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Foto: Jens Wehofsky
Reise

Neufundland – 1.350 Kilometer mit dem Rad durch die Wildnis

• 10. Mai 2021
8 Min. Lesezeit

Der T’railway in der kanadischen Provinz Neufundland ist ein ehemeliges Gleisbett, das einmal quer durch die Wildnis der Insel führt. Es lässt sich auch mit dem Rad befahren, vorausgesetzt man scheut weder Schwarzbären noch faustgroße Steine. Jens und Yvonne Wehofsky haben mit ihrem Sohn Täve den besonderen Abenteuer-Trip gewagt.

Bericht: Jens und Yvonne Wehofsky

„Wow, Neufundland! Aber wo liegt das und warum macht man dort Urlaub? Könnt Ihr nicht mal wie normale Leute verreisen?“ Schon die ersten Reaktionen auf unsere neuen Reisepläne waren von leichter Skepsis geprägt. Als wir dann auch noch unsere 1.350 Kilometer lange Radroute vorstellten, war jedes Verständnis dahin. „Unmöglich! Wie soll das euer achtjähriger Sohn schaffen?“ Wir sind auch schon mit dem Packpferd durch die Mongolei getrekkt und solche Reaktionen gewöhnt. Wie jedes Jahr ignorierten wir die Bedenken. Und wie immer bereuten wir es nicht, das Abenteuer gewagt zu haben.

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Es handelte sich um unseren ersten gemeinsamen Radurlaub als Familie. Für Neufundland, das so groß wie das Gebiet der ehemaligen DDR ist, kam für uns nur diese Art zu reisen in Frage. So würden wir es in vier Wochen schaffen, die komplette kanadische Insel an der Ostküste zu sehen. Bei den Detailplanungen stieß ich auf den T’railway, ein ehemaliges 900 Kilometer langes Gleisbett, das jetzt als Rad- und Wanderweg genutzt werden kann.

Die Küste um St. Johns lädt zu einer Pause ein

An einem durchwachsenen Tag im August starten wir in St. Johns, der Inselhauptstadt an der Ostküste. Der T’railway führt direkt durch die Stadt und verspricht Fahrspaß ohne Ende. Ein breiter, autofreier und festgefahrener Schotterweg führt uns aus dem Stadtgebiet heraus.

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An der Stadtgrenze ändert sich der Wegzustand schlagartig. Faustgroße und lose Steine zieren den Weg. Unsere volle Konzentration gilt jetzt dem Untergrund – ein Blick nach links in die unberührte Natur wird sofort mit einem Schlenker ins Gebüsch bestraft. In der ersten Woche vermeiden wir deshalb, wo es nur geht, den T’railway, und weichen auf festere Wege aus, um auf die Hauptinsel zu gelangen.

Täve kommt mit seinem Mountainbike auf dem T'railway am besten voran

An der schmalsten Stelle, die von West- zu Ostküste gerade mal drei Kilometer misst, campieren wir direkt am T’railway. Traumhafte Plätze gibt es hier ohne Ende. Der nun folgende Abschnitt führt uns auf Asphaltstraßen nach Süden zum Hafen von Bay L’Argent. Nach vier Tagen und wenig Verkehr nehmen wir die Fähre nach Pools Cove, die an der atemberaubenden Südküste entlangführt. Delfine begleiten uns an diesem entspannten Tag.

Die Fähre legt in Bay L'Argent an

Wir freuen uns auf die nächsten 200 Kilometer, die mitten durch die Insel nach Norden führen. Links und rechts der einsamen Landstraße herrscht eine 300 Kilometer weite Wildnis ohne Ortschaften. Diese Tage kommen uns vor wie ein Zoobesuch auf dem Rad: Füchse, Kojoten, Weißkopfseeadler, Eichhörnchen, aber auch Neufundland-Schwarzbären kreuzen unseren Weg. Mit etwas mulmigen Gefühl bauen wir im Bärengebiet abermals unser Zelt auf. Uns beruhigen die Statistiken: Es gab noch nie einen dokumentierten Bärenangriff auf Neufundland. Die Bären gelten als extrem scheu.

Täve, unser achtjähriger Sohn, hat Spaß an der Radtour. Bei den einsamen und endlosen Straßen bleibt viel Zeit, nebeneinander dahinzurollen und sich vom Rückenwind treiben zu lassen. Wenn dann doch mal lange Anstiege folgen, wird Täve mit einem fünf Meter langen Seil hochgezogen. So kommen wir zwar langsamer voran, haben dafür aber mehr Zeit, um die  Landschaft zu genießen.

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Schwarzbären und andere Bewährungsproben

Bald erreichen wir Grand Falls, wir liegen schon weit hinter unserem Zeitplan. In jedem Ort kaufen wir Proviant und wenn nötig Benzin für den Kocher nach. Teilweise müssen wir für fünf Tage einkaufen. Die kleinen Ortschaften bieten meist idyllische Parks, die wir zum Übernachten nutzen. So richtig wohl fühlen wir uns aber nur in der Wildnis, dafür nehmen wir ab Badger wieder enorme Strapazen in Kauf.

