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Foto: Marco Rossi
In Stein und Zirbe

Die Berliner Hütte

• 22. März 2020
6 Min. Lesezeit

Der höchste Punkt Berlins liegt im Tiroler Zillertal, jenseits der Baumgrenze. Es ist ein Ort, an dem sich raue Natur, große Architektur, Geschichte und Geschichten zu einem Denkmal zusammenfinden, das bei aller Pracht doch nur eines ist: eine Berghütte. Diese Story ist im Bergwelten Magazin (Juni/Juli 2015) erschienen.

Text: Harald Nachförg
Fotos: Marco Rossi

Die Frauen suchen die Männer, ja, ja, so geht’s zu da heroben“, sagt die Sabina verschmitzt, und man weiß nicht genau, was die Kellnerin damit jetzt meint. Meint sie die Dame, deren Mann sich ins nächstbeste leere Bett hat fallen lassen, weil er gestern intensiv vom „Zichna“, vom Zirbenschnaps, kosten musste? Oder meint sie  jene resche Bergsteigerin, die den Ihrigen verdächtigte, er sei allein zum Gipfelsturm aufgebrochen – nur weil sie ihn nicht gleich fand in dem Gewusel?

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High Noon: Wenn die Sonne hoch am Himmel steht, schmeckt’s auf der Terrasse noch besser.
Foto: Marco Rossi
High Noon: Wenn die Sonne hoch am Himmel steht, schmeckt’s auf der Terrasse noch besser.

Kurz nach sechs Uhr ist es, Frühstück gibt’s noch bis neun, aber es geht natürlich schon mächtig zu in der Berliner Hütte. Um etwa halb fünf hat man die Stiegen zum ersten Mal knarzen gehört, jetzt ächzt das Gebälk, als würde eine ganze Kompanie übers Holz trampeln. Klar, 178 Schlafplätze gibt’s, die Notlager nicht eingerechnet, und die Hütte ist fast voll.

Wobei: Hütte ist gut. Es ist eine Art Grandhotel, das da auf 2.042 Meter Höhe in den Zillertaler Alpen steht.

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Steinernes Bollwerk

So eindrucksvoll das Panorama rundherum auch ist, mit all den Dreitausendern und den Gletschern Hornkees und Waxeggkees vor der Tür, das feudale Gebäude ist um nichts weniger spektakulär. Außen ein verschachteltes, steinernes Bollwerk – „Dem Sturme Trutz, dem Wanderer Schutz“ verkündet eine Tafel das Gründungsmotto –, fällt einem innen dann die Kinnlade runter.

Die ersten Gäste verlassen um halb fünf in der Früh das Haus. Diese hier sind etwas später dran.
Foto: Marco Rossi
Die ersten Gäste verlassen um halb fünf in der Früh das Haus. Diese hier sind etwas später dran.

Man kann das gut an den Neuankömmlingen beobachten, die sich in der Eingangshalle staunend im Kreis drehen, weil sie nicht wissen, wohin zuerst schauen. Kopf auch immer ins Genick gerissen, wegen der Höhe des Raums: ahhh!, des Stiegenaufgangs mit rotem Läufer: nochmal ahhh!, und des prächtigen Lusters: ohhh!

Da haben die Ankömmlinge aber noch nicht den Speisesaal gesehen, in dem vier davon hängen. Etwa 130 Quadratmeter groß mit fast fünf Meter Deckenhöhe und stattlichen Fenstern, ist er vollständig mit Zirbenholz getäfelt. Schlanke, achteckige Säulen stützen elegant schwere Deckenbalken, kunstvolles Schnitzwerk überall.

Viel Holz in der Hütte, könnte man scherzen. Fest steht, dass hier einst alle Dimensionen gesprengt wurden, die für den Bau alpiner Schutzhütten galten. Geplant waren diese Ausmaße allerdings nicht. Als die Berliner Hütte 1879 eröffnet wurde, war sie unscheinbar, gerade einmal sechs mal zehn Meter groß und sollte bloß Bergsteigern als Unterkunft dienen. Solchen verwegenen Pionieren wie den Brüdern Emil und Otto Zsigmondy zum Beispiel – in jenem Sommer in aller Munde, weil ihnen die Erstbesteigung des 3.087 Meter hohen Feldkopfs gelang. Zsigmondyspitze heißt der Berg heute, den die Zillertaler gern als ihr Matterhorn bezeichneten und für unersteiglich erklärten.

