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Foto: Philipp Schönauer
Bergportrait

Der Hochkönig im Winter

• 18. Oktober 2021
9 Min. Lesezeit

Übergossene Almen und verkohlte Kaiserschmarren, große Panoramen, mutige Alpinistinnen und abenteuerlustige Professoren: ein Besuch am Hochkönig in den Berchtesgadener Alpen, einem der markantesten Gipfelplateaus Europas.

Reinhard Haas für das Bergwelten-Magazin Februar/März 2016

Wer sich einem König nähern will, tut dies wohl am besten gemessenen Schrittes und mit Respekt. Und so schnallen wir uns nach unserer Ankunft in Mühlbach am Hochkönig vor dem Arthurhaus erst einmal die Schneeschuhe an und folgen den Anweisungen von Silvia Wieser, unserer Führerin an diesem Nachmittag.

Auch die athletische Mittfünfzigerin aus Mühlbach meint, dass man ein Stück auf Distanz gehen sollte, wenn man den Hochkönig in voller Pracht betrachten will. Deshalb werden wir mit ihr den 1.783 Meter hohen Hochkeil besteigen. Der flache Bergrücken des Hochkeil erhebt sich auf der südlichen Seite des Mitterberg-Plateaus und bietet ein kleines Skigebiet mit fünf Liften.

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Dank seiner Lage am Hochkönig hat man hier auch ohne Beschneiungsanlage Schneesicherheit von Anfang Dezember bis Ende März. Gemächlich stapfen wir die Serpentinen einer Forststraße hinauf durch den verschneiten Kiefernwald.

Von Zeit zu Zeit macht Silvia einen kurzen Stopp und deutet auf kaum wahrnehmbare Hügel und Senken: „Schon zu prähistorischer Zeit wurde hier Kupfererz abgebaut. Mit großen Holzfeuern wurde das Gestein erhitzt, mit Wasser abgeschreckt und mit Schlägeln und Pickeln gebrochen. Die Aufwürfe der Stollen und Gräben sieht man noch heute.“

Zwischen den immer lichter stehenden Latschenkiefern öffnet sich nun der Blick auf den Gebirgsstock des Hochkönig. Wie die Mauern einer Trutzburg stehen die dunklen, steil aufragenden Mandlwände mit ihren Zacken vor uns. Links daneben erkennt man an der Flanke der Gipfelspitze die Silhouette des Matrashauses.

Die Crew sitzt vor einen Karte in der gemütlichen Stube der Ostpreußenhütte.
Foto: Philipp Schönauer
In der Ostpreußenhütte: Jede Bergtour am Hochkönig will geplant sein.

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Der Anblick ist gewaltig. Silvia fragt uns selbstsicher: „Na, habe ich euch zu viel versprochen?“ Nach zwei genüsslichen Schneeschuhwanderstunden sind wir zurück beim Arthurhaus. Herrlich ist die Aussicht, die man hier am Nachmittag von der Sonnenterrasse aus hat, und einen guten Überblicküber die Region bekommt man obendrein: Das 3-Sterne-Berghotel der Familie Radacher liegt sehr zentral auf der Mitterbergalm oberhalb von Mühlbach.

Der Mitterberg selbst ist eine Basisstation für alle Touren auf den Hochkönig. Richtung Osten sieht man von hier aus auf das Dachsteingebirge und das darunterliegende Salzachtal; im Süden ragen die Gipfel der Hohen Tauern empor; im Westen schmiegt sich das Steinerne Meer oberhalb von Saalfelden an den Gebirgsstock.

Der Professor kam mit zehn Trägern

Wir treffen den 84-jährigen Peter Radacher, dessen Familie seit Generationen am Fuß der Mandlwand die Geschicke mit beeinflusst und die Geschichtsbücher bereichert – was die Gastronomie der Region betrifft und die Entwicklung des Wintertourismus, aber auch sportlich: 1952 war Peter Radacher als Skispringer bei den Olympischen Spielen in Oslo dabei.

Selbst in seinem gesegneten Alter strahlt er noch die Vitalität eines echten Bergpioniers aus: hochgewachsen, mit vollem, silbernem Haar, wettergegerbtem Gesicht und wachen Augen. Und auch der kräftige Handschlag verrät schon viel.

