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Gehen und denken

Menschen

6 Min.

10.01.2019

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Felix Gottwald hat drei olympische Goldmedaillen gewonnen, einen Bestseller geschrieben, 100.000 Leute zu besseren Menschen gemacht und einen Bandscheibenvorfall verstanden. Er hat zwei kleine Kinder und sieht mit 41 aus wie 28. Er kann das alles erklären, indem er über Berge redet. Das Interview ist im Bergwelten Magazin (Februar / März 2017) erschienen.

Text: Stefan Wagner

Es gibt in Österreichs Sportgeschichte keinen erfolgreicheren olympischen Sportler als Felix Gottwald. Sieben Medaillen, darunter dreimal Gold, Höhepunkt: Olympiasieg im Sprint in der Nordischen Kombination 2006 in Turin. Nach seiner Sportkarriere wurde Gottwald Autor des Buches „Ein Tag in meinem Leben“, Vortragender und Coach, er berät Einzelpersonen und Unternehmen, hält Management-Trainings und offene Seminare. Damit hat er im Lauf der letzten Jahre rund 100.000 Menschen zum Denken angeregt, viele davon auch zum Handeln. „Komisch. Ich glaub, ich kann das, was ich jetzt tu, besser als das vorher“, sagt er.

Felix Gottwald: Ich hab ja ein Home-Office im Haus unten in der Ramsau. Aber mein eigentliches Office ist die Natur. Zum Nachdenken geh ich raus, meistens irgendwo rauf, setz mich hin, schau runter. Alles Kreative passiert bei mir in Bewegung, an der frischen Luft. Aus der körperlichen Bewegung entsteht geistige Bewegung. Und das mündet dann relativ unweigerlich in konkreten Ideen. Wir Menschen können im Gehen einfach besser denken als im Sitzen. Es heißt ja auch Bewegungsapparat, nicht Sitzapparat.

Bergwelten: Du sagst, dass du das, was du jetzt tust, besser kannst als das Nordische Kombinieren früher. Das klingt erstaunlich für einen, der dreimal Olympia-Gold daheim hängen hat.

Ich habe als totales Antitalent gegolten! Im Skigymnasium Stams haben sie gesagt: „Schulisch eine Pfeife, sportlich hat das keinen Sinn“ und wollten mich meiner Mama gleich wieder mitgeben. Das Langlaufen war am Anfang alles andere als eine Stärke. Und mit dem Springen hab ich so spät angefangen, dass ich’s bis zum Schluss nicht g’scheit derlernt hab.

Wieso hat’s dann doch noch geklappt?

Ich war als Kind bewegungshungrig ohne Ende: Leichtathletik, Geräteturnen, alles Mögliche. Und den Rückwärtssalto, den du als kleiner Bub lernst, den kannst du ein Leben lang. Aber mein eigentliches Talent war, dass ich dranbleiben kann, dass ich bereit bin, für etwas zu leben, was mich begeistert. Und dass ich von Anfang an gewusst hab, was ich will und was ich nicht will.

„… was ich nicht will“?

Den Betrieb meiner Eltern, den wollte ich auf keinen Fall übernehmen. Mit 13 hab ich den Mut aufgebracht, es ihnen zu sagen: Ich werde nicht Autohändler, nicht Mechaniker. Ab da war klar: Wenn ich schon das Lebenswerk vom Papa nicht weiterführ, muss ich wenigstens das Beste aus dem machen, was ich stattdessen mach. Der Rest hat sich ergeben, weil ich relativ bald ein paar Grundregeln kapiert hab. Vor allem, dass es zum Erfolg keine Abkürzung gibt. Und dass man, wenn man Erfolg haben will, sich einer Sache voll und ganz verschreiben muss.

Wenn du zurückdenkst an die Zeit als Sportler: Was bleibt? Dieses eine ikonische Foto, der Zieleinlauf in Turin?

