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Foto: Philipp Horak
Hüttenportrait

Die Julius-Seitner-Hütte - einfach, aber schön

• 16. Januar 2020
7 Min. Lesezeit

Am Gipfel des 1.185 m hohen Eisensteins in den Türnitzer Alpen in Niederösterreich steht eine einfache Berghütte. Bergwelten-Autorin Verena Randolf hat sich mit Schneeschuhen auf den Weg gemacht, um die Julius-Seitner-Hütte zu besuchen. Im aktuellen Bergwelten Magazin (Februar/März 2020) erzählt sie vom einfachen Leben am Berg, von Hüttenwirt Thomas, der die Einsamkeit liebt und von Hündin Sana, die ihm treu zur Seite steht. 

Thomas Krösbacher lehnt sich aus der kleinen Durchreiche seiner Küche, über der groß „Selbstbedienung“ steht. „Trinkst noch was?“, fragt er den jungen Schneeschuhwanderer, der sich zuerst sein verschwitztes Shirt über den Kopf gestreift und dann mit freiem Oberkörper am Stammtisch Platz genommen hat. Im Holzofen lodern die Flammen.

Vor den kleinen Fenstern liegt so hoch Schnee, dass das Licht im Gastraum bereits am frühen Nachmittag zu schummrig ist, um zu lesen. „Ja, a Bier bitte. “Krösbacher nickt, dreht sich um und steigt die Stufen hinab in den Erdkeller, in dem Kohlköpfe lagern – bei konstanten acht Grad plus, Sommer wie Winter – und Dutzende Bierkisten, die er vor dem ersten Schnee eingebunkert hat, als die Straße herauf zur Hütte noch befahrbar war. Auf 1.185 Metern liegt am Gipfel des Eisensteins im niederösterreichischen Voralpenland die Julius-Seitner-Hütte. 1910 erbaut, 1933 abgebrannt, 1934 wiedererrichtet, 2003 erweitert.

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28 Schlafplätze – je vier in zwei Zimmern und der Rest im Lager im zweiten Stock – stehen allen zur Verfügung, die sich auf Tourenski oder Schneeschuhen im Winter zur Hütte aufmachen. Als Krösbacher vor knapp vier Jahren zum ersten Mal hierherkam, weil der alte Hüttenwirt nach 27 Jahren einen Nachfolger suchte, wusste er schnell: „Das passt!“ – links der Eibl, vorn der Tiroler Kogel, rechts hinter den Wolken der Ötscher.

Hinterm Haus, weit unten, das Pielachtal, vorn unten die Traisen. Und das Wichtigste für Krösbacher: kein Lift, der die Massen zum Gipfelkreuz trägt. Die Julius-Seitner-Hütte ist so, wie Hütten früher waren: Der Boden knarzt, die Türen auch. Es riecht nach verkokeltem Holz; besser, man zieht den Kopf ein. Strom wird gespart, das Quellwasser tröpfelt nur kalt aus der Leitung. Mehr Luxus als die wärmenden Holzscheite, die im Ofen knacken, und das Bier, das kellerkalt serviert wird, gibt es hier nicht.

Um 22 Uhr wird das Licht ausgemacht – Hüttenruhe. In den Regalen im Gastraum liegen Brettspiele und Krimis. Partyhütte ist das keine. „Mir ist es wichtig, dass dieses Gefühl erhalten bleibt: dass den Gästen bewusst bleibt, dass sie am Berg sind, in einer Hütte, wo es nicht die gleichen Annehmlichkeiten gibt wie unten im Tal.“

Bergsteiger auf dem Weg zur Hütte.
Foto: Philipp Horak
Nicht nur mit Tourenski, auch mit Schneeschuhen und Snowboard gelingt der Zustieg zur Hütte am Gipfel des Eisensteins.

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Der Großteil der Stammgäste, die den schneebedeckten Eisenstein heraufwandern, sind Einheimische; die Wiener haben das Kleinod noch nicht entdeckt. In der hinteren Gaststube, die im Winter geschlossen ist, weil der große Raum zu viel der behaglichen Wärme schluckt, hängt das gerahmte Porträt des ersten Hüttenwirts, Julius Seitner: im Mundwinkel eine Pfeife, waldgrüner Lodenhut, ernster Blick, Vollbart.

Der Bart macht, dass sich der alte und der neue Wirt ähnlich sehen. Aber abgesehen davon, dass beide Männer das karge Leben hier oben im Winter auf sich genommen haben, dürfte es nicht allzu viele Parallelen in ihrem Lebenslauf geben. Thomas Krösbacher ist eher Typ Hipster. Rot gestreiftes Ruderleiberl, Brille aus der Wiener Neubaugasse, ein Vollbart, der so lang ist, dass er sich beim Nachdenken gedankenverloren zwirbeln lässt, und die Arme voller Tattoos: Rechts ein roter Drache mit Perle, darunter die Göttin, die ihn zähmte; links spielt ein Affe im Vollmond mit einem Hasen.