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Ab hier folgen wir wieder dem T’railway. Das ehemalige Gleisbett führt auf diesem Abschnitt in die entlegenste Wildnis Neufundlands – Ausweichoptionen gibt es in dieser Woche keine mehr. Genau hier erwischt uns das schlechte Wetter mit voller Breitseite, doch auch diese Bewährungsprobe überstehen wir.

Ein paar Tage später kommt es noch härter, wir sind der Kapitulation nahe. Nach einem sandigen Abschnitt von einem Kilometer, der nur mit beschwerlichem Schieben bewältigt werden kann, folgt der wohl schlechteste Teil der T’railways. Die faustgroßen Steine liegen so lose im Weg, dass sie uns permanent vom Rad reißen. Mit Schieben ist man sicherer und genau so schnell unterwegs. Die Stimmung ist am Boden, denn es sind noch 20 Kilometer bis Deer Lake, dem nächsten Ort.

Nach zwei Stunden Schieben, Zehren, Reißen, Drücken und Innehalten stehen wir am Main Dam vor einem Zaun. Der Weg führt hier nicht weiter. Wir sind am Ende. Auf keinen Fall wollen wir den Weg wieder zurück. Resignation macht sich breit, doch bald erscheint ein Quad im Unterholz. Des Rätsels Lösung: Ein unscheinbarer Pfad führt um den Damm herum. Auf der anderen Seite kommen wir wieder auf den T’railway – noch mal Glück gehabt.

Der einsamste Abschnitt des T'railways nach Badger - ein aufgeschütteter Damm durchzieht das Sumpfgebiet

Wie schnell sich das Blatt wenden kann. Ab hier führt ein uns bisher unbekannter, fester Fahrweg nach Deer Lake. Wieder gut gelaunt und entspannt erreichen wir am späten Abend den dortigen Campingplatz. Die folgenden Tage werden uns in den Gros Morne Nationalpark führen, der an der Westküste Neufundlands liegt. Um dorthin zu kommen, müssen wir steile Anstiege in Kauf nehmen. Täve meistert diese ohne große Unterstützung. Auf der Abfahrt erleben wir einen weiteren Rückschlag.

Täve rutscht auf dem Seitenstreifen auf Schotter aus, der durch den Starkregen auf die Straße getrieben wurde. Er überschlägt sich und steigt über den Lenker ab. Nach acht Jahren unterwegs kommt nun zum ersten Mal das Erste-Hilfe-Set zum Einsatz. Wir reinigen und verbinden seine offenen Wunden am Knie. Ansonsten ist er unverletzt, da er lange Klamotten und Helm getragen hat.

Ein Spaziergang auf dem Erdmantel

Den Rest des Tages rollen wir ruhiger dahin, schaffen aber erstaunlicherweise doch noch unser Tagesziel. Die Belohnung dafür gibt’s am Lagerfeuer. Bei Süßigkeiten und einer Flasche Wein verspreche ich morgen einen Ruhetag, an dem wir den Nationalpark und Western Brook Pond erkunden.

Tagesausflug ohne Gepäck - Western Brook Pond im Gros Morne Nationalpark

Von Rocky Harbour geht es nun wieder Richtung Osten, wir biegen aber gen Süden ab, wollen weiter an den Tablelands vorbei nach Corner Brook. Die wüstenartigen Tablelands sind etwas ganz besonderes: Ihre rötliche Gesteinsformation ist weithin sichtbar und hebt sich vom Rest der Umgebung ab. Nur hier hat man die Möglichkeit, auf dem Erdmantel spazieren zu gehen, der sonst unter einer dicken Erdkruste versteckt liegt. Auf Schotterpisten passieren wir abwechslungsreiche Wildnis, zelten an Traumplätzen und lauschen abends am Lagerfeuer dem Geheule der Kojoten. Während wir nun schon viele Elche und Karibus gesehen haben, bleiben die Bären unserem Zelt fern.

Traumcamp an einem namenlosen See nahe der Tablelands

In Corner Brook benötigen wir wieder einen Ruhetag. Dieses Mal ist er nötig, weil wir nicht mehr weiterwissen. Wir haben noch eine Woche Zeit, doch kein Ziel vor Augen. Lange plane ich am Smartphone eine Route. Am Ende steht ein weiterer 300 Kilometer langer Abschnitt, der einen großen Nachteil mit sich bringt. Wir müssen 60 Kilometer auf dem Highway zurücklegen – auf dem ist es zwar erlaubt, mit dem Rad zu fahren, aber sicher kein Vergnügen.

Wir befinden uns nun im äußersten Südwesten der Insel und schlagen den Weg quer durch das neufundländische Zentrum ein, vorbei am langgestreckten Red Indian Lake. Die Landstraßen sind so einsam, dass wir die Autos, die wir pro Stunde sehen, an einer Hand abzählen können. Darüber sind wir auch sehr froh.