Keine Sekunde. Was wirklich bleibt, ist der Weg dorthin. Wenn es dir nur um den Gipfel geht, verpasst du ja dein Leben. Berggehen ist da eine gute Metapher. Es gehört eine ordentliche Vorbereitung dazu, ein erster Schritt, dass du zumindest ungefähr weißt, wo du hinwillst, dann alle weiteren nötigen Schritte bewusst setzen. Das Leben findet nicht hinten oder vorn statt, sondern grad genau da, wo du bist. Das lernst du am Berg, auch ganz unmetaphorisch. Der Berg zwingt dich in die Präsenz. Wenn du an etwas anderes denkst als ans Gehen, haut’s dich auf die Pappn.

Wir vermeiden aber jetzt den Satz „Der Weg ist das Ziel“.

Eh. Der Weg ist der Weg.

Und nicht doch der Gipfel das Ziel?

Nein. Der Gipfel ist nie das endgültige Ziel. Ein häufiger Irrtum. Alle wollen zum Gipfel. Aber was ist dann dort? Es ist ja noch keiner am Gipfel geblieben. Gute Aussicht ja, aber lang hält man’s da nicht aus. Es ist ungemütlich, exponiert, das Klima rau. Das heißt: Du musst dich schon unten, bevor du weggehst, damit beschäftigen, wie’s weitergeht, wenn du oben warst.

Na ja, dann kommt der Abstieg. In der Welt der Metaphern hat der ein ziemliches Imageproblem.

Zu Unrecht, weil das Verhältnis von Aufstieg und Abstieg ein natürlicher Rhythmus ist. Ist Vollmond besser als Neumond? Einatmen besser als ausatmen? Du bist müde beim Abstieg, hast viel erreicht, und trotzdem auch jetzt die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten ist die Kunst. Nur wer richtig absteigen kann, nimmt Schwung mit für den nächsten Gipfel. Und das ist das eigentliche Ziel: ankommen und neu aufbrechen.

Schweißt der Berg die Leute zusammen?

Er legt vor allem den Charakter frei. Mit diesen ganzen vermeintlichen Kleinigkeiten, zusammenwarten statt auf und davon, so was. Sehen, dass ein anderer das Seil schon ewig trägt, und es ihm abnehmen. Am Berg merkst du erst, mit wem es Sinn hat, im Tal zusammenzuarbeiten. Diese ganzen Kleinigkeiten, die potenzieren sich ja dann unten. Von der Bergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner gibt es eine Geschichte: Da ist bei einer Expedition einer im Schneegestöber gehockt. Alle sind vorbeigegangen. Nur sie ist stehen geblieben und hat gefragt: Alles okay? Eine von hundert. Das sagt über einen Menschen mehr als alle Gipfelsiege.

Für viele Leute in deinen Seminaren hat Erfolg eine besondere Bedeutung. Die wollen wissen, wie sie schneller zum Gipfel kommen. Was bringst du denen bei? Du wärst ein schlechter Marketingmann, würdest du sagen: Kommts her, bei mir werdet ihr zu besseren Absteigern.

Viele haben die Idee: Wir holen den Gottwald, der ist ja „erfolgreichster österreichischer Olympiasportler aller Zeiten“, und, schwupp, simma alle erfolgreich – so einfach ist es aber nicht. Der Gottwald macht niemanden erfolgreich. Erfolgreich macht sich jeder selber. Dein Erfolg entscheidet sich darin, wie du deinen Weg gehst. Nicht wie der Gottwald seinen geht. Das verstehen die Leute aber schnell.

Kein Erfolgsgeheimnis?

Das einzige Geheimnis ist und bleibt: üben. Abschneider funktionieren nicht. Im Sport nicht, im Beruf nicht, im Leben nicht. Und Eigenverantwortung übernehmen. Also mich einem Entwicklungsprozess hinzugeben, ohne mir mit Ausreden zu erklären, was mich hindert.


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Wenn es jetzt kein Erfolgsgeheimnis gibt: Warum wird der eine Olympiasieger, und der andere schafft’s nicht einmal in den Bezirkskader?

