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Foto: Sam Strauss
Hüttenportrait

Die Hagener Hütte in der Goldberggruppe

• 29. September 2022
5 Min. Lesezeit

Seit mehr als 100 Jahren wacht die Hagener Hütte am Übergang zwischen zwei Bundesländern. Gut die Hälfte der Zeit hieß die Wirtsfamilie Aschbacher: Sie kocht in Salzburg und bewirtet in Kärnten.

Anja Kröll für das Bergwelten-Magazin Oktober/November 2020.

Hütten sind wie Geschichten. Da wären die Kurzgeschichten. Hütten, die man flüchtig streift. Bei denen man auf dem Weg zum Gipfel eilig einkehrt, eine heiße Suppe isst, den Namen ins Hüttenbuch kritzelt, verweilt, aber nie wirklich innehält. Und dann gibt es Hütten, die sind wie Romane. Sie ziehen in ihren Bann, machen zu Mitwissern, lassen nicht mehr los, berühren durch ihre Protagonisten. So wie die mehr als 100 Jahre alte Hagener Hütte am Mallnitzer Tauern in Kärnten.

Eine Grenzgängerin, erbaut auf 2.446 Höhenmetern, genau dort, wo Kärnten und Salzburg aneinanderstoßen. Gelegen im Schatten des Fast-Dreitausenders Hohe Geisel auf dem Tauernhöhenweg. In zweieinhalb Stunden erreicht man sowohl vom Salzburger Nassfeld – auf einem etwas steileren Zustieg – als auch über einen in Serpentinen angelegten Weg vom Kärntner Tauerntal aus den imposanten, mit grauen Brettern vertäfelten Bau in der östlichen Kernzone des Nationalparks Hohe Tauern.

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Beim Zustieg sorgen pfeifende Murmeltiere, blühende Alpenblumen und bei guter Thermik majestätische Bartgeier für ein schon fast kitschiges Berggefühl. Der Auftritt der Hauptcharaktere erfolgt beim Eintreten in die helle Gaststube mit den rot karierten Vorhängen: Sissy und Hans Aschbacher. „Griaß di. Bist a wieder mal da“, sagt Wirt Hans und streckt einem die tellergroße Hand zur Begrüßung hin. Sein rot kariertes Hemd lässt ihn dabei farblich fast mit den Gardinen verschmelzen.

Eine Wanderin genießt den Ausblick auf die Berglandschaft.
Foto: Sam Strauss
Wanderin Katharina und Hündin Berta auf dem Weg von der Hütte auf die Geisel.

Die Geschichte der Hagener, wie die Hütte von Einheimischen genannt wird, ist unzertrennlich mit der Geschichte der Aschbachers verbunden. Eine Familiensaga. Seit drei Generationen, mehr als 50 Jahren, bewirtschaften sie das Haus am Tauern. Da war zunächst Hans Aschbacher senior, ein Hüttenwirt wie aus dem Bilderbuch: Urviech, Unterhalter mit Ziehharmoniker und viel zu früh verstorben. Doch noch immer Teil der Hütte durch ein riesiges Bild, das hinter dem Stammtisch thront. 2009 folgte ihm Sohn Hans junior als Hüttenwirt nach – offiziell.

Die Hütten-DNA hatte Hans bereits von klein an im Blut. „Mit drei Jahren war ich zum ersten Mal einen Sommer auf der Hagener und von dort an keinen mehr im Tal“, erzählt der 52-Jährige. Seine Söhne, Christoph und Daniel, helfen seit Jahren ebenfalls jeden Sommer mit – im Winter, wenn die Aschbachers in ihre andere Heimat, das Maltatal, zurückkehren, bleibt die Hütte zu.

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Die Hüttenwirte posieren für unser Foto.
Foto: Sam Strauss
Die Hüttenwirte Sissy und Hans Aschbacher vor ihrem zweiten Dahoam.

Und dann ist da noch Hans’ Frau, „die Sissy“. Ohne sie wäre die Hagener nicht die Hagener. Wer das verstehen will, muss die selbst gemachte Kaspressknödelsuppe oder den legendären Schweinsbraten probiert haben. „Dabei wollte ich eigentlich nie Hüttenwirtin werden“, erklärt die 49-Jährige, während in der Hüttenküche ein Ei nach dem anderen in die weiße Schüssel mit dem Knödelteig wandert.

Der Nebensatz, kochen habe sie am Anfang gar nicht gekonnt, darf angezweifelt werden. „Ich habe ständig meine Tante im Tal angerufen, um Tipps zu bekommen. Da war die Telefonrechnung die erste Zeit höher als unser Umsatz“, sagt Sissy, knetet den Knödelteig und lässt die Schüssel lässig rotieren. Gekocht wird auf Salzburger Grund und Boden. Denn die Grenzgängerin unter den Hütten hält, was sie verspricht: Die Trennung zwischen den Bundesländern Salzburg und Kärnten verläuft exakt durch die Küche und den Gastraum der Hagener Hütte. Heißt in der Praxis: Gekocht wird in Salzburg, gegessen in Kärnten. Schmecken tut’s auf beiden Seiten.