Ein traumhafter Wintertag

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Peter Radacher blinzelt zu den schroffen Felsen des Hochkönig hinauf, die sich hinter dem Haus in den Himmel schieben. „Wo wir stehen, kamen schon Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten Touristen aus Salzburg und Wien“, erzählt er. „Obwohl der Weg von Bischofshofen herauf beschwerlich war, ließen sie sich nicht abhalten, den schönsten Berg der Alpen zu besteigen.“

Er zwinkert schelmisch. „Unser Gasthaus hieß damals noch Alpenwirtschaft Mitterberg und war als Ausschank für die Bergleute gedacht, die hier seit 5.000 Jahren Kupfererz abbauten.“ Trotz des Jahrtausende währenden Betriebs dachte man erst spät an alpinistische Eroberungen:

„Der erste urkundlich verbriefte Alpinist des Hochkönig war Theologieprofessor Peter Carl Thurwieser, der 1826 mit zwei Offizieren und zehn Trägern den Hochkönig bestieg.1894 übernahmen dann meine Großeltern das Haus. Mein Opa war der erste Berg führer, der Alpinisten auf den Hochkönig führte. Und vier Jahre später, im Jahr 1898, hatten sich schon 700 Besucher ins Gästebuch eingetragen.“

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Der 84-Jährige zieht ein Fotoalbum mit alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Tasche, die er ein Leben lang gesammelt hat. „1896 hat der Wiener Alpenverein das erste richtige Schutzhaus auf den Hochkönig-Gipfel gestellt, das spätere Matrashaus. Man muss sich das vorstellen: Weil der Anstieg für Pferde und Mulis zu steil war, mussten die Holzbalken von Trägern mit Kopfkraxen hochgebracht werden.

Die Skitourengruppe beim Aufstieg.
Foto: Philipp Schönauer
Eine Ski-Tour zu den Vierrinnenköpfen, kurz nach Sonnenaufgang, gehört zu den besonderen Erlebnissen im Hochkönig-Gebiet.

Allein der Firstbaum wog 120 Kilo und wurde von einem einzigen Mann hochgeschafft.“ Dann schmunzelt der alte Herr beim Blättern durchs Album. „Meine Großmutter Therese war die erste österreichische Alpinistin, die frecherweise in Hosen auf den Berg stieg statt im Rock.

Jeden Tag, 22 Jahre lang, pendelte sie zwischen dem Mitterberg und dem Hochkönig-Haus, das sie ebenfalls bewirtschaftete: Morgens machte sie den Bergsteigern Frühstück in der Alpenwirtschaft, dann stieg sie die 1.500 Höhenmeter hoch zum Gipfel, und bis die Ersten da waren, war das Mittagessen fertig. Dann stieg sie ab und kochte in der Wirtschaft das Abendessen.“

Stolz deutet Peter Radacher auf ein Foto aus dem Jahr 1902, das eine große Frau mit engen Hosen, Hut und Wanderstock zeigt. Kein Zweifel, dieser Frau traut man das zu.

Der völlig verkohlte Kaiserschmarrn

Doch Peter Radachers Lieblingsepisode über seine Oma ist die: „Sie war bekannt für ihren Kaiserschmarren. Ein Gast bestellte eine Portion und verspeiste sie. Und weil er so gut war, bestellte er gleich noch einen. Der ließ über eine Stunde auf sich warten und kam völlig verkohlt auf den Tisch.

Als der Gast sich beschwerte, antwortete die Kellnerin: ,Tut mir leid, der Herr. Die Wirtin musste gerade ein Kind zur Welt bringen.‘ Das war mein Vater.“ Es dämmert inzwischen. Einladendes Licht erhellt die Fenster der aus großen Steinen gemauerten Schweizerhütte, nur wenige Meter neben dem Arthurhaus.

Hier ist die Mitterberger Bergsennerei daheim, und sie erinnert mit ihrem Schindelwalmdach eher ans Engadin als an den Pongau. Das hat einen Grund: Mit dem Bergbau siedelten sich auch Allgäuer und Ostschweizer in dieser Gegend an, um die Erzarbeiter mit Milch und Käse zu versorgen.

Die Schweizerhütte

Pauli Kreuzberger, der uns heute auf der Schweizerhütte bewirtet, ist eine der lebenden Legenden des Hochkönigs. Mehr als 35 Jahre lang waren er und sein Bruder Peter Hüttenwirte auf der Mitterfeldalm und damit die Torwächter aller Touren auf den Hochkönig.

