Jordanien: Kamele, Sand und Outdoor-Abenteuer
Foto: Simon Schöpf
von Simon Schöpf
Bergsport, in Jordanien? Da gibt es doch nur Sand und Kamele. Weit gefehlt! Simon Schöpf fand im heißen Königreich am Ufer des Jordan ein geheimes Mekka für Mountainbiker, Wanderer und Kletterer. Eine Reisereportage aus der bergigen Wüste Jordaniens.
Zugegeben, bei einem Blick auf die geopolitische Landkarte der näheren Umgebung kann durchaus ein kurzer Zweifel aufkeimen: Syrien im Norden, Israel und Palästina im Westen, Irak im Osten. Und wir, mittendrin, in Jordanien, diesem heiligen Land. Eine Woche Bergsport haben wir uns vorgenommen, das Mountainbike, die Kletterpatschen und die Wanderstöcke im Gepäck.
Warum fühlt man sich aber trotzdem so wohlbehütet hier? Unser Guide Ayman hat dafür folgende Erklärung parat: „Jordanien ist das einzige Land, das alle drei großen Propheten besucht haben: Moses, Mohammed, Jesus – alle waren bei uns zu Besuch. Ich glaube, deshalb ist es so sicher hier.“ Tatsächlich ist es aber wohl der Mangel an Ressourcen wie Erdöl und Wasser, welcher das Land vor potentiellen Angriffen schützt. „Manchmal ist es auch gut, ein armes Land zu sein“, sagt Ayman, ganz ohne Ironie.
Tourismus ist für Jordanien deshalb umso wichtiger, und das wissen die Menschen. Über die Gastfreundschaft der Araber ließe sich ein mehrbändiges Werk schreiben, so groß ist sie. Eine Reisepartnerin brachte es so auf den Punkt: „Als Gast fühlt man hier eine Art Anti-Rassismus. Man wird so freundlich behandelt, weil man fremd ist.“
Über den Jordan Bike Trail
Kurz fragt man sich, ob die exorbitantes Schweißproduktion nun eher an der brütenden Wüstenmittagssonne liegt oder daran, dass unser Tempomacher gerade im Training für den Triathlonbewerb der Olympischen Spiele ist. Im Grunde auch einerlei, denn immer wieder peitscht uns ein „Jella! Come-on!“ von ganz vorne an, und Firas Al-Hmoods ausgeprägt V-förmiger Torso zieht wiedermal auf und davon. Das Gelände unter unseren 27,5-Zoll-Reifen bezeichnet er auch noch als „jordanian flat,“ was in Wahrheit aber genau gar nichts mit irgendeiner Form von „flach“ zu tun hat, sondern ein ständiges auf und ab beschreibt.
Doch wer nur durch die Ebene pedalieren will, kann auch an der Elbe entlangrollen. Wir hingegen sind für das Abenteuer hier, und ohne Schweiß kein Abenteuer. Jordanien als MTB-Destination? Bisher ungefähr genauso bekannt wie Costa Rica für seine Gletscher. Das dürfte sich allerdings bald ändern, weshalb wir hier noch mit gutem Gewissen das Wort „Geheimtipp“ schreiben können: Seit drei Jahren existiert der Jordan Bike Trail, den auch Firas mitentwickelt hat, auf den Fahrradkarten dieser Welt: In 15 Tagesetappen führt ein loses Netzwerk an Schotterstraßen von Um Qais im Norden bis Aqaba im Süden, über 700 km und von -220 Metern am Toten Meer bis 1.712 Metern vor Petra.
Wir satteln im Dana Natural Reserve auf, einer fantastischen Landschaft, die sich anfühlt wie ein Mix aus dem Zion und Josuah Tree Nationalpark, nur ohne Visitor Center. Ziegen streunen zwischen den Felsen umher, mal ein Esel dazwischen, man wundert sich, was die denn da eigentlich fressen in dieser Kargheit. Aber als wir dann auch noch einen Steinbock erspähen, glauben wir endgültig an Wunder.
