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Foto: Andreas Jekwerth
Anden, Alpen, Himalaya

Die Werfener Hütte

• 23. März 2020
6 Min. Lesezeit

Im Salzburger Tennengebirge treffen sich Kulturen aus aller Welt. Die Köche der Werfener Hütte sind nepalesische Sherpas, die Haustiere Lamas. Und die Wirtsleute haben sich einst selbst auf der Hütte verliebt. Diese Story ist im Bergwelten Magazin (Oktober/November 2016) erschienen.

Text: Mara Simperler
Fotos: Andreas Jakwerth

Vierzehn Millionen sechsundfünfzigtausend Schritte, das ist nicht nichts. Im Tal wäre das der Weg von Berlin nach Madrid und wieder zurück. Am Berg ist das der Weg von Werfenweng im Salzburger Tennengau zur Werfener Hütte, rauf und runter, mehr als 500 Mal. Vierzehn Millionen sechsundfünfzigtausend Schritte, das ist schon fast eine persönliche Liebeserklärung an Weg und Hütte und ein guter Anlass zu gratulieren.

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„Gratuliere“, sagen also die zwei Ortsgrößen mit nacktem Oberkörper, prallem Bauch und sonnengebräunter Haut unter einem knorrigen Baum im Talschluss der Wenger Au zum Jubilar. Franz Leitner, ein drahtiger 64-Jähriger mit weißem Haar und breitem Lächeln, bedankt sich und macht den vierzehn Millionsten sechsundfünfzigtausend und ersten Schritt. Vergangene Woche hat er gefeiert, dass er das 500. Mal auf der Werfener Hütte war, sogar die Lokalzeitung hat ihn interviewt. Irgendwann hat er ausgerechnet, dass ein Aufstieg ungefähr 14.000 Schritte dauert. Heute ist er das 503. Mal unterwegs.

„Mit 16 Jahren habe ich aufgehört, auf den Berg zu gehen, mit 50 wieder angefangen“, sagt der Franz. Sein erklärtes Lieblingsziel ist seit damals die urige Werfener Hütte, die auf einem ausgesetzten kleinen Plateau an der Flanke des Hochthrons liegt. „Wenn du einen Weg so oft gehst, ist das Wandern auch eine Selbstüberprüfung. Wenn ich eine Viertelstunde langsamer bin als normal, weiß ich, dass irgendwas anders ist“, erklärt der Franz.

Die Haustiere der Hütte sind drei eigenwillige Lamas. Sie dürfen den ganzen Sommer über frei herumlaufen.
Foto: Andreas Jekwerth
Die Haustiere der Hütte sind drei eigenwillige Lamas. Sie dürfen den ganzen Sommer über frei herumlaufen.

Aber ist das nicht langweilig, immer dieselbe Strecke? Tennisspieler spielen auch immer am selben Platz, und es ist ja wirklich ein schöner Weg“, entgegnet der Pensionist. Stimmt. Erst geht es über schmale Wiesenpfade zur Ellmaualm, dann beginnt der schweißtreibende Anstieg durchs Latschenfeld. Und irgendwann erreicht man, so nennt das der Franz, die Gott-sei-Dank-Kurve, in der man endlich die Hüttenterrasse über sich sieht.

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Am Geländer lehnt schon Gerhard Hafner, der Wirt der Werfener Hütte. Gemeinsam mit seiner Frau Anja verbringt er die Sommer seit fast zwanzig Jahren auf 1.969 Meter Seehöhe. Kennengelernt haben sich die beiden – fast schon kitschig – auf ebendieser Terrasse.

Wasser und Liebe

Wären wir in Hollywood, hätte die Geschichte vielleicht mit den Worten begonnen: Ich habe einen Wasserkanister getragen. Um diesen Vergleich zu verstehen, muss man zum einen den Film „Dirty Dancing“ kennen (die Szene mit der Wassermelone) und zum anderen wissen, dass es auf der Werfener Hütte kein fließendes Trinkwasser gibt. Etwa 400 Höhenmeter unterhalb der Hütte gibt es aber einen Brunnen, und von dem schleppen freundliche Gäste das kostbare Nass in Fünf- Liter-Kanistern den Berg hoch.

erzählt Gerhard. Einmal ist ein Kletterer gekommen, mit Sack und Seil, und 25 Liter Wasser hat er auch noch im Gepäck gehabt.“

 Die neue Gaststube wurde vor wenigen Jahren an die Hütte angebaut.
Foto: Andreas Jekwerth
Die neue Gaststube wurde vor wenigen Jahren an die Hütte angebaut.