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Auf den Spuren der Gämsen

Doch zurück zur Hütte: Der Alpinismus, der Mitte des 19. Jahrhunderts seine Hochblüte hat, findet immer mehr Anhänger. Der 1873 zusammengeschlossene „Deutsche und Oesterreichische Alpenverein“ erschließt Berg um Berg. Bald sind Almsteige zu Saumpfaden ausgebaut und entlegenste Hütten nicht nur für Gämsen, sondern auch für weniger trittsichere Wanderer erreichbar. Damit einher geht die Bewirtschaftung der Unterkünfte; so kommen nun noch mehr Menschen.

Mondänes Entree: Stammgäste treten mit lässiger Selbstverständlichkeit durch die Schwingtür.
Foto: Marco Rossi
Mondänes Entree: Stammgäste treten mit lässiger Selbstverständlichkeit durch die Schwingtür.

Auswirkung für die Berliner Hütte: Ab 1885 folgt ein Anbau dem nächsten – und ist der fertig, platzt schon wieder alles aus den Nähten.

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Den mondänen „Damensalon“ haben übrigens Frauen finanziert – und zwar jene der Volkstanzgruppe der Sektion Berlin. Sie verwendeten dafür die Einnahmen aus ihren Auftritten. Damals war die Mitgliedschaft im Alpenverein in Berlin und anderen norddeutschen Sektionen ausschließlich Männern vorbehalten. Deshalb traten die Damen eben den Sektionen ihrer Urlaubsorte bei.

 Im Damensalon erinnert ein uralter Holzleuchter mit geschnitzten Musikanten und einem Tanzpaar in der Mitte an die edlen Spenderinnen.
Foto: Marco Rossi
Im Damensalon erinnert ein uralter Holzleuchter mit geschnitzten Musikanten und einem Tanzpaar in der Mitte an die edlen Spenderinnen.

Das ehemalige, karge Bergsteigerquartier wird also nicht nur größer, sondern auch immer luxuriöser. Die Gewerbeausstellung in Berlin 1896 sollte ebenfalls maßgeblich dazu beitragen.

Initiiert als Pendant zur Pariser Weltausstellung, werden dort einem Millionenpublikum die modernsten Errungenschaften des Lebens vorgeführt. Auch die Sektion Berlin klotzt: Im Inneren eines künstlichen Berges zeigt sie u.a. einen elektrischen Fahrstuhl und aufsehenerregende Lichttechnik, die Morgenstimmung ebenso simulieren kann wie Alpenglühen.

Schlemmern mit Aussicht
Foto: Marco Rossi
Schlemmern mit Aussicht

Auf den meisten Hütten kriegt man diese Stimmung zwar von der Natur frei Haus geliefert. Seit der Messe in Berlin ist aber auch klar, dass sich raue Bergwelt und gediegener Komfort samt raffinierter Technik nicht mehr ausschließen.

Also bekommt die Berliner Hütte im Jahr 1898 eine „Telephonanlage“ – von „135 Annahmen, 211 Gesprächen, 80 Ausgaben von Telegrammen und 13 Aufgaben von Phonogrammen“ weiß man ein Jahr später zu berichten. 1900 wird eine Dunkelkammer für Fotografie eingerichtet, 1906 ein Postamt und 1908 eine Schuhmacherwerkstätte.

Die geschützte Schutzhütte

Das gibt es heute zwar alles nicht mehr. Trotzdem blieb so vieles originalgetreu erhalten, dass das Haus 1997 als erste Schutzhütte unter Denkmalschutz gestellt wurde. „Für mi is des die schönste Hüttn, die’s gibt. I bin scho als Bua immer auffa“, schwärmt auch Markus Kröll.

Der 43­jährige Mayrhofener ist mit seiner Frau, den Kindern und befreundeten Familien hergekommen, und obwohl sie es gestern krachen haben lassen, ist er frisch wie der Morgentau. Na ja, Extremsportler eben. Er hat den 95,4 Kilometer langen Berliner Höhenweg, für den Normalsterbliche eine Woche brauchen, in weniger als 24 Stunden bewältigt. Da musst du laufen wie ein Rennpferd. Auch jetzt scharrt er schon mit den Hufen. Servas und pfiat di – und weg ist er. 

 Hüttenwirt Rupert: „Naturbursch“ ist gut – der Mann ist ein Fels.
Foto: Marco Rossi
Hüttenwirt Rupert: „Naturbursch“ ist gut – der Mann ist ein Fels.

Die Angst des Hüttenwirts

Der Bürgler Rupert, der seine Gäste gestern beim Feiern und Tanzen tüchtig unterstützt hat, schwächelt zwar auch nicht wirklich, nach einer Tour ist ihm allerdings nicht zumute. Nun, da sich der Hütten wirt mit seiner Lebensgefährtin Kerstin und den Mitarbeitern – in Spitzenzeiten bis zu 16 Leute – ums Frühstück gekümmert hat und sich die Berliner Hütte rasch leert, setzt er sich lieber ein bissl zum Plaudern an den Tisch.

