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Bergwelten goes Aconcagua

So schläft man sich im Hypoxiezelt nach oben

19. Dezember 2023
7 Min. Lesezeit
von Klaus Haselböck

Die Kunden des Tiroler Expeditionsveranstalter Furtenbach Adventures nächtigen schon Wochen vor der Abreise zu hohen Bergen in Hypoxie-Zelten, um sich an die dünne Luft zu gewöhnen. Ein Gespräch mit Lukas Furtenbach über die Notwendigkeit der individuellen Betreuung, wie viel an Akklimatisierung sinnvoll ist und warum Edelgase der nächste Schritt sein werden. Plus: ein Selbstversuch.

Hypoxiezelt
Foto: Julius Hirtzberger
Durch das Übernachten im Hypoxiezelt verlegt man einen Großteil der Akklimatisierung vom Berg in die eigenen vier Wände.
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Wie kam es zur Idee, die Akklimatisierung weit weg vom großen Berg durchzuführen?

1999 hat der Tiroler Höhenmediziner und Bergführer Martin Burtscher auf der Innsbrucker Sportuni eine Studie mit einer Höhenkammer zur Vor-Akklimatisation für große Höhen durchgeführt. Vereinfacht gesagt geht es darum, die Menge der roten Blutkörperchen zu erhöhen. Das kann man vor Ort machen, indem man sich dort langsam an die Höhe anpasst, oder man macht das schon vor der Expedition zu Hause.

Eine Lösung auf Zelt-Basis mit einem Generator, der der Luft den Sauerstoff entzieht, erwies sich als ideal. Damals haben diese Art des Trainings schon Radfahrer verwendet, aber natürlich nicht als Vorbereitung für große Höhen. „Ihr werdet die Leute umbringen“, meinten die Mahner. Wir haben die Idee erstmals 2007 in Pakistan bei einer ganzen Gruppe für den Broad Peak getestet. Die hatten Nächte vor der Tour im Zelt geschlafen und kamen alle auf den Gipfel. Das war die Geburtsstunde unserer „Flash-Expeditionen“.

Ist jeder für eine derartige Akklimatisierung geeignet?

Ja, jeder spricht darauf an. Natürlich gibt es genetische Voraussetzungen beim Lungenvolumen oder Herausforderungen, wenn man nur einen intakten Lungenflügel hat. Auch Asthma oder Eisenmangel können Themen sein.

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In der Praxis ist die Frage eher: Wie lange braucht jemand zum Akklimatisieren? Aus unserer Erfahrung – durch unsere Zusammenarbeit mit Höhenmedizinern und der Erfahrung aus unseren Flash-Expeditionen haben wir das größte Daten-Pool weltweit – ist jeder ein Responder. Sprich: Jeder kann sich schon zu Hause für große Berge vorbereiten. Sollte die Vor-Akklimatisierung nicht funktionieren, dann ist der Generator kaputt oder das Zelt nicht dicht. Bei schlechten Respondern muss man das Muster erkennen und entsprechend reagieren.

Furtenbach Adventures
Foto: Furtenbach Adventures
Lukas Furtenbach gilt als Pionier im Bereich der Akklimatisierung mit Hypoxiezelten.

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Wie viel an Akklimatisierung ist möglich, respektive sinnvoll?

Über die Hypoxie-Zelte, die wir verwenden, wäre sogar 9.000 Meter Seehöhe möglich, aber eben nicht sinnvoll. Dauerhaft kann man sich nur in Höhen akklimatisieren, wo auch Menschen auf der Erde leben – etwa in Peru, Nepal oder Tibet auf maximal 5.600 Metern Höhe. Alles darüber ist in Sachen Akklimatisierung nur temporär: da baut der Körper kontinuierlich ab. Für eine Everest-Expedition ist eine maximale Höhe von 7.000 Metern sinnvoll, die wichtigsten Prozesse für den Körper finden schon zwischen 4.000 und 5.000 Metern statt. Darüber leidet nur die Schlafqualität. Über die Vor-Akklimatisierung kann man allerdings die ersten Hochlager-Nächte, die viel Energie kosten, nach Hause verlegen. Sie werden quasi simuliert – aber auch dort ist man danach erschöpft und müde. Diese Auswirkungen bleiben einem dann am Berg erspart.

Es muss ja nicht der Everest oder der Aconcagua sein: Wie weit nach unten kann man mit der Hypoxie gehen?

Je nach Lebenssituation, also auf welcher Meereshöhe man lebt, ist auch eine Akklimatisierung für den Mont Blanc ein Benefit. Das Ziel ist stets: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Denn die Akklimatisierung kostet dich auch Energie: Man muss das Training reduzieren und weniger als drei Wochen bringen nichts. Außerdem ist es wichtig, dass man durchgängig Zeit im Zelt verbringt, also pro Nacht sollten es schon sieben Stunden sein. Für eine Westalpen-Tour muss man sich da schon die Frage stellen, ob man sich den Aufwand antun möchte.

