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Foto: mauritius images/ Michael Krabs
Reise

Feuerland – Stürmische Natur am Ende der Welt

• 1. Oktober 2018
5 Min. Lesezeit
von Gerald Valentin

Magellan-Straße, Beagle-Kanal und Kap Hoorn sind klingende Namen und Sehnsuchtsorte im äußersten Süden von Chile und Argentinien. Gerald Valentin ist per Schiff den Spuren der großen Entdecker gefolgt und berichtet von einer rauen und unberührten – aber dennoch bedrohten – Urlandschaft.

Schwer und tief dringt das Tuten der Signalpfeife durch die Schiffswand. Ein leichtes Vibrieren erfasst den stählernen Rumpf der Stella Australis. Die Expedition verlässt Punta Arenas und wird in den nächsten Tagen durch das Inselgewirr Feuerlands bis nach Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt, kreuzen.

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Feuerflackern und Wellen-Rock 'n' Roll

Die Hafenstadt Punta Arenas im äußersten Süden Chiles liegt an der Magellan-Straße. Dieser Meereskanal trennt die Inselgruppe Feuerlands vom Südamerikanischen Kontinent und wurde vor 500 Jahren auf der Suche nach einem direkten Seeweg zu den Gewürzinseln der Molukken entdeckt. Das nächtliche Flackern der kleinen Feuer der indigenen Urbevölkerung veranlasste Kapitän Ferdinand Magellan einst die unbekannte Küste Terra del Fuego – Land des Feuers zu benennen.

Expedition durchs Feuerland

Jaime Iturra ist Kapitän aus Leidenschaft. Noch in der ersten Nacht steuert er die Stella Australis sicher durch die Magellan-Straße. „Mit starken Motoren, GPS und Radar ist das keine schwere Aufgabe“ erklärt er mit ruhigem Bass. „Und anders als bei den Seefahrern von damals ist unsere Brücke geheizt und vor Regen und Wind geschützt". Ob auch er schon gefährliche Situationen erlebt hat? „Gefährlich? Nein. Aber natürlich kann es auch auf diesem Schiff turbulent zugehen. Wenn wir den Schutz der Inseln verlassen und die Wellen des Pazifik mit uns Rock 'n' Roll tanzen ist das Reinigungspersonal im Dauereinsatz“, erzählt er schmunzelnd.

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Verletzliches Ökosystem

Im Morgengrauen durchquert das Schiff den Almirantazgo-Fjord und erreicht bei Sonnenaufgang die Ainsworth-Bucht. Die Landschaft ist atemberaubend. Üppige Urwälder, vom Gletscher geschliffene Felsrücken und mächtige Eisströme im Hintergrund ziehen vorbei. Damit wir Fauna und Flora ganz aus der Nähe betrachten können bringen uns kleine Schlauchboote an Land. Auf einer Wanderung erklären Guides das einzigartige Ökosystem von Feuerland. Wie zerbrechlich die Natur hier ist zeigt sich an ausgebleichten Baumstümpfen, die wie Mahnmale in den Himmel ragen. „Um eine lokale Pelzindustrie zu etablieren hat die argentinische Regierung vor 70 Jahren Biber aussetzen lassen“, berichtet Expeditionsleiter Mauricio Alvarez. „Die Nager fanden in der neuen Heimat saftige Bäume im Überfluss. Vor Fressfeinden mussten sie sich nicht fürchten. Und allmählich verlor auch der Mensch das Interesse an ihnen, denn die Qualität des Biberfells entsprach nicht den gewünschten Erwartungen.“ Heute leben auf Feuerland mehr als eine Million Biber – Tendenz steigend.

Für die zweite Wanderung steuert Jaime Iturra sein Schiff in die Pia-Bucht. Hauptdarsteller auf dieser grandiosen Naturbühne ist ein mächtiger Gletscher, der über eine steile Geländestufe in den Fjord strömt. Autogroße Blöcke, die im Viertelstundentakt aus der eisigen Masse des Pia-Gletschers kalben, sorgen für eine akustische Untermalung der Szenerie. „Gletscher sterben einen schönen Tod“ sinniert der Kapitän während er konzentriert das Steuer bedient.

Die ersten Landgänger sitzen schon in den Schlauchbooten und werden ans Ufer gebracht. Die Wanderung führt auf einen Felskopf hoch über dem Fjord. Der steile Weg ist matschig und verlangt höchste Konzentration. Zum Glück sind einzelne Passagen mit Seilen versichert. Am Gipfel öffnet sich ein spektakulärer Rundumblick. Hoch oben schälen sich die Felsnadeln aus dem Nebel, links und rechst schieben sich schmutzig-weiße Eisströme talwärts. Und ganz unten schaukelt die Stella Australis einem Spielzeugschiff gleich in den Wellen.

Am Pia-Gletscher

Allee der Gletscher

Auch nach der Wanderung am Pia-Gletscher bleibt das Expeditionsprogramm „eisig“. Bei der Weiterfahrt durch den Beagle-Kanal passiert das Schiff die Glacier Avenue. Auf einer Strecke von 20 Kilometer strömen gleich mehrere Gletscher vom zwei Kilometer höher liegenden Eisschild der Gebirgskette Cordillera Darwin bis an den Fjord. Spektakuläre Fotos sind hier garantiert! Zur Erinnerung an die ferne Heimat wurden die Gletscher einst „Deutschland“, „Frankreich„, „Italien„ oder „Holland“ benannt. Auch hier, im fast antarktischen Süden und fernab menschlicher Besiedlung, sind die Folgen der Klimaerwärmung sichtbar. Die Eismassen verlieren an Substanz und jährlich viele Meter an Länge. Beim mächtigen Frankreich-Gletscher – der langsam am Schiff vorbeizieht – erkennt man erst auf den zweiten Blick sein langsames Sterben. An Bord wird Champagner entkorkt und Käse gereicht. Die Begleitmusik von Edith Piaf klingt wie ein Requiem auf die untergehenden Eisriesen.

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Mythos Kap Hoorn

Ganze Bücher wurden darüber geschrieben, wie schwierig es früher war mit dem Segelboot das Kap Hoorn zu umschiffen. Als