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Alpinismus

Die ganz großen Pläne

15. Januar 2022
5 Min. Lesezeit

von Stephanie Fischer

Fünf berühmte Bergsteigerinnen und Bergsteiger über ihre Seilschaft mit Plänen – weshalb der eine oder andere „auf Eis“ gelegt wurde und wie sie damit umgehen, wenn ein Plan scheitert.

Alexander Huber

Extremkletterer und Profibergsteiger 

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Alexander Huber
Foto: Andreas Jakwerth/Bergwelten
Alexander Huber

In meinem Kopf ist ein Sammelsurium an Ideen und Zielen. Ich überlasse es dem Zufall, ob sich einige zum echten Plan herauskristallisieren und andere nicht. Viele Ziele behalte ich im Hinterkopf, nicht jedes wird in die Tat umgesetzt. Andere verwerfe ich nach dem ersten Versuch.

Das ist wie eine Seilschaft mit Ideen: Das eine Ziel zieht stärker, ein anderes verliert an Zugkraft. Meist werden die Ziele durch äußere Umstände realisiert. Ich habe so etwa im Yosemite Valley zufällig vom Speedklettern erfahren – einem Trend unter den kalifornischen Kletterern. Das hat meinen Bruder Thomas und mich aus der Reserve gelockt. Können wir da mithalten? Sind wir in diesem Bereich rekordfähig? Die Motivation war schnell da. Nachdem uns 2003 die erste freie Begehung der Zodiac-Route gelungen ist, wollten wir nun die Route auf Geschwindigkeit klettern. Wir haben den Geschwindigkeitsrekord im darauffolgenden Jahr mit 1:51:34 Stunden geknackt! Der Versuch, den Speedrekord auf „The Nose“ auf dem El Capitan zu holen – was uns auch gelang –, war die Grundlage für den Kinofilm „Am Limit“.

Ich hätte noch gerne den El Capitan Free Solo begangen. Beim Training habe ich realisiert, dass ich meinen Wohnort nach Kalifornien verlegen müsste, um dieses Ziel zu erreichen. Das wollte wiederum ich nicht. Dieser Plan ging eben nicht auf. Generell konzentriere ich mich auf das, was ich geschafft habe. Gedanken an das Unerreichte sind meiner Meinung nach reine Zeitverschwendung.

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Foto: Stefan Wiebel
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Ich hatte jahrelang einen Berg im Kopf – den Kyzyl Asker (5.842 m), ein schwer zugänglicher Berg zwischen China und Kirgistan. Nachdem ich ihn 2008 erstmals auf einem Foto gesehen hatte, trug ich seitdem sein Bild in der Geldbörse. 2010 war ich dann das erste Mal dort. Die Umstände waren nicht ideal für eine Erstbegehung, und es hat deshalb leider vom Tempo her nicht geklappt. 2011 habe ich das Team umgestellt, ein anderes Trio, und wieder scheiterte der Plan. Dieses Mal aufgrund einer Krankheit. Ein Motivationstief folgte, und die Mission wurde auf Eis gelegt. Sollte doch jemand anderer die Erstbesteigung wagen. 

Dann lernte ich beim Festival Alpine Academy in Chamonix den Bergsteiger Luka Lindič kennen. Nach einer gemeinsamen Klettertour an der Nordwand seines Hausbergs, des Triglav in Slowenien, war mir klar: Wenn ich den Kyzyl Asker besteige, dann mit Luka! 2016 haben wir es – beim für mich dritten Versuch – tatsächlich geschafft! Vier Jahre später haben wir übrigens geheiratet. Es lohnt sich also, dranzubleiben, auch wenn man Rückschläge hinnehmen muss. 

Aktuell planen Luka und ich, in mehreren Etappen ausgewählte Berge – allen voran eine spezielle Route auf den Fitz Roy – an der Panamericana von Alaska bis nach Patagonien zu besteigen. Unsere Tour geht über eine Expedition hinaus, wir wollen auch Menschen und Kultur kennenlernen, wodurch sich wiederum neue, spannende Pläne auftun.

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Foto: Thomas Senf
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Jeder Gipfel, jedes Abenteuer, das aktuell ansteht, ist der Plan, den ich verfolge. Ich lebe im Hier und Jetzt und fokussiere mich ausschließlich auf die Wand, die ich aktuell besteigen möchte. In der Regel plane ich die Besteigung meines Wunschziels ein bis zwei Jahre im Voraus. Ich bin der Typ, der sich nicht stresst, ich nehme es wie es kommt, das hat bei mir immer funktioniert.

