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Berg-Know-How

Der Weg als Ziel: Wer kümmert sich um Wanderwege?

• 4. Oktober 2021
4 Min. Lesezeit
von Simon Schöpf

Die Wanderwege in den Alpen sind die Grundlage für alle Bergsportarten. Doch wer kümmert sich um die Wege, wer legt sie an, wer pflegt sie? Antworten darauf geben die ehrenamtlichen Wegewarte des Alpenvereins.

Wegwarte mit Hund
Foto: Simon Schöpf
Oft kümmern sich ehrenamtliche Wegewarte des Alpenvereins um die Wanderwege oberhalb der Baumgrenze. Freiwillig, ohne Bezahlung
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„Es war schon auch wahnsinnig viel Glück dabei. Passiert ist das mitten in der Nacht, am nächsten Tag haben wir genau da in dem Gelände ein Tourenrennen geplant. Wäre alles ein paar Stunden später passiert, hätten wir gut und gerne 50 Tote haben können.“ Den Worten von Andreas Bstieler folgt eine andächtige Pause – und der Blick fixiert den riesigen hellen Fleck oben in der Hochwand, so groß wie ein Hochhaus.

Wir stehen mitten in einem gewaltigen Trümmerhaufen, Blöcke so groß wie die nahe Alplhütte sind im Gelände verstreut. „Über zwei Kilometer hat sich das Gestein Richtung Inntal geschoben, die Brocken sind im Aquaplaning-Prinzip über den harten Schnee runtergerutscht, über eine Million Kubikmeter Fels, unvorstellbar.“ Andreas Bstieler weiß das alles so genau, weil der massive Bergsturz damals, am 21. März 2012, genau durch sein Arbeitsgebiet gefegt ist, in der Mieminger Kette in Tirol. Andi ist Vorsitzender der Sektion Hohe Munde des Österreichischen Alpenvereins, er kennt hier jeden Winkel.

Andreas Bstieler
Foto: Simon Schöpf
Andreas Bstieler, Vorsitzender der Sektion Hohe Munde des Österreichischen Alpenvereins

Da, wo vorher schön angelegte Wanderwege waren, war dann über Nacht nur mehr ein riesiger Schotterhaufen. Genau in diesem stehen wir nun, in der Mittagshitze verströmen die Latschenkiefern ihren süßlichen Duft. Mittlerweile führt wieder ein liebevoll angelegter Steig durch das Gelände – mitsamt Wegmarkierungen, Steinmännchen, gelben Schildern. Man kann wieder bequem Richtung Judenkopfkreuz spazieren, ohne über große Brocken klettern zu müssen, ohne sich ständig die Füße anzustoßen und umzuknicken. Stellt sich nur die Frage: Wer macht das eigentlich? Wieso verläuft der Weg hier so, wie er verläuft?

Wegwarte am Weg zur Arbeit
Foto: Simon Schöpf
Wegwarte arbeiten ehrenamtlich in ihrer Freizeit, wie hier im Tiroler Gschnitztal am Zustieg zur Innsbrucker Hütte

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Mit einer großen Portion Herzblut

Die Antwort ist erstaunlich: Die Wegewarte des Alpenvereins, ehrenamtlich, in ihrer Freizeit. „Das hat schon mit einer großen Portion Leidenschaft zu tun. Ein ehrgeiziger Wegewart will sich auch verewigen, seine Fußabdrücke hinterlassen. Ein gut angelegter Weg ist wie ein Kunstwerk“, weiß Andi Bstieler.

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Die Wege sind integraler Bestandteil der alpinen Infrastruktur und die Basis für jede Bergsportart – über 26.000 km Wanderwege betreut der Österreichische Alpenverein im Land, 143 km befinden sich hier im Arbeitsgebiet in der Mieminger Kette. So ist ganz Österreich genauestens durchkartografiert, jeder Meter Weg befindet sich im Zuständigkeitsbereich einer bestimmten Sektion. Eine klar definierte Grenze gibt es aber auch hier nicht, denn auch Tourismusverbände und Gemeinden kümmern sich um Wege, stellen Schilder auf, basteln Bänke als Rastplatz für müde Wanderer. „Tendenziell fühlt sich der Alpenverein für die Wege oberhalb der Baumgrenze zuständig, das ist ein ungeschriebenes Gesetz“, sagt Andi Bstieler weiter. „Das erfordert natürlich auch entsprechend geschultes Personal, zum Teil verlaufen die alpinen Wege ja durch sehr anspruchsvolles Gelände.“

Wegwarte bei der Arbeit
Foto: Simon Schöpf
Wenn der Berg Charakter zeigt: Wegewarte in den Ausläufern des großen Felssturzes (heller Bereich) der Hochwand

Und die Tätigkeit wird immer fordernder: „Der Klimawandel wirkt sich ganz massiv auf die Wege aus. Wo früher Eis war, muss plötzlich ein Weg her. Extremwetterlagen und Starkregen mit der entsprechenden Erosion sind speziell für die alpine Infrastruktur eine riesige Herausforderung“, weiß Niklas Ohnmacht, Mitarbeiter der Abteilung Hütten, Wege und Kartografie im Alpenverein. Für die Bewertung von sogenannten „Problemwegen“, denen wiederkehrende Ereignissen wie Muren oder Steinschlag zusetzt, wurde ein eigenes Analysewerkzeug geschaffen: R.A.G.N.A.R.

