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Foto: Silvian Metz
Hüttenportrait

Die Baltschiederklause im Baltschiedertal

• 29. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Wer den langen Weg durch das Baltschiedertal geht, findet Einsamkeit und Ursprünglichkeit. Inmitten der schroffen Landschaft liegt ein kleines Juwel: die Baltschiederklause.

Rabea Zühlke für das Bergweltenmagazin August/September 2019 aus der Schweiz

Den ganzen Sommer über steht Guggi hoch oben auf der Baltschiederklause. Eine alte Fotokamera hängt um seinen Hals, von der Hüttenterrasse blickt er Tag und Nacht zum Baltschieder Strahlhorn (3.200 m), das zwischen dem stillen Gredetschtal und dem ursprünglichen Baltschiedertal in die Höhe ragt. So steht das handgeschnitzte Holzmannli mit roter Mütze und Hose von Juni bis Oktober auf 2.783 Metern.

„Nur im Winter darf er rein.“ Jolanda Stettler lacht verschmitzt. An diesem Sommertag ist es auf der Hütte still. Nur ein leichter Wind lässt die Schweizer Flagge auf der Terrasse flattern. „Übermorgen wird es auf 3.000 Metern null Grad“, sagt Jolanda und stellt selbst gebackenen Nusskuchen auf den robusten Holztisch. Im Westen strahlt die Nachmittagssonne hoch über dem imposanten Bietschhorn (3.934 m), dessen aperer Gletscher zur Hütte zieht.

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Jolanda zeigt in Richtung Norden zum Breitlauihorn (3.655 m). „Vom Gletscher führt die Wasserleitung zur Hütte. Die Pumpe musste ich heute früh abstellen – sonst gefriert das Wasser in der Leitung.“ Etwa 5.000 Liter Wasser habe sie jetzt noch im Tank zur Verfügung. „Das sollte für etwa ein bis zwei Wochen ausreichen, je nachdem, wie viele Gäste kommen“, erklärt die Hüttenwirtin. 

Ein Bergsteiger folgt dem Pfad am Berg.
Foto: Silvian Metz
Teilweise ausgesetzt verläuft der Hüttenzustieg zu Beginn entlang der uralten Niwärch-Suone

Wie ein Adlerhorst

Die Baltschiederklause ist eine der abgelegensten Hütten des Schweizer Alpenvereins. Weit hinten im Baltschiedertal thront sie wie ein Adlerhorst auf einer kleinen Terrasse unterhalb des Jägihorns (3.407 m). Der Weg hierhin ist lang und einsam. Deswegen muss Jolanda oft selbst Hand anlegen.

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„Ich habe viele Berufe: Mechanikerin, Köchin, Kellnerin, Ärztin und manchmal auch Psychologin“, erzählt die 47-Jährige, die seit 2012 die Baltschiederklause führt. „Natürlich ist das Leben auf solchen Hütten auch hart. Aber ich habe es von Anfang an gemocht, sonst würde ich es nicht seit 16 Jahren machen.“ 

 

Die Stube der Berghütte.
Foto: Silvian Metz
Blühende Sonnenblumen, die aus dem Tal hochgebracht werden, Bücher und Spiele in der lichtdurchfluteten Stube.

Die Hütte wurde 1922 gebaut und ist eine der wenigen des Schweizer Alpenvereins, die nach einer Person benannt wurden. Der Industrielle Julius Klaus aus Zürich vermachte dem Alpenverein über 30.000 Franken, um die Baltschiederklause bauen zu lassen. „Allerdings hatte er zwei Bedingungen“, sagt Jolanda. „Sie müsse einen Teil seines Namens tragen und auf Oberwalliser Boden stehen.“ Der heutige holzverkleidete, urchige Speiseraum war damals mit 30 Quadratmeter Grundfläche das Hauptgebäude.

Ein Kuchen als Mehlspeise.
Foto: Silvian Metz
Der hausgemachte Nusskuchen überzeugt jeden Gast.

Unten wurde gekocht und gegessen, eine Holzleiter führte direkt zu den 25 Schlafplätzen. Doch anfangs nahmen nur wenige Besucher den mühsamen Weg auf sich: Durch die Abgeschiedenheit zählte der Alpenverein in den 1920er-Jahren nur 150 Gäste pro Jahr. Erst 60 Jahre später wurde die Klause um weitere 40 Plätze ausgebaut. 1997 wurde sie erneut umgebaut und bietet seitdem 71 Schlafplätze. Dabei ging der Charakter, den Jolanda so schätzt, nie verloren: Wie der Grundbau ist der Anbau aus Stein und fügt sich mit den rot-weißen Holzfensterläden und seiner überschaubaren Größe perfekt in die schroffe Berglandschaft.

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Obwohl vieles einfach sein muss, trägt die Baltschiederklause doch die liebevolle Handschrift der Hüttenwirtin: Vor dem Eingang stehen blühende Blumenkästen, auf einer kleinen Tafel wird der Tageskuchen angekündigt. Auf den Tischen in der lichtdurchfluteten Stube erfreuen Sonnenblumen, die Jolanda aus dem Tal hochgebracht hat, die Gäste. Alte Bergsteigerrelikte hängen an den Wänden, genauso wie Bilder vom Bietschhorn und dem Äußeren Baltschiedergletscher, der damals noch mit dem Inneren zusammenlief.

„1922 konnten die Maultiere das Material sogar noch über den Gletscher hochtragen“, sagt Jolanda und blättert in einem ihrer vielen Fotoalben.