Akklimatisierung im Hypoxiezelt
Foto: Julius Hirtzberger
Akklimatisierung kostet den Körper immer Kraft – egal ob im Hypoxiezelt oder im Basislager.

Ist die Vor-Akklimatisierung eine Garantie für den Gipfel?

Nein. Über das Hyoxie-Zelt ist man nicht besser akklimatisiert, als wenn man sich vor Ort anpasst. Das starke Argument ist die Zeit-Ökonomie: Indem man die Akklimatisierung nach Hause verlegt, spart man sich die Rotationen in einem gefährlichen Gebiet. Auch der mentale Faktor, dass man nicht so viele Kilometer vor Ort im Auf- und Abstieg machen muss, ist ein klares Plus. Außerdem ist es das einzige passive Herz-Kreislauftraining, bei dem man nachweislich Gewicht abnimmt.

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Apropos „Fettrand“: Beim Everest sind sonst acht Wochen vor Ort Standard, durch die Vor-Akklimatisierung lässt sich die Zeit auf drei Wochen verkürzen. Was ändert das am Gewichtsverlust während der Expedition?

Früher gab es die Empfehlung lieber mit Fettreserven auf Expedition zu gehen, weil man zehn bis zwanzig Kilo verlieren wird. Wer heute drei Wochen vor Ort ist, braucht keine zusätzlichen Fettreserven und sollte schon gut trainiert sein, wenn er vor Ort ankommt. Unsere Flash-Kunden verlieren zwei bis fünf Kilo. Das heißt auch, dass man nicht ganz am Limit hinkommen sollte, da sonst die Anfälligkeit für Infekte höher ist.

Wie sind die sozialen Erfahrungen mit dem Hypoxie-Zelt?

Schlecht! Der Generator ist laut, deshalb verwendet man besser Ohropax während der Nacht. Zudem schläft man meist nicht im selben Bett mit der Partnerin oder dem Partner, da kann auch die Beziehung darunter leiden. Leute, die an sich Schlafstörungen haben, erleben die Nächte im Hypoxie-Zelt als Qual.

Ihr seid nicht der einzige Anbieter für die Vor-Akklimatisierung: Was macht ihr anders?

Andere Anbieter folgen einem Standard-Protokoll, wo nicht differenziert wird, ob es um eine Leistungssteigerung bei einem Marathon oder für einen großen Berg geht. Das funktioniert trotzdem für die meisten Menschen. Wir wollen aber sichergehen, dass es zu hundert Prozent passt. Deshalb betreuen wir unsere Kunden individuell, indem wir über ein Puls-Oximeter (Anm.: Das ist ein Gerät, das den Puls und die Sauerstoff-Sättigung im Blut misst.) täglich ihr Feedback in Sachen Herzfrequenz und Sauerstoff-Sättigung einholen. Das funktioniert auch aus der Entfernung sehr gut.

Puls-Oximeter
Foto: Julius Hirtzberger
Mittels Puls-Oximeter werden Sauerstoffsättigung im Blut und Herzfrequenz gemessen.

Von wie vielen Menschen und Generatoren reden wir da?

Wir betreuen rund 300 Personen pro Jahr und in Summe waren das 1.500 bis 2.000 Gäste, die wir mittels Hypoxie auf große Bergziele vorbereitet haben. Aktuell haben wir 30 Generatoren, die wir in Europa verschicken. In Amerika und Australien arbeiten wir mit Partnern zusammen.

Was sind eure nächsten Schritte als Hypoxie-Marktführer?

Natürlich kann man die Generatoren, die dich mit Luft versorgen, leiser, leichter und billiger machen. Die sind längst noch nicht fertig entwickelt, weil die Zielgruppe ja eine sehr kleine ist. Sich in einem Zelt zu akklimatisieren, wird aber immer ein mühsamer Weg sein. Aus dem Leistungssport wissen wir, dass die Zukunft in der Verwendung von Edelgasen liegt: Ein Treatment von einer halben Stunde ersetzt acht Wochen Hypoxie. In fünf Jahren schläft kein Höhenbergsteiger mehr im Hypoxie-Zelt.

Selbstversuch: In 5.000 Meter Höhe mitten im Wienerwald

Bergwelten-Redakteur Klaus Haselböck will im Jänner 2024 den Aconcagua besteigen, der mit 6.962 Metern der höchste Berg Südamerikas ist. Hier und auf unserem Facebook- und Instagram-Kanal könnt ihr bei seiner Vorbereitung dabei sein: Seit einigen Wochen schläft Klaus im Hypoxiezelt und teilt seine Erfahrungen mit euch.

Hypoxiezelt.
Foto: Julius Hirtzberger
Gewöhnungsbedürftig: Bergwelten-Redakteur Klaus verbringt mehrere Wochen lang seine Nächte im Hypoxiezelt.