Die Umweltbaustelle am Wegesrand

Ein weiterer Puzzlestein im Quiz der Wegeerhaltung wartet, als wir den neu angelegten Weg bergan steigen. Ein kunstvoll angelegter Steinhaufen präsentiert sich neben dem Steig, verziert mit Zeichen und Symbolen, in großen roten Lettern steht ganz unten: „UWB 21“. Will man wissen, was dieses kryptische Akronym inmitten der Mieminger Berge bedeutet, muss man nur den Helmut „Helli“ Maier fragen.

„Da haben sich unsere Teilnehmer verewigt, das muss auch sein“, schmunzelt er. „Heuer im Juli hatten wir hier unsere Umweltbaustelle, die Truppe war wieder sensationell, und richtig international!“ Als Beweis zeigt er auf ein chinesisches Schriftzeichen auf einem der Steine, ein Name. Dazu kamen noch Teilnehmer aus Deutschland, England und aus allen Regionen Österreichs. Vollstens motiviert wollte die junge Truppe der Bergnatur auch mal etwas zurückgeben, nicht immer nur konsumieren. „Viele nehmen sich extra eine Woche Urlaub dafür!“

Helmut Maier mit Steinhaufen
Foto: Simon Schöpf
Wegewart Andi Schatz neben der Steinmauer, auf der sich die Teilnehmer der Umweltbaustelle 2021 verewigt haben
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Helli Maier ist im Brotberuf Musikpädagoge, in seiner Freizeit organisiert er in Tirol Umweltbaustellen für den Alpenverein. Gut ein Duzend davon gibt es jedes Jahr im ganzen Land. Die Idee ist simpel: Junge Leute bis 30 Jahre melden sich freiwillig für sinnvolle Arbeit in den Bergen, Kost und Logis wird übernommen. „In einer Woche intensiver Arbeit schaffen wir dann das, wofür ein einzelner Wegewart Monate brauchen würde“, erklärt Helli Maier weiter. 

Herausforderung Ehrenamt

Gute, engagierte Leute für das Ehrenamt zu motivieren, das ist und bleibt eine Herausforderung für den Alpenverein. In manchen Sektionen, wie eben hier in um die Hohe Munde, funktioniert das wunderbar und es gibt durch gelungene Nachwuchsarbeit genügend Mithelferinnen und Mithelfer. Andere Sektionen tun sich da schon schwerer, die in die Jahre gekommenen Wegewarte nachzubesetzen – „Hier müssen wir aktiv daran arbeiten, die Generationen zusammenzuführen“, erklärt Clemens Matt. Der Generalsekretär des Österreichischen Alpenvereins ist ebenfalls mit im Gelände und weiß ganz genau, wovon er spricht: „Wenn erstmal die Wichtigkeit der Tätigkeit erkannt ist, findet man auch die Leute dazu“. Auch digitale Innovationen helfen dabei, wie etwa die neu entwickelte App für eine einfache und exakte Dokumentation der Arbeiten. Oder analoge, wie ein designierter Ausweis für Wegewarte.

Wegwarte bei der Arbeit
Foto: Simon Schöpf
Wegwarte bei der Arbeit: Ein herzliches Dankeschön an all die ehrenamtlichen Wegwarte

Es muss ja nicht gleich ein Bergsturz sein, aber zwei Sachen sind gewiss: Die Natur in den Bergen ist unbarmherzig, ein Wanderweg ist eine Dauerbaustelle. Und ohne die hingebungsvolle Arbeit aller Wegewarte wäre das Wandern schlicht nicht so möglich, wie wir es in den Alpen gewohnt sind. Ein gepflegter, gut angelegter Weg ist keine Selbstverständlichkeit, er ist zugleich harte und kreative Arbeit. Ein Kunstwerk für unsere Füße – auf dass uns das mit jedem Schritt bewusst sei.

Selber mitmachen!

Neugierig geworden? Willst auch du der Natur etwas zurückgeben und dich ehrenamtlich einbringen? Der Alpenverein freut sich über motivierte Helferinnen und Helfer, ob bei einer Umweltbaustelle, einem Bergwaldprojekt oder bei etwas ganz anderem – die mehr als 10.000 freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sowie die 16.000 Funktionärinnen und Funktionäre sind das Herz und die Seele des Vereins!

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