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Foto: Bernhard Huber
Mitten in der Kathedrale

Die Langkofelhütte

• 23. März 2020
6 Min. Lesezeit

Wie ein Wolkenkuckucksheim klebt die Langkofelhütte hoch über dem Südtiroler Grödnertal. Ein steinernes Monument aus der  Pionierzeit des Alpinismus und heute selbst schon eine Legende. Diese Story ist im Bergwelten Magazin (August/September 2017) erschienen.

Text: Uschi Korda
Fotos: Bernhard Huber

Due Bolognese! Due Kaiser!“ Kellnerin Julia ruft ihre Bestellung vom hintersten Winkel der Terrasse über die Köpfe der Wanderer und hofft, dass diese nicht einfach an der Hüttenwand abprallt, sondern in der Küche landet. Spaghetti und Kaiserschmarren hintendran wären bei dem Trubel reine Zeitverschwendung, und dass das Ganze zweisprachig rüberkommt, wundert hier kaum jemanden. Selbst wenn ihr noch etwas Ladinisches, zum Beispiel preibel (bitte) reingerutscht wäre, hätte niemand von seiner Speckplatte aufgeschaut.

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Gröden tief drunten ist eines der fünf Täler, in denen die Dolomitenladiner jahr- hundertelang abgeschieden und relativ unbeeinflusst die Stürme der Zeit überlebten. Sie klebten an den steilen Felshängen und pflegten neben ihrer Kultur auch ihre uralte Sprache. Heute herrscht hier Dreisprachigkeit – nicht nur auf Ortstafeln oder in Schulbüchern, sondern auch auf Speisekarten oder Berggipfeln. Da muss der Tourist durch, und er tut es gerne.

Schließlich ist allein das Studium der Wanderkarte ein Gratissprachkurs, und wer endlich auf der Langkofelhütte (2.253 m) seine brennenden Wadln ausstrecken darf, kann sich gleich einmal abfragen, ob er noch weiß, wie der Berg auf Italienisch (Sassolungo) und auf Ladinisch (Saslonch) heißt. An Tagen wie heute kann das Spiel auch die Wartezeit auf den Durstlöscher ein bisschen verkürzen.

 Der Kaiserschmarren, den Kellnerin Julia serviert, wird nach einem Rezept des Hüttenwirts zubereitet.
Foto: Bernhard Huber
Der Kaiserschmarren, den Kellnerin Julia serviert, wird nach einem Rezept des Hüttenwirts zubereitet.

In der Hochsaison im Juli und August, sagt Hüttenwirt Walter Piazza, rennen wir hier zu acht. Der Juli ist jetzt noch sehr jungfräulich, und das Wetter hat bis dato mehr auf Winterschlaf gemacht, also sind sie nur zu dritt. Heute morgen aber ist plötzlich der Sommer ausgebrochen, und niemand, wirklich niemand wollte mehr unten im Tal bleiben.

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Wie kleine Karawanen ziehen die Wandersleute auf den Hausberg der Grödner. Weil einem dort die Seiser Alm zu Füßen liegt. Weil die Felstürme der Langkofelgruppe majestätisch über dem Tal thronen. Oder weil man vom Sellajoch mit einer historischen Kabinenbahn von 1960, in die man wie bei einem Paternoster während der Fahrt reinspringen muss, auf die Langkofelscharte (2.685 m) gondeln kann.

Wer von dort bergab zur Langkofelhütte steigt, fühlt sich zwischen den steinernen Monumenten, durch die man sich wie in einer Säulenhalle schlängelt, als wäre er in der Kathedrale der Dolomiten gelandet. Ehrfurcht durchrieselt den Körper und lässt einen auf eine Winzigkeit zusammenschrumpfen, wo man sich doch im normalen Leben so groß und stark vorkommt. Gott sei Dank leuchtet der Himmel blitzblau ohne Wölkchen bis in den Horizont, einem drohenden Unwetter möchte man jetzt wirklich nicht auch noch schutzlos ausgeliefert sein.

