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Freiwilligenarbeit am Berg

„Das ist es, was uns modernen Menschen so sehr fehlt“

• 27. Juni 2016
4 Min. Lesezeit
von Christina Geyer

Heuen, Melken, die Almen pflegen, Frischkäse zubereiten. Es ist kaum zu glauben, wie viele Menschen das machen wollen. Freiwillig und unentgeltlich. Warum eigentlich? Ein Interview mit einem, der es wissen muss. Werner Kräutler ist Obmann des Vereins „Schule der Alm“, einer Initiative, die sich für den Schutz des kulturellen Erbes und der kleinbäuerlichen Betriebe im Tiroler Valsertal einsetzt.

Freiwilligenarbeit am Berg: Was dem modernen Menschen fehlt
Foto: Werner Kräutler
Helgas Alm vor dem Kraxentragermassiv
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Eigentlich stammt er ja aus Vorarlberg, sein Herz aber hat Werner Kräutler an Tirol verloren. Dort hat er auch das Valsertal entdeckt. Eine Region, die sich irgendwie vor der touristischen Erschließung in Tirol versteckt halten konnte – und Kräutler dazu bewegt hat, den Verein „Schule der Alm“ gemeinsam mit Freunden ins Leben zu rufen. Eine Initiative, die das ursprüngliche Tal, seine saftigen Almen, die Bergmähder und bergbäuerlichen Kleinbetriebe erhalten möchte. Mit tatkräftiger Unterstützung von freiwilligen Helfern.

Bergwelten: Woher rührt deiner Meinung nach die Bereitschaft, sich freiwillig – unentgeltlich – zu engagieren?
 
Werner Kräutler: Ich glaube, das hat mit einer ganz grundlegenden menschlichen Eigenschaft zu tun: dort zu helfen, wo es akut nötig ist. Das Gefühl, gebraucht zu werden ist eine zusätzliche Triebfeder. Viele Menschen haben es satt, in den Sozialen Medien Aktivitäten gute oder vorbildliche Aktionen lediglich mit einem „Gefällt mir“ zu bedenken. Sie wollen mitmachen, mithelfen. Es sind Menschen, die darauf warten „abgeholt“ zu werden. Und das versuchen wir auf unsere Art mit der Schule der Alm.
 
Ich bin überzeugt davon, dass viele instinktiv spüren, dass in den Alpen zur Zeit vieles aus dem Ruder läuft. Die kleinräumige alpine Landwirtschaft ist vom Aussterben bedroht. Bergwiesen verbuschen, Täler in Italien und Frankreich sind bereits entsiedelt. Mit den Bergbauern verschwindet auch eine einzigartige Vielfalt an Kräutern, Gräsern und Blüten. Es waren aber diese hart arbeitenden Menschen, die über Generationen hinweg eine Kulturlandschaft geschaffen haben, die nun heute ernstlich bedroht ist.

Freiwilligenarbeit am Berg: Was dem modernen Menschen fehlt
Foto: Werner Kräutler
Der Thymian des Bergs: Quendel

Es scheint zuweilen paradox: Wo etlichen Personen das Animo fehlt, ihrer bezahlten Arbeit mit Freude nachzugehen, packen sie mit Eifer freiwillig auf der Alm mit an. Wie kannst du dir das erklären?
 
Auf der Alm arbeitet man manuell, mit seinen Händen. Das ist für viele Menschen genauso neu wie attraktiv. Wir arbeiten meist unter freiem Himmel, ob's stürmt, schneit oder die Sonne scheint. Auch das ist urbanen Menschen nicht mehr geläufig. In den Büros gibt es kein schlechtes Wetter. Auch sieht man das Ergebnis seiner Arbeit auf der Alm sofort. Ob ich ein Bergmahd von Büschen befreie oder melke: die Arbeit hat sichtbare und positive Auswirkungen. Das ist es, was uns modernen Menschen so sehr fehlt. Und wonach sehr viele von uns suchen.

Hand aufs Herz: Wie viel Arbeit nehmen euch die freiwilligen Helfer wirklich ab?
 
Freiwillige Helfer können schon nach kurzer Einschulung nahezu alle Arbeiten verrichten. Fürs Melken und Sensenmähen auf Bergmähdern braucht es zwar Erfahrung und Übung, aber genau jene Fertigkeiten wollen wir in unseren Kursen vermitteln. Wenn nämlich Bergmähder nicht mehr gemäht werden, überwuchern sogenannte starke Pflanzen wertvolle Kräuter und Blumen.
 