„Das war mir von Anfang an klar: Wenn ich auf den Aconcagua gehe, dann nur in der Flash-Variante, also mit Vor-Akklimatisierung zu Hause. Ja, um mein knappes Solo-Reisebudget zu entlasten, aber auch, weil diese Technik einmal persönlich erleben wollte – ohne gleich auf den Mount Everest zu steigen.

Gut fünf Wochen vor der Abreise kam dann die große Box mit Zelt und Generator in meinen Alltag. Aufbau sowie Positionierung (am Sofa in meinem Arbeitszimmer) waren einfach und ab sofort hatte ich via online Excel-Sheet den direkten Draht zur Patricia von Furtenbach Adventures: Galt es doch täglich über meine Schlafdauer, Schlafqualität, Puls und Sauerstoffsättigung – vor und nach der Nachtruhe – Buch zu führen und aus dem fernen Innsbruck Vorgaben und Tipps zu bekommen. Das war am Anfang sehr aufregend und schaffte vor allem eines: mir den fernen Aconcagua nach Hause zu holen, also mitten in den Wienerwald. Beginnen sonst meine Reisen erst in dem Moment, wenn ich im Zug, Flugzeug oder Auto sitze, ist diesmal jeder Abend, wenn ich in das Zelt und den Schlafsack krieche, schon eine Vorwegnahme, was bald kommen wird.

Die ersten Nächste waren unspektakulär: ein bisschen Müdigkeit tagsüber vielleicht, dann und wann Kopfschmerzen, die schnell vergingen. Gewöhnungsbedürftig war eher das neue Ritual des Schlafengehens: Wo sind die Ohropax, um das Geräusch des Luftstroms und des Generators im Nebenzimmer abzudämpfen? Wo ist das Buff, damit ich nicht mit Halskratzen aufwache? Habe ich das Pulsoximeter griffbereit im Zelt, um direkt nach dem Aufwachen die Werte zu dokumentieren? Ist der Luftschlauch im Zelt so positioniert, dass er mir nicht ins Gesicht bläst? Und vor allem sind die Schlafenszeit so ins Leben einzupassen, dass ich zumindest sechs, idealerweise sieben oder mehr Stunden im Zelt verbringe? Denn nur dieser Mindest-Umfang zahlt auf die Akklimatisierung ein.

Apropos: Furtenbach Adventures ist stolz bei seinen Everest-Flash-Expeditionen regelmäßig das Idealmaß einer 100-Prozent-Quote hinzulegen: dass es alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Gipfel schaffen. Die Methode funktioniert also definitiv und ist wissenschaftlich wasserdicht. Das Grübel im fernen Wienerwald abzustellen, ist trotzdem nicht ganz leicht: Was, wenn ich den Generator falsch angeschlossen habe (was fast unmöglich ist), das Zelt ein Loch hat (hat es nicht) oder ich meine Werte falsch ablese (tu ich nicht)?

Schlafen im Hypoxiezelt
Foto: Julius Hirtzberger
Vom Schlafen im Hypoxiezelt profitiert man auch beim Training: Ungeahnte Luftreserven werden frei.

Gleichzeitig sind die Zelt-Nächte meist keine Einladung im Training den letzten Biss zu zeigen. Da hängt auch tagsüber einiges an Müdigkeit im System. Wenn ich aber dann Intervall-Läufe mache, staune ich, was ich an ungeahnten Luft-Reserven zur Verfügung habe. Und auch so manche persönliche Bestleistung im HIT-Training konnte ich erstaunlich leicht pulverisieren. Was aber nicht heißt, dass ab sofort Stiegenhäuser nur mehr hinauffliege. Ein Schnaufen ist da immer noch drinnen. Dafür habe ich mich recht zwanglos von drei Kilogramm an Körpergewicht getrennt, die dem Intervall-Fasten gegenüber stets resistent waren. Kurzum: Es tut sich also was. Für den Kopf ist es trotzdem Neuland, da noch der ganz persönliche Beweis am Berg fehlt.

Sehr wohl gibt es mittlerweile (in Woche vier von fünf) Nächte mit viel Herumgewälze, mühsamen Wachphasen und ausgetrockneten Lippen am Morgen – also genauso wie in hochgelegenen Alpenhütten. An manchen Abenden ist so gar keine Expeditionsstimmung zu spüren, wenn ich – mit all meinen Utensilien – in das Hypoxie-Zelt krieche. Dann wäre es mir bedeutend lieber nichts mehr zu messen, sondern nur in ein ganz normales Bett zu fallen. Zudem hat sich die Kombination von Alkohol am Abend und größerer Höhe in der Nacht als keine gute Idee erwiesen. Apropos: 5.580 Meter wird in Sachen Vor-Akklimatisierung mein Maß der Dinge sein. Also eine Höhe, wo die Alpen längst zu Ende sind. Zumindest 200 Stunden unter kompetenter Anleitung werde ich mich in Summe nach oben geschlafen haben. Das auf 4.000 Meter Höhe gelegene Basislager des Aconcagua wird die Nagelprobe sein, ob ich in der Ruhe tatsächlich die Kraft liegt.“

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