Am Unterarm ein Tiger. 20 Jahre lang war der gebürtige Tiroler in Wien Szenegastronom, bevor er auf den Eisenstein kam: Fünfmal die Woche mixte er in seiner Bar „Eissalon Joanelli“ hinter dem Tresen Cocktails und Shots; außerdem gehörte ihm das Burgerlokal „Weinschenke“. Und wenn das Einkaufen, das Abrechnen und der Papierkram erledigt waren, reichte die Zeit nur mehr zum Schlafen; er selbst blieb auf der Strecke, sodass ihm die Entscheidung, alles zu verkaufen und spontan auf den Berg zu gehen, nicht schwerfiel.
 

Ein Gast der Hütte im Speisesaal.
Foto: Philipp Horak
Besucher wie Harald schätzen das kellerkalte Bier und die schmackhafte Speisekarte.
Die Speisekarte der Hütte.
Foto: Philipp Horak
Die herzhafte und einfache Speisekarte der Julius-Seitner-Hütte.

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Vier Tage Einsamkeit

Ein mit feinen Linien gezeichnetes Bergpanorama und die totale Einsamkeit: Unter der Woche, wenn die Hütte geschlossen ist, ist Sana – die scheue Mischlingshündin, die Krösbacher vor vier Jahren aus einer Hunderettungsstation zu sich geholt hat – häufig das einzige Wesen, mit dem der Hüttenwirt spricht.

Wenn freitags die ersten Gäste kommen, sind die Gespräche noch holprig. Bis Sonntag hat sich Krösbacher wieder an Gesellschaft gewöhnt, aber dann sperrt er zu und genießt vier Tage Einsamkeit. Die Spuren, die seine Gäste mit ihren Skiern in den Tiefschnee gezeichnet haben, verwischen. Auch der Stammgast, der am Holztisch sitzt und dicke Brotscheiben in seinen Linseneintopf tunkt, wird später tiefe Linien in den mit Pulverschnee bedeckten Hang vor der Hütte ziehen.

Das erste Teilstück der Abfahrt ist der Grund, warum er gerne hier heraufgeht: Der Rest des Weges zurück zum Ortbauer, wo er die Tour gestartet hat, führt durch den Wald und lässt keine weiten Schwünge mehr zu.

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Ausblick auf die Berglandschaft.
Foto: Philipp Horak
Hinten der Schneeberg, vorn der Türnitzer Höger.

Krösbachers grüner Land Cruiser, der vom Hersteller in Prospekten als „the last He“ beworben wird, steht auf halber Strecke am Wegesrand. Mit Lilienfelder Nummerntafel. So groß hätten seine Vorschusslorbeeren als Tiroler gar nicht sein können, als dass die Einheimischen angesichts eines Wiener Kennzeichens nicht die Nase gerümpft hätten.

Weiter hinauf schafft es der Geländewagen in schneereichen Wintern nicht. Der kalte Wind, der hier oben am Eisenstein weht, türmt den Schnee zu hohen Wechten. Wer frühmorgens beim Ortbauer losgeht, erwischt den Südhang, der als letztes Stück zur Hütte führt, mit etwas Glück ohne Bruchschnee. Und weil Krösbacher zwar kein Warmwasser, dafür WLAN hat, gibt der Gastronom auch per E-Mail oder WhatsApp Auskunft zu den aktuellen Schneebedingungen – sofern es seine Zeit erlaubt.

Die Zustiege zur Hütte können im Winter je nach Vorliebe, Wetter- und Schneelage variiert werden. Der Eisenstein gilt als lawinensicher und eignet sich auch für Anfänger als Tourenziel. Von Türnitz aus dauert der Anstieg durch den Wald hinauf rund zweieinhalb Stunden, wer längere Etappen anstrebt, geht vom Gipfelkreuz am Eisenstein aus drei Stunden weiter in Richtung Hohenstein.

Die Speisekarte, die neben der Durchreiche im Gastraum hängt, ist einfach: Linseneintopf, Würstel, Kaspressknödelsuppe. Thomas Krösbacher steht selbst am Holzofen in seiner Küche, bäckt Kuchen und rührt im blubbernden Eintopf. Bei den Zutaten achtet er auf Bio- Qualität, und wenn er könnte, wie er wollte, würde er die Karte komplett vegetarisch gestalten, aber dann würden ihm die Stammgäste davonlaufen. Immerhin: Das Fleisch, das er verkocht, kommt direkt vom Bauern, aber seit der 49-Jährige im Stall miterlebt hat, wie kläglich eine Schafmutter nach ihrem Lämmchen schreit, isst er selbst kein Fleisch mehr. 

Die lecker Kaspressknödelsupper der Hütte.
Foto: Philipp Horak
In der gemütlichen Stube wartet schon die Kaspressknödelsuppe, gekocht von Wirt Thomas Krösbacher.

