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Stand-up-Paddling

Stand-up-Paddling zwischen Bayern und Tirol

• 29. Oktober 2021
6 Min. Lesezeit

Stand-up-Paddling ist gemütliches Gleiten über spiegelglatte Seen. Man kann sich aber auch flussabwärts durchschütteln lassen. Unterwegs zwischen Bayern und Tirol mit wandelbaren Brettern. 

Christoph Wagner für das Bergweltenmagazin August/September 2019

«Addicted to ride», steht auf dem dunkelroten T-Shirt des einen, der andere trägt eine kurze Hose aus gegerbtem Hirschleder und ein kariertes Trachtenhemd. Und bei beiden geht der Puls gerade nach oben: Ein SUP-Board aufzupumpen ist eine gute Aufwärmübung. Bis auf 19 PSI (pound-force per square inch) müssen sie rauf, umgerechnet sind das etwa 1,3 Bar, und bei 1,3 Bar ist das Brett am Ende so, wie es sein muss, um damit gut über das Wasser zu kommen.

Nämlich steinhart. Es ist ein wunderschöner Sommernachmittag am Rissbach, gleich an der Grenze zwischen Tirol und Oberbayern. Gut warm, aber keine drückende Hitze, kaum Wind und auch kein nerviges Kleingetier, das durch die Luft schwirrt.

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Ein Sportler im Wildwasser.
Foto: Katjana Frisch
Oliver Held balanciert in den Schnellen des Rissbachs an der Grenze von Österreich zu Deutschland.

Oliver Held und Pascal Rösler sind mit ihren Boards ans Flussufer gegangen, eine kleine Lichtung in dem rundherum dichten Wald, das Wasser schiebt sich flott nach unten, schimmert türkisfarben, drückt sich über kleine Felsen. Vielleicht zwei Meter breit ist der Rissbach hier, an den Rändern schäumt das Wasser.

Die beiden zwängen sich in ihre Schutzausrüstung: Pascal in einen handelsüblichen Neoprenanzug, darüber eine Schwimmweste und auf dem Kopf ein schwerer Helm mit Kinnschutz. Oli, der mehr im Wildwasser unterwegs ist, schlüpft in einen silbernen Einteiler, einen sogenannten Trockenanzug.

Oliver Held, 47, im Hauptberuf Osteopath, ist einer der besten Wildwasser-Paddler im deutschsprachigen Raum. Sein Freund Pascal Rösler, ebenfalls 47, ist wahrscheinlich der bekannteste unter den Stand-up-Paddlern. Nicht, weil er es außergewöhnlich gut kann, sondern weil er, um Spenden für seinen Verein, der sich für eine Verbesserung der Wasserqualität einsetzt, zu sammeln, zuerst von München nach Wien paddelte und ein Jahr später sogar 2.467 Kilometer von München bis ans Schwarze Meer.

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Er ist normalerweise eher dort unterwegs, wo es ruhiger fließt. Gemeinsam wollen die beiden heute und morgen in der Gegend paddeln – und zwar in allen Facetten, die ihre Sportart hergibt. Wild, wie hier am Rissbach, und ganz entspannt am Sylvensteinsee, nur wenige Kilometer entfernt.
 

Zwei Paddler am Fluss.
Foto: Katjana Frisch
Oliver Held (rechts)und Pascal Rösler in voller Montur.

Ab in die Schnellen

Zu behaupten, Stand-up-Paddling würde gerade einen Boom durchmachen, wäre ein bisschen übertrieben. Der Boom, wenn man so will, ist schon ein paar Jahre her, aber im Gegensatz zu anderen Trendsportarten, die schnell kamen, aber auch schnell wieder verschwanden, hat sich das Paddeln gehalten. Sogar mehr als das: Man sieht SUP-Boards auf Flüssen wie der Alten Donau in Wien oder auf Seen wie dem Ammersee, dem Mondsee oder dem Zugersee. Eigentlich überall.

Die Ausrüstung für das Stand-up-Paddling.
Foto: Katjana Frisch
Schwimmweste, Protektoren, Wurfsack und ein scharfes Messer: die Grundausstattung für einen Ausflug ins Wildwasser.

