Tom Belz: „Ich bin ein Hybrid von drei Füßen und zwei verlängerten Armen“
Seit einer Knochenkrebserkrankung im Alter von 8 Jahren läuft Tom Belz mit einem Bein und zwei Krücken durchs Leben. 23 Jahre später steht der Mammut Brand Ambassador auf dem höchsten Gipfel Afrikas und streckt seine Krücken siegesbewusst in den Himmel. Wie er trotz Beinamputation seine Empathie fürs Leben nicht verlor, warum ihn seine vermeintliche Behinderung nicht davon abhalten konnte den 5.895 m hohen Kilimanjaro zu besteigen und wovor der Gipfelstürmer wirklich Angst hat verrät er uns im Interview.
Tom Belz ist eine Frohnatur. Ein Mensch, der wohl jeder noch so aussichtslosen Lebenslage etwas Positives abgewinnen kann. Weil er schon immer eher der Typ war, für den „das Glas halbvoll“ und nicht leer ist, weil „ein Bein immer noch besser, als keines ist“ und weil sich oft eine „Tür öffnet, wenn sich eine andere schließt“. Bergwelten traf den sympathischen Deutschen zum Gespräch und konnte sich der positiven Energie, die dieser Mann ausstrahlt nicht entziehen.
Bergwelten: Wie kommt man auf die Idee mit einem Bein und Krücken auf den Kilimanjaro zu steigen?
Tom Belz: Die ganze Geschichte beginnt eigentlich vor 23 Jahren: Im Alter von 8 Jahren wurde bei mir Knochenkrebs diagnostiziert und von diesem Moment an war ich zuerst ein krankes Kind, und nach der Amputation auch noch ein behindertes Kind. Danach haben mir sehr viele Menschen, angefangen bei meinen Eltern, den Physiotherapeuten und Ärzten, bis hin zu Menschen, die mich nicht einmal kannten, gesagt was ich kann und vor allem aber auch, was ich eben nicht kann. Das hat sich dann mein gesamtes Leben so hingezogen und da hat sich einfach einiges angestaut. Und alles was sich staut, muss irgendwann nach oben. Also habe ich das Ganze sinnbildlich genommen und gesagt: „Dann muss ich eben auch nach oben!“.
Aber wieso gleich der Kilimanjaro?
Ich habe mir einen Berg rausgesucht, der irgendwie eine Bedeutung für mich hat und da ich ein großer Fan der Geschichte „König der Löwen“ bin, habe ich mich dazu entschieden den Kilimanjaro zu besteigen. Außerdem war ich noch nie in Afrika und der „Kili“ ist ja wirklich ein sehr attraktiver Berg. Ich wollte damit mir selbst und allen anderen beweisen, dass meine vermeintliche Behinderung keine Entschuldigung ist.
Eine Entschuldigung wofür?
Nun ja, ich hatte mit 10 Jahren so ein Schlüsselerlebnis: Ich war zu Besuch bei einem Schulkollegen und seine Mutter hat mir zuerst geholfen den Rucksack abzulegen, dann hat sie mir den Schuh ausgezogen, den Stuhl zurechtgestellt, damit ich mich hinsetzen konnte und als wir fertig gegessen haben, musste mein Freund die Teller abräumen und ich durfte gar nichts machen. Ich musste sitzenbleiben und bei allen Tätigkeiten zusehen. Meine Mitmenschen haben mir also unbewusst verdeutlicht, was ich in ihren Augen offensichtlich darzustellen habe und wenn man dich immer nur in eine Schublade steckt, in die du eigentlich gar nicht reinpasst, wirst du irgendwann verrückt.
Heute mache ich den Menschen bereits in den ersten fünf Minuten klar, wie sie mit mir umzugehen haben. Dass sie eben nicht an mir nach unten blicken, sondern wir uns auf Augenhöhe begegnen. Ich möchte selbst entscheiden, wann ich Hilfe brauche und nicht dazu gezwungen werde Hilfe anzunehmen, die ich eigentlich gar nicht will. Allerdings erfordert es sehr viel Mut, den Menschen so zu begegnen und ihnen klar zu machen, dass mein Leben genauso einfach ist wie ihres. Der Unterschied liegt bloß darin, dass ich die Dinge naturgemäß etwas anders angehe.
Zurück zum Kili: Wie viele Menschen waren an dem Projekt beteiligt?
Es waren zwei Kameramänner, ein Fotograf, mein Arzt Klaus und ich. Klaus hat mich in meiner Kindheit therapiert, wobei ich ihn nicht aufgrund seiner Profession mitgenommen habe, sondern weil ich mit ihm eine Geschichte teile. Wir hatten sowohl damals, als auch heute eine sehr spezielle Beziehung. Klaus war von Beginn an sehr ehrlich zu mir, er war einer der wenigen Ärzte, der wenig Distanz zwischen uns gelassen hat. Und ich wollte einfach mit jemandem da hoch, mit dem ich diese ganze Krebszeit irgendwie verbinde. Meine Eltern sind nicht so sportaffin und von Klaus wusste ich, dass er sehr viel Begeisterung für die Berge hat.