Auch das Rauchen hat er sich am Berg abgewöhnt. Überhaupt ist das Leben, das er hier oben führt, gänzlich anders als jenes, das er zuvor hatte. „Ich habe einen Schritt zurück gemacht“, erklärt er in seinem sanften Tirolerisch. „Wahrscheinlich bin ich ein Aussteiger, ja“, überlegt er. „Mir sind jetzt andere Dinge wichtiger.“

Viel weniger zu tun als früher hat der Tiroler allerdings nicht. Im Winter bedeutet das vor allem eines: „Schnee schöpfen“, wie er es nennt. Krösbacher nimmt sein Handy vom Tresen und zeigt ein Video, in dem seine Hündin auf dem haushohen Schneeberg vor der Hütte vergnügt dem Schnee nachhüpft, den ihr Herrchen mit zusammengebissenen Zähnen vor dem Eingang wegschaufelt.

Weil das Stromaggregat gerne ausfällt und die Wasserpumpe nur unter Ächzen Quellwasser in die Leitungen pumpt, wird Krösbacher nicht langweilig. Den ganzen Winter über hat die Zeit nicht gereicht, um die Stühle im Gastraum neu zu polstern; das hat sich der Tiroler im Herbst nämlich vorgenommen – eine der wenigen Veränderungen, die er zugelassen hätte.

Der Hüttenwirt vor sein Berghütte.
Foto: Philipp Horak
Thomas Krösbacher war jahrelang Szenewirt in Wien. Nun bedient er auf der Julius-Seitner-Hütte tief im Mostviertel seine Stammgäste und genießt die Einsamkeit.

Bis auf zwei Bilder, die er hier aufgehängt hat, sieht die Hütte auch innen so aus wie unter seinem Vorpächter und dem Pächter davor. Um 16.35 Uhr stellt der Stammgast seinen leeren Bierkrug vor sich ab, zieht sich Shirt, Jacke und Handschuhe an und adjustiert die Stirnlampe. Im Wald, durch den er runter ins Tal muss, wird es früh finster. „Bis morgen!“, sagt Krösbacher.

Es ist sein letzter Gast, er begleitet ihn vor die Tür, blickt ihm in die Dämmerung hinaus nach und sieht zufrieden aus. Dann ruft er nach Sana, stampft den Schnee von den Stiefeln und geht in die Hütte. „Mein Vater hat sich immer gewünscht, dass ich Hoteldirektor werde“, sagt er, lacht und blickt sich im Gastraum um: „Na bitte: eh fast.“

Das Bergwelten-Magazin (Februar/März 2020)
Foto: Bergwelten
Das Bergwelten-Magazin (Februar/März 2020)

Das aktuelle Bergwelten Magazin (Februar/März 2020) ist ab 30. Jänner 2020 im Zeitschriftenhandel oder bequem im Abo für ÖsterreichDeutschland und die Schweiz erhältlich.

Im Süden das Tal der Türnitz, im Westen das Pielachtal, im Osten der Hohenstein, freie Sicht über die waldreichen Hänge zum Ötscher und zum Schneeberg - die Julius-Seitner-Hütte steht an einem der wohl schönsten und ruhigsten Orte in den Türnitzer Alpen.

Mehrere Wege führen hinauf zur Julius-Seitner-Hütte. Sommer wie winters muss man allerdings zu Fuß gehen, denn Lifte gibt es hier keine und Massentourismus schon gar nicht. 

Mit Schneeschuhen zur Julius-Seitner-Hütte
Foto: Philipp Horak
Mit Schneeschuhen zur Julius-Seitner-Hütte

Im Winter trifft man auf der Hütte Skitourengeher und Schneeschuhwanderer. Viele sind es aber nicht und meist auch nur Einheimische. Dafür sind die Hänge direkt unter dem Eisensein fast immer lawinensicher. Allein der Wind setzt der Schneedecke des öfteren zu und dann bildet sich ein unangenehmer Harschdeckel. Am Wochenende kann man aber bei Hüttenwirt Thomas Krösbacher auf der Julius-Seitner-Hütte einkehren und Kraft tanken, bevor man seine Schwünge in den Schnee zieht oder mit den Schneeschuhen den Hang hinunter läuft.

Wer im Sommer zur Hütte möchte, der wandert entweder von Türnitz direkt auf dem Weg 655 zur Hütte hinauf, oder aber nimmt den Weg von Schwarzenbach an der Pielach, der noch ruhiger ist. 

Eine ganz besonders schöne, wenn auch lange, Wanderung ist die Überschreitung des Eisensteins von Osten her. Dazu startet man in Schrambach und folgt dem Ratzenecksteig über den Berggasthof „Am Himmel“ zum Hohenstein mit 1.195. Hier befindet sich die Nachbarhhütte - das Otto-Kandler-Haus, das wie die Julius-Seitner-Hütte ebenfalls nur am Wochenende geöffnet hat. 
Im Anschluss wandert man über das Gscheid zum Eisenstein und könnte hier in der Julius-Seitner-Hütte übernachten. Den Sonnenuntergang am Gipfel des Eisensteins zu erleben, rechtfertigt diese Entscheidung allemal.

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