Aber jetzt geht es nicht um den Kletterer, sondern um die Anja und den Gerhard. Und diese Geschichte geht so: Als Anja 18 Jahre war, starb die alte Wirtin der Hütte, und so kam die junge Frau auf den Berg, um dem Wirt zur Hand zu gehen. Auch der Gerhard stieg regelmäßig auf, weil er für einen Marathon trainierte. „Er hat dem alten Wirt die Post gebracht“, sagt Anja, „dann ist er immer öfter gekommen, und als ich im Jahr darauf die Hütte allein übernommen habe, ist er bald mit mir oben geblieben.“

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Denn auf die Dauer lässt sich so eine Hütte wie die Werfener nicht allein betreiben. Jedes Gramm Essen, das die Besucher so hungrig von den Tellern putzen, muss entweder mit dem Hubschrauber heraufgeflogen werden oder kommt mit Muskelkraft auf den Berg. Seit ein paar Jahren helfen dabei drei Lamas namens Caesar, Tornado und Dandy, die heute frei haben und neben der Werfener Hütte gemütlich Kräuter aus dem Boden rupfen. Der wichtigste Helfer aber steht in der Küche und bereitet das Abendessen zu.

Nur ein Teller Nutella

Mingma Nuru Sherpa kommt aus einem kleinen Dorf im Osten Nepals. In seiner Heimat arbeitet er als Bergführer, und seit sieben Jahren ist er im Sommer die gute Seele der Werfener Hütte. Dieses Jahr ist sein Neffe Pemba mitgekommen, und gemeinsam stehen die beiden Männer in der warmen Küche, um Momos, eine Spezialität aus dem Himalaya, zu kochen.

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Pemba walkt den Teig flach, Mingma sticht Kreise aus und füllt Gemüse und Fleisch in die Täschchen, bevor er sie mit Daumen und Zeigefinger verschließt. Im Gang steht ein Foto von Mingma, darauf trägt er eine dicke rote Daunenjacke und blinzelt ins Blitzlicht. „On the top of the world“ steht auf dem Foto, es zeigt den Sherpa auf dem Gipfel des Mount Everest.

 Mingma Nuru Sherpa arbeitet seit sieben Sommern auf der Hütte.
Foto: Andreas Jekwerth
Mingma Nuru Sherpa arbeitet seit sieben Sommern auf der Hütte.

Deutschsprachige Gäste, die mit Mingma in Nepal unterwegs waren, kommen ihn auch auf der Werfener Hütte besuchen. Und einige, die ihn hier kennen lernen, heuern den 43-Jährigen für ihre Trekkingtour in Nepal an. Mingma tritt auf die Terrasse, um einen Stammgast zu begrüßen. Der Nepalese spricht fließend Deutsch, er hat es an langen Abenden auf Expeditionen mithilfe seiner Gäste gelernt. „Anfangs habe ich manches nicht so gut verstanden. Wenn mich ein Kind zum Frühstück um Nutella gebeten hat, habe ich nur einen Teller gebracht“, lacht Mingma. „Er war von Anfang an extrem selbstständig“, sagt Gerhard, „ohne Mingma ginge hier vieles nicht so leicht.“ 

Anja und Gerhard haben drei Kinder, sie sind auf dem Felsplateau groß geworden. „Stell dir vor, wie du da aufpassen musst, wenn sie zu laufen beginnen“, sagt Gerhard. Mittlerweile ist Tochter Magdalena siebzehn Jahre alt, Sohn Bernhard ist elf und der neunjährige Andreas saust als blonder Wirbelwind über die Terrasse. Er ist der geborene Hüttenwirt, plaudert mit den Gästen, spielt mit den Kindern.

Rosa Himmel und goldener Mond

Wenn die Sonne scheint, spielt sich das Leben auf der Werfener Hütte vor allem auf der hölzernen Terrasse ab. Von hier blickt man nicht nur hinab nach Bischofshofen, sondern an einem klaren Tag wie heute am markanten Hochkönig vorbei bis zur gletscherbedeckten Spitze des Großglockners. Am blauen Himmel picken Paragleiter, die vom nahegelegenen Bischling gestartet sind, wie bunte Smarties auf einer Kindergeburtstagstorte.

„Durch die südseitige Lage apert der Weg schnell wieder aus, wenn es im September den ersten Schnee runterhaut“, sagt der Gerhard, „das ist also kein Grund zum Zusperren.“ Aber wenn die Sonne hinter dem Raucheck verschwindet, wird es merkbar kälter auf der Terrasse. In die Stube will trotzdem keiner, dafür verschwinden die Gäste bis zum Kinn unter den dicken Hüttendecken, um sich den schönsten Tagesausklang anzusehen, den man sich vorstellen kann.

