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Elke Ludewig im Interview

Das Büro in den Wolken

• 15. Februar 2019
6 Min. Lesezeit

Warum man für eine gute Prognose vor die Tür gehen muss und warum sie trotzdem oft schwierig zu erstellen ist. Über saubere Bergluft und schmelzende Gletscher, über Alpentäler und Polarwinter. Elke Ludewig, Leiterin des Sonnblick-Observatoriums, im Interview (erschienen im Bergwelten Magazin April/ Mai 2018).

„Bergluft ist noch immer sehr gesund.“
Foto: Roland Vorlaufer
„Bergluft ist noch immer sehr gesund.“
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Text: Markus Honsig

Bergwelten: Sie sind seit bald zwei Jahren Leiterin des meteorologischen Observatoriums auf dem Sonnblick. Sie können also fünf Stunden zu Fuß gehen oder sich in eine wackelige Materialseilbahn setzen, um in Ihr Büro zu kommen – aber nur so lange, solange der Wind nicht besonders stark bläst. Warum haben Sie sich den wahrscheinlich ungemütlichsten Arbeitsplatz des Landes ausgesucht?

Elke Ludewig: Eine neue Seilbahn zu planen gehört daher auch zu meinen wichtigsten Aufgaben. Die Natur und die Naturwissenschaften haben mich von klein auf interessiert. Ich bin in München geboren, meine Mutter ist aber Österreicherin. Ich war in den Ferien oft in den Salzburger Bergen, teilweise bin ich hier auch zur Schule gegangen. Das Wetter hat mich immer schon interessiert – besonders wenn man im Gebirge unterwegs ist, da kann es sich ja ruckzuck ändern. Diese Prozesse verstehen zu wollen, das hat mich schließlich auch dazu gebracht, Meteorologie zu studieren. Und Observatorien faszinieren mich einfach, weil alleine die ganze Klimadatenerfassung, die in diesen Häusern passiert, unglaublich wichtig ist. Wenn Sie nur das Sonnblick-Observatorium betrachten: Wir haben hier eine geschlossene Temperatur Zeitreihe, die 133 Jahre umfasst! Das gibt es nicht sehr oft auf der Welt.

Was genau kann man mit diesen großen Datenmengen sinnvoll tun – außer abzulesen, dass es immer wärmer wird?

Man erkennt den Klimawandel, diesen sprunghaften Anstieg der Temperaturen innerhalb weniger Jahre. Mit diesen Daten füttern wir unsere Rechen- und Simulationsmodelle. Jedes Modell, das das Klima vorhersagen will, muss zunächst einmal rückwärts laufen und die Vergangenheit simulieren. Darüber haben wir die Daten, das kann man nachprüfen. Und wir kommen eben wirklich weit zurück – das ist schon einmalig. Daher haben wir auch große Gewissheit darüber, dass unsere Aussagen über die Zukunft realistisch sind.

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Welche und wie viele Daten werden denn am Sonnblick täglich erhoben?

Da kommt schon eine ganze Menge zusammen, 50 Werte sind es sicher. Die klassischen meteorologischen Parameter natürlich wie Temperatur, Druck, Feuchte. Dazu kommen noch Werte wie Strahlung, Feinstaub oder Treibhausgase. Und es gibt nach wie vor die klassischen Wetterbeobachtungen, für die man vor die Tür muss.

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Was wird denn vor der Tür erhoben?

Zum Beispiel Sicht und Sichtweite. Da gibt es Sichtmarken, die ausgemessen wurden – wir haben ja ausreichend Gipfel in der Umgebung. Oder Wolkenhöhe, Wolkenart und Wolkenbedeckungsgrad.

Erst Ende Februar hatte es am Sonnblick wieder einmal minus 30 Grad, die Station liegt ja in ausgesetzter Lage. Wie oft müssen Sie denn raus?

Alle drei Stunden. Und das Spannende ist: Es gibt das sogenannte GTS-Netz, das Netz des Global Telecommunication System, von der WMO, der Weltorganisation für Meteorologie. Das ist deswegen so einzigartig, weil zum selben Zeitpunkt an unterschiedlichen Orten rund um die Erde diese Wetterbeobachtungen durchgeführt werden, die Daten innerhalb von 15 Minuten nach England ins europäische Zentrum für Wettervorhersage übermittelt werden und weltweit zur Verfügung stehen.

Trotzdem klappt das mit der Wettervorhersage oft noch nicht ganz so verlässlich, wie wir uns das wünschen würden, erst recht nicht in den Bergen.

Die Herausforderung ist: Wettervorhersagemodelle müssen ziemlich schnell ziemlich viele Daten verarbeiten, damit wir ein Ergebnis nicht erst am Tag danach bekommen. Das bringt’s ja auch nicht. Weil man nicht jeden kleinen physikalischen und chemischen Prozess in einer Wolke exakt simulieren kann – das schaffen die Computer einfach nicht –, gibt es immer wieder gewisse Ungenauigkeiten. Und dann kann es ein Gewitter in den Bergen einmal geben – oder eben auch nicht.

Das heißt: Sie haben zwar die richtigen Rechenmodelle, aber zu wenig Zeit.

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Ja. Wenn ich für ein Wettermodell zum Beispiel Gitterflächen von zehn mal zehn Kilometer habe, dann ist das relativ groß. Wenn ich die Zellen aber verkleinere und noch detaillierter rechne, kommt der Computer nicht mehr nach.

Wir brauchen schnellere Rechner.

