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Christine Theodorovics im Interview

Das totale Jetzt

• 14. März 2019
6 Min. Lesezeit

Über Risiko und Absicherung, über den nächsten Schritt und verrückte Proportionen, über Leidenschaft und Glück: Die bergsteigende Versicherungsmanagerin Christine Theodorovics erzählt uns, was man im Himalaya für die Vorstandsetage lernen kann. Das Interview ist im Bergwelten Magazin (Herbst 2015) erschienen.

Wenn das Wetter umschlägt, habe ich einfach Pech. Und wenn im Job der Chef nicht passt, auch.
Foto: Lukas Gansterer
Wenn das Wetter umschlägt, habe ich einfach Pech. Und wenn im Job der Chef nicht passt, auch.
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Text: Markus Honsig

Bergwelten: Wenn jetzt David Lama bei der Tür hereinkommt, um bei Ihnen eine Lebensversicherung abzuschließen: Was könnten Sie ihm anbieten?

Christine Theodorovics: Ich würde ihm einen schönen Vorschlag für die Altersvorsorge machen – für Freiberufler immer ein wichtiges Thema.

Ich meinte eher etwas wie eine Ablebensversicherung.

Das könnte schwierig werden. Für richtige Extremsportler bieten wir das normalerweise nicht an.

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Wie viel Risiko verträgt eine Lebensversicherung?

Das ist glasklar definiert, da gibt es genaue Spielregeln. Extremsportarten sind ein Faktor, der das Risiko erhöht. Dazu gehört zum Beispiel Bergsteigen oder auch Tauchen. Das macht eine Lebensversicherung unterm Strich kostspieliger.

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Sie tauchen, Sie gehen auf Berge: Ihre persönliche Lebensversicherungsprämie ist also auch etwas höher.

Wenn ich eine reine Ablebensversicherung hätte, wäre sie ein bisserl höher, das stimmt, aufgrund des Tauchens und des Bergsteigens. Da ich jedoch keine Achttausender gehe, wäre ich schon wieder in einer niedrigeren Risikokategorie.

Was war Ihr höchster Berg bisher?

Der Seribung Peak in Nepal mit 6.328 Metern.

Wie sind Sie zum Bergsteigen gekommen?

Ich bin Wienerin, und schon als Kind bin ich viel auf der Rax unterwegs gewesen, hab das Bergsteigen zwischendurch verloren, mit Tauchen, Basketball und Reiten begonnen, und erst nach dem Studium beim Backpacken in Südamerika wiederentdeckt. Da bin ich in La Paz irgendwo vorbeigegangen, wo Touren auf den über 6.000 Meter hohen Huayna Potosí, den Hausberg von La Paz, angeboten wurden. In meinem jugendlichen Größenwahn dachte ich: Das mach ich jetzt. Natürlich bin ich furchtbar gescheitert, wurde höhenkrank, musste umdrehen. Trotzdem hat es mich damals gepackt. Als ich vor 15 Jahren in die Schweiz gezogen bin, habe ich das Bergsteigen intensiviert, da stehen die Viertausender ja um die Ecke.

Wie viel Risiko gehen Sie am Berg ein?

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Ich bin inzwischen relativ vorsichtig. Um Paul Preuß zu zitieren: „Das Können ist des Dürfens Maß.“ Ich muss das Gefühl haben, dass ich es kann, dass ich mich nicht übernehme, dass ich es nicht nur hinauf-, sondern auch noch hinunter schaffe, dass ich Reserven habe, falls etwas passiert. Ähnlich ist es bei der Ausrüstung: Ich habe immer einen Biwak-Sack mit, immer eine Stirnlampe, weil man aufgrund einer Verletzung auch schnell in die Nacht kommt. Ich glaube, es ist einfach eine Frage des Alters, der Erfahrung – je mehr man unterwegs war, umso mehr hat man gesehen, umso besser weiß man, was alles passieren kann.

Haben Sie auch Angst am Berg?

Ich hatte, glaube ich, noch nie konkrete Angst, dass ich irgendwo runterfallen könnte. Heikel sind zwei Dinge, eigentlich drei. Erstens das Wetter, auch wenn das heute schon viel besser ist, weil man doch stabile Prognosen bekommt. Zweitens, davor habe ich am meisten Angst: Steinschlag. Deshalb gehe ich gern in der ersten Seilschaft, da fliegen einem keine Steine um die Ohren von Leuten, die nicht aufpassen. Und drittens kenne ich die Angst, wenn man am kurzen Seil am Grat oder im steilen Gelände geht, mitgerissen zu werden, wenn einer stürzt.

Was treibt Sie auf die Berge?

Ich glaube, es sind die Weite und die Schönheit, die Herausforderung, da draußen zu sein. Und natürlich kann man da draußen sehr gut abschalten. Je anspruchsvoller die Tour, desto besser, desto mehr vergisst man die Meetings im Büro und denkt genau nur an den nächsten Schritt. Da ist man dann wirklich im totalen Jetzt.

Wie oft sind Sie am Berg?

Viel zu selten. Aber ich schau schon, dass ich etliche Wochenenden in die Alpen und alle zwei Jahre in den Himalaya komme, sonst werde ich unrund.

Warum gerade der Himalaya?

