16.800 Touren,  1.600 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Andreas Jakwerth
Steirisch-Kanada

Unterwegs im Triebental

• 8. Februar 2022
5 Min. Lesezeit

In den Bergen um Rottenmann und Oberwölz, Liezen und Hohentauern in der Steiermark hat sich eine naturverträgliche Art des Winterurlaubs etabliert. Der laute Skitourismus konzentriert sich auf wenige Hotspots, überall sonst ist man nach ein paar Schneeschuh- oder Tourenskischritten allein mit sich und der Natur.

Alexander Lisetz

Es ist kurz nach sieben, als uns das Heulen der Wölfe weckt. Träge steckt der Erste von uns seinen Kopf aus dem Iglu. Der Morgen riecht nach frischem Schnee. Es ist so kalt, dass es in den Nasenlöchern brennt. Ein Wolf schreckt auf, huscht um die Ecke. Nach und nach kriechen auch wir anderen verschlafen ins Freie. Ein, zwei Atemzüge, dann fällt uns wieder ein, dass hier nicht Kanada ist, sondern die Steiermark. Dass wir gar keine Inuit sind, sondern eine Handvoll Freunde aus der Stadt. Und dass die Wölfe keine Wölfe sind, sondern ein Rudel Huskys, das uns heute auf eine Schlittenfahrt begleiten soll. Nur das behaglich warme Iglu, in dem wir erstaunlich gut geschlafen haben, das ist echt. Matti Pripfl hat es gestern Nachmittag aufgebaut, eine Schneeziegeletage über die andere, 70 Grad geneigt, ein behaglicher Unterschlupf.

„Wenn ein halber Meter fester Schnee liegt, kann man die Ziegel heraussägen. Sind es nur ein paar Zentimeter, muss man die Schneeblöcke in Wannen selber pressen“, hat er uns gestern erklärt. Matti weiß solche Dinge, weil er viereinhalb Monate mit den Ureinwohnern in Kanada gelebt hat. Als Filmemacher hat er ihren Alltag und ihre Traditionen für einen Dokumentarfilm studiert. „Du glaubst nicht“, sagt er, „was man da fürs Leben lernt.“ Matti hat schon mehrere Berufsleben hinter sich, unter anderem war er auch Koch und Profiballonfahrer. Jetzt vermittelt er Abenteuerurlaube in einer Gegend, die wie Kanada aussieht, aber ein bisschen bequemer erreichbar ist: in den Rottenmanner und Wölzer Tauern, einem stillen Abschnitt der Ostalpen, aufgefaltet zwischen dem Sölkpass und dem Triebener-Tauern-Pass.

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Wölzer Tauern
Foto: Andreas Jakwerth
Bei gleißendem Licht unterwegs zum Kettentörl: Im Hintergrund ragt der selten bestiegene Goldkogel in die Wolken.

Schneehennen und Birkhühner

In den Bergen um Rottenmann und Oberwölz, Liezen und Hohentauern hat sich in den letzten Jahren eine naturverträgliche Art des Winterurlaubs etabliert. Der laute Skitourismus konzentriert sich auf wenige Hotspots, überall sonst ist man nach ein paar Schneeschuh- oder Tourenskischritten allein mit sich und der Natur. Wer Glück hat, begegnet dabei sogar Schneehennen und Birkhühnern, die in den Wölzer Tauern ein sicheres Rückzugsgebiet gefunden haben. Ein scharfes Auge ist dafür Voraussetzung: An kalten Tagen kauern die seltenen Tiere schneebedeckt am Boden und machen sich erst bemerkbar, wenn sie aufgeschreckt davonflattern. Für die Hühner ist die Begegnung mit uns kein Glücksfall. Die Flucht vor dem vermeintlichen Fressfeind kostet sie wertvolle Energie, weil sie ihren auf Stand-by-Modus programmierten Organismus abrupt hochfahren müssen. Darum sind bestimmte Areale als Schutzgebiete markiert, um die herum respektvolle Winterwanderer einen Bogen machen.

Der beliebteste Stützpunkt für Skitouren- und Schneeschuhgeher ist die 1.200 Meter hoch gelegene Bergerhube, in der Marianne und Siegfried Luidold Hüttenspezialitäten, Obstmahlzeiten und lokale Weisheiten ausschenken. „Nur Klares ist Wahres“, erklärt der Hüttenwirt, als er den Obstler auf den Tisch stellt, einen rassigen  Schwarzbeerschnaps. Dazu gibt es gratis eine Schneeprognose: „So hoch wie die Disteln im Sommer waren, so hoch liegt im Winter der Schnee.“ Früher hat die Bauernregel immer gehalten, in diesem Jahr müssen es aber Bonsai-Disteln gewesen sein. Das ist aber gar nicht so schlimm, weil viele Routen in der Region auch bei magerer Schneelage begehbar und sicher sind. Allein vor Siegi Luidolds Haustür beginnen 20 herrliche Touren, „die schaffst du unmöglich in einer Woche“, sagt er. Sie führen hinauf zu den Karböden, durch frischen Powder auf den Lattenberg, rund um die majestätischen  Gamskögel oder – der Klassiker – hinauf auf den 2.225 Meter hohen Kerschkern-Gipfel.