Pauli erstellte Schneeprofile, beobachtete das Wetter und war der verlässlichste Auskunftsgeber für die aktuelle Lawinensituation in der Region. Vor neun Jahren, als der ganzjährige Betrieb der Hütte unwirtschaftlich wurde, beschloss er, sich dem Käsemachen zu widmen: köstlicher Almkäse, Camembert, Bergbauern-Mozzarella, Sauermilchkäse, Topfen und Butter aus der Milch der Mitterberg-Kühe.

Dieses Jahr ging Pauli zwar in Pension, lernte aber seinen Nachfolger noch selbst an: Alex Hochher, käsebegeisterter Kellner im Arthurhaus. Die besondere Spezialität der Schweizerhütte ist seit Paulis Zeiten das Käsefondue, das jeden Donnerstag in dampfenden Tonschalen an den großen Tischen in der Stube serviert wird.

Dazu gibt es Weißbrot, geschnittene Früchte und kühles Bier vom Fass. Zum Nachtisch serviert uns der Senner noch ein echtes Schmankerl: selbst gemachte Bergkäse-Schokolade aus dunkler Schokolade, Bergkäse und Preiselbeeren.

Bergführer und Gipfel

Aufhören zu reden und Ski anschnallen

Nach dem Essen gesellt sich der Enkel von Urgestein Peter Radacher, der Tradition folgend ebenfalls ein Peter (Spitzname Pez), zu uns. Der Junior leitet seit kurzem des Jugendsportheim Hochkeilhaus mit 140 Betten. „Wird Zeit, dass ihr nicht nur über den Berg redet, sondern endlich die Ski anschnallt“, sagt er grinsend.

Er hat seinen Freund Peter Gamsjäger aus Mühlbach mitgebracht, der als erfahrenster Berg- und Skiführer der Region gilt. Die beiden erklären uns, wo und wie man den Thron des Königs am besten besteigt.

„Im Sommer“, sagt Peter Gamsjäger, „führt der klassische Aufstieg vom Arthurhaus östlich über die Mitterfeldalm aufs Hochplateau und zum Gipfel. Die Tour ist nicht steil, bedarf aber guter Kondition für fünf Stunden Gehzeit.

Im Winter ist dort die Lawinengefahr ziemlich groß. Und beim Abstieg gibt es dann nicht viele Hänge, die gut zu befahren sind. Es ist eher eine Ski-Wanderung.“ In unseren Gesichtern liest Peter, dass wir uns neben Aufstiegen mit Panoramablick auch auf Abfahrten im Pulverschnee gefreut hatten.

Er deutet auf die steil abfallenden Südflanken des Hochkönig. „Dort könnt ihr beides: in der Sonne aufsteigen und genüsslich abfahren. Wir können uns morgen früh bei der Kopphütte treffen und hoch zum First auf 1.896 Meter gehen. Eine mittelschwere, etwa zweistündige Tour.“

„Und wenn ihr unbedingt auf den Hochkönig-Gipfel wollt“, fügt Pez Radacher hinzu, „würde ich euch gemeinsam mit Peter den Aufstieg über die Dielalm und die Ostpreußenhütte empfehlen. Die ‚Ost‘ ist ganzjährig offen und bietet eine hervorragende Küche.

Von dort sind es gut fünf Stunden bis zum Gipfel, und die Tour ist wirklich spektakulär.“ Wir entscheiden uns für beide Routen: Gleich am nächsten Tag die Tour von der Kopphütte zum First und dann am Wochenende die Gipfelbesteigung über die Ostpreußenhütte.

Ein Skifahrer bei der Abfahrt in einer Rinne, dahinter der Alpenhauptkamm.
Foto: Philipp Schönauer
Abfahrtsgenuss nach dem fünfstündigen Aufstieg auf den Hochkönig.

Sonnenaufgang vor der Kopphütte

So erwartet uns Peter Gamsjäger kurz nach Sonnenaufgang am Parkplatz der Kopphütte. Obwohl der 46-jährige gelernte Vermessungstechniker von Kindesbeinen an alle Gipfel rund um seinen Geburtsort Mühlbach bestiegen hat und er seine Urlaube zudem auf 5.000ern in China, Afrika und Südamerika verbringt, machte er erst vor vier Jahren den staatlichen Ski- und Bergführer.