Haus im Fels

Wie jedes Jahr ist Walter Piazza mit seinen beiden Söhnen Alexander und Hannes so um den 20. Mai herum zur Hütte aufgestiegen und hat mit dem Schneeschaufeln begonnen. Dann wird erst einmal alles repa riert, was sich entweder letztes Jahr vor dem ersten Schnee nicht mehr ausgegangen ist oder die kalten Monate nicht unbeschadet überstanden hat. Abflüsse, Fensterläden und vor allem das Terrassengeländer, unter dem es ganz schön steil bergab geht. Lässig angelehnt, glaubt man, dass man einem Vogel gleich abheben und davonschweben könnte. Ganz ohne Zirbenschnaps.

Wie ein Wolkenkuckucksheim hängt die Hütte unter den glatten Felswänden, die in ihrem Rücken in der Direttissima in den Himmel stechen. Stabil aus Stein gebaut und seit ihrer Eröffnung 1903 unbeschadet. Im Gegensatz zur Vorgängerhütte, die 360 Soldaten und Arbeiter ein bisschen weiter drüben im Jahr 1893 in nur vier Monaten ins unwegsame Gelände gestemmt hatten: 1901 wurde sie von einer mächtigen Lawine weggefegt. Die größten Spesen, sagt Walter Piazza, schlugen sich in den Annalen fürs Essen und Trinken nieder.

In der alten Stube ist noch die Originalholzvertäfelung erhalten.
Foto: Bernhard Huber
In der alten Stube ist noch die Originalholzvertäfelung erhalten.

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Nach dem Unglück blieb lediglich der etwas abseits stehende Abort übrig, stellte der Wiener Alpinist und Maler Gustav Jahn (1879–1919) fest, der damals sofort zur Unglücksstelle aufstieg. Neben Gesäuse und Dachstein war die Langkofelgruppe eine seiner Lieblingsgegenden, wo er später 1917 einige Erstbesteigungen, unter anderem auf der Nordkante des Daumens der Fünffingerspitze (2.996 m), machen sollte. Angesichts des unbeschädigten Häusls jedenfalls empfahl er der Sektion Wien des ÖAV die Errichtung der neuen Hütte an dieser geschützteren Stelle.

Wer von St. Ulrich und der Seiser Alm hinwandert, könnte die Hütte permanent im Blickfeld haben. Könnte, wenn er Adleraugen hätte, denn erst wenn man recht nahe ist, meißeln sich die Hauskanten aus dem steinernen Umfeld, kann man die Fensterläden als grün­weiße Pünktchen erkennen. Waschräume, Zimmer und Bettenlager wurden immer wieder den Standards der Zeit angepasst, die Originalvertäfelung ist aber im Inneren zum Teil noch erhalten.

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Eine Familiengeschichte

1991, sagt Walter Piazza, haben wir eine Küche drangebaut. Damals hat er noch selbst gekocht, Pökelfleisch, Gulasch und Kaiserschmarren, der noch heute nach seinem Rezept mit Äpfeln zubereitet wird. Seit damals gibt es auch Weine aus dem Veneto. Die sind leichter als die Südtiroler, sagt Walter. Schließlich sind die Wege ja hier nicht gerade im Hops zu nehmen. Seit über dreißig Jahren ist der Grödner jetzt der Wirt hier heroben. Die Berge waren von klein auf seine Heimat. Schon als Bub begann er zu klettern, wurde Bergsteiger, und dann hat ihn der Zufall zu seiner Frau und der Hütte geführt.

Ihr Großvater, sagt Walter, war schon Pächter der Langkofelhütte, dann ihr Vater, dann hab ich eingeheiratet. Während ihm die Frau, na ja, wie soll man sagen, im Laufe des Lebens verloren ging, ist ihm die Hütte geblieben. Und die Söhne, die ihm seit Ende ihrer Schulzeit jeden Sommer zur Seite stehen. Das heißt, sagt der 26­-jährige Alexander, jeden Tag um 6 Uhr aufstehen und bis 23 Uhr durcharbeiten.

Koch und Wirt Walter Piazza verwöhnt seine Gäste noch persönlich.
Foto: Bernhard Huber
Koch und Wirt Walter Piazza verwöhnt seine Gäste noch persönlich.