Er hat mich gefesselt. Ich war 2003 das erste Mal im Himalaya, zuvor in den Anden. Die sind auch schön, aber der Himalaya hat noch einmal was ganz Gewaltiges. Ich habe letztes Jahr mit meinem Lebenspartner eine Manaslu-Umrundung gemacht, und dann steht man in einem Dorf auf 3.000 Meter Höhe genau unter dem Manaslu mit seinen 8.200 Metern und hat fünf Kilometer Bergwand vor sich, das ist schon ein gewaltiger Eindruck. Als ob man eine Spielfigur wäre und die Proportionen nicht mehr stimmen.

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  • Ist Bergsteigen Männersache?

    Also grundsätzlich glaube ich das nicht. Es gibt genügend Frauen, die auf die Berge gehen. Das Höhenbergsteigen mag noch von Männern dominiert sein. Da ist es nicht einfach, in diese Clique hineinzukommen. Außerdem müssen sich Frauen, wenn sie ins beste Alter fürs Höhenbergsteigen kommen – also ab 30 –, entscheiden, ob sie Familie wollen oder nicht.

    Welche Erfahrungen haben Sie als Frau am Berg?

    Ich bin oft die einzige Frau. Aber das kenne ich vom Berufsleben. Und am Berg selbst ist es egal, ob man Frau oder Mann ist. Da geht es alleine um Leistung.

    Sie hatten also bislang keine schlechten Erlebnisse?

    Mit den Männern nicht, nein. Mit den Bergen schon.

    Und im Beruf?

    Nein, auch nicht. Es ist im Grunde immer ähnlich: Man ist als Frau relativ alleine auf weiter Flur. Also in meiner Generation ist es noch so.

    Welche speziellen Talente bringen Sie mit für den Weg zum Gipfel und in die Vorstandsetagen?

    Eine gewisse Leidenschaft für die Sache – und die Kraft, sie auch umzusetzen. Man muss wissen, was man will, muss eine gewisse Authentizität bewahren. Dann braucht es Leistung, klar – und auch Glück. Wenn das Wetter umschlägt, habe ich einfach Pech. Und wenn im Job der Chef nicht passt, auch.

    Was kann man mitnehmen vom Berg für das Leben im Tal?

    Wie schon gesagt: Leidenschaft ist wichtig. Das Zweite: nicht alleine gehen, weder am Berg noch im Beruf. Aber: Ich gehe nur mit Menschen, die ich kenne. Was für mich im Job wie am Berg auch wichtig ist: zu wissen, wann ich einen Experten dazu hole – am Berg wäre das der Bergführer. Das hat mit Risikoabschätzung zu tun, man darf nie glauben, alles alleine zu können. Wichtig ist oben wie unten: gutes Training, gute Vorbereitung. Und, ebenfalls schon erwähnt: Man braucht eine gute Portion Glück am Weg nach oben, da wie dort.

    Ein Unterschied: Seilschaften im Beruf haben oft einen negativen Beigeschmack.

    Seilschaften am Berg sind Menschen, die sich zusammen an ein Seil binden, um den Gipfel zu erreichen. Da geht es um Sicherheit – ich habe mich auch schon ausgehängt, wenn ich das Gefühl hatte, in der Seilschaft leichter runterzufallen als alleine. Im Beruf haben Seilschaften zu Recht etwas Negatives, wenn es um Netzwerke geht, die sich unabhängig von der Leistung nach oben helfen.

    Gibt es jemanden, mit dem Sie am Berg besonders gern an einem Seil hängen?

    Ja, den gibt es, das ist der Andi, ein Schweizer Bergführer, mit dem ich seit sechs, sieben Jahren immer wieder gehe. Der weiß genau, was ich schaffen kann. Ich bin mir da selber oft unsicher. Aber wenn der Andi sagt, du kannst das, dann mach ich das, dem vertrau ich fast blind.

    Gibt es solche Menschen auch in Ihrer Berufskarriere?

    Ganz, ganz sicher. Da funktioniert diese positive Bestätigung genauso. Ich reagiere da sehr stark darauf. Wenn meine jeweiligen Chefs sagten, du kannst das, habe ich die Herausforderung immer ergriffen. Wie am Berg: Wenn der Andi sagt, ich kann das, dann kann ich das.

    Sie waren in diesem Jahr am Großglockner und am Matterhorn. Wie wichtig sind Namen und Image eines Bergs?

    Die bekannten Berge sind immer ein Ziel, die höchsten, schönsten jedes Landes, aber bei weitem nicht nur diese. Das Matterhorn zu besteigen war ein langjähriger Traum von mir. Im Sommer hat sich diese Möglichkeit ergeben – ein tolles Erlebnis, es ist ein so schöner Berg.

    Zur Person

    Christine Theodorovics, 51, ist Vorstandsmitglied der Zürich Versicherung in Österreich, zuständig für den Bereich Lebensversicherungen. Die gebürtige Wienerin mit Schweizer Pass hat unter anderem in Singapur, Dubai, Paris und Zürich gearbeitet. Heute lebt und arbeitet sie in Wien. Theodorovics ist Tauchlehrerin, Skilehrerin und Bergsteigerin. Sie hat im schweizerischen Monte-Rosa-Massiv dreizehn Viertausender in vier Tagen bewältigt, sie war mit Reinhold Messner auf Trekkingtour beim Machapucharé im Annapurna-Massiv und, sie hat den Nanga Parbat in Pakistan sowie den Kailash in Tibet umrundet.

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