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Interview

Roger Schaeli: „Man gibt Gas auf seinem Niveau“

• 16. Mai 2018
4 Min. Lesezeit
von Christina Geyer

Erstbegehungen, schwerste alpine Routen und freie Begehungen von Big Walls: Wir haben Roger Schaeli in Grindelwald am Fuße des Eigers, seines „Hausbergs“, zum Interview getroffen.

Roger Schaeli in Grindelwald
Foto: Christina Geyer
Der Schweizer Alpinist Roger Schaeli beim Interview in Grindelwald
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Als einer der weltbesten Alpinisten ist Roger Schaeli vom Himalaya bis in die Anden kletternd unterwegs. Schon lange aber träumt der Schweizer von einer Würdigung des heimischen Gebirges. Jetzt ist es soweit: Er widmet seine nächsten Monate den Alpen. Vernachlässigte Juwelen, große Klassiker, populäre Wände und in Vergessenheit geratene Routen – es ist eine illustre Liste an Vorhaben entstanden. Dahinter steht jedoch weit mehr als nur ein weiteres Projekt. Es ist das Substrat einer Philosophie.

Bergwelten: Wie ging das los mit dir und den Bergen?

Roger Schaeli: Ich bin immer schon geklettert, bereits als Kind auf Steine und Bäume. Das Klettern liegt irgendwo im Kind. Wenn man ihm Zugang dazu gibt, entwickelt sich das ganz natürlich.

Was geben dir die Berge?

Wenn ich lange an einem Projekt arbeite und dann irgendwann wirklich am Gipfel stehe, bekomme ich trotz Müdigkeit so einen extra Energie-Schub. Das ist beflügelnd, irgendwie berauschend. Das ist meine Motivation, das ist Sucht.

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Nebst der Schweiz: Gibt es einen Ort auf der Welt, wo du dich zuhause fühlen könntest?

Ich kenne wenige Orte, die mich so berühren wie Interlaken und Grindelwald. Aber Teilzeit irgendwo im mediterranen Raum zu wohnen oder einmal phasenweise in Patagonien oder Amerika – das würde ich mir schon gut vorstellen können.

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Hast du irgendein Ritual, das du machst, wenn du in eine Wand einsteigst?

Ja, schon. Ich klopfe irgendwo am Wandfuß an.

Vom Feiern und vom Führen

Und danach? Feierst du?

Ja, es wird schon gefeiert. Aber oft ist man auch so tief befriedigt und zufrieden mit sich selbst, dass das Feiern gar nicht so ein Muss ist. Da hat man seine eigene Feier: eine stille Feier. Wo man realisiert: Ja, wirklich! Ich habe es gemacht.

Als Profi bist du viel unterwegs. Wärst du gern öfters zuhause?

Momentan hält mich relativ wenig zuhause, deshalb koste ich das Unterwegs-Sein noch an der oberen Grenze aus. Mehr müsste es aber nicht sein.

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Du bist auch staatlich geprüfter Bergführer. Kommst du überhaupt noch zum Führen?

Ja, an ganz wenigen Tagen. Das Bergführen ist mein Back-Up, meine Altersvorsorge. Ich will nicht berufsscheu werden. Irgendwann bist du Profi und hast plötzlich Hemmungen, dich auf Gäste einzulassen. Das Führen ist wichtig, um den Kontakt nicht zu verlieren. Außerdem hat es große Tradition in der Schweiz. Davon kann man hier schon gut leben.

Glaubst du, es kommt irgendwann der Punkt, wo du sagst: Ich habe alles gemacht, was ich machen wollte. Ich schraube jetzt runter von diesem extrem hohen Niveau.

Nein. Es wird eher so sein, dass ich nicht alles machen kann, was ich gern machen möchte. Aber man muss rechtzeitig Frieden damit machen und darauf achten, dass die Qualität vor der Quantität steht. Die Berge zeigen dir ja auch, dass du endlich und klein bist. Und sie sorgen dafür, dass du Demut zeigst. Ich mache das ja alles nicht nur wegen der sportlichen Leistung, sondern weil ich gern in der Natur bin. Wenn das Feuer wieder brennt, gibt man Gas – egal, wie alt man ist. Man gibt Gas auf seinem Niveau.

Roger Schaeli beim Klettern in Oliana in Spanien
Foto: Frank Kretschmann
Roger Schaeli beim Klettern in Oliana in Spanien

Wenn du in der Vorbereitung für ein Großprojekt steckst: Wie sieht dein Trainingsplan aus?

Ich absolviere ein ziemlich umfangreiches Klettertraining und ich mache während der intensiven Kletterzeit – wie jetzt – Konditionserhaltung. Letztlich habe ich aber über die Jahre so eine gute Grundkondition aufgebaut, dass ich nicht auf Speed gehen muss. Mir geht es eher um ökonomisches Verhalten, um geschmeidige Fortbewegung ohne Stress.

Wie oft bist du am Klettern?

Fünf Mal die Woche. Je intensiver es wird, desto mehr Pausen muss ich aber auch machen. Ich mache zwar extrem viel, aber ich bin besser, wenn ich viel Ruhe habe.

Wirklich?

Ja. Wenn die Zeit gerade wirklich intensiv ist, folgt auf einen Tag Klettern ein Ruhetag, wo ich nur laufen gehe.

Ruhetag heißt in deinem Fall also nicht, dass du gar keinen Sport machst.

Ruhetag heißt bei mir: Nicht klettern gehen. Ab einem gewissen Punkt muss man einfach das Vertrauen haben, dass man jetzt fit ist. Wenn der Körper nicht erholt ist, kann er auch nicht über sich hinauswachsen.

Hörst du, wenn dein Körper dir sagt: Gib jetzt einen Tag Ruhe!

Ich habe sicher ein relativ gutes Körpergefühl, aber oft will man seine Zeit ins Klettern investieren und macht dann zu viel. Gerade wenn man an Orten ist, wo man nicht wohnt und keine anderen Verpflichtungen hat. Da hört man dann nicht so gern auf seinen Körper.

Der Eiger und Roger: Eine Liebesgeschichte

Du bist über 40 Mal durch die Nordwand des Eigers gestiegen. Wo liegen die Ursprünge dieser Liebesgeschichte?

Ich bin zwei Täler weiter aufgewachsen und sozusagen mit dem Eiger groß geworden. Du weißt dann irgendwann: Das ist die Nordwand – und du willst sie klettern. Und dann probierst du es, bist überfordert, probierst es wieder. Irgendwann haben wir sie dann gemacht und es war ein Riesen-Abenteuer.

Warum macht man das über 40 Mal?

Warum ist man 40 Jahre lang mit derselben Frau zusammen? Irgendwas passt einfach.

Ist der Eiger deine große Liebe?

Unter allen Bergen: sicher. Er bietet alle Facetten, von Eis bis zu schwerem Fels. Das ist der Grund, warum ich immer wieder an diesen Berg zurückgekommen bin. Es gibt immer Linien, die mich noch interessieren und Routen, die noch nicht wiederholt worden sind.

Wird dich dieser Berg bis an dein Lebensende begleiten?

Bestenfalls. Ich hoffe, ich bin dann alt und gesund.

Teil 2: Das Alpenprojekt – „Zurück zu den Wurzeln“

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