Mingma Nuru Sherpa bereitet Momos zu, die traditionellen Teigbällchen seiner Heimat.
Foto: Andreas Jekwerth
Mingma Nuru Sherpa bereitet Momos zu, die traditionellen Teigbällchen seiner Heimat.

Erst färbt die Sonne die Bergspitzen zinnoberrot, dann wirft der Himmel seine Lichtshow an: hellblau, blassrosa und kobaltblau. Das Finale ist ein riesiger goldener Mond, der sich zwischen den grauen Zacken von Höchstein und Waldhorn in den Himmel schiebt. Erst als der Zweigelt ausgetrunken ist und die leeren Weingläser im Wind klirren, ziehen sich alle nach und nach in die Hütte zurück.

Tags darauf kommen die ersten Wanderer schon am frühen Vormittag, viele sind Stammgäste. Gabi hat im Rucksack Würste hochgeschleppt, in der Hand trägt sie einen Kanister mit – nein, nicht Wasser, sondern Zirbenschnaps. „So hilft man sich hier heroben“, sagt Hüttenwirtin Anja.

Als die Kinder noch klein waren, haben sie das probiert, einen Sommer im Tal. Sie waren im nächsten Jahr wieder heroben. „Ich glaube“, sagt Anja, „wenn wir das irgendwann nicht mehr machen können, müssen wir wegziehen von hier. Ich würde es nicht ertragen, immer zu unserer Hütte hochzublicken.“ Dann schiebt sich ein weißer Schopf ins Blickfeld. Franz Leitner ist gerade das 504. Mal angekommen.

 

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Werfener Hütte

Pächter: Gerhard und Anja Hafner.
Inhaber: Österreichischer Touristenklub.  
Ausstattung: 40 Schlafplätze in 3 Lagern,  4 Schlafplätze in 2-er Zimmern.
Geöffnet: Anfang Mai bis Ende Oktober.
Preise: Halbpension im Lager EUR36,-  Halbpension im Zirbenzimmer ab EUR 44,-  (EUR 3,- Rabatt für Mitglieder alpiner Vereine).
Telefon: +43 / 664 / 986 48 28
Internet: www.werfenerhuette.at 

Touren rund um die Hütte

1. Zustieg zur Hütte

Der Anstieg von der Wengerau garantiert fantastische Ausblicke – aber auch verschwitzte Hemden.
Foto: Andreas Jekwerth
Der Anstieg von der Wengerau garantiert fantastische Ausblicke – aber auch verschwitzte Hemden.

Ein wunderschöner Weg zur Hütte startet vom Talschluss Wenger Au, am Rande von Werfenweng im Salzburger Tennengau. Erst geht es über Almwiesen zur Ellmaualm, von dort ist es noch zirka eine anstrengende und steile Stunde durch Latschen- felder bis zur Hütte.

Ausgangspunkt: Wenger Au
Strecke: 5 km
Höhendifferenz: 1.000 m
Dauer: 2,5 h

2. Plateau-Überschreitung

Von der Wenger Au geht es erst auf die Werfener Hütte. Von dort startet man über mit Drahtseilen und Eisenleiter gesichertes Gelände im leichten Klettersteig (B) auf die unbewirtschaftete Edelweißhütte. Von dort geht man auf dem felsigen Bergrücken bis zum Eiskogel (2.321 m). Dann führt ein steiler Abstieg zur Dr.-Heinrich-Hackel-Hütte und zurück in die Wenger Au.

Ausgangspunkt: Wenger Au
Strecke: 16 km
Höhendifferenz: 1.900 m
Dauer: 10 h

3. Klettergarten

Drei Minuten von der Werfener Hütte entfernt befindet sich ein Klettergarten mit Routen vom 4. bis 7. Schwierigkeitsgrad, meist zwischen 15 und 30 m Länge. Ein Seil kann man bei Bedarf in der Hütte  ausleihen. Auch Topos liegen dort bereit.

Ausgangspunkt: Werfener Hütte

Hinter der Hütte ist ein Klettergarten, das Seil dafür kann man bei Hüttenwirt Gerhard ausborgen.
Foto: Andreas Jekwerth
Hinter der Hütte ist ein Klettergarten, das Seil dafür kann man bei Hüttenwirt Gerhard ausborgen.

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