Dreizehn Jahre ist er nun schon hier heroben. Weil der vorige Pächter starb, hat er kurzfristig übernommen, was ihm anfangs schlaflose Nächte bereitet hat. Nicht dass der Rupert sonderlich furchtsam wäre – der Mann hat Oberarme wie unsereiner Oberschenkel –, aber wenn etwa ein Unwetter wütet: Ab wann stellst du dann das Wasserkraftwerk draußen ab und um aufs Notstromaggregat?

Heute macht sich der 45-jährige Hüttenwirt deswegen keine Sorgen mehr. Auch logistische Probleme – bis zu 40 Tonnen Material und Lebensmittel müssen in der Saison auf die Hütte gebracht werden, zur Not mit dem Hubschrauber – bereiten ihm kein Kopfzerbrechen. „Du wirst über die Jahre lockerer“, sagt er.

Wer in einem der gemütlichen Zimmer schläft, hat eine gute Nacht und einen guten Morgen.
Foto: Marco Rossi
Wer in einem der gemütlichen Zimmer schläft, hat eine gute Nacht und einen guten Morgen.

Lustig übrigens, welche Dialekte man hier heroben hören kann. Rupert stammt aus Maria Alm in Salzburg, spricht quasi Pinzgauerisch, Beate, eine der vielen guten Seelen im Haus, typisch Berlinerisch; und weil die vielen Gäste nicht nur aus Tirol kommen, sondern aus aller Herren Länder anreisen, ergibt das ein weltläufiges Stimmengewirr, wie man es auch von Grandhotels kennt.

Soeben sind Stammgäste eingetroffen. Man erkennt sie an der lässigen Selbstverständlichkeit, mit der sie durch die beiden Schwingtüren treten und sich runter ans offene Fenster der Rezeption beugen. Staut es sich dort ein wenig, sind sie aber kein bisschen verärgert, sondern erfreuen sich zum x-ten Mal an den alten Emailletaferln darüber. „Ansichtspostkarten“, „Zimmer werden an der Kasse angewiesen“ und „Die Schlafgelder sind Abends bei der Kasse zu zahlen“ lesen sie dann, auch wenn sie das natürlich wissen, ja längst schon auswendig können.

Karte
Foto: Bergwelten
Karte

Alle Infos in Kürze

Berliner Hütte

Pächter: Rupert Bürgler
178 Schlafplätze; Nächtigung im Zimmerlager:
28,- EUR mit Alpenvereins-Ermäßigung, 15,- EUR
Tel.: +43/676/705 14 73
www.berlinerhuette.at

Touren rund um die Hütte

1. Zustieg zur Hütte

Das Staunen beginnt bereits im Zustieg zur Hütte.
Foto: Marco Rossi
Das Staunen beginnt bereits im Zustieg zur Hütte.

Der Aufstieg zur Berliner Hütte beginnt in Ginzling im Zillertal beim Alpengasthaus Breitlahner (1.257 m). Durch den Zemmgrund geht es zur Schwemmalm (1.350 m) und weiter zur Grawandhütte (1.636 m). Dort verengt sich das Tal schluchtartig, es wird steiler, bis der Talschluss mit der Alpen rosenhütte (1.873 m) erreicht wird. Kurz dahinter zweigt links ein mit Steinplatten ausgelegter Weg ab, der steil hinauf zur Berliner Hütte (2.042 m) führt.

Ausgangspunkt: Alpengasthaus Breitlahner
Dauer: 3 Stunden
Höhendifferenz: zirka 800 Meter

2. Wandern: Berliner Höhenweg

Die Berliner Hütte ist ein Etappenziel des Berliner Höhenwegs, eines 95,4 km langen, hochalpinen, anspruchsvollen Rundwanderwegs. Die Berliner Hütte liegt ziemlich genau in der Mitte der Tour, die in acht Etappen von der Gamshütte bei Finkenberg bis zur Karl-von-Edel-Hütte in Mayrhofen führt.

  • 3. Hochtour: Höchste Hornspitze

    Für die Höchste Hornspitze (3.254 m) geht’s über den Gletscher Hornkees zum Mitterbachjoch (3.130 m) und weiter zum Gipfel. Am Schluss mäßig schwierige Kletterei,  für weniger erfahrene Wanderer empfiehlt  sich ein Bergführer. Ausgangspunkt: Berliner Hütte

    Dauer: Aufstieg 4 Stunden, Abstieg 3 Stunden
    Höhendifferenz: 1.212 Meter

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