Fit am Berg: Training für hohe Gipfel
Foto: Julius Hirtzberger
Wozu man seine aerobe Schwelle kennen sollte, warum Kraft genauso wichtig ist wie Ausdauer und wie man mentale Stärke aufbaut. Sechs Tipps vom amerikanischen Top-Alpinisten und Bergsport-Coach Steve House für das Training für wirklich hohe Gipfel.
Bergwelten goes Aconcagua
Bergwelten-Redakteur Klaus Haselböck will im Jänner 2024 den Aconcagua (6.962 m), den höchsten Berg Südamerikas, besteigen. Hier und auf unserem Facebook- und Instagram-Kanal könnt ihr bei seiner Vorbereitung dabei sein: Wie man für einen Fast-7.000er trainiert, welche Ausrüstung man auf jeden Fall dabei haben sollte und wie man sich schon zuhause an die extreme Höhe anpasst. Diesmal: Der richtige Trainingsplan.
1. Die aerobe Schwelle bestimmen
Die meisten Menschen können den ganzen Tag auf flachem Boden in einem langsamen Tempo gehen. Das liegt daran, dass sie „aerob“ unterwegs sind: Dabei werden unter Verwendung von Sauerstoff vor allem Fette zu Energie umgewandelt. Läuft man hingegen einen steilen Anstieg in schnellem Tempo hinauf, ist dies für die meisten Menschen nicht mehr auf aerober Basis möglich. Der Sauerstoff reicht jetzt nicht mehr aus und der Körper greift zusätzlich auf Kohlenhydrate zurück, was die Muskeln – je nach Trainingszustand – schneller übersäuert und damit ermüdet. Den Puls-Bereich zu kennen, wann der Körper „umschaltet“, ist für die Trainingssteuerung essenziell: Dort kann man ansetzen, um die Sauerstoff-Aufnahme zu erhöhen und das Herz-Kreislaufsystem, also die körperliche Belastbarkeit, zu stärken. Bestimmen lässt sich dieser durch Laktattests wie ihn Sportwissenschaftler anbieten oder durch einen Selbsttest.
Erfahrungswert von Klaus: Ich habe meinen Laktatwert gut drei Monate vor der Abreise nach Argentinien von dem Ausdauer-Experten und Bergsteiger Willi Lilge bestimmen lassen. In Verbindung mit regelmäßiger Pulsmessung (Achtung, Suchtgefahr!) war schlagartig klar, welche Trainingskilometer tatsächlich auf meine Grundlagenausdauer einzahlen und welche nur Zeitvertreib sind. Mit dem Laktattest kamen auch persönliche Empfehlungen von Willi: Um „Belastungsreserven“ zu schaffen – wie er das so schön nennt – habe ich einmal pro Woche Intervalle in mein Training integriert. Rückblickend würde ich den Laktattest deutlich früher machen und werde meine Werte öfters bestimmen lassen.
2. Ausdauer UND Kraft entwickeln
Um stundenlang im alpinen Gelände unterwegs zu sein, braucht es mehr als nur eine solide Ausdauer. Es gibt vor allem zwei gute Gründe, warum Kraft selbst in klassischen Disziplinen wie Wandern oder Hochtouren genauso wichtig ist: Zum einen hilft sie, Verletzungen vorzubeugen, zum anderen kann man erst durch gut entwickelte Kraftreserven sein volles Leistungspotenzial ausschöpfen.
So hängt beispielsweise Geschwindigkeit in hohem Maße von der Kraft ab. Um hohe Berge wie den Aconcagua (6.962 m) schneller zu besteigen, was auch ein Sicherheitsfaktor sein kann, muss man eine höhere Kraft in der Bewegungsmuskulatur erzeugen können. Genau diese gilt es durch gezielte Übungen zu entwickeln. Krafttraining im Bergsport ist allerdings nie Selbstzweck: So geht es keinesfalls darum, bei einer bestimmten Übung im Fitnessstudio stärker zu werden.