Warum eigentlich Bergsteigen? Du hättest ja genauso auch den Ärmelkanal durchschwimmen oder durch ganz Europa radeln können…
Ich denke der Kilimanjaro ist nur ein kleiner Teil einer großen Geschichte. Es war eine Möglichkeit, um über mich selbst hinauszuwachsen und herauszufinden, wo meine Grenzen liegen – damit ich sie dann auch wieder sprengen kann. Auf den Kili hatte ich aktuell einfach Lust und ich bin schon gespannt was sich als nächstes ergibt. Deine Idee mit dem Ärmelkanal hört sich gut an…
Bleiben wir aber noch kurz in den Bergen: Wie sieht das eigentlich aus, wenn du auf einen Berg gehst?
Ich glaube ich bin eine Art Hybrid von drei Füßen und zwei verlängerten Armen. Durch die Krücken habe ich zwar einen vermeintlich besseren Halt im Geröll, wenn es aber steiler wird – so wie bei der Breakfast Wall (Felsabschnitt auf der Lemosho-Route) – dann muss ich die Krücken einpacken und klettere einfach auf allen Dreien. Ansonsten sieht das genauso aus, wie man sich das eben vorstellt, wenn jemand mit Krücken auf den Berg geht. Nur das ich halt schon 23 Jahre Berufserfahrung habe.
Apropos Beruf: Womit verdienst du eigentlich dein tägliches Brot?
Mir wurde schon frühzeitig suggeriert in welchem Bereich ich arbeiten soll. Viele Menschen haben gemeint ich soll einen Bürojob annehmen oder Beamter werden, weil man da nicht gekündigt werden kann und noch dazu im Sitzen arbeitet. In meiner Vorstellung war das aber etwas anders: Meine Behinderung stellt für mich kein Problem dar und vor einem Computer zu sitzen war einfach das Allerletzte was ich machen wollte. Also habe ich das vermeintlich Naheliegendste genommen: Ich bin auf die Kinderkrebsstation gegangen auf der ich selber einmal gelegen bin und habe dort ein Praktikum absolviert. Und genau dort, wo ich quasi das zweite Mal geboren wurde, haben mich die Menschen ganz anders angesehen.
Für sie war ich eine Art Hoffnungsschimmer, dass es nach der Krankheit weitergeht. Mir hat das dann so viel Spaß gemacht, dass ich mir dachte, das muss doch einen tieferen Sinn haben. Im Anschluss habe ich dann weitere Praktika im sozialpädagogischen Bereich gemacht und letztlich die Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher absolviert. Das war vor sieben Jahren und seitdem arbeite ich in der Werkstätte Hainbachtal mit geistig und mehrfach körperlich behinderte Menschen. Dort arbeite ich als vollkommen normaler Mensch, der eine sozialpädagogische Ausbildung hat. Meine Behinderung spielt dort keine Rolle, obwohl ich am Papier dieselbe Beeinträchtigung habe wie meine Klienten (lacht).
Warum hast du dich eigentlich mit 12 Jahren gegen eine Prothese entschieden?
Da meine Amputation direkt unterhalb der Pobacke verläuft wäre das jetzt nicht so, wie wenn du eine Prothese über einen Stumpf ziehen würdest. So eine Prothese ist mehr wie ein riesiger Korb rund um die Hüfte und damit konnte ich einfach nicht leben. Das Ding ist sauschwer und du fühlst dich wie Terminator. Für mich persönlich wäre die Prothese mehr Behinderung gewesen, als diese zwei Krücken
Du scheinst vor positiver Lebensenergie nur so zu sprühen, aber gibt es auch einen traurigen oder einsamen Tom Belz?
Den gibt es auf jeden Fall. Das Leben besteht aus einer Vielzahl von Up and Downs, schönen sowie auch sehr schlimmen Seiten. Nur sehe ich schlimme Dinge immer als eine Möglichkeit an. Angenommen ich hätte den Kili jetzt nicht geschafft, dann wäre das eine Möglichkeit gewesen, beim nächsten Mal noch mehr zu trainieren und noch mehr dafür zu arbeiten, dass ich es schaffe. Ich glaube, diese Eigenschaft oder Einstellung ist es, die das Leben letztlich ausmacht, dass du das Leben als eine Chance ansiehst über dich selbst hinauszuwachsen.
Also geht es im Leben darum Ziele zu erreichen, die anfangs unerreichbar wirken?
Nein. Ich glaube es geht vielmehr darum, dass man es probiert. Ziele sind unglaublich wichtig im Leben – ohne diesen roten Faden wären wir aufgeschmissen. Aber ich denke es ist noch viel wichtiger die Erfahrung zu machen, dass man auch einmal scheitern kann. Damit man dann seinen Weg weiterverfolgt und letztlich auch Erfolg verspürt. Wenn man sich einfach nicht unterkriegen lässt, eröffnen sich automatisch ganz viele neue Wege. Man muss nur herausfinden, was einem wirklich wichtig ist im Leben.
