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Am Luchs Trail: Auf den Spuren leiser Pfoten

Regionen

5 Min.

10.06.2022

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Um die namensgebende Wildkatze beim Wandern zu sichten, muss man am Luchs Trail viel Glück haben. Sicher erlebt man in Österreichs Herzen aber eine Wildnis, die es nicht mehr oft gibt.

Christina Geyer für das Bergwelten-Magazin August/September 2020

Wäre der Dreiklang aus Wildnis, Urwald und Wildkatze ein Rätsel, wer käme schon auf die Idee, dass die Lösung „Österreich“ lauten könnte? Nicht das ganze Land natürlich, doch tatsächlich findet man all das im Herzen der Alpenrepublik. Und es gibt einen Weitwanderweg, auf dem sich diese Behauptung überprüfen lässt: Luchs Trail heißt er, nicht ohne Grund.

Hier, im Dreiländereck von Oberösterreich, der Steiermark und Niederösterreich, lebt die größte nicht domestizierte Katze Europas, der Eurasische Luchs. Auf den 220 Kilometern des Trails wandert man auf ihren Spuren durch die Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse sowie das Wildnisgebiet Dürrenstein. Elf Tage durch eine Wildnis, wie man sie sonst nur noch selten findet. Der Luchs weiß, wo es sich gut Pfote fassen lässt. Keine Selbstverständlichkeit, galt er doch in Westeuropa über Jahrzehnte als ausgerottet. Erst ab den 1960er-Jahren kam es zu Wiederansiedlungsversuchen – sechs Luchse wurden in den Kalkalpen ausgelassen und streifen seitdem durch alle drei Gebiete.

Wenn es also irgendwo im Unterholz knackt, ja, dann könnte das ein Luchs sein. So unwahrscheinlich eine Sichtung der nachtaktiven Katze auch sein mag, die Hoffnung bleibt. Ein etwas realistischeres Glück ist es, deren Rufe zu hören, wie Franz Sieghartsleitner vom Nationalpark Kalkalpen verrät. In der Paarungszeit, im Frühling, schreien die Luchse nämlich auch untertags: „Das klingt wie Babygeschrei.“ Der studierte Jurist ist so etwas wie ein „Anwalt der Natur“.

Er weiß: Das Schutzgebiet wurde nicht ohne Grund für die Aussiedlung gewählt. „Der Luchs ist eine Waldkatze, und über 80 Prozent der Nationalparkfläche bestehen aus Wald.“ 


Buchen suchen

Eine schier unermessliche Farbpalette aus Grünschattierungen, lianenverhangene Pfade, ein österreichischer Entwurf vom Dschungel. „Der Wald hat sehr viele Gesichter“, weiß Franz, „wir unterscheiden im Nationalpark 32 verschiedene Typen.“ Schneeheide-Kiefernwälder etwa, Buchen-Fichten-Tannen-Wälder oder Lärchenwälder – und freilich: Buchenwälder.

Denn so vielfältig der Wald auch sein mag, besonders stolz ist man auf die Rotbuche, durch deren Bestände man gleich am ersten Tag über den Buchensteig zur Anlaufalm wandert. Der Rotbuche ist es gewissermaßen ähnlich ergangen wie dem Luchs: Auch sie wurde beinahe ausgerottet, unter Schutz gestellt und zum Weltnaturerbe erklärt. Die Buchenwälder der Kalkalpen gelten seither als das größte Buchenwaldschutzgebiet der Alpen. 

Ab und zu lichtet sich der Wald kurz, dann tun sich Almen auf. Die Blahbergalm etwa, die man auf der zweiten Etappe passiert. Sie ist ein echter Geheimtipp, schwärmt Franz. Betrieben von den Biobauern Konrad und Walpurga „Purgi“ Hörmann, ist sie die Sommerfrische-Residenz von 32 Murbodner Rindern, einer alten Nutztierrasse. Die Hörmanns sind davon überzeugt, dass „d’Viecher vom Gras leben sollen und ned vom Soja oder Getreide“.

Alles, was das Ehepaar kredenzt, ist selbst gemacht. Schweinsbraten, Karreespeck, Bratlschmalz, Blutwurzschnapund ein Topfen, der sich das Prädikat des weltbesten verdient hätte. Wie kann ein Topfen so cremig werden? „Man muss ihn nur lang genug rühren“, verrät Purgi. Mit so einer Stärkung spult sich die Reststrecke der insgesamt 23-Kilometer-Etappe bis zur Laussabaueralm wie von selbst ab.

Wenn man dort dann mit einem Glas Most im Schatten einer 350 Jahre alten Linde sitzt, zeichnen sich bereits die steilen Dolomitwände der Gesäuse-Berge in den Ennstaler Alpen ab. Man befindet sich unmittelbar an der Grenze zur Steiermark, getrennt nur noch von der breiten Felsfront der Haller Mauern. Sie gilt es am nächsten Tag zu überschreiten. 


Die zahme Seite des wilden Fels

Was die Wälder den Kalkalpen, das sind die Berge dem Gesäuse – nicht ohne Grund als „Universität des Bergsteigens“ bezeichnet. Doch auf dem Luchs Trail zeigt es sich von seiner zahmen Seite: Wälder, Almen und Kulinarik. Nationalparkdirektor Herbert Wölger ist gewissermaßen Pate dieses Weitwanderwegs. „Eigentlich geht er ja aus dem Projekt ‚Netzwerk Naturwald‘ hervor, an dem drei benachbarte Schutzgebiete arbeiten.“ Gemeint sind die Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse sowie das Wildnisgebiet Dürrenstein in Niederösterreich.

„Wir sind dann aber draufgekommen, dass ‚Netzwerk Naturwald‘ als Name für einen Weitwanderweg nicht besonders sexy klingt“, erzählt er schmunzelnd. Und so hat man überlegt, was die Schutzgebiete noch miteinander verbindet. Die Lösung war schnell gefunden: der Luchs. Wölger war selbst bei zwei Freilassungen dabei: „Diese drei Sekunden, die du den Luchs siehst, wenn er aus der Kist’n kommt und bis er im Wald verschwindet, die sind einzigartig.“

Der Luchs als Einladung, seine Heimat kennenzulernen. Im Gesäuse tut man das auf fünf Etappen, die von Admont über die Oberst-Klinke-Hütte und Johnsbach bis nach Gstatterboden, zur Ennstaler Hütte und nach Mooslandl führen. Auf Etappe 6, der vorletzten im Gesäuse, spitzt man die Ohren. Tiere – aber nicht etwa Luchs-Schreie sind’s, sondern das „Määäh“ von Ziegen. 


Grande Finale

Sie dringen aus der Bio-Hofkäserei Ennstal-Ziegen, geführt von Gundula und Walter Milwisch. Schon tischt Gundula die Preziosen jener Damen auf, die mit ihrem „Mäh“ den Hintergrundsound zur Hofidylle liefern. Topfen mit Giersch, Petersil Liebstöckl, Paprika, Tomatenmark und Essig und – immerhin sind wir in der Steiermark – mit Kürbiskernöl. Ferner: Frischkäse mit Sesam, Joghurt, Schnittkäse.

„Man kann damit mochn, wos ma wü“, schwört Gundi. 30 Milchziegen leben derzeit am Milwisch-Hof. Und natürlich hat jede einen eigenen Namen. „Ich brauch nur einischauen und schreien, dann meldet sich die Richtige“, erzählt Walter. Ein Segen, dass die Milwischs auch ab Hof verkaufen. Gundi versichert: „Solang bei uns oben Licht brennt, kann man anläuten.“

Das sollte man auch tun, denn eine bessere Jause für die letzte steirische Etappe gibt es schwerlich. Zunächst wandert man über das Dorf Gams und durch die Nothklamm, ehe man das Tagesziel erreicht: Palfau. Ab hier dringt man in niederösterreichische Gefilde, genauer: ab der Kleinpromaualm mit anschließendem Abstieg ins Mendlingtal. Das Ende von Etappe 10 führt durch eine wilde Karstlandschaft bis zum Hochmoor Leckermoos. Nach eineinhalb Wochen Fußmarsch in den Beinen steht nur noch das Grande Finale aus. 

Stellt man sich die drei Schutzgebiete als Schwestern vor, ihre gemeinsame Mutter wäre die Wildnis. Besonders stark ist diese mütterliche Kraft am Dürrenstein im einzigen Wildnisgebiet Österreichs. Hier darf sich die Natur nach ihren eigenen Gesetzen entfalten. Geschützt werden nicht etwa einzelne Pflanzen oder Tierarten, sondern die Natur als System. Der Mensch überlässt sie also sich selbst und greift nicht ein. Das Ergebnis: Im Wildnisgebiet Dürrenstein gibt es den letzten großen Urwaldrest des Alpenbogens.

Einen besseren Abschluss kann man sich vielleicht gar nicht denken, wenn man tagelang auf den Spuren einer wilden Katze wandelt. Auf halbem Weg hinauf zur Ybbstaler Hütte sieht man sie dann, die kolossalen Tannen und 400 Jahre alten Buchen des Wildnisreservats. Die Jetztzeit holt einen erst wieder ein, als Hüttenwirtin Inge Wurzer hinter ihrer holzverschindelten Hütte sitzt, Kaffee einschenkt und ihre Interpretation der Wildnis teilt: „Wenn ein Baum nur noch drei Äste hat oder schon der Baumschwamm aus dem Stamm wächst, das ist für mich Wildnis – wenn die Natur alles wiederverwertet.

“Sie muss es wissen. Der Wald rings um die Hütte fiel 2007 einem Orkan zum Opfer. Die Lunzerin sieht es gelassen: „Damals hast du durch den Wald keinen Sonnenuntergang und keinen Berg gesehen. Jetzt sieht man bis ins Gesäuse.“ Weit geblickt hat man vom 1.878 Meter hohen Dürrenstein immer schon. Er ist die Krönung des Luchs Trails.

Wobei: Die Krone muss er sich teilen – mit dem Lunzer See, dem Ziel des Weitwanderwegs. Vor einem beherzten Sprung ins Wasser muss man sich nicht fürchten, denn nach langen Tagen auf diesen Pfaden lässt sich die Wildnis so leicht ohnehin nicht abwaschen.

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