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Bouldern und Minigolfen im Tiroler Pitztal

• 28. September 2021
4 Min. Lesezeit

Gut versteckt und doch beschildert: Am Mandlers Boden im Tiroler Pitztal wird auf Granitblöcken abgeschlagen und abgehoben. 

Robert Maruna für das Bergweltenmagazin April/Mai 2020

Das Pitztal ist ja für vieles bekannt: Da wären Skirennläufer wie Benni Raich, der einstige Lieblingsbub der Nation, der am Pitztaler Gletscher seine ersten Schwünge zog. Oder der zweithöchste Berg Österreichs, die Wildspitze (3.768 m), die man wiederum am besten vom Pitztaler Gletscher aus besteigt.

Und dann wäre da eben das Skigebiet selbst; früher Austragungsort internationaler Weltcuprennen, prägen heute Meldungen rund um den umstrittenen Zusammenschluss mit dem Skigebiet Ötztal die Medien. Lassen wir das aber alles einfach beiseite und sprechen von etwas anderem: vom Bouldern am Mandlers Boden.

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Bloß zehn Gehminuten sind es vom kleinen Ort Ritzenried dorthin. Dann steht man in einem grünen Fichtenwald, der märchenhafter nicht sein könnte. Der Boden ist von Farnen und Moosen bedeckt, die jeden Schritt abfedern. Unter der Moosschicht verstecken sich dunkle Steine in allen Größen, die glatt und rutschig sind. Dazwischen wachsen Zwergsträucher wie Heidelbeeren und Preiselbeeren, an denen man nicht vorbeigehen kann, ohne von ihren Früchten zu kosten. Hier ist es ruhig, kühl und schattig. Und schattig ist gut, weil der Boulderer lichtscheu ist. 

Ein Sportler klettert auf einem Felsen.
Foto: Bernhard Fiedler
Knifflige Risskletterei: Wer Block Nr. 54 austoppen will, braucht nicht nur Kraft, sondern auch saubere Technik.

Lichtscheu deswegen, weil Sonne und Hitze für das Bouldern mehr hinderlich als fördernd wirken. Weil die Reibung auf scharfen Mikroleisten und fiesen Nanocracks von Natur aus schon nicht von großer Dauer ist. Deshalb versucht man den Heizeffekt durch etwaige Sonnenstrahlen im Vorhinein auszuschließen. Sonst sucht man im Frühsommer vergebens nach einer schattigen Linie am Fels, bekommt das Gefühl, die Gravitation wirke doppelt stark, und ehe man sich’s versieht, verschluckt einen die Erdoberfläche samt Crashpad und Boulderblock.

Das hinterlässt keinen guten Eindruck beim Grundbesitzer oder dem lokalen Forstamt. Grund genug also, aus der Sonne zu treten und im lichten Waldschatten zu klettern. Eigentlich grenzt es ja an ein Wunder, dass die Granitfelsen vom Mandlers Boden nicht schon viel früher publik geworden sind. Bis 2015 waren die versteckten Blöcke ein wohlgehütetes Geheimnis unter den lokalen Kletterjüngern, doch dann kam der Kletterer Bernhard Steiner vorbei. Gemeinsam mit der Gefolgschaft vom Verein „Climbers Paradise“ beschloss man, den Rest der Welt einzuweihen und das Bouldergebiet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Gesagt, getan, geputzt. 
 

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Das Bouldern an den Naturfelsen bedarf auch etwas an Vorbereitung.

Minigolfen am Fels

Seitdem sprechen viele Gründe dafür, dort zu klettern: Erstens, der Zustieg vom Parkplatz ist ein Klacks (selbst für das gehfaule Boulderervolk). Zweitens, die Felsqualität ist bombastisch. Drittens, das Absprunggelände ist brettleben. Und viertens, die Auswahl an Boulderproblemen ist nicht nur unheimlich groß, sondern auch überraschend vielseitig.

Hinzu kommt fünftens, dass jeder Felsbrocken sein eigenes Nummernschild trägt, von Nr. 1 bis 55. Sauber durchnummeriert, wie die Löcher auf einem Golfplatz. Oder, weil Bouldern ja die minimalistischste Variante des Kletterns darstellt, wie die Bahnen einer Minigolfanlage. Minigolfen und Bouldern, das ist natürlich ein waghalsiger Vergleich. Auf den Mandlers Boden trifft er trotzdem zu: Gleich dem Wegenetz einer Minigolfanlage, schlängeln sich schmale Waldwege durch das dichte Unterholz und leiten Kletterinnen und Kletterer so sicher von Block zu Block. Analog zum Miniaturgolf steigt auch die Schwierigkeit der Boulderprobleme an den Blöcken mit der Nummerierung an. 

Bis auf ein paar Ausnahmen: An den Blöcken Nr. 18, 25, 34 und 40 verstecken sich ganz einfache Klettereien (Fb. 3a bis 5c.), die auf so passende Namen hören wie „Max und Moritz“, „Der böse Wolf“ oder „Ameisenbaby“. Ideale Linien für die ganz Kleinen, die sich noch nicht ganz hoch hinauftrauen, aber später einmal ganz groß rauskommen wollen.

Für die hat man auch die Holzpodeste zum sicheren Absprung errichtet und auf der großen Wiese am Eingang des Waldes ein schmuckes Tipi aufgestellt. Daneben gibt es gleich eine Feuerstelle zum Rösten von Steckerlbrot.

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Blick über einen Bergsee.
Foto: Bernhard Fiedler
Nach einem langen Tag im Boulderwald gibt es nichts Besseres, als sich mit einem Sprung in den Badesee zu belohnen.

Henkel statt Highballs

Neben dem Bouldernachwuchs von morgen finden aber auch Wochenend-Hobby-Kletterer unter den rund 180 Routen genau das, wonach sie suchen: Henkel, Leisten, Aufleger und Überhänge, die sonst bloß der Kletter-Elite vorbehalten sind. Diese Klientel spricht der Mandlers Boden mangels 8c-Problemen wohl eher nicht an. Das wollte man aber auch gar nicht. Nein, hier steigt der Kletterer auf Sitzhöhe ein und keine zwei bis drei Meter weiter oben wieder aus.

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Furchteinflößende Highballs wie im benachbarten Zillertal sucht man also vergebens. Dafür gibt es zahlreiche Boulderrouten, die viel Geschick und Feingefühl erfordern – wie auf Minigolfbahnen. Die Boulderrouten selbst sind nicht am Fels angezeichnet, das wäre dann doch zu viel. Dafür gibt es aber eine umfassende Topo, die kaum Fragen über den Linienverlauf offen lässt. Man muss also bloß noch herausfinden, welche Zug- und Trittabfolgen einen nach oben führen. 

Für genügend Erfrischung und Vitamine ist im Tiroler Pitztal gesorgt.

Dafür gibt es keine allgemein gültige Formel. Auch das ist wie beim Minigolfen, wo es stets mehrere Möglichkeiten gibt, um den Ball im Loch zu versenken. Die individuelle Lösung erschließt sich erst im realen Versuch. Sechs davon hat man beim Minigolf auf jeder Bahn. Beim Bouldern gibt es kein Limit.

Das setzt man sich höchstens selbst – zumindest glaubt man das. Noch eines gilt für beide Sportarten, und das werden Kletterer wie Minigolfer bestätigen: Wer wirklich oben aussteigen oder am Ende einlochen will, hat auch ein Stück von sich selbst am Fels oder Beton zurückzulassen – sei es nun Fingerhaut, Angstschweiß oder den geistigen Geduldsfaden. Anders geht’s nicht.

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