Das würde helfen, ja – obwohl es in der Wolkenphysik auch noch Grundlagenforschung braucht. Sie müssen sich vorstellen: Jedes kleinste Partikel, das in der Luft herumschwirrt, fördert die Tröpfchenbildung. Deshalb beeinflussen diese Aerosole die Wolkenbildung unglaublich, da passieren so viele Prozesse, die man noch gar nicht alle erfasst hat – ob’s ein Eiskeim ist, ob’s ein Sandkorn ist, ein Salzmolekül oder was auch immer in der Luft herumschwebt. Wolkenforschung gehört daher auch zu jenen Themen, die ich am Sonnblick vorantreiben möchte. Da gibt es für uns großes Potenzial, weil wir tatsächlich mitten in der Wolke sind, auf kleinstem Raum physikalische und chemische Prozesse messen können.

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  • Sie haben in Hamburg studiert. Wo hat man es denn schwerer mit dem Wetter, am Meer oder in den Bergen?

    Was die Vorhersage betrifft, ist eine Region wie Österreich mit den ganzen Tälern und unterschiedlichen Höhen schon unglaublich komplex. Wie die Sonne steht im Winter, im Sommer, wo es Schatten gibt, wo noch letzte Schneefelder sind – das alles beeinflusst das Wetter. Dagegen im flachen Hamburg: Das Tief kommt meistens von der Nordsee rein, da kann man eine Woche vorhersagen, was passieren wird.

    Wenn Sie am Abend Ihre Messergebnisse durchgehen, worüber machen Sie sich am meisten Gedanken?

    Sorgen kann man sich natürlich über den Temperaturanstieg machen. Die Gletscher gehen zurück – das sieht man mit bloßem Auge, da braucht man noch gar keine Statistik dazu. Das betrifft uns alle. Und deshalb müssen wir alle gemeinsam daran arbeiten, um den aktuellen Stand zu halten. Selbst wenn Sie Skeptiker sind, müssen Sie erkennen, welchen Temperaturanstieg wir in kurzer Zeit hatten und welche Folgen damit verbunden sind. Die Warm- und Kaltzeiten, die wir früher hatten, das ging über Jahrhunderte. Wir sollten uns also fragen: Was wird in 50 Jahren mit unseren Wasserreserven sein, wenn die Gletscher zurückgehen? Was werden die extremen Wetterereignisse auslösen, speziell im Gebirge? Wir Wissenschaftler können aufzeigen, wo die Ursachen liegen und wo wir Maßnahmen treffen können.

    Und die Ursachen sind ja bekannt.

    Treibhausgase sind das größte Problem, Kohleverbrennung, Abgase. Immerhin: Es gibt in der jüngeren Geschichte auch schöne Beispiele, dass das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik gut funktioniert hat. Beim Thema saurer Regen zum Beispiel: Da hat man mit Messreihen angefangen, hat den Niederschlag kontrolliert, hat gesehen, woran’s liegt, und entsprechende Filteranlagen eingebaut. Und es hat sich gebessert. Es gibt also Möglichkeiten. Auch beim Ozonloch hat’s funktioniert, nachdem die einschlägigen Treibhausgase wie FCKW verboten wurden. Die Herausforderung beim Klimawandel ist freilich, dass es kein lokales Phänomen ist, dass es ein globales Problem ist: Wenn nicht alle an einem Strang ziehen, wird’s schwierig.

    Wie wird sich der Klimawandel auf die Berge auswirken? Die Gletscher verschwinden.

    Ja, das tun sie schon jetzt. Und die Gletscher sind unsere Trinkwasserreservoirs. Außerdem halten sie unsere Berge zusammen – sie haben eine wichtige Stützfunktion für das Gestein. Das kann schon gefährlich werden.

    Sie waren vor dem Sonnblick-Engagement mehr als ein Jahr in der Antarktis. Wie viel ist dort vom Klimawandel schon bemerkbar?

    Die Antarktis ist sehr spannend. An der Neumayer-Forschungsstation im Norden kann man beispielsweise noch keinen Trend erkennen, dass es wärmer wird. Anders in der Westantarktis, da gibt es Gletscherabbrüche, da spürt man den Temperaturanstieg schon stärker.

    Woher kommen diese Unterschiede?

    Die Erde ist ein sehr komplexes System. In der Antarktis spielen der Polarwinter und der Ozean eine große Rolle. Im Polarwinter gibt es grundsätzlich weniger Sonneneinstrahlung, das beinflusst die Küstenregionen. Und der Ozean reagiert langsamer auf den Klimawandel, ist ein trägeres System als die Atmosphäre. Es braucht also länger, bis die zunehmend wärmeren Meeresströmungen den Süden erreichen

    Stimmt es eigentlich, dass in den Bergen die Luft besser ist?

    Das stimmt. Die Messung der Feinstaubbelastung ist noch ein junges Projekt auf dem Sonnblick. Aber wir messen sehr, sehr fein – im Mikro- und im Nanometerbereich. Wenn Bergsteiger vor dem benachbarten Zittelhaus eine Zigarette rauchen, messen wir tausend- bis zehntausendfach höhere Kleinstpartikelwerte. Aber sonst haben wir mit der Feinstaubbelastung am Sonnblick keine Probleme. Bergluft ist noch immer sehr gesund.

    Zur Person

    Elke Ludewig, Jahrgang 1987, ist gebürtige Münchnerin mit familiären Wurzeln in Salzburg. Im Mai 2016 übernahm sie mit 29 Jahren die Leitung des Sonnblick-Observatoriums, einer 1886 gegründeten Forschungsstation der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. Zuvor leitete sie 14 Monate die Neumayer-Forschungsstation in der Antarktis.

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