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Foto: Dominica Schmid-Schmidsfelden
Reise

Auf einsamen Pfaden durch die Rockies

• 26. Oktober 2020
8 Min. Lesezeit
von Katrin Rath

Die kanadischen Nationalparks Yoho und Banff sind den meisten Outdoor-Begeisterten wohl ein Begriff. Kein Wunder also, dass sich hier oftmals Massen an Menschen von Naturschauspiel zu Naturschauspiel schieben. Wer allerdings zur richtigen Zeit an den richtigen Orten ist und den ein oder anderen Schritt mehr in Kauf nimmt, erlebt die große Einsamkeit inmitten beeindruckender Natur. Bergwelten-Redakteurin Katrin Rath hat es Anfang Juni 2019 ausprobiert.

Wir sind müde. Hinter uns liegen knapp neun Stunden Autofahrt von North Vancouver in die Nationalparkgemeinde Field. Und nun stehen wir vor verschlossenen Pforten, oder besser gesagt vor knallroten Absperrbändern und „Under Construction“-Schildern, die uns zu verstehen geben, dass wir heute wohl nicht wie geplant am Kicking Horse Campground im Yoho National Park übernachten werden.

Es ist bereits dunkel geworden und wir versuchen unser Glück am benachbarten Monarch Campground, wo jedoch alle Stellplätze bereits besetzt sind. Gut, dann müssen wir eben weiter bis nach Lake Louise im Banff National Park fahren. Yeah, vier Nationalparks an einem Tag besucht: Mt. Revelstoke, Glacier, Yoho und schließlich Banff. Unsere Freude darüber hält sich allerdings in Grenzen.

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Field Yoho National Park
Foto: Dominica Schmid-Schmidsfelden
Typisches Einfamilienhaus in der Nationalparkgemeinde Field

Der riesige Campingplatz im beliebten Tourismus-Hotspot Lake Louise wird doch hoffentlich Platz für eine 29-jährige Teilzeit-Kanadierin, einen 33-jährigen Gewässer-Enthusiasten, eine 26-jährige Bergwelten-Redakteurin, einen – für kanadische Verhältnisse – kleinen Subaru und ein noch kleineres Zelt haben. Weit gefehlt: Hier gibt es zwar tatsächlich Zelt- und Wohnwagen-Standplätze ohne Ende, da wir aber in der Vorsaison unterwegs sind, wird dort noch fleißig umgebaut und die wenigen verfügbaren Plätze sind bereits belegt.

Das eigentlich nur für Wohnmobile gedachte „RV Overflow Camp“ entpuppt sich mit seinem steinigen Untergrund als wenig komfortabler Schlafplatz und auch der Subaru ist keine Option. Also zurück zu Alanna, die uns diesen Tipp wenige Minuten zuvor gegeben hat und Rezeptionistin der Mountaineer Lodge ist, wo wir uns schlussendlich ein Zimmer nehmen.

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Berechtigte Klischees

„Gut, dass ihr dort nicht im Zelt übernachtet habt“, klärt uns die nette Mitarbeiterin im Visitor Center des Yoho National Park tags darauf auf, „in Lake Louise ist die Grizzly-Population sehr hoch. Selbst am Campingplatz sind die Zeltplätze mit Elektrozaun umgeben.“

Glücklich, nicht von Grizzlys verspeist worden zu sein, widmen wir uns jetzt aber den schönen Dingen des Reisens: Wie gut, dass uns die redselige Mitarbeiterin gleich ausführlich darüber berät, auf welchen Wegen wir den Massen entkommen.

Emerald Lake im Yoho National Park
Foto: Christoph Müllebner
Am Emerald Lake im Yoho National Park

Kurz darauf befinden wir uns am Emerald Lake, wo Instagram-Touristen aus ihren Bussen strömen und sich am Ufer drängen. Man kann es ihnen aber auch nicht verübeln. Jeder von uns hat doch diese Kanada-Klischees im Kopf, oder? Smaragdfarbene Seen, rote Ruderboote, weiße Berggipfel. Und genau das wird ihnen hier geboten.

