs von der Bollenwees Richtung Meglisalp.

Eine Schnappsidee

Auf dem Weg zur Whiskyhütte erzählt er, dass es ein Gast gewesen sei, der ihn auf den Geschmack gebracht habe. Dass er viel gelesen habe, richtig angefressen wurde. Weshalb er Locher anfragte, ob es möglich wäre, eines der altehrwürdigen Fässer auszuleihen, die im Brauereikeller lagerten, um darin einen eigenen Brand reifen zu lassen. „Sie fanden Gefallen an dieser Schnapsidee.“ 

Damit war die Voraussetzung für die „höchste Whisky-Tour der Welt“ geschaffen. Sie gedieh so gut, dass das Projekt jüngst bis Herbst 2019 verlängert wurde. Auch wenn es früh am Nachmittag ist, lässt uns Manser nicht weiterziehen, ohne an seiner Meglisalp-Spirituose genippt zu haben. „Ich glaub, es ist der beste“, sagt der Pionier lachend. 

Der Whiskey in der Glasflasche.
Foto: Raisa Durandi
Whisky-Kultur im Berghaus Eggli: Zwischen der dunkleren und der helleren, allerersten Abfüllung liegen drei Jahre Reifeprozess.

Bald sind wir froh, nur genippt zu haben: Der anfänglich sanft hügelige Abstieg Richtung Seealpsee ist nämlich zur perfid feuchten Felstreppe mutiert. Doch wie alles geht auch das vorbei, es folgt ein fast gemütliches Waldstück, und irgendwann stehen wir am Ufer des idyllischen Seealpsees, lassen uns in Gras kippen und genießen dösend ein Sonnenbad.

Es ist der passende Auftakt zum finalen Akt, bei dem wir im Garten des Gasthauses Seealpsee eine kalte Platte erledigen, im Gasthaus Forelle Glaces holen und mit den Whiskys sechs und sieben im Gepäck nach Wasserauen schlendern, von wo Regionalbahn und Bus unsere schweren Glieder zurück nach Brülisau befördern. Stimmt, es fehlen die Whiskys acht und neun, das liegt daran, dass zwei eingeplante Gasthäuser Ruhetag hatten. Wir holen sie beim nächsten Besuch ab.

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