Doch da konnte er bereits auf einen so großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, dass er wenig später selbst Ausbildner wurde. Die ganzjährig bewirtschaftete Kopphütte liegt auf 1.307 Metern an der Südflanke des Hochkönig. Als wir losgehen, taucht die Morgensonne den mächtigen Gebirgsstock bereits in rosafarbenes Licht.

Von Minute zu Minute erwärmt sich die Luft, und wir gehen in Serpentinen über die schneebedeckten Hochalmen. Auf halbem Weg passieren wir die Hütten der Widdersbergalm. Nach knapp zwei Stunden stehen wir auf dem First unterhalb des Bratschenkopf und genießen das atemberaubende Panorama in Richtung Süden: Großglockner, Großvenediger, Hohe Tauern.

Von unserem gesicherten Platz aus können wir mitverfolgen, wie kleine Neuschneelawinen aus der Krone des Hochkönig fallen. Allein das schon ein Grund, selbst so eine kurze Tour nie ohne ortskundigen Bergführer zu machen. Wenige Minuten später schwingen wir glücklich durch den federleichten Pulverschnee ins Tal.

Die Gruppe beim Aufstieg auf den Hochkönig.
Foto: Philipp Schönauer
Der Aufstieg zum Hochkönig über die Dielalm und die Ostpreußenhütte verlangt gute Kondition.

Am Nachmittag geht die Fahrt über Mühlbach und Bischofshofen nach Werfen und über einer Forststraße auf die Dielalm (1.014 m). Dort schnallen wir die Ski an. Der etwa zweistündige Weg durch den Wald des Haidbergriedl (1.628 m) ist präpariert und daher auch für ungeübte Tourengeher oder winterwandernde Familien mit Kindern geeignet.

Auf der „Ost“ werden wir schon von den Hüttenpächtern Harald und Babsi erwartet. Beide stammen aus Bayern und haben das Haus erst vor eineinhalb Jahren übernommen. Aber seither dringt der Ruf ihrer Herzlichkeit und vor allem ihrer wunderbaren Küche weit hinaus ins Salzburger Land. Äußerst köstlich zum Beispiel: Wadlgulasch mit Polentaschnitten oder Spinatknödel mit Parmesan.

Die Sage von der übergossenen Alm

In der gemütlichen Stube könnte man am Kachelofen glatt noch ein paar Abende länger verbringen. Trotzdem brechen wir schon kurz nach Sonnenaufgang auf. Hinter der Hütte steigt der Weg durch das Rettenbachriedl steil an. Nun befinden wir uns endgültig im Massiv des mächtigen Kalkalpenfelsen.

Die nächsten 800 Höhenmeter bis zum Floßkogel (2.437 m) gehen mächtig an die Substanz, unser Bergführer Peter drosselt immer wieder das Tempo und legt Pausen ein. Gemächlich überqueren wir die „Übergossene Alm“, ein Schneefeld, auf dem der Sage nach die Almen ungläubiger Sennerinnen mit ewigem Eis übergossen wurden. Und dann, nach knapp sechs Stunden, ist es geschafft.

Glücklich lassen wir uns auf die Bänke vor dem Matrashaus fallen und genießen in der Mittagssonne ein 360-Grad-Panorama, das in den Ostalpen fast einmalig sein dürfte: Im Norden sieht man über den Watzmann bis in den bayerischen Chiemgau und ins Salzburger Becken; im Osten erheben sich die wuchtigen Tennen- und Dachsteingebirge; im Süden steht vor uns wie eine grauweiße Mauer der Alpenhauptkamm, und dahinter sind sogar die Spitzen der Dolomiten zu erkennen; im Westen scheinen hinter dem Steinernen Meer der Wilde Kaiser und das Kitzbüheler Horn zum Greifen nah.

Aus Peters Augen blitzt der Stolz, als er sagt: „In den Alpen ist der Hochkönig neben dem Mont Blanc, dem Großglockner, dem Piz Bernina und dem Matterhorn einer der markantesten Berge.“ Stumm, erschöpft und zufrieden nicken wir. Hier oben zu sein ist wahrlich ein hochkönigliches Gefühl.

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