Hast du schon immer so gedacht? Ich kann mir vorstellen, dass deine Kindheit vielleicht nicht ganz einfach war. Wie war das als du damals die Botschaft erhalten hast, dass dein Bein nicht mehr zu retten ist?
Da war anfangs einfach unglaublich viel Frustration und Wut, vor allem Wut. Ich habe in meiner Kindheit so viele Rückschläge erlitten, die mich aber letztlich zu dem gemacht haben, was ich heute bin. Und jetzt stehe ich da und bin Mammut-Athlet.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Mammut eigentlich ergeben?
Ganz simpel (lacht). Als diese Kilimanjaro-Idee in meinem Kopf so rumgegeistert ist, haben meine Eltern gemeint, „Gut, das kostet Geld und außerdem ist es da oben kalt. Frag doch mal die Schweizer, die stellen gute Sachen her und Wissen über Kälte und Berge Bescheid“. Dann habe ich da einfach angerufen und habe meine Geschichte erzählt. Eine Woche später bin ich eingeflogen und dann haben wir Nägel mit Köpfen gemacht. Das war im Januar dieses Jahrs und am 9. August bin ich auf dem Gipfel des Kilimanjaro gestanden.
Lass uns noch zu etwas Anderem kommen: Auf deinen Social-Media-Kanälen bist du recht aktiv, wie stehst du zum Thema Selbstdarstellung?
Ich bin sicher ein Selbstdarsteller; sowie jeder der in diesem Social-Media-Bereich unterwegs ist. Weil alles was du dort machst, machst du ja nicht nur für dich, sondern auch für ein gewisses Publikum. Also da gehöre ich bestimmt dazu…
Warum?
Weil ich mir vor 23 Jahren gerne jemanden gewünscht hätte, der ähnlich wie ich nur ein Bein hat und mir trotzdem zeigt, dass im Leben ganz viel möglich ist. Meine Behinderung ist mittlerweile keine Behinderung mehr, sondern eher ein Schlüssel – ich habe dadurch so viele Menschen kennengelernt und so viele schöne Dinge sind passiert. Viele Menschen bedanken sich auch bei mir und finden es super inspirierend, was ich mache. Dieser Zuspruch ist natürlich ein berührender Nebeneffekt.
Du hast offensichtlich deine Schwäche zu deiner Stärke gemacht, hättest du trotzdem gerne dein verlorenes Bein wieder zurück?
Mit 13 Jahren bin ich einmal schweißgebadet aufgewacht, weil ich vergessen hatte, wie es ist auf zwei Beinen zu laufen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben alle meine Träume noch auf zwei Beinen stattgefunden und auf einmal sind dort die Krücken aufgetaucht. Von diesem Moment weg habe ich nie wieder an mir heruntergesehen und mich gefragt, wo mein zweites Bein ist. Ich habe mich bei meinem Krebs entschuldigt, dass ich ihm all die Jahre voller Hass gegenübergestanden bin. Doch es hat viel Zeit gebraucht, um zu verstehen welche Möglichkeiten sich durch meine Krankheit und vermeintliche Behinderung ergeben haben. Es hat sich eine Tür geschlossen und dafür eine andere geöffnet – zum Glück habe ich sie auch angenommen und bin hindurchgegangen.
Wovor hast du Angst?
Ich habe Angst zu vergessen. Deswegen mache ich auch so viele Fotos und versuche alles auf irgendeine Art und Weise zu dokumentieren. Denn irgendwann werde auch ich alt werden und hoffentlich im Schaukel- oder vielleicht sogar Rollstuhl sitzen und all das was ich gemacht habe nicht mehr weiter umsetzen können. Dieser Tag wird kommen und das akzeptier ich auch, aber ich möchte nicht vergessen, was ich alles gemacht habe. Denn wenn ich es nicht erzählen bzw. teilen kann, wozu habe ich dann gelebt? Außerdem habe ich Angst davor, dass die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben, meine Eltern, irgendwann nicht mehr da sein werden. Doch das ist leider unvermeidlich…
Eine weiterführende und auch zugleich abschließende Frage: du warst jetzt am Kilimanjaro, du präsentierst einen Film darüber, bei dir geht es drunter und drüber, doch wir alle wissen – nach jedem Hoch kommt auch ein Tief. Hast du Angst vor einem bevorstehenden Motivationsloch oder schmiedest du bereits Pläne für die Zukunft?
Ich schmiede so oder so Pläne für die Zukunft. Egal ob da jetzt ein Hoch ist, egal ob ich jetzt im Fernsehen oder Radio laufe, egal ob man mich irgendwo interviewen will oder ich irgendwo eingeladen werde – das freut mich alles total, aber meine Person wird sich dadurch nicht verändern. Ich bin immer noch derselbe Quatschkopf, derselbe naive Tom wie früher. Ich mag mich auch so und ich bin, wie ich bin. So oder so wird nächstes Jahr sicher wieder etwas passieren und wenn die Presse das gut findet, dann bin ich glücklich darüber und wenn nicht, werde ich es trotzdem machen. Ich mache mein Leben nicht davon abhängig, was andere über mich denken oder sagen. Das ist mein Leben und ich will selbst entscheiden.
Hakuna Matata.
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