Weil viele auf die wichtigste Übung vergessen: aus ihrem Denken, Fühlen und Handeln ein Team zu machen, oder weil wir am Berg sind, sagen wir: eine Seilschaft. Nur das hält dich am Feuer. Nur das lässt dich dranbleiben. Auf einen hohen Gipfel raufkommen wollen viele. Aber wenn es darum geht, dass du dich und dein Leben komplett darauf fokussierst…so sehr wollen es viele dann doch wieder nicht. Da liegt der Unterschied.

Sogar unter Weltklassesportlern?

Ja. Ich bin oft auf meine „bewundernswerte Konsequenz“ angesprochen worden. Dabei ist mir gar nicht aufgefallen, wie konsequent ich gelebt hab. Konsequenz ist nur eine Konsequenz von Begeisterung.

Wie bist du mit den unangenehmen Seiten deines Jobs umgegangen?

Sobald du dir darüber klar geworden bist, wohin du willst und warum, nimmst du diese mit. Es darf anstrengend sein, aber keine Qual. Wenn du dich durch deinen Job quälen musst: Sei fair zu dir, und such dir etwas, was dir taugt! Der Kraftakt, richtig gut in etwas sein zu wollen, was man nicht liebt, geht sich auf Dauer nicht aus.

Klingt aber hart: den Job aufgeben, weil er mir nicht so recht taugt?

Noch härter ist es, sich jeden Tag wie ein Opfer seines Lebens zu fühlen und nix zu ändern. Ich studiere Gesundheitswissenschaften, ich kenne die Studien, in denen steht, wo das hinführt. Aber Jobwechsel allein ist nicht immer die Antwort – du nimmst dich ja selber mit.

Wie erkenn ich, ob ich das Problem bin oder der Job?

Das Einzige, was hilft: die Präsenz verbessern.

Und zwar wie?

Wie immer, durch Üben. Deine Wahrnehmung wieder und wieder bewusst auf das fokussieren, was du jetzt gerade im Moment tust. Beispiel: Du gehst eine Stunde laufen. Nicht ans Duschen denken oder ans Ankommen oder ans Bier nachher, sondern Schritt für Schritt präsent sein. Leistung im Moment X abrufen, das geht übrigens genau so. Präsenz braucht viel Übung, aber gewinnt dir dann die Medaillen. Bei meinen letzten Spielen in Vancouver bin ich beim Teambewerb mit einem deutschen Athleten am Sessellift zum entscheidenden Sprung gefahren. Er hat, eh total freundlich, Smalltalk begonnen: „Ach Felix, wie lang machst denn du noch?“ – Wir waren am Lift zum Sprung! Olympia! Ich hab rübergeschaut zu ihm, hab die deutsche Flagge auf seiner Wange aufgemalt gesehen und gedacht: okay. Dann hab ich gesagt: „Ich mach mal den Sprung jetzt, dann schau ich weiter.“ Und weil jeder Wettbewerb schon vor dem Start beginnt, hab ich noch gefragt: „Und du?“ Dann hat er geredet und geredet … Die Deutschen haben wir nach dem Springen nicht überholen müssen.

Kommt man von der Droge Spitzensport eigentlich los?

Ja. Ich hab genug sportliche Wettkämpfe für ein Leben gemacht. Aber von der Droge Sport komm ich nicht los, zum Glück. Wenn ich einmal ungeduldig mit unseren Mädls bin, sagt die Größere schon: „Papa, geh trainieren.“ Weil sie weiß, der Papa kommt nachher als anderer Mensch zurück. Und seit meinem Bandscheibenvorfall lass ich auch die Rückenübungen nicht mehr ausfallen.

Bandscheibenvorfall? Der Felix Gottwald?

Im Sommer, ja. Kommt davon, wenn du dir Sachen auflädst, die dich eigentlich nix angehen. Wenn du’s selber nicht schnallst, zeigt’s dir halt der Körper. Seither ist der Rücken meine Warnleuchte, wenn ich in Gefahr bin, mich um was zu kümmern, was nicht meins ist. Um es mit dem Berg zu sagen: Gleichzeitig im Vorstieg klettern und von unten sichern, das geht halt nicht.