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Denn es gilt die Formel: Wenn das Wasser ruhig genug ist, kommen auch die Paddler. Doch was viele nicht wissen: Das ruhige Paddeln, das entspannte Dahinschippern ist nur eine Art, diesen Sport auszuüben. Oli steht am Ufer, bereit zum Einstieg. Das Board unter den linken Arm geklemmt, hält er das Paddel in der rechten Hand. Pascal steht daneben, schaut seinen Partner an und sagt: „Also das da vorne, das fahr ich nicht.“ Oli lacht: „Na, das da fahr ich auch nicht.“ Sie stehen an einer Stelle, die zu felsig ist, an diesem Tag sei das Wasser zu niedrig. Kajaks würden hier durchrutschen, meint Oli, aber der Belag der SUP-Boards würde zu sehr bremsen. 

Ein Paddler in einer scharfen Wildwasser-Kurve.
Foto: Katjana Frisch
Nicht jede Stelle eignet sich für einen Einstieg – und auch nicht jede Passage kann befahren werden. Nicht einmal, wenn man sich so geschickt in die Kurven legt wie Oli Held.

Die Tour für heute ist ein bisschen verkürzt, weil in Hinterriss, oben auf der österreichischen Seite, zu wenig Wasser sei, das haben sie vorhin bei der Besichtigung der Strecke gesehen. Ein paar Kilometer weiter unten würde es aber gut gehen. Oli sagt, auf einem Fluss müsse man sich immer ein bisschen anpassen: an die äußeren Bedingungen, daran, wie man sich fühlt, und natürlich an das, was man sich an diesem Tag zutraut.

Nur wenige Meter weiter finden die beiden dann eine gute Einstiegsstelle. Das Wasser hat hier an Schwung verloren. Aus dem gemächlichen Einpaddeln wird an dieser Stelle aber trotzdem nichts, immer schneller müssen die beiden mit dem Paddel ins Wasser stechen, um nicht abzutreiben. Dann geht es flussabwärts. Spätestens jetzt merkt man, dass das Paddel beim SUP nicht nur zum Antauchen da ist: Es ist Balancestange, Abstoßwerkzeug, Aufstützhilfe.

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Paddler am Weg zum nächsten Zustieg.
Foto: Katjana Frisch
Stand-up-Paddling im Fluss bedeutet also manchmal auch: viel gehen.

Nach ein paar Kilometern beginnt sich der Fluss zu schlängeln, lange war er einige Meter breit, direkt gemütlich, jetzt ist er schmaler geworden, felsiger, schneller. Äste großer Bäume ragen oben über das Wasser. Oli passiert eine knifflige Stelle, hüpft auf seinem Board hin und her, lehnt sich vor, zurück, das Paddel ist mal vorne, mal hinten, mal dreht er es zur Seite.

Wenn das Rauschen lauter wird, heißt das, dass es gleich ein bisschen wild wird. Durchgeschüttelt und mit schwerem Atem kommen die beiden in einem Kehrwasser, einem ruhigeren Teil, an, steigen an einer Sandbank aus und stoßen ihre Fäuste zusammen.

„Wie geil das heute ist, nichts los, ganz ruhig“, sagt Oli. Und er muss es laut sagen, damit Pascal es hört, weil das Rauschen des Flusses zwar schön ist, aber nicht zurückhaltend.
 

Ein Paddler in einer Gumpe.
Foto: Katjana Frisch
Pascal Rösler geht es lieber ruhiger an – so wie hier in einer der Gumpen des Sylvensteinstausees.

Wahnsinnsgeschichten

Es ist Abend geworden, die Sonne steht tief, es sieht aus, als wäre über die ganze Umgebung ein Sepia-Filter gelegt worden. Oli und Pascal haben ihre Anzüge und Bretter in ihren Autos verstaut. In einer bei Motorbikern beliebten Pension, einer mit deftigen Speisen und zu kurzen Betten, essen sie gemeinsam Schweinsbraten. Beide sind sie mit dem Wasser aufgewachsen, Olis Vater war einer der ersten Windsurfer Deutschlands, Pascal surfte auch und wohnte nicht weit vom Ammersee. Das erste Mal gepaddelt ist er bereits 2008.

