16.800 Touren,  1.600 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Philipp Forstner
Wandern

Unterwegs im Tannheimer Tal auf alten Schmugglerpfaden

• 20. Oktober 2021
6 Min. Lesezeit

Wandern auf drei Ebenen: zu Gast im Tannheimer Tal, dem letzten Stück Tirol vor der bayerischen Grenze.

Autor: Alexander Lisetz für das Bergwelten Magazin März/April 2015

Im Tannheimer Tal kennt man sich aus mit Sommerfrischlern aus dem Flachland. „Die stolpern über ihre eigenen Füße, sobald’s bergauf geht oder ein Stein im Weg liegt“, sagt Raimund Rief, der Hüttenwirt von der Stuiben-Sennalpe. Und dann senkt er verschwörerisch die Stimme: „Manche von denen wissen nicht einmal mehr, wie man aus einem Bach trinkt.

Die musst du erst mit dem Kopf ins Wasser tauchen, damit sie’s kapieren.“ Raimund Rief deutet hinunter in den Morgennebel, der gerade langsam aufsteigt. „Darum treiben wir alle, die neu ankommen, zuerst auf unsere holprigen Buckelflurwiesen im Tal. Dort sperren wir sie ein, zwei Wochen lang in ein Gatter, da können sie sich eingewöhnen.

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Und erst dann lassen wir sie hinauf auf die Alm.“ Was man vielleicht noch erwähnen muss: Die Rede ist von Kühen. Tiroler und Schwaben bringen ihr Vieh seit Generationen zur Sommerfrische ins Tannheimer Tal. Die Bewegung auf der Alm und der Pflanzenreichtum der kargen Tannheimer Böden tun den Tieren gut. Ihre Milch und ihr Fleisch werden durch diese Sommerfrische zu einer wahren Delikatesse, sagen die Feinschmecker. 

Seit die Fleischqualität von Bauch, Bein und Po auch für die zweibeinigen Sommergäste immer wichtiger geworden ist, boomt im Tannheimer Tal das Sporteln. Heute trifft man hier Wanderer und Kletterer, Rennradfahrer und Mountainbiker aus ganz Europa. Das hat mit der günstigen Lage zwischen Garmisch und Reutte zu tun.

Aber auch mit dem touristischen Weitblick, mit dem Gletscher und Urmeer, Muschelkalk und Kontinentalverschiebung das Tannheimer Tal geformt haben.

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Weit und offen

Es liegt rund tausend Meter hoch, damit man es von jedem Hotel weg in zwei, drei Stunden zum nächsten Gipfel schafft. Es ist ungewöhnlich breit, damit es bis spät in den Abend hinein hell bleibt und sich die Klaustrophoben nicht zwischen den Bergen eingeengt fühlen. Und es lässt sich auf bequeme oder auf schweißtreibende Weise entdecken, je nach Lust und Leistungslevel.

Wer es gemütlich mag, spaziert die gut ausgebauten Wege im Tal entlang. Wer tolle Ausblicke genießen will, wandert hinauf zu einer der 17 bewirtschafteten Berghütten. Und wer schwindelfrei und gut in Form ist, steigt oder klettert auf das Dutzend Zweitausender, die am Rande des Tannheimer Tals Spalier stehen. „Wandern auf drei Ebenen“ nennt das der Fremdenverkehrsverband.

    Kletterbrücke zwischen zwei Bäumen
    Foto: Philipp Forstner
    Kletterwald im Nesselwängle.

    Bei Nacht und Nebel

    Das Bergsteigen hat im Tannheimer Tal jahrhundertealte Tradition, es ist früher nur diskreter betrieben worden als heute. Über die gleichen Wege, auf denen heute die Wanderer unterwegs sind, führten früher die Schmugglerrouten zwischen Bayern und Tirol, wurden erst Salz, Wein und Haushaltswaren und später auch Spirituosen und Zigaretten steuersparend ausgetauscht.

    Auch beliebt

    Seit die EU dem Spaß durch die Einführung des freien Warenverkehrs ein Ende gemacht hat, erinnern nur noch die Namen der Wanderwege an den nächtlichen Nervenkitzel: zum Beispiel jener des vier Kilometer langen „Schmugglersteigs“, der von der Bergstation der Wannenjochbahn über die Grenze zur Iselerbahn führt.