Nur sehr selten begegnen wir Autos, deren Insassen stets nett grüßen und staunen

Bald verlassen wir den Asphalt. Die Autopiste führt am Red Indian Lake vorbei. Trotz Zeitdruck genießen wir jeden Meter die fernen Ausblicke. Wir liegen gut im Zeitplan und kommen den Umständen entsprechend gut voran. Die kleinen Tiefpunkte werden immer mit vermehrten Pausen kompensiert. Wir lassen uns treiben und saugen alles um uns herum auf. Jeder von uns weiß, dass es die letzten Tage auf Neufundland sind. Pünktlich erreichen wir Badger, wo uns der Linienbus wieder nach St. Johns bringt.

Als Urlaubsabschluss spendiere ich meiner Familie einen Restaurantbesuch. Wir gehen im großen, gelben „M“ amerikanisch essen und nehmen wohl all die Kalorien wieder auf, die wir in den vier Wochen zuvor verloren haben. Erschöpft und doch glücklich treten wir den Heimflug an.

Als Resümee stellen wir fest, dass man als Radreisende größere Gebiete sieht und entspannter unterwegs ist. Die wirklich wilden und einsamen Gebiete dieser Erde erreicht man mit dem Fahrrad aber kaum. Irgendwann werden wir bestimmt wieder so einen Drahtesel-Ritt unternehmen, aber vorerst wollen wir wieder zu Fuß losziehen.

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Infos und Adressen: Neufundland (Kanada) mit dem Rad

Anreise und Radtransport

Von Europa aus erreicht man die Insel mit Flugzeug nur mit Umstieg auf dem kanadischen Festland. Alternativ kann man auch ab Nova Scotia die Fähre nehmen und so beide Inseln miteinander kombinieren. Der Radtransport ist bei den meisten Fluggesellschaften kostenpflichtig, kostet um die 100 Euro je Rad und Strecke und muss aufgrund begrenzter Kapazitäten vorab angemeldet werden. Wir haben für den Transport Radkartons genutzt und diese in einer Unterkunft in St. Johns deponiert.

Übernachten

Wegen der Radkartons ist es empfehlenswert, die erste und letzte Nacht in St. Johns zu übernachten. Es gibt günstige Bed & Breakfast-Unterkünfte. In den Ortschaften und in den Provinzparks gibt es bezahlbare Campingplätze, die rudimentär ausgestattet sind. Wild zelten ist offiziell verboten und in der Nähe von Orten und Häusern nicht gern gesehen. Entlang des T’railways und abseits der Zivilisation wird wildes Zelten geduldet.

Infrastruktur

An der Ostküste um St. Johns gibt es viele kleine Orte, die eine Tankstelle und kleine Einkaufsläden bieten. In den großen Ortschaften wie St. Johns, Grand Falls, Deer Lake oder Corner Brook findet man alles, was den „American way of life“ ausmacht. Bei der Streckenplanung ist es wichtig, alle Einkaufsmöglichkeiten zu recherchieren. Manchmal braucht man nur für einen Tag Proviant, dann mal wieder für fünf Tage.

Der T’railway

Im Jahre 1988 wurde der Zugverkehr eingestellt, da er aufgrund des Highways unnötig wurde. Seitdem führt ein 900 Kilometer langer Trail von St. Johns bis an die Südwestküste, quer durch Neufundland. Der autobreite Trail wird von den Einheimischen als Freizeitweg genutzt, viele Quads stören die Idylle. Der Wegezustand reicht von sehr gut befahrbar bis unbefahrbar. Wir empfehlen sehr breite Bereifung und sehr niedrigen Luftdruck. Leider folgt der T’railway in vielen Abschnitten dem Highway, deshalb sind einige Passagen für uns unattraktiv gewesen.

Wildnis und Sicherheit

Links und rechts der Straßen und des T’railways beginnt nahtlos die endlose Wildnis. Die Landstraßen bieten meist einen bis zu zwei Meter breiten Seitenstreifen, auf dem man gefahrlos vorankommt. Die Autofahrer sind rücksichtsvoll und halten genügend Abstand. Für Radreisen ist Neufundland prädestiniert und im Vergleich zu Europa wirklich sehr einsam. Neufundland ist „bear country“, die üblichen Vorkehrungen sollten also getroffen werden, denn bei 50.000 Bären wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einen zu Gesicht bekommen, allerdings sind sie extrem scheu. Man trifft eine enorme Bandbreite an Tieren an: Ob kleine Mäuse, Squirrels, Weißkopfseeadler, Wölfe, Kojoten, Karibus, Elche, Füchse oder Delfine – ihr werdet staunen, was euch so alles unverhofft über den Weg laufen wird.

Mehr Informationen findet Ihr auf unserer Webseite: www.taeve-supertramp.de

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