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Karlheinz Töchterle

„Im Berg entdeckt man das Großartige“

• 27. April 2016
3 Min. Lesezeit
von Sissi Pärsch

Beim Symposium „Denken im Eis“ im Ötztal trafen Philosophen auf Touristiker. Auf über 3.000 m (im James Bond Drehort „ice Q“) sollten sie der Branche einen anderen Blickwinkel auf das Thema Reise vermitteln – und Nahrung für ein Umdenken geben. Einer der Vortragenden ist Prof. Dr. Karlheinz Töchterle, ehemaliger österreichischer Bundesminister für Wissenschaft & Forschung, Altphilologe an der Universität Innsbruck und leidenschaftlicher Berg- und Skitourengeher. Wir haben uns mit dem Stubaier über den Blick auf die Alpen einst und heute unterhalten.

Prof. Dr. Karlheinz Töchterle
Foto: Sissi Pärsch
Prof. Dr. Karlheinz Töchterle
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Prof. Dr. Töchterle, Sie sind Politiker und klassischer Philologe an der Uni Innsbruck – wie viele Skitouren schafft man da noch in der Saison?

Ach, das geht schon. Ich denke, in diesem Winter und jetzt im Frühjahr werden es um die 60 werden. Während meiner Zeit als Minister natürlich weniger...

Sie stammen aus dem Stubai und sind dort heute noch zu Hause. Ihr Forschungsfeld, die Wahrnehmung der Bergwelt in der neulateinischen Literatur, scheint wie für Sie gemacht. Wie muss man sich das Bild der Alpen einst nun vorstellen?

Schrecklich. Barbarisch und grausam. In Antike und Mittelalter sind die Berge sehr negativ behaftet. Das verdeutlichen beispielsweise die Darstellungen von Hannibals Zug über die Alpen, wo die schroffen Berge brutal und lebensfeindlich erscheinen. Dieses Bild dominierte über Jahrhunderte hinweg die Erzählungen. Unser Forschungsprojekt zeigt jetzt, dass sich im 16. Jahrhundert ein Mentalitätswandel abzuzeichnen begann. Man begann den Alpenraum mit anderen Augen zu sehen.

Nämlich wie?

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Das Naturbild wird im Zuge der Renaissance deutlich positiver. Die Berge werden vom Ort der Mühe und des Schreckens zu einem Ort der Freude und des Genusses. Man begann sich für die Geheimnisse der Natur und ihre Ästhetik zu interessieren.

Aber wird das nicht eigentlich den Aufklärern und Romantikern Jahrhunderte später zugeschrieben?

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Ja, es ist durchaus auch so, dass sich das positive Bergbild im 18. Jahrhundert ganz deutlich formierte. Aber der Wandel ist tatsächlich schon zwei Jahrhunderte zuvor auszumachen. Der Alpenraum entwickelte eine Anziehungskraft, er faszinierte.

Man muss dabei vielleicht auch erwähnen, dass die Bergbegeisterung in der Stadt geboren ist. Für die Bergbewohner war der Gipfel uninteressant. Ihnen ging es um die Nutzbarkeit der Hänge, um das bloße Überleben in einer rauen, kargen Natur. Viele flüchteten, wanderten ab – bis die Menschen aus der Stadt kamen und sich daraus auch neue Berufe entwickelten: Die Gäste suchten nach Bergführern und die Kinder arbeiteten sozusagen als Sherpas. Ein Gelehrter wie Horace-Bénédict de Saussure lobte eine stattliche Belohnung für die Erstbesteigung des Mont Blanc aus. Die erfolgte 1786. Der Blick von Außen brachte eine neue Einstellung. Im Berg entdeckte man das Sublime, das Erhabene – oder wie ich lieber sage: das Großartige.

Prof. Dr. Töchterle schaut in die Skitouren-Berge
Foto: Sissi Pärsch
Prof. Dr. Töchterle schaut in die Skitouren-Berge

Damals ging es auch um den Reiz der Erstbesteigungen und Entdeckungen. Heute ist der Berg domestiziert und industrialisiert. Sie sprechen hier vor Touristikern, die das Erlebnis Berg gern mit vielem anreichern: neben Liftanlagen finden sich Hüpfburgen und Zip Lines. Ist der Berg denn überhaupt noch großartig?

Das ist er! Ich erlebe ihn ständig so. Im Grunde empfinde ich das bei jedem Hang schon nach wenigen Metern: das außer Atem sein, den Willen zu entwickeln und die Ausdauer zu haben, weiter hinauf zu steigen. Dann das Erreichen eines Zieles – das erfüllt mich sehr und ist für mich auch unglaublich konkret. Es ist diese tiefe Freude, die aus der Anstrengung und auch Anspannung entspringt. Das ist ein erhabenes Gefühl.

Aber es existiert doch durchaus eine tiefe Ambivalenz: Wir erschließen die Alpen und träumen gleichzeitig von dem Authentischen...

Absolut, diesen Zwiespalt haben wir seit Jahrzehnten. Wir wissen, dass wir uns an einer Grenze bewegen. Seit den 70er Jahren ist das ein Thema in meinem Leben und ein Engagement für die Natur macht einen nicht immer beliebt, gerade in Tälern wie dem Stubai. Die Konflikte gab und gibt es. Heute zeigt sich, dass eine deutliche Mehrheit gegen weitere Erschließungen ist. Es zeichnet sich durchaus ein Sinneswandel ab. Der Zusammenschluss der Skigebiete Schlick 2000 und Axamer Lizum beispielsweise konnte verhindert werden.

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Die Ötztaler Bergwelt bei Vent
Foto: Ötztal Tourismus
Die Ötztaler Bergwelt bei Vent

Sie haben also die Hoffnung, dass das ursprüngliche Naturerlebnis erfahrbar bleibt?

Absolut. Wer behauptet, dass alles verbaut und verschandelt ist, der bewegt sich nicht in den Bergen. Wir finden auch in hocherschlossenen Gebieten wie den Ostalpen noch einsame Gipfel und man spürt am Berg noch immer seine Kraft und Macht. Schauen Sie hier in die 3000er. Auf zig der Gipfel werden Sie keine Menschenseele antreffen. Übrigens dort drüben habe ich vor einigen Jahren eine Traumskitour gemacht. Sehen Sie die Rinne? Oben Pulver, unten hat es aufgefirnt. Das war ein Tag. Großartig!

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