    Auf diesem Weg können Kinder in die Rolle von Zöllnern oder Schmugglern schlüpfen und verschiedene Aufgaben lösen. Und wenn sie ihre Schmuggelware erfolgreich über die Grenze gebracht oder das gegnerische Team überführt haben, erhalten sie am Ende zur Belohnung eine amtliche Urkunde. So ändern sich die Zeiten.

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      Stuart Gooley, Kletterführer
      Foto: Philipp Forstner
      Der Australier Stuart Gooley hat sich in Tirol verliebt. Vom Surfen konvertierte er zum Klettern – und machte das Hobby als Instruktor im Kletterwald Nesselwängle zum Beruf.

      Ein Australier in Tirol

      Wer lieber klettern möchte, muss nicht unbedingt hinauf auf Rote Flüh und Gimpel. Er kann auch einen Kurs bei Stuart Gooley im Nesselwängler Kletterwald buchen. Mit seinem verwuschelten blonden Haar, seinen blauen Augen und seinem Zahnpastareklamelächeln sieht er ein bisschen aus wie ein australischer Surfer, was daran liegen mag, dass er eigentlich ein australischer Surfer ist. 

      Weil er sich als Austauschschüler in die Tiroler Berge verliebt hat, zog er kurzerhand hierher und lernte innerhalb von ein paar Monaten das Klettern und die Sprache. Natürlich ist sein Deutsch nicht ganz akzentfrei. Nein, Stuart Gooley spricht ein Tirolerisch, als wäre er auf einem Tannheimer Taler Bergbauernhof aufgewachsen.

      „Hosch gsehn, wia ma den Gurt anlegcht?“, fragt er einen Burschen aus der niederländischen Anfängergruppe. Als der kein Wort versteht, switcht Stuart Gooley ins Englische. Dann muss er schon wieder weiter: Hinten auf den freischwebenden Balken vor dem Flying Fox, einer Seilrutsche, kommt ein Mädchen nicht mehr vor und zurück. Mit zwei, drei geschmeidigen Griffen ist er oben bei ihr und hilft ihr zurück zur Leiter. Stuart liebt seinen Job, nur das Surfen fehlt ihm ein bisschen: „Aber dafür ist der Wellengang im Haldensee leider nicht hoch genug.“

      Berglandschaft mit Wanderweg
      Foto: Philipp Forstner
      Am Gräner Höhenweg stehen die Gipfel Spalier: Vorn sieht man Läuferspitze und Schartschrofen, dahinter haben Gehrenspitze, Köllenspitze, Gimpel und Rote Flüh Aufstellung genommen.

      Fischer und Sammler

      Der Haldensee zwischen Nesselwängle und Tannheim ist das dominante Gewässer im Tannheimer Tal. Das beliebteste Ausflugsziel ist aber der Vilsalpsee. An schönen Tagen strömen die Ausflügler zu Fuß und am Fahrrad hierher. Bergsteiger nützen ihn als Ausgangspunkt für größere Touren – etwa hinauf zum Traualpsee oder gar bis zur Lachenspitze, unter der noch ein weiterer kleiner Bergsee funkelt, die Lache.

      Wer es lieber ein bisschen stiller mag, trifft sich mit dem „Fliegenfischerkönig vom Allgäu“. Der Barkeeper Kurt Untersteggaber trägt diesen Beinamen, weil sich hier in der Gegend keiner so gut wie er auf das Angeln mit selbst gebastelten originalgetreuen Ködern versteht. Gegen Voranmeldung weiht er auch Anfänger in die Königsdisziplin des Fischens ein.

      Seine erste Lektion lautet: „Du musst wie ein Fisch denken. Wo würde ich mich verstecken, damit ich vor Feinden sicher bin? An welcher Stelle im Bach spare ich die meiste Energie, weil mich große Steine vor der Strömung schützen?“ Seine wichtigste Lektion lernt man erst später, und sie kommt ohne Worte aus.

      Wenn man in Wathosen in der Mitte des Vils-Ach-Bachs steht und im gleichmäßigen Rauschen des Wassers den Alltag vergisst, realisiert man: Das Fliegenfischen ist weniger eine Nahrungsbeschaffung als eine Meditationsübung. Ein paar Ecken weiter, am Gappenfeldbach, fischen die Touristen keine Forellen aus dem Wasser, sondern rote Steine: Am Rückweg vom Vilsalpsee steckt fast jeder einen der schönen rötlichen Radiolarite in den Rucksack, die der Berg bei jedem Hochwasser hinunter ins Tal spült. Von da tragen sie ihn als Souvenir heim nach Stuttgart, Budapest oder Rotterdam.