Erfahrungswert von Klaus: In Sachen Krafttraining und Bergsport war das „Big Mountain“ Programm von Steve House, an dem ich mich in der Vorbereitung stark orientiert habe, ein Augenöffner. Zwar muss man beim Aconcagua nicht klettern, aber einen Rucksack bis auf 6.961 Meter Höhe schleppen. Genauso braucht es Kraftreserven, wenn ein schneller Rückzug nötig ist. Die nötige Ausrüstung hat man schnell beisammen, es ist auch keine Mitgliedschaft im Gym notwendig: Kurzhanteln und Langhanteln mit Gewichten und einige Bänder für Zugübungen. Die Herausforderung war für mich eher nicht zu sehr vom Krafttraining fasziniert zu werden: Mit einem großen Muskelgebirge trage ich ja zu viel an Körpergewicht in die Berge und habe auch einen größeren Aufwand bei der Akklimatisation.
3. Vier bis sechs Tage pro Woche trainieren
Wenn wir klettern, laufen oder Gewichte heben, setzen wir den Körper einer Belastung aus, die als „Trainingsreiz“ bezeichnet wird. Diese Belastung bringt einige Körpersysteme vorübergehend aus dem Gleichgewicht, weshalb man sich am Tag nach einem harten Training müde, steif oder wund fühlen kann. Wie bei einer Krankheit versucht der Körper, zur Homöostase (= einem Gleichgewicht der Körperfunktionen) zurückzukehren. Ein Erkältungsvirus kann dem Körper helfen, eine immunologische Resistenz gegen diesen Virus zu entwickeln. Das gleiche Phänomen nutzen Trainer und Sportler für das Training: Möglichst häufig wiederholte Stressoren in Form von körperlichen Reizen bewirken, dass sich der Körper an diese besondere Belastung anpasst. Steht irgendwann die große Tour an, so ist der Körper durch das Training schon gut angepasst und die Störung der Homöostase möglichst gering.
Erfahrungswert von Klaus: Vier bis sechs Tage an Training pro Woche haben sich bei mir neben Familie und einem Vollzeit-Beruf erstaunlich gut unterbringen lassen – weil ich zu Kompromissen im Sozialleben bereit war: Für jedes gemütliche Treffen mit Freunden ist dann nicht mehr Zeit. Das Leben ist dadurch zwar recht sportlich, aber auch etwas eindimensionaler. Im Mittelpunkt steht beim Training die Ökonomie: Laufstrecken müssen nicht spektakulär sein, viel wichtiger sind die kurzen Wege zum Start- und Endpunkt. Hilfreich war es für mich die längeren Ausdauer-Einheiten in die Abend- und Nachtstunden zu verlegen und Krafttraining gleich in der Früh nach dem Aufstehen zu machen – das wäre früher völlig undenkbar für mich gewesen. Aber der Körper gewöhnt sich an manches.
4. Die richtigen Schwerpunkte setzen
Jeder, der laufen kann, ist auch in der Lage mit dem Training für einen großen Berg zu beginnen. Möchte man in sechs Monaten den Aconcagua besteigen, ist der Startpunkt eine grundlegende Wanderfitness und eine solide Kraftbasis. Ab dann heißt es konsequent trainieren. Das will allerdings geplant sein:
Ob man ausgedehnte Spaziergänge oder gleich harte Trail-Runs macht, um die Ausdauer zu steigert, hängt ganz vom eigenen konditionellen Zustand ab. Je fitter man ist, desto schwieriger (und anstrengender) ist es, eine ausreichende Trainingsbelastung zu erzeugen. Daher müssen sich Sportler mit einer exzellenten Grundlagenausdauer oft wesentlich härter pushen, um die notwendige Belastung zu erzeugen. Statt 10.000 Schritte im Laufe eines Tages zwischen Büro und U-Bahn zu gehen, heißt es steile Wege zu laufen oder lange Wanderungen mit zusätzlichem Gepäck in kupiertem Gelände zu machen. Erst dann bewirkt das Training die gewünschte Anpassung.
Erfahrungswert von Klaus: Durch die regelmäßigen Bergtouren der letzten Jahre hatte ich einen soliden Startpunkt für meine Aconcagua-Vorbereitung. Das ist Fluch und Segen: Mit einem gut domestizierten inneren Schweinehund lässt sich gut Sport machen. Es gibt allerdings auch viel Routine schon vor den letzten zehn Prozent abzuriegeln – also, bevor es richtig wehtut. So manchen Berg bin ich tapfer raufgekeucht, um auf meiner Uhr bei der Auswertung dann „Formerhalt“ zu lesen. Mir einzugestehen, dass ich noch deutlich mehr geben könnte, es aber vermeide, war anfangs nervig. Als ich mich härter gepusht habe, wurde das Training lustvoller und deutlich vielseitiger.