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Wir steigen mit Matti Pripfl vorbei an der Wetterfeichten – „Ein energetischer Platz, da spürst du, wie dir die Kraft einfährt“ – zum Kettentörl. Hier, weit weg von der Zivilisation, ist ihm vor drei Jahren eine Wanderin über den Weg gelaufen. „Zack, Liebe auf den ersten Blick“, sagt Matti. Und wir lernen: Das große Glück wartet auch heute nicht auf Tinder, sondern immer noch dort, wo wir am wenigsten mit ihm rechnen.

Krankenpflegerin Leni Krenn packt ihre Ski auch nach einer Nachtschicht zusammen und steigt auf einen ihrer Hausberge.

Heute ist die Wanderin von damals Mattis Herzens- und Geschäftspartnerin. Gemeinsam betreiben er und Margit Berger ihre Agentur für „Alpine Freizeitgestaltung“. Die Touristen können bei ihnen zum Beispiel eine Iglu-Übernachtung neben der Bergerhube buchen oder eine Schlittenfahrt mit den Huskys von Dietmar und Andrea Haberl. „Die Hunde zeigen dir, wie man die Welt sehen sollte“, sagt Andrea Haberl, „Sie freuen sich wie verrückt auf jeden neuen Tag. Sie sind freundlich zu jedem, der es gut mit ihnen meint. Und sie behandeln dich gleich, egal ob du Professor bist, Doktor oder Maurer.“

Jetzt, ein paar Minuten vor dem Ausflug, ist das Husky-Rudel aufgeregt wie eine Kindergartengruppe vor dem Zuckerlgeschäft. Die Hunde springen in die Höhe, zerren am Geschirr, die klare Luft ist erfüllt von ihrem Geschrei. „Viele Leute glauben, dass das Schlittenfahren Arbeit für unsere Hunde sei“, sagt Dietmar Haberl, „aber in Wirklichkeit ist das ihr schönster Lebensinhalt. Sie werden unglücklich, wenn sie zwei, drei Tage nicht eingespannt werden.“ Als sich der Schlitten in Bewegung setzt, ist es wieder wie am Morgen: Wir vergessen nach wenigen Metern, dass wir eigentlich in der Steiermark sind und nicht irgendwo am Polarkreis.

Vom Nachtdienst zur Bergtour

Nur die Menschen, die wir am Weg treffen, holen uns zurück in die Realität. Sie reden nämlich keinen Trapper-Dialekt, sondern tiefstes Steirisch. Vor allem unter der Woche sind hier auf den Bergen viele Einheimische unterwegs und erfrischend wenig Touristen. Als wir von der 1.725 Meter hoch gelegenen Edelrautehütte auf das Hauseck aufsteigen, überholt uns eine junge Tourengeherin. Leni Krenn, eine Krankenpflegerin aus Liezen, ist an jedem freien Tag hier unterwegs, „der beste Ausgleich zu meinem stressigen Job“, sagt sie. Manchmal packt sie nach einem Nachtdienst die Ski ins Auto und steigt gleich nach dem Frühstück auf einen ihrer Lieblingsgipfel. „Danach bist du so ausgepowert“, sagt sie, „dass du leicht wieder zurück in den normalen Schlafrhythmus findest.“

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Nach der Tour fahren wir mit Rodeln von der Edelrautehütte hinunter ins Tal. Am Weberteich sind wir mit Alois Leitner verabredet. Der pensionierte Volksschuldirektor hat einen Drillbohrer dabei, mit dem er Löcher in das unterarmdicke Eis drechselt. Dann hält er eine ungewöhnlich kurze Angel mit drei Haken ins Wasser. Warum gerade an diesen Stellen, Herr Leitner? „Ich weiß genau“, sagt er, „wo unter dem Eis die Strömungen verlaufen, in denen die Bachforellen und die Saiblinge warten.“ Alois Leitner ist ein paarmal in der Woche hier. „Mir geht es gar nicht so ums Fangen“, sagt er, „sondern vor allem um die Ruhe, um das In-der-Natur-Sein.“ Doch heute hat Alois Leitner Glück.

Er zieht drei Bachforellen aus dem vier Grad kalten Wasser. Wir grillen sie gleich am Ufer, auf frischen Holzspießen. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, und über uns hat jemand eine Tapete aus zigtausend Sternen ausgerollt. Die Luft ist jetzt kalt und erfüllt vom Duft der Steckerlfische. Wir hören fernes Wolfsgeheul, aber das kann auch nur Einbildung sein.

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Tourentipps

Von der Edelrautehütte auf das Hauseck

Diese Schneeschuh- oder Skitour auf den knapp 2.000 m hohen Hausberg der Edelrautehütte ist einfach und kurz. Von der urigen und bestens bewirteten Edelrautehütte ist man im Handumdrehen am Gipfel und genießt eine tolle Aussicht. Auch die glasklaren Scheiblseen sind eine richtige Augenweide.

Kerschkern

Die ausgedehnte Tour auf den 2.225 m hohen Kerschkern, auch oft Kerschkernkogel genannt, ist nur etwas für geübte Skitourengeher – insbesondere die steile Gipfelflanke. Wer oben ankommt genießt eine grandiose Fernsicht in die steirische Berglandschaft. Nur bei absolut sicheren Lawinenverhältnissen gehen!

Infos und Adressen: Rottenmanner und Wölzer Tauern

  • Dieser Artikel erschien auch im Bergwelten Magazin Dezember/Jänner 2016.

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