Bei schönem Wetter, so wie heute, rennt man sich für die durstigen und hungrigen Wanderer die Beine in den Bauch. Nur an Regentagen ist Pause, da müssen lediglich ein paar Versprengte unterhalten werden. Der Vater aber ist ein guter Chef, das sagt nicht nur der Sohn, sondern das gesamte Personal. Bei Regenwetter gibt er nämlich allen frei und sorgt sich allein um die Hütte. Dann setzt er sich an die Tische dazu, schneidet etwas Speck auf und spielt auf seinem Akkordeon etwaige Regenlaune in Grund und Boden.

"Wennst es gerne machst, ist alles leicht", sagt Walter und blickt dabei so wissend drein, als hätte er mit all den Riesen und Zwergen, die hier rundum in grauer Vorzeit laut Legende versteinert wurden, schon als kleines Kind Ball gespielt. Kräftig genug wäre er, schließlich müssen täglich 150 Kilo Lebensmittel hier herauf und der Müll wieder runtergeschafft werden. Dabei hilft ihm heute eine Materialseilbahn, bis 1979 schleppte man das mit Pferdewagen hin und her.

Wie ein riesiges steinernes Monument ragt die Langkofelgruppe fast senkrecht in den Himmel. Da wirkt die an sich große Hütte plötzlich ganz klein.
Foto: Bernhard Huber
Wie ein riesiges steinernes Monument ragt die Langkofelgruppe fast senkrecht in den Himmel. Da wirkt die an sich große Hütte plötzlich ganz klein.

Damals war Grödens berühmtester Sohn Luis Trenker (1892–1990) auch schon 87 und schaute kaum mehr auf der Hütte vorbei. Gern war er hier heroben und oft, wie es in den historischen Büchern nachzulesen ist, in denen Walter Piazza gerne blättert. Unzählige Anekdoten und Erlebnisse wurden hier aufgeschrieben und halten eine Zeit lebendig, in der der Alpinismus noch sehr viel mit Verwegenheit und Abenteuerlust zu tun hatte. So hat man, trotz seiner widersprüchlichen Biografie, auch Luis Trenker in Erinnerung, den Tobias Moretti vor kurzem in einem Film über die Bergsteiger-Legende verkörperte. Prominent an seiner Seite: die Langkofelhütte. Und die ließ sich selbst von Österreichs bekanntestem Schauspieler nicht an die Wand spielen.

Karte
Foto: Bergwelten
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Langkofelhütte

​​​​​​Pächter: Walter Piazza
Ausstattung: 69 Betten, 5 Zimmer
Geöffnet: Anfang Juni  bis Mitte Oktober
Preise: EUR 24 (mit AV-Ermäßigung EUR 14), im Sommer Reservierung notwendig
Telefon: +39/0471/79 23 23
Mobiltelefon: +39/335/627 95 67
Internetwww.rifugiovicenza.com

Touren rund um die Hütte

1. Zustieg vom Grödnertal

Zur Langkofelhütte kommt man auf mehreren Zustiegen. Vom Sporthotel Monte Pana in Santa Cristina folgt man dem Weg Nr. 30, dann geht es auf dem landschaftlich schönen Santnerweg (Nr. 525) zur Hütte. Wer eine flachere Variante bevorzugt, zweigt bei den Confinböden auf den Weg 572A ab.

Ausgangspunkt: Santa Cristina
Strecke: 5,8 km
Dauer: 2,25 h
Höhendifferenz: 630 m 

2. Zustieg zur Hütte vom Sellajoch

Mit der Stehgondelbahn vom Sellajoch auf die Langkofelscharte. Von dort abwärts über das steile Langkofelkar (Weg Nr. 525) zur Langkofelhütte. Am nächsten Tag führt die Tour in einer Runde über den Langkofel zurück.

Ausgangspunkt: Sellajoch  
Strecke: 9,4 km
Dauer: 3 h
Höhendifferenz: 740 m

3. Langkofelrunde

Landschaftliche Höhepunkte bietet die Langkofel-Umrundung. Die Zufahrt zum Sellajochhaus ist per Auto möglich. Über den Friedrich-August-Weg gelangt man zur Plattkofelhütte und bergab zum Santnerweg. Hier kann man entweder zur Langkofelhütte aufsteigen, oder man geht zum Ciaulongsattel und über den Weg Nr. 526A zurück zum Sellajochhaus.

Ausgangspunkt: Sellajochhaus  
Strecke: 15,9 km
Dauer: 5 h
Höhendifferenz: 680 m

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