Landschaft zum Staunen
Kilometer um Kilometer rollen wir durch eine Landschaft, die uns alle mit ihrer Vielseitigkeit überrascht: Plötzlich glaubt man an den Steilhängen des Grand Canyon unterwegs zu sein, das Jordan Rift Valley muss diesen Vergleich auch nicht scheuen. Wir fahren, schwitzen, treffen über mehrere Stunden gezählt 12 Beduinen, 37 Kamele, 314 Ziegen, 0 Autos. Im Jordanischen Outback fühlt man sich wahrlich „far out.“ Als wir dann am nächsten Tag von den Bergen in den gigantischen Sandkasten der Wüste hineinrollen kommt man nicht umher, einfach mal runterzubremsen, stehenzubleiben, durchzuatmen. Die faszinierende Kargheit, die unendliche Weite, das große Nichts zu bestaunen, das tut gut. Bis uns dann doch wieder Firas anfeuert: „Jella! Der Abu wartet schon.“
Zum Abschluss unseres Mountainbike-Abenteuers: ein Tee mit Abu Sabbah vom Stamm der Hweitat, in seinem Beduinenzelt weit draußen im Sandkasten. Zwei seiner Söhne – 14 Kinder hat der Abu insgesamt – bringen Tee mit Zucker (oder Zucker mit Tee?) und für die, die sich trauen, einen Schluck Kamelmilch. So verschieden unsere Existenzen hier auch sein mögen, vor dem Tee sind alle gleich. Der Abu wirkt zufrieden – wir müssen weiter, das nächste Abenteuer wartet.
Wenn man ein Bild von Jordanien im Kopf hat, dann ist es jenes der Schatzkammer von Petra, der 2.000 Jahre alten Felsenstadt der Nabatäer. So faszinierend der Anblick auch ist – den Titel „Weltwunder“ bekommt man nicht ohne Grund verliehen – den 30-Minuten-Spaziergang bis hierher schaffen auch noch die Kreuzfahrttouristen, die als Tagesausflug vom Roten Meer heraufgekarrt werden. Wirklich interessant wird Petra dann erst, wenn man die Massen hinter sich lässt und weiter in das Felsenreich vordringt. „Eine ganze Woche müssen wir hier wandern, jeden Tag woanders hin, um die Größe dieser Zivilisation zu erfassen“, erklärt Ayman als studierter Petra-Experte. „Erst 17 Prozent der alten Stadt sind ausgegraben.“
Zum Sonnenuntergang wird die Sandsteinlandschaft um Petra endgültig zur Märchenwelt, die tausenden kleinen Steinmännchen glühen im Abendlicht. „Beida“ heißen diese Formationen auf Arabisch, was so viel bedeutet wie „Eierberge“. Im Beduinencamp leuchtet schon das Lagerfeuer, eine Trommel findet beruhigend Rhythmus, Tee wird die Runde gereicht. Ja, so in etwa hat man sich einen Abend in der Wüste dann doch vorgestellt.
Die Nabatäer glaubten vehement an ein Leben nach dem Tod, weshalb sie den Großteil ihrer Existenz dem Herausmeißeln ihrer Grabkammern widmeten. In Petra wandert man so eigentlich durch einen überdimensionalen, uralten Friedhof. Bei uns ist das umgekehrt, wir verschreiben uns lieber dem Hier und Jetzt, deshalb geht es weiter Richtung Süden: Wadi Rum.
Jenseits von Petra
Etwas gewöhnungsbedürftig wird es eigentlich erst dann, wenn sich der Sand auch noch zwischen die Härchen der Zahnbürste vorgearbeitet hat. Das knirscht dann doch etwas unangenehm beim Schrubben. Ansonsten gewöhnt man sich gewillt an alles: Sand im Campingessen, Sand in den Haaren, Sand in der Unterhose. Irgendwann lebst du in der Wüste in wundersamer Symbiose mit dem Sand, es geht nicht anders, es soll nicht anders.
Sand findet man in all seinen Ausprägungen und Aggregatzuständen im Wadi Rum: Flüssig, fest, gasförmig. Flüssig, weil er dir durch die Finger rinnt, fest, weil du an ihm hochkletterst, gasförmig, weil du ihn inhalierst.