Wir Schweizer brauchen doch viel Sicherheit, einige gehen fast drauf, wenn sie nicht wissen, was nächste Woche passiert. Bei mir hat sich gezeigt, dass sich, auch ohne zu wissen, wie die Welt in sieben Tagen genau aussieht, alles immer zum Positiven wendet. Trotz bester Planung muss man flexibel bleiben oder gar den Mut haben, umzukehren. Das möchte ich auch meinen Kindern vorleben.

Meiner Erfahrung zufolge scheitern nämlich die Hälfte aller Projekte beim ersten Versuch und gelingen erst im zweiten oder dritten Anlauf – das habe ich natürlich bei jedem Projekt im Hinterkopf. Das Wichtigste für mich ist, dass alle gesund nach Hause kommen. Natürlich haben wir viel Geld und Zeit investiert, das Misslingen eines Plans ist jedoch ein Teil davon und es ist ja nicht das Ende. Mit ausreichend Motivation schafft man es beim zweiten Versuch zum Ziel.

Gerlinde Kaltenbrunner

Profibergsteigerin und Vortragende

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Foto: Philipp Schönauer/Bergwelten
Gerlinde Kaltenbrunner

Der tiefe Wunsch, irgendwann einmal auf allen 14 Achttausendern gestanden zu haben, hat sich erst nach meiner Kangchendzönga-Expedition 2006 so richtig entwickelt. Dass ich die Besteigung der 14 Achttausender ohne Flaschensauerstoff auch tatsächlich realisieren durfte, verdanke ich dem Beistand, dem Glück, der Gnade und dem passenden, perfekten Umfeld. Mit jedem Jahr wurde überlegt: Welchen Berg möchte ich als Nächstes angehen, auf welcher Route, mit wem möchte ich unterwegs sein? Daraus ist ein Plan für diese Expedition entstanden. Und mit diesem Plan vor Augen habe ich überlegt, was es braucht, um dieses Ziel zu realisieren. Was ist an Training und Vorbereitung nötig, um mich bestmöglich darauf einzustellen und dann unterwegs gemeinsam in einem Team das Beste dafür zu geben?  

Konkrete Pläne hatte ich immer nur von der einen zur nächsten Expedition, und da war dann immer das wichtigste Ziel, wieder gut und gesund zurückzukommen. Und mit den Jahren ist irgendwann das, was ich mir aus tiefstem Herzen gewünscht habe, Realität geworden. Wenn der Plan oder die Durchführung, so wie ich es mir vorgestellt oder gewünscht habe, nicht zu realisieren ist, dann lasse ich los und überlege, wie ich es anders gestalten kann. 

Als wir 2005 durch die Everest-Nordwand steigen wollten und es aufgrund der äußeren Umstände nicht möglich war, diesem Plan zu folgen, war es wichtig, nicht stur daran festzuhalten und sich womöglich zu verrennen, sondern loszulassen, sich neu zu orientieren und nach vorn zu schauen – welche Möglichkeiten oder Wege es sonst noch gibt. Und daraus dann eine Entscheidung zu treffen.

Stefan Glowacz

Profibergsteiger und Extremkletterer

Stefan Glowacz
Foto: Bernhard Huber/Bergwelten
Stefan Glowacz

Neben meinen eigentlichen Berg- und Klettervorhaben plane ich seit den letzten Jahren die Anreise und Abreise konsequent nachhaltig. Ich möchte aus eigener Kraft den Berg erreichen – mit dem Rad, mit dem Kajak, zu Fuß, auf Skiern oder in Übersee mit einem Segelschiff. So haben wir etwa die Anreise zu einer Expedition nach Grönland im Jahr 2018 erstmals CO2-neutral geschafft.

Mit meinem Projekt WALLRIDE habe ich 2.274 Kilometer Strecke und 50.000 Höhenmeter mit dem Mountainbike und einem speziell angefertigten Anhänger zurückgelegt und zwei Erstbegehungen mitgenommen – an der Croda Bianca in Italien und dem Pic de Bure in Frankreich. Vom Starnberger See führte die Tour über den gesamten Alpenhauptkamm und wieder retour. Das macht das Projekt nicht nur naturverträglich, sondern auch komplexer. Ich möchte bewusst dem gegensteuern, mit dem Auto oder gar Flugzeug zur nächsten Wand zu gelangen. Es ist kein notwendiges Übel, mit eigener Muskelkraft anzureisen, das macht das Ganze weitaus spannender.

Es liegt in der Natur der Sache, dass einen auch die professionellste Vorbereitung nicht gegen ungeplante Ereignisse wappnet. Ich empfinde es nicht als Scheitern, wenn ein Plan nicht aufgeht, es ist das Sammeln von Erfahrungen. Beim nächsten Anlauf sollte man die vorherigen Fehler vermeiden. Das macht eine spannende Unternehmung für mich aus. 

 

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