Wir umrunden den See zur Hälfte, lassen die Knipserinnen und Poser hinter uns bahnen uns unseren Weg zwischen Schmelzwasser-Flüssen, über Geröllfelder und steile Waldwege in Richtung Yoho Pass. Hier sehen wir – von einem wandernden Pärchen in der Ferne abgesehen – nur noch Wald, kleine Wasserfälle, noch mehr Wald – und Schnee.

Auf dem Weg zum Yoho Lake

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Ab einer Höhe von rund 1.700 Metern stapfen wir durch teilweise kniehohen Altschnee und erreichen knapp 100 Höhenmeter später den idyllischen Yoho Lake. Er ist einsamer und noch intensiver gefärbt als der weit unter uns liegende Emerald Lake. Auch hier sind wir mutterseelenallein und genießen die mitgebrachten Äpfel und Müsliriegel in völliger Stille.

Am Yoho Lake angekommen

Als wir acht Kilometer später wieder an unserem Ausgangspunkt ankommen, ist es mit der Stille schlagartig vorbei. Das stört uns allerdings wenig, ist unser nächstes Ziel doch ein noch viel lauterer Ort: die natürliche Brücke, die der tosende Kicking Horse River in den Fels gehöhlt hat. Noch beeindruckender ist das Naturschauspiel, wenn man über sein Alter nachdenkt: Der Fluss bohrt sich über Jahrhunderte und Jahrtausende unaufhörlich durch das immer größer werdende Loch – und irgendwann wird auch diese Brücke zur Schlucht werden, wie schon so viele vor ihr.

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Die „Natural Bridge“, die der Kicking Horse River in den Fels gehöhlt hat

Unruhige Nächte, stille Seen

Glücklich, dass wir für die kommende Nacht einen Platz am Monarch Campground in Field ergattern konnten, entrichten wir die Gebühr an der Einfahrt. Kaum aber haben wir unser Zelt aufgeschlagen, kommt ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Campingplatzes vorbei: „Ich will euch nicht beunruhigen“, sagt er und beunruhigt uns damit natürlich umso mehr, „aber heute Mittag ist eine Schwarzbär-Mama mit ihrem Jungen hier gesehen worden. Da hinten – wenige Meter von dem Platz, an dem euer Zelt jetzt steht.“ Er zeigt mit dem Finger in den Wald und weist uns an, darauf zu achten, den Esstisch möglichst sauber zu hinterlassen und nichts Essbares draußen stehen zu lassen. Auch das Wasser sollten wir besser im Auto verstauen. Ratet mal, wer an diesem Abend freiwillig und so akribisch wie nie zuvor das Geschirr abgewaschen hat. Richtig! Eine vermeintlich furchtlose Bergwelten-Redakteurin, die sich das Zelt neben ihren beiden scheinbar wirklich furchtlosen Begleitern zur Sicherheit auch noch mit gleich zwei Dosen Bären-Spray teilt.

Monarch Campground
Foto: Christoph Müllebner
Unser Zeltplatz am Monarch Campground

Nicht hundertprozentig ausgeschlafen, dafür aber hundertprozentig motiviert, die kanadische Natur abseits der Massen zu erleben, geht es nach dem Frühstück in Richtung Lake O’Hara. Auch dieser See ist ein wahrer Touristen-Magnet – allerdings erst in einer Woche. Ab dann kutschieren nämlich die bereits jetzt schon ausgebuchten Shuttlebusse wieder Horden von Reisenden nach oben bis zur Lake O’Hara Lodge am Ufer.

Wir nehmen die etwa zehn Kilometer lange Strecke über die für Privatfahrzeuge gesperrte Forststraße also zu Fuß in Angriff. In den Tagen davor haben wir lange überlegt, ob wir uns diesen „Hatscher“ überhaupt antun wollen, schließlich gibt es noch jede Menge anderer Bergseen auf unsere Route zwischen Mt Revelstoke und Jasper National Park. Nachdem wir Dominicas (die Teilzeit-Kanadierin) kanadische Verwandte gefragt haben und auch beim Visitor Center dieselbe Antwort bekommen haben, nämlich: „You should totally do it“, haben wir beschlossen, es durchzuziehen.

