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Foto: Lukas Gansterer
Gipfelgespräch

Der Maler Herbert Brandl über den Traum vom leeren Berg

• 19. Oktober 2021
6 Min. Lesezeit

Der österreichische Maler Herbert Brandl über abgeschnittene Gipfel, Bergtouren in Sandalen, kreatives Herumirren und die lebenslange Aufgabe, das Matterhorn zu malen.

Autor: Markus Honsig für das Bergwelten Magazin Juni/Juli 2015

Bergwelten: Dieses Jahr wird die Erstbesteigung des Matterhorns vor 150 Jahren in der Schweiz gefeiert. Wie oft haben Sie das Matterhorn schon gemalt?
Herbert Brandl: Nicht sehr oft. Vielleicht fünfzigmal.

Erinnern Sie sich noch an das erste Mal?
Das Matterhorn kommt eigentlich aus meiner Kindheit, aus meinem Heimathaus in der Südsteiermark. Mein Vater hat eine Zeichnung auf die Wand des Stiegenhauses gemacht, in Kohle, eine Zeichnung vom Matterhorn. Ich war noch ein Kind, und ich war extrem beeindruckt, dass mein Vater Berge eben so auf die Wand zeichnet. Er zeigte mir Fotos und Bücher über die Schweizer Bergwelt, das hat mich sehr inspiriert. Und schon damals habe ich mich selbst verewigt und in die Zeichnung des Vaters am unteren Rand ein eigenes kleines Matterhorn eingeritzt.

Das erste Matterhorn von Brandl junior.
Das war mein erstes Matterhorn, mit vier Jahren, ja. Seither habe ich es immer wieder aufgegriffen. Nicht, weil es ein Motiv ist, das so überpopularisiert ist. Mich hat der persönliche, der emotionale Zugang fasziniert, meine Vorstellungswelt, wie dieser Berg ist, was dort sein könnte.

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Waren Sie schon einmal am Matterhorn?
Am Gipfel? Nein, das ist ein unangenehmer Weg da hinauf. Wenn ich in die Berge gehe, ist nie der Gipfel mein Ziel. Ich gehe in die Berge zum Schauen. Ich bin immer auf der Suche nach dem starken Eindruck. Ich irre eigentlich herum. Ich lasse mich da und dort in irgendein Tal hinein verleiten, bis ich anstehe und nicht mehr weiterkomme. Bei meinen Wanderungen geht es im Grunde immer darum: dass ich Orte finde, wo ich eine Vorstellung von Wildnis, von Unberührtheit, von Ursprünglichem bekomme.

Herbert Brandl im Gespräch mit Markus Honsig.
Foto: Lukas Gansterer
Herbert Brandl, 56 Jahre, gehört seit 30 Jahren zu den wichtigsten Vertretern österreichischer Gegenwartsmalerei. Er nahm an internationalen Ausstellungen teil, etwa 1992 an der documenta in Kassel oder der Biennale in Venedig 2007. Seine Bilder sind in Museen wie der Wiener Albertina, dem Centre Georges Pompidou in Paris oder dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid vertreten. Seit 2004 ist er Professor für Malerei an der Kunstakademie in Düsseldorf. Der im südsteirischen Sulmtal geborene Br

Es sind die berühmten Berge, die Sie malen: Everest, Annapurna, Mount Kenya. Was interessiert Sie an diesen Bergen? Der Mythos, die Namen, das Drama, die Ästhetik?
Es ist schon zuerst einmal die Form, diese Urform des Berges, diese Dreiecksästhetik. Das sind Berge, die auch eine gewisse Breite haben. Wenn sie zu spitz werden – wie der Cerro Torre –, das ist mir zu wild, das ist zu dramatisch, das mag ich nicht.

Viele Ihrer Berge wirken bedrohlich, abweisend, gefährlich.
Ja, der Sonnenschein-Berg, der kommt bei mir extrem selten vor. Meistens gibt es starken Wind, Schneefall oder Ähnliches. Das fasziniert mich schon, das Bedrohliche an den Bergen. Und ein Achttausender ist natürlich von vornherein bedrohlich. Das ist Todeszone.

Haben Sie selbst jemals bedrohliche Situationen am Berg erlebt?
Na ja, als jüngere Leute sind wir schon sehr oft schlecht ausgerüstet, mit Sandalen an den Füßen, auf den Berg gegangen und haben uns dann irgendwo verkriechen müssen, um zwei Stunden ein Gewitter abzuwarten.

Mit Sandalen am Berg?
Kein Vorbild für die Jugend. Überhaupt nicht. Ich muss mich heute noch zwingen, Bergschuhe anzuziehen. Im Wald gehe ich oft barfuß. Das macht viel mehr Spaß.

Ihre Bilder vermitteln eine gewisse Einsamkeit. Nicht nur, dass keine Menschen am Berg sind. Die Berge sehen auch aus, als ob sie noch nie bestiegen wurden.
Ja, das ist mein Traum, der leere Berg, der Berg, den niemand besteigen kann. Die leere Landschaft, das Unberührte, wo niemand hingeht, wo niemand sein will. Mir gefällt diese Idee der Einsamkeit, die Idee, dass der Berg alleine ist. Ich gehe ja auch nicht hinauf. Ich möchte gern aus der Almhütte hinausschauen und mir denken: Da oben, da kann niemand sein, da geht niemand hin, das ist einfach wild, von uns noch nicht erobert.

Das Atelier von Herbert Brandl.
Foto: Lukas Gansterer
Teppich-Landschaft – nicht nur im Wald, auch im Atelier ist Herbert Brandl am liebsten barfuß unterwegs.