Wadi Rum, dieser allzu geerdete Platz, an dem trotzdem Filme über Marsexplorationen gedreht werden, diese Landschaft, die Lawrence von Arabien mit den äußerst adäquaten Adjektiven „vast, echoing and God-like“ beschrieb, dieser schier dimensionslose Abenteuerspielplatz für Bergsteiger und Kletterer. Im Wadi Rum kommt man gelegentlich sogar auf die Idee, sich mit den elementarsten Fragen seiner Existenz auseinanderzusetzen: Wer bin ich? Und was mache ich eigentlich hier? Weil, wenn nicht hier, dann nirgendwo.
Bevor das ganze hier zu esoterisch wird, schnell ein paar harte Fakten: Bis zu 800 Meter hohe Sandsteinriesen wachsen aus dem roten Sandmeer empor, an die 500 dokumentiere Kletterrouten gibt es, alte Beduinenpfade auf die Türme wohl noch mehr. Schon der Name hat die Höhe in sich, „rum“ bedeutet so viel wie „hoch.“ 1.854 m ist der Jebel Umm ad-Dami, Jordaniens höchste Erhebung. In gut zwei Stunden steht man am Gipfel, von oben sieht man gleich vier Länder: Saudi-Arabien, Israel, Jordanien und Sinai-Halbinsel in Egypten. Und gut 400 Sandsteintowers, einer atemberaubender als der andere.
Klettern im Wadi Rum
Hat man sich dann endlich mal entschieden, wo man denn einsteigen will, wird’s heiß: Fast alle Routen im Wadi Rum sind im trad-style erschlossen, also ohne Bohrhaken und selbst abzusichern. Das geht mal besser (gute Risse), mal schlechter (keine Risse), die Qualität des Gesteins variiert von sandig bis bombig. Seit den 1970er-Jahren wird hier schon geklettert, die ersten Britischen Expeditionen in das Gebiet konnten gar nicht fassen, wie viel unentdecktes Potential hier schlummert. Nach dem ersten Boom ist das Wadi Rum wieder etwas vom Radar verschwunden, bis in den letzten Jahren motivierte Kletterer die Hilti mit in die Wüste nahmen und so auch einige glatte, steile Wände erschlossen (Musterbeispiel: „La Guerre Sainte“, 7b, 14 Seillängen).
Wo auch immer man einsteigt, das faszinierendste an diesen Seillängen ist die Umgebung, das Phänomen Wadi Rum in all seiner Exotik. Nach ein paar Tagen am Fels und ein paar Nächten im Sand fühlt man sich selbst irgendwie „vast, echoing and God-like“.
Infos und Adressen: Bergsport in Jordanien
Anreise: Jordanien ist überraschend einfach zu erreichen: Gerade mal 3h dauert der Direktflug in die Hauptstadt Amman ab Wien mit Austrian Airlines oder Laudamotion.
Beste Jahreszeit: Frühling (März bis Mai) und Herbst (September bis November), im Sommer wird es für die meisten Sportarten außer Canyoning zu heiß, im Winter kann schon auch mal Schnee fallen.
Transport: Es gibt zwar öffentliche Busse zwischen den touristischen Hotspots (z.B. mit JETT von Amman-Petra-Rotes Meer), wer abseits der Hauptrouten unterwegs ist sollte sich aber ein Mietauto gönnen.
Reiseveranstalter: Gerade für geschichtsträchtige Orte wie Petra ist ein allwissender Guide wie Ayman Gold wert, denn Geschichten gibt es viele. Ein etablierter Anbieter ist Experience Jordan, die sich auf nachhaltige Abenteuertrips spezialisiert haben und immer mit Locals aus den Regionen arbeiten.
Literatur: Ein zwar nicht mehr ganz aktueller, aber trotzdem noch sehr empfehlenswerter Führer für das Wadi Rum ist Treks and Climbs in Wadi Rum vom Kletter-Pionier Tony Howard. Einige Topos findet man auch auf rockclimbingjordan.com.
Die Reise erfolgte auf Einladung der Adventure Travel Trade Association (ATTA).
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