5. Fortschritte protokollieren
Es gibt viele Anzeichen, dass die eigene Fitness besser wird. Eine gute Referenz sind Strecken, auf denen man schon oft unterwegs war: Wenn man auf seinem Hausberg normalerweise zwei Stunden zum Gipfel braucht und das nach vier bis acht Wochen in kürzerer Zeit, mit einer niedrigeren Herzfrequenz und dem Gefühl sich weniger anzustrengen gelingt, dann hat man sich ganz klar weiterentwickelt.
Eine körperliche Herausforderung weniger angestrengt zu verrichten ist ein allmählicher Prozess, der sich nicht von einem Tag auf den anderen ändert. Das hat viel mit der Konsequenz wie man einen Trainingsplan verfolgt, genauso wie mit Alter und genetischen Voraussetzungen zu tun. Um Fortschritte zu erkennen und zu steuern, empfiehlt es sich das Training mit GPS-Uhren und Online-Trainingsplattformen wie Uphill Athlete und TrainingPeaks zu protokollieren.
Erfahrungswert von Klaus: Regelmäßiger Sport hat meine Kondition über die letzten Monate – messbar – zunehmen lassen. Das ist aber nicht alles: Durch die Entscheidung für den Aconcagua ist bei mir in Sachen Gesundheit und Körperbewusstsein ein veritabler Sog entstanden. So habe ich eine Gesunden-Untersuchung samt detailliertem Blutbild gemacht, einen Laktattest und habe mich in Sachen Ernährung beraten lassen (von Bergwelten-Expertin Karin Ratschiller). Außerdem war ich beim Internisten für ein Belastungs-EKG und habe via Physiotherapie (bei Mario Mostböck) endlich mein Läuferknie saniert. Ob ich nun den Gipfel erreiche oder nicht – der Weg ist jetzt schon das Ziel.
6. Hyperfokussiert sein
Körperliche Fitness ist wichtig, die Markenzeichen der Besten sind zudem Konzentration, Gelassenheit, Zuversicht und ein klares Urteilsvermögen. Mentale Stärke habe ich vor allem während meines Studiums beim Klettern in Slowenien gelernt. Viele der Routen im lockeren Fels der Julischen Alpen sind – scherzhaft gesagt – „nicht schwierig, nur gefährlich“. Es geht dort nicht darum, sich wie ein Laserstrahl auf den nächsten harten Zug zu konzentrieren, sondern hyperfokussiert, also in einem Zustand der „Fuzzy Awareness“ zu sein: Dabei scheint mein Bewusstsein einen Meter über und hinter mir zu schweben. Während ich mich sicher, effizient und schnell in den Wänden bewege, sehe ich die Griffe und Tritte, behalte aber auch den Routenverlauf im Auge, weiß, wo meine letzte Sicherung war und die nächste sein wird, und ob Steinschlag oder andere Gefahrenmomente drohen könnten. Dies hilft mir nicht nur beim Durchsteigen der Route, vor allem erhöht es meine Sicherheit.
Wer die Idee der „Fuzzy Awareness“ mit dem Grundprinzip verbindet, dass Wachstum aus Kampf und Reflexion entsteht, ist auf dem besten Weg, mentale Stärke aufzubauen.
Erfahrungswert von Klaus: So dünne Luft wie am Gipfel des Aconcagua habe ich noch nie auf einem Berg geatmet. Der Gedanke an dieses Neuland fasziniert mich UND löst Demut aus. Mentale Stärke kommt für mich – sehr im Sinn der Gedanken von Steve – durch ein regelmäßiges, bewusstes Tun: ein Hineinspüren in den Körper und ein offenes Wahrnehmen der alpinen Umgebung. Vorbereitungstouren sind dann mehr als ein bloßes Abspulen von Höhenmetern. Durch sie entsteht ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das Unbekannte wird dann fassbarer und damit sinkt auch die Sorge vor der großen Aufgabe.
Bergwelten-Webtipp: Ob Berglauf, Eiger Nordwand oder Aconcagua – mit den Trainingsplänen von Steve House startet man gut vorbereitet ins nächste Bergabenteuer.
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