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Keines Ihrer Bilder trägt einen Titel, auch nicht den Namen des Berges.
Ich habe schon vor mehr als 30 Jahren mit Titeln gebrochen. Seither hat es nie einen Titel für meine Bilder gegeben. Es ist eben nicht der Mount Everest. Es ist Malerei. Der Everest trägt die Malerei. So wie er die Bergsteiger trägt, trägt er mich als Maler auch. Er transportiert meine malerischen Überlegungen. Wie gehe ich mit Farben um, wie verteile ich die Farbe?

Wie schaffe ich es mit einem Strich, mit einem großen Pinselstrich, dass eine Kantigkeit, eine Steigung entsteht oder dass Schnee fällt? Es geht um die Dynamik des Pinselstrichs, es geht um die Farben. Mein Ausgangspunkt sind die Farben. Das Bild, das hier im Atelier hinter mir steht, ist zwölf Jahre alt. Damals war es eine Vorliebe für Blau, Braun und Weiß.

Sie suchen zur Farbe den Berg?
Ich suche den Berg zur Farbe, ja. Es ist eine farbliche Überlegung, die ein Gerüst braucht, einen Transporteur braucht. Die Malerei mag Farbübergänge. Im Nebel taucht eine Farbe auf und verschwindet wieder. Bei glasklarem Himmel ist alles abgegrenzt. Das ist wunderschön anzusehen, aber nicht zu malen. Für mich geht es darum, die Farben ineinander zu vermalen, sie zu vermischen und sie zu vermalen. Ich könnte es auch abstrakt anlegen, was ich ja immer wieder mache.

Aber ich habe es ganz gern, wenn ich weiß, das ist der Anna purna, das ist der Everest-Nordwestgrat. Das verankert mich in dieser Welt. Ich möchte kein Bergmaler sein, das käme mir völlig bescheuert vor. Aber ich bewege mich gern zwischen Abstraktion und Realismus. Das ist das Spannungsfeld, in dem ich arbeite.

Wie entstehen Ihre Bilder? Malen Sie nach einer Vorlage? Müssen Sie den Berg gesehen haben?
Ein Foto als Vorlage verwende ich kaum. Und wenn, dann nur für die Form, dass den Gipfel ein Bergsteiger eventuell erkennen könnte. Ich muss den Berg auch nicht gesehen haben, um ihn zu malen, muss nicht vor Ort gewesen sein, um die Luft zu spüren oder das Licht zu sehen. Das ergibt sich in der Malerei, die Stimmung, das Licht – das ist ein innerer Prozess. Ich male die Bilder aus der Bewegung, aus dem Strich heraus, aus der Pinselgröße, der Farbe.

Sie malen gern im großen Format. Brauchen große Berge große Formate?
Nein, nicht unbedingt. Aber um den Eindruck von etwas wirklich Großem oder Gewaltigem zu haben, ist es natürlich schon besser, wenn das Bild eine gewisse Höhe hat, ja. Bis zu neun Meter – trotzdem passen Ihre Berge meistens nur ganz knapp auf das Bild. Genau. Er ist gerade noch drauf. Meistens endet er direkt unter der Oberkante. Weil er so groß ist, dass er den ganzen Raum einnimmt.

Anfangs haben die Gipfel gar nicht auf das Bild gepasst.
Das stimmt, den Gipfel hab ich lange Zeit abgeschnitten. Das hatte formale Gründe. Sobald der Gipfel dazukommt, gewinnt das Bild an Räumlichkeit. Eine Räumlichkeit, die ich vielleicht gar nicht will. Ich will ja manchmal, dass es einfach flach wirkt, wie eine Wand. Deshalb habe ich lange Zeit den Gipfel abgeschnitten. Das Anlegen der Gipfel hat mich einiges an Überwindung gekostet. Es war ein Schritt weg vom Abstrakten zum konkreten Berg, zum konkreten Gipfel.

Maler Herbert Brandl.
Foto: Lukas Gansterer
Herbert Brandl ist seit seiner Jugend ein begeisterter Sammler von Bergkristallen.

Wie hat sich Ihre Bergmalerei im Laufe der Jahre weiterentwickelt?
Im Moment male ich extrem flach, lang gestreckte Bergrücken, vier Meter lang und dreißig Zentimeter hoch. Und ich male – neben dem Abstrakten – auch Flusstäler.

Gibt es Berge, die Sie besonders gern oder weniger gern malen?
Der Everest ist der leichteste Berg, den ich kenne, der geht ganz flüssig. Das Matterhorn hingegen fällt mir sehr schwer, das gelingt mir oft nicht so gut, dieser dreieckige Gipfel mit dem Knick, das ist immer ein Kampf. Mit dem Matterhorn war ich noch nie zufrieden.

Das finale Matterhorn gibt es noch nicht?
Nein. Es gibt ein Bild vom Matterhorn, das ich für meine Ärztin gemalt habe, weil sie mein Leben gerettet hat. An dem habe ich ein Jahr gemalt, habe es immer wieder versucht, es ist immer wieder misslungen. Das ist wie Bergsteigen: Du gehst zum Berg, und es regnet, du kommst ein zweites Mal, und es schneit. Man muss immer einige Anläufe nehmen. Beim Everest gibt es das Problem nicht. Da geh ich hin, und er funktioniert im ersten Anlauf, bei jeder Wetterlage.

Was ist mühseliger: Berggehen oder Bergmalen?
Natürlich Bergmalen. Im Ernst: Wenn ich eine Ausstellung vorbereite, kann es zeitweise wirklich übel für mich werden. Da steuere ich oft in ein emotionales Desaster hinein, weil die Leute – meine Freunde, mein Publikum – etwas Neues erwarten, einen nächsten Schritt sehen wollen. Ich kann nie auf Bewährtes, schon Erfolgreiches zurückgreifen.

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