Er war im Urlaub in Südafrika und hatte Lust zu surfen. Es gab einen großen See, aber keinen Wind. Das Paddeln fand er schon beim ersten Mal spirituell, fast meditativ. Auf ruhigem Gewässer würde man leicht in so einen Zustand kommen, man müsse ja auf nicht so viel aufpassen. Und mit diesem Zustand, sagt Pascal, kämen dann auch die großen Fragen: „Du stellst dir die einfachen, die eigentlich die schwierigsten sind.“ Und die, die hängen blieb, war: Warum kann ich das Wasser unter mir eigentlich so oft nicht trinken? Ein paar Jahre später drängte sich die Frage wieder in seinen Kopf – und er beschloss, von München nach Wien zu paddeln.

Oliver Held in voller Montur.
Foto: Katjana Frisch
Oliver Held mag es ruppig, er ist einer der besten Wildwasser-Paddler imdeutschsprachigen Raum.

Mit dem Projekt wollte er Aufmerksamkeit generieren, einen Gedankenanstoß geben, einfach zeigen, dass es dieses Thema gibt. Die Zeitungen waren voll mit Berichten über den Wahnsinnigen, der über die Isar und die Donau paddelte. Als er in Wien ankam, war zwar niemand da, aber Tausende hatten von seiner Reise gehört. Er gründete den Verein „Pure Waters for Generations“ und plante weitere Aktionen. Ein Jahr später paddelte er sogar bis ans Schwarze Meer und ließ sich dabei mit der Kamera begleiten.

„Ich möchte, dass man das Wasser der Donau bis zum Jahr 2042 trinken kann“, sagt Pascal. In der Pension gibt es zum Dessert Apfelkuchen vom Blech. Pascal wird heute hier schlafen, Oli hat seinen VW Caddy so umgebaut, dass er darin am Parkplatz übernachten kann.

Ein Paddler während einer schwierigen Passage.
Foto: Katjana Frisch
An manchen Passagen zieht sich der Rissbach so wie hier schmal zusammen. Um heil durchzukommen, braucht es Erfahrung im Wildwasser der Klasse 3.

Ruhiger Ausklang

Der nächste Tag. Mit Banane, Apfel und Kaffee aus der Espressokanne für den Gaskocher startet er für Oli um halb acht im Kofferraum seines Caddy. Es ist noch schattig, aber man merkt schon, dass das Wetter heute nicht enttäuschen wird. Die beiden wollen es etwas ruhiger angehen als gestern. In Badehose und Shirt stehen sie eine Stunde später auf dem Brett. Sie sind die Ersten am Sylvensteinstausee. Die Morgensonne spiegelt sich im türkisen Wasser, der See sieht aus, als wäre er frisch gebügelt.

Die heutige Tour nennen die beiden eine Geniesserstrecke. Sie paddeln weiter nach hinten, hinein in die Gumpen, schmale Ausläufe zwischen hohem Gestein, die von klaren, eiskalten Gebirgsbächen in die Felsen gespült wurden. Manchmal, wenn es sie zu weit zur Seite treibt, stossen sie sich mit dem Paddel wieder vom Stein ab. Es ist ganz leise, die beiden sprechen jetzt wenig, nur wenn sie das Paddel in das Wasser stechen, hört man leises Plätschern. Am frühen Nachmittag beginnen sich Wolken vor den blauen Himmel zu drängen.

Die beiden haben sich umgezogen, ihre nassen Sachen verstaut, die Luft aus ihren Brettern gelassen. Kurz bevor sie nach Hause fahren, bleiben sie noch einmal am Rissbach stehen. Sie lehnen sich über das Holzgeländer einer Brücke, sehen, wie der Fluss weiter vorne nach rechts zieht. „Einfach nur hier am Wasser zu sein, das Rauschen zu hören, dazustehen und bloss zuzuhören, allein das gibt mir schon Energie“, sagt Pascal dann. Oli steht daneben, atmet tief und nickt. Ihr Board und ihr Paddel werden sie das nächste Mal aber trotzdem nicht zu Hause lassen.

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