Aus Erfahrung kann ich sagen: Alle Almhelfer, die ich bisher erlebt habe, haben ein unglaubliches Arbeitspensum erfüllt. Die Motivation stimmt immer. Freiwillige Helfer sind allein schon aufgrund ihrer inneren Einstellung hervorragende und vollwertige Alm-Mitarbeiter.

Freiwilligenarbeit am Berg: Was dem modernen Menschen fehlt
Foto: Werner Kräutler
Die Nockeralm im Inneren Valsertal

Kann die zum Teil relativ kurz gefasste Phase der Einschulung das mangelnde Können von verkopften Stadtmenschen kompensieren?
 
Wo ein Wille, da ein Weg. Ich erlebe immer wieder, wie aus Kopfarbeitern Handarbeiter werden – auch wenn manuelle Arbeiten natürlich auch viel Übung erfordern.
 
Wie entscheidend ist die Dauer des freiwilligen Einsatzes?

 
Wie lange und wie oft jemand mithilft, obliegt der Entscheidung der jeweiligen Helfer. Wir versuchen das Umfeld so gestalten, dass sie immer wieder kommen, in das – für mich – schönste Tal der Welt.

Seid ihr auf Helgas Alm im Valsertal wirklich auf die Unterstützung von freiwilligen Helfern angewiesen oder geht es vorrangig darum, ein Zeichen zu setzen und etwa auf die kritische Situation von Kleinbauern aufmerksam zu machen?
 
Ohne freiwillige Helfer kann heutzutage eine kleine Alm kaum noch auskommen. Die Erträge aus der Almarbeit sind derart bescheiden, dass die Anstellung von Almpersonal ganz einfach nicht mehr möglich ist. Viele Almen sind auf die Einnahmen aus dem Almausschank angewiesen. Mit der Erzeugung von Milch und Käse kommen sie finanziell nicht mehr über die Runden. Auch für Helga Hager von Helgas Alm im Valsertal ist der Almausschank ein wichtiges Zubrot. An die Bezahlung von Almpersonal darf sie aber erst gar nicht denken.

Wir alle müssen entscheiden: Was ist uns die wunderschöne Alpenlandschaft wert? Wollen wir wirklich, dass immer mehr Almen aufgelassen werden müssen oder stemmen wir uns mit allen Mitteln dagegen?

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Foto: Werner Kräutler
Auf Helgas Alm im Valsertal: Eine versteckte Perle in Tirol

Offensichtlich profitieren auch die freiwilligen Helfer in irgendeiner Form von ihrem Einsatz – sonst würden sie sich kaum engagieren. Oder?
 

Dazu kann ich aus persönlicher Erfahrung sagen: Eine Woche Arbeit auf der Alm entspricht dem Erholungswert von 2 Wochen Urlaub. Die innere Zufriedenheit, die Loslösung vom alltäglichen Trott, die Natur und auch die Tiere machen diese Art von Arbeit zu einem ganz besonderen Erlebnis. Ich kann mir einen Sommer ohne Arbeit auf der Alm nicht mehr vorstellen.
 
Welche Erlebnisse auf Helgas Alm zählen zu deinen schönsten Erinnerungen?
 
Letztes Jahr auf dem höchsten Bergmahd von Helgas Alm, in den sogenannten Öfen auf etwa 2.000 m, blickte eine Tauernschecken-Geiß, minutenlang in dieselbe Richtung wie ich. Wendete ich den Kopf, tat sie es auch. Wir beobachteten gemeinsam sogar einen Birkhahn. Ach ja, die Szene habe ich übrigens auch auf einem Selfie festhalten können.

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Foto: Werner Kräutler
Eine Woche Arbeit auf der Alm entspricht dem Erholungswert von 2 Wochen Urlaub

Interesse an der Schule der Alm?

Ein Schnupper-Wochenende auf Helgas Alm: Unter der fachkundigen Führung von Almbäuerin und Sennerin Helga die wichtigsten Arbeiten auf der Alm und im Bergmahd kennenlernen.
 
Termine:

  • 25.-28. August
  • 01.-04. September
  • 08.-11. September
  • 15.-18. September
  • 22.-25. September

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