Lake O'Hara
Foto: Christoph Müllebner
Die lange Forststraße führt durch dichten Wald zum Lake O'Hara

Jetzt stehen wir am Ufer des Lake O’Hara und bereuen nichts! Trotz der Bewölkung glänzt der kristallklare See in den schönsten Blau- und Grüntönen und wird von den eingeschneiten Felswänden ringsum kontrastreich in Szene gesetzt. Wir erkunden den See von allen Seiten, bleiben alle paar Meter stehen und können uns an seiner Schönheit nicht sattsehen. Mit der Zeit legen sich die Wolken immer schwerer um die Berggipfel und so treten wir schlussendlich doch den Rückweg an – nicht ohne uns noch ein paarmal umzudrehen.

Lake O'Hara im Yoho National Park

Ein paarmal umdrehen werden wir uns auch in der kommenden Nacht auf den Isomatten in unserem Zelt am Monarch Campground wieder. Die Worte des Campingplatz-Mitarbeiters hallen immer noch nach. Und plötzlich: ein lautes Knacken reißt uns aus dem Schlaf. Sogar die beiden Furchtlosen sehen jetzt doch ein wenig besorgt aus.

Es ist bereits hell und der vorsichtige Blick aus dem Zelt verrät, dass wir uns jetzt, wenn wir uns schon unbedingt fürchten wollen, es lieber vor herabfallenden Ästen als vor Bären tun sollten. Vom Himmel fallen nämlich große, schwere Schneeflocken. Die Bäume – und auch unser Zelt – ächzen unter der Last des feuchten Frühlingsschnees.

Inoffizielle Nationalpark-Regeln

Nach einem schnellen Frühstück im überdachten Essbereich des Campingplatzes folgen wir dem Highway 1 durch die winterlich anmutende Landschaft raus aus dem Yoho National Park und weiter in Richtung Banff. Gut, dass wir die kommenden Nächte dort beim 87-jährigen ehemaligen Bergführer Bob verbringen und uns erstmal keine Gedanken über unser triefnasses Zelt machen müssen.

Kicking Horse River
Foto: Dominica Schmid-Schmidsfelden
Der Kicking Horse River schlängelt sich durch die winterlich anmutende Landschaft

Auf dem Weg dorthin werden wir auf einige am Straßenrand abgestellte Autos aufmerksam. „Da ist niemand ausgestiegen – das müssen Bären sein!“, freut sich Dominica am Steuer, die seit drei Jahren in Kanada lebt und dieses Phänomen nicht zum ersten Mal beobachtet. „Langsame oder stehende Autos am Highway sind in Kanada das Zeichen für ,Achtung, hier gibt’s Wildlife zu sehen´.“

Wir parken uns hinter die anderen Schaulustigen und entdecken tatsächlich bald eine Grizzly-Dame mit ihrem verspielten Jungen auf einer Lichtung. „Das Kleine sieht ja wirklich putzig aus, aber ich bin trotzdem froh, jetzt im Auto zu sitzen“, bringe ich meine Angst vor Bären ein weiteres Mal zum Ausdruck. Zwei Tage später werde ich im Buffalo Nations Luxton Museum in Banff im Buch „Bears without fear“ schmökern und mir wünschen, es wäre mir schon früher in die Hände gefallen.

Schnorrende Streifenhörnchen

Die erste Nacht in Banff war lang, die dortigen Pubs sehr gemütlich und das Bier zwar nicht stark, aber süffig. Kein Wunder also, dass der Parkplatz des Johnston Canyons bereits gut gefüllt ist, als wir dort erst gegen Mittag aufschlagen. Nichtsdestotrotz wagen wir uns mit vielen weiteren Touristen in die Schlucht. Unser heutiges Ziel liegt nämlich noch weit dahinter. Ein weiteres Mal lassen wir die Menschenmassen hinter uns und biegen in Richtung Ink Pots ab. Und wieder sind wir allein auf weiter Flur unterwegs – abgesehen von einigen niedlichen Streifenhörnchen, die auf eine Nuss-Spende hoffen. Wir müssen sie enttäuschen und finden uns bald an den kalten Quellen wieder.