Kulinarische Eindrücke von der Hagener Hütte.

Gold und Silber

Wer nach den Hüttenschmankerln einen Verdauungsspaziergang benötigt, sollte talabwärts auf der Kärntner Seite bis zum Tauernhaus steigen. Hinter den kühlenden Mauern des Steinhauses taucht man ab in eine andere Welt. Sie erzählt von Römern, die vor über 2.000 Jahren Passstraßen über den nahe gelegenen Korntauern und den Mallnitzer Tauern errichteten. Genau dort, wo heute die Hagener Hütte steht.

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Über den Mallnitzer Tauern wurde die Straße als sogenannte Stichstraßegenutzt, um Zugang zum Bergbaugebiet in Sportgastein zu erlangen, wo schon in römischer Zeit Gold und Silber abgebaut wurden. Den Römern folgten die Säumer, Träger und Pferde, die Wein, Gewürze oder Seife über den Tauern transportierten und denen die Tauernhäuser zum Schutz dienten. Wie eng die Geschichte des Tauernhauses und der Hagener zusammenhängen, wird klar, wenn man noch ein Stück weiter hinab auf der Kärntner Seite steigt.

Die Hagener Hütte im Detail:

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Ins ursprüngliche Bergsteigerdorf Mallnitz: Wer wirklich Ruhe und Bergleben ohne Inszenierung sucht, ist hier genau richtig. Richtig auch, um den 92-jährigen Sepp Kröll zu treffen. „Ich hab schon auf dich gewartet“, sagt der Mann mit den wachen Augen, aus denen noch immer der Schalk der Jugend lacht und die einen ganz speziellen Glanz bekommen, wenn er von der Hagener Hütte erzählt. Auf die Hütte kommt er heute nur noch einmal im Jahr, wenn ihn Wirt Hans mit dem Jeep im Tal abholt. Oben war er früher Tausende Male. Als Bergretter, als Skitourengeher, als mein Lehrmeister des Gebirges. Sepp ist mein Großvater.

Dutzende Male sind wir gemeinsam die knapp 900 Höhenmeter von der Kärntner Seite hinauf zur Hagener gestiegen. Als Kind spielerisch, immer „die Mankei“ und ihre Bauten ausmachend. Im Teenageralter mit wenig Begeisterung vonseiten der Enkelin, begleitet von der Frage: „Was so toll an diesem Berg sei, dass man schon wieder raufmuss?“ Als 30-Jährige mit ihm als Bergführer und dem „Strickerl“ zum Absichern in seinem Rucksack zum ersten Mal gemeinsam auf die Geisel.

Ob traumhafter Ausblick oder sichere Schutz bei schlecht Wetter, die Hagner Hütte hat vieles zu bieten.

Eines hat uns immer begleitet: seine Geschichten von der Hagener Hütte. Zum ersten Mal kam er als Achtjähriger auf die Hütte. „Meine Ziehmutter war damals Hüttenwirtin auf der Hagener. Ich habe ein Tragtier bekommen und war dafür zuständig, dass die Hütte mit Lebensmitteln und Waren versorgt wurde.“ Pause.

„Ich wusste ja nicht einmal, wo ich am Berg hinmuss. Aber das Muli, die Lisl, hat sich ausgekannt. Ich habe mich einfach an ihrem Schwanz festgehalten und bin ihr nachgegangen“, erinnert sich Sepp. Viele Geschichten dieser Art gibt es. Davon, wie er im Nebel plötzlich den Weg auf die Hütte verlor. Oder in kurzen Lederhosen in einen Schneesturm geriet und von der Hüttenwirtin mit einer selbst gestrickten Strumpfhose zum Schutz gegen die Graupelschauer versorgt wurde.

Ausgezogen habe er die Strumpfhose beim Abstieg sofort nach der ersten Kurve. „Die hat g’juckt, das kannst dir nicht vorstellen.“ Zehn war er damals. Nur sieben Jahre später sollte er am Mallnitzer Tauern mit britischen Besatzungskräften zusammentreffen. Sie hatten auf der Hagener Hütte ein alpines Ausbildungslager errichtetet und den gesamten Dachstuhl des Tauernhauses abgetragen, um ihn als Brennmaterial zu verwenden.

Sepp brachte den Soldaten Lebensmittel aus dem Tal und begleitete sie auf ihren Erkundungstouren im alpinen Grenzland. Hütten sind wie Geschichten. Und manchmal werden sie auch Teil der eigenen Geschichte.

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