Ein Bergsteiger in der Alpenlandschaft.
Foto: Silvian Metz
In zahlreichen Kehren geht es hinauf zur Hohbitzu-Kapelle.
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Der Weg ist das Ziel

„Nur zwei Tagesgäste waren heute da“, sagt Denize, eine junge Amerikanerin, die Jolanda für ein paar Tage aushilft. „Zuerst war es komisch, aber dann hat mich das Tal mit seiner Stille beeindruckt. Und als ich oben war, habe ich mich wie auf einem anderen Planeten gefühlt“, strahlt Denize. Pro Saison kommen etwa 1.100 Gäste herauf. Das sei besonders vom Wetter abhängig. „Bei Regen möchte niemand fünf oder sechs Stunden hier hochlaufen.“ Jolanda lacht.

Manchmal käme auch drei Tage niemand hoch. „Aber allein fühle ich mich nie. Und es gibt immer genug zu tun“, sagt sie gelassen. Es kommen nicht nur Alpinisten, die anspruchsvolle Touren wie den Blanchetgrat oder die Tour zum Jägihorn machen wollen. „An schönen Samstagen sind es halb Alpinisten, halb Wanderer. Sie geniessen das Beisammensein, die fantastische Morgenstimmung am Berg – und natürlich den vielfältigen Weg.“ 

Sechs bis sieben Stunden dauert es, um die über 1.700 Höhenmeter zur Hütte hochzusteigen. Von Ausserberg führt der abwechslungsreiche Weg zuerst an den Niwärch- und Gorperi-Suonen vorbei, die teilweise über luftige, exponierte Stege und Felswände gehen. 

Ein Gast beim Sport.
Foto: Silvian Metz
Am Abend bleibt für Gäste noch Zeit für eine kurze Slackline-Einheit.

Erst auf dem Gletschervorfeld von Innerem und Äußerem Baltschiedergletschers kann man die Hütte erahnen. Doch nur Adleraugen sehen das winzige Gebäude am Fuße des Jägihorn-Südgrats. Die Landschaft wird schlagartig karg und erinnert an Bilder aus dem Himalaya: gewaltige Moränen, steile Felswände und darüber die knapp 4.000 Meter hohen Berggipfel. „Nimmä wiit“, „Salü zämä“ und andere Sprüche stehen mit roter Farbe auf den großen Felsblöcken auf den letzten 500 Höhenmetern.

Jolanda hat nicht nur den Weg mit Sprüchen, Steinmännchen und Markierungen versehen, sondern auch mit Leitern, die über das rauschende Wasser hinauf zur Klause führen. „Ich bin für den letzten Teil des Weges verantwortlich“, sagt Jolanda und deutet von der Terrasse zu einer der kleinen Brücken nach unten.

Eine Bergjause serviert im Freien.
Foto: Silvian Metz
Hütten-Apéro: selbst gebackenes Brot, Walliser Wein und Hartkäse aus dem Tal.

Umgeben ist die Baltschiederklause, die im UNESCO-Weltnaturerbe Jungfrau-Aletsch liegt, von einem beeindruckenden Ambiente voller Eis, Schnee und Fels. Neben dem Südgrat des Jägihorns zählt das markante Bietschhorn, welches sich westlich von der Hütte in die Höhe zieht, zu den beliebtesten und bekanntesten Zielen.

Ist das Wetter stabil, bleiben Bergsteiger daher meist mehrere Tage: „Oben hat man in kurzen Distanzen die ganze Palette, was das alpine Bergsteigen mit sich bringt: vom Sportklettern am Jägihorn bis zu einfachen oder anspruchsvollen Hochtouren auf das Bietschhorn oder den Blanchetgrat“, schwärmt der Bergführer Ruedi Kellerhals. 

Kunst vor der Berghütte.
Foto: Silvian Metz
Das kleine Holzmannli Guggi liess Jolanda extra für die Baltschiederklause anfertigen.

Pyramide aus Gneis und Eis

Wie die Baltschiederklause gehört das Bietschhorn zu den Berner Alpen, steht aber auf Walliser Boden. Schon der Erstbesteiger des Bietschhorn-Südostgrats sowie der Nordwestwand, Walter Stösser, war fasziniert von seinem Lieblingsberg: „Der Typus des schönsten Berges ist für die allermeisten Laien wie Bergsteiger das Matterhorn. Doch wer das Bietschhorn kennt, wird sich diesem Urteil wohl schwerlich anschließen“, schrieb der Bergsteiger Anfang der 1930er-Jahre.

Ein Gast genießt die Aussicht.
Foto: Silvian Metz
Hinter der Hütte zieht der Grat zum 3.934 Meter hohen Bietschhorn hoch. Am Horizont zeigen sich die Spitzen der Mischabel-Gruppe.

Auch die Schweizer Autoren Daniel Anker und Marco Volken haben der Pyramide aus Gneis und Eis ein ganzes Buch gewidmet. In einer der Geschichten, die sich rund um den markanten Berg ranken, heißt es, das Bietschhorn wäre zunächst mit 4.002 Metern angegeben worden. Die Zahl sei von den Bewohnern des Lötschentals gekommen, die auch in ihrem Gebiet einen Viertausender haben wollten – und das um jeden Preis.

So hätten es die Lötschentaler „den schönen Augen einer Wirtstochter zu verdanken“, dass der mit der topografischen Vermessung beauftragte Ingenieur den Berg zu einem Viertausender machte – obwohl er eigentlich bloss 3.934 Meter hoch ist.

„Wir haben Besuch!“, ruft Jolanda freudig nach dem Abendessen und läuft nach draußen. Vor der Hütte stehen vier Steinböcke im Abendlicht. „Der hintere heißt Steini.“ So kennt die Hüttenwirtin fast jeden ihrer Gäste. Denn wer einmal den anstrengenden und weiten Weg zur Baltschiederklause auf sich genommen hat, wird von der Ursprünglichkeit des Gebiets in eine andere Welt entführt – und kommt gerne wieder. Genauso wie Steini und seine drei Begleiter.

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