Streifenhörnchen
Foto: Christoph Müllebner
Dieses kleine Streifenhörnchen erhofft sich einen Snack – aber in den Nationalparks ist das Füttern von Tieren verboten

Im Sonnenschein wird deutlich, woher der Name für diese klaren Teiche kommt: Mit ihrer intensiven Färbung sehen sie tatsächlich aus wie überdimensionale Tintenfässer. Eingebettet in eine frühsommerliche Flusslandschaft und umrahmt von schroffen Gipfeln, präsentieren sie sich uns fast schon kitschig wie in einem Gemälde.

Durch den Johnston Canyon zu den Ink Pots

Nach einer Stunde des Staunens verabschieden wir uns von diesem wunderbaren Ort, der sich in die lange Liste der Highlights dieser Reise einreiht und bald auch von Banff. Schon morgen werden wir der wohl schönsten Straße der Welt – dem Icefields Parkway – in den Jasper National Park folgen.

Infos und Adressen: Yoho und Banff National Park

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  • Ankommen: Per Auto oder Camper von Westen oder Osten kommend über den Highway 1, von Norden kommend über den Icefields Parkway. Um in den Nationalparks übernachten und Campen zu dürfen muss pro Fahrzeug eine Gebühr entrichtet werden. Die Nationalpark-Pässe gibt es entweder für ein ganzes Jahr und alle Parks oder zeitlich und auf bestimmte Regionen begrenzt.
    Wer Zeit hat, kann auch mit dem Zug anreisen. Auf der über weite Teile eingleisigen Strecke der Canadian Pacific Railway haben die langen Güterzüge Vorrang gegenüber den Personenzügen. Eine Fahrt mit dem Luxus-Zug „Rocky Mountaineer“ ist aber sicher ein Erlebnis.
  • Beste Reisezeit: Die Sommermonate Juni bis September sind die beliebteste Reisezeit. Wer es ruhiger mag, dafür aber in Kauf nimmt, beim Wandern auf Schnee zu treffen und aufgrund der noch vorhandenen Lawinengefahr auf gewisse Touren zu verzichten, kann auch bereits zwischen Mitte Mai und Anfang Juni anreisen. Wie oben erwähnt, kann es dann aber auch passieren, dass Campingplätze noch geschlossen oder gewisse Services nicht Verfügbar sind. Am besten man informiert sich vorab telefonisch bei den jeweiligen Visitor Centers.
  • Schlafen: Die meisten der unzähligen Campingplätze in den kanadischen Nationalparks sind durchaus komfortabel ausgestattet, bieten Stellplätze für Wohnmobile, Autos und Zelte und liegen sehr zentral. Hütten, wie wir sie kennen, gibt es zwar kaum, jedoch an den meisten Mehrtages-Touren zumindest einen kleinen Campground mit vorgesehen Zeltplätzen. Gezahlt wird je nach Campingplatz online oder an der Einfahrt entweder persönlich oder per Kuvert. Achtung: Bei manchen Campingplätzen kann man nicht vorab reservieren.
  • Touren und Information: Alle Wanderwege in den kanadischen Nationalparks sind online erfasst. Hier finden sich auch aktuelle Informationen zur Beschaffenheit der Wege und zu Schonungszonen für Wildtiere. In jedem Nationalpark gibt es ein Visitor Center, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne und sehr ausführlich Auskunft geben können. 
  • Bären: Bären sind in den Rocky Mountains und vor allem rund um Lake Louise ein großes Thema. Dafür kommt es sehr selten zum Aufeinandertreffen zwischen Bären und Menschen. Damit das so bleibt, ist es wichtig, dass die Tiere scheu bleiben. Darum müssen Essensreste bis auf den letzten Krümel entsorgt werden, um Bären nicht daran zu gewöhnen, dass es in der Nähe des Menschen etwas Fressen gibt. Beim Wandern gilt: auf sich aufmerksam machen, laut reden oder singen, damit es zu keinen Überraschungen kommt.

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