      „Wahrscheinlich“, sagt Kurt Untersteggaber, „sind schon ein paar Tonnen Gappenfeldbach-Steine in ganz Europa verteilt.“ Wenigstens die Touristen halten also die alte Tradition des Schmuggelns noch aufrecht.

      Grenz-Erfahrungen: Drei Kennenlern-Touren an der Naht zwischen Bayern und Tirol

        1. Auf zum Gämsenjagen

        Von Nesselwängle verläuft dieser Weg erst flach, dann immer steiler ansteigend über Serpentinen mit angelegten Treppenstufen aufs 1.659 Meter hoch gelegene Gimpelhaus, von dessen Sonnenterrasse man einen traumhaften Ausblick ins Tannheimer Tal hat. Nur ein paar hundert Meter vom Haus entfernt grasen die Gämsen wie anderswo die Kühe direkt neben dem Weg.

        „Die kannst“, sagt Martin Schöll, der einzige hauptberufliche Bergführer im Tal, „mit der Hand fangen.“ Wer keine weiteren Ambitionen hat, kehrt von hier zurück ins Tal, für alle anderen ist das Gimpelhaus der Ausgangspunkt größerer Touren – etwa auf die Rote Flüh (Vorsicht bei Nässe, der schmierige Kalk kann ganz schön rutschig werden!), zum moderaten Friedberger Klettersteig oder zum sehr anspruchsvollen Klettersteig auf die Köllenspitze (2.238 Meter)

        Zwei Wanderer auf einem steilen Wanderweg
        Foto: Philipp Forstner
        Vom Nesselwängle aufs Gimelhaus.

        2. Ein hinterlistiger Sauhund

        Der Weg auf den Bscheißer ist ein guter Einstieg in eine Wanderurlaubswoche im Tannheimer Tal. Von der Bergstation der Wannenjochbahn steigt man hinauf zur Stuiben-Sennalpe. Von hier kann man einen Abstecher aufs Wannenjoch machen (Bild) oder direkt zum Sattel zwischen Ponten und Bscheißer wandern. „Der Bscheißer heißt so“, erzählt Wanderführer Elmar Rief, „weil er so ein hinterlistiger Sauhund ist.“ Damit ihr Vieh ungehindert weiden konnte, mussten die Bauern aus dem Tannheimer Tal früher jeden Sommer die Hochalmen vom Geröll befreien. Die aufgeklaubten Brocken schlichteten sie zu den typischen Lesesteinmauern. Doch jedes Mal, wenn sie mit der mühsamen Arbeit fertig waren, schickte der Bscheißer den nächsten Steinschlag hinunter, der die Weiden verwüstete – und betrog die braven Bauern so um ihre Arbeit.

        Gipfelkreuz
        Foto: Philipp Forstner
        Vom Schattwald auf den Bscheißer.

        3. Deutsches Fernsehen 

        Wanderer auf einem Wanderweg
        Foto: Philipp Forstner
        Vom Zöblen auf dein Einstein.

        Von Zöblen auf den EinsteinAusgangspunkt dieser Tour ist der Westparkplatz in Zöblen. Von hier aus geht es zunächst zum Berghotel Zugspitzblick, dem ersten von vielen traumhaften Fernblicken über die Grenze hinaus. Nach ein paar Erinnerungsfotos von Deutschlands höchstem Gipfel setzt man die Wanderung auf einem ansteigenden Schotterweg durch Wald- und Weideabschnitte fort.

        Im Lohmoos geht es nach links wieder leicht bergab. Von da wandert man erst über Serpentinen, dann über einen Grat hinauf auf den Einstein, den 1.866 Meter hohen „Hausberg von Tannheim“. Mit dem berühmten Physiker hat er nichts zu tun: Der Einstein heißt so, weil er ohne unmittelbaren Nachbarberg ganz allein auf das Tannheimer Tal hinunterblickt. Zurück zum Ausgangspunkt gelangt man über Berg, einen Ortsteil von Tannheim. Von hier wandert man über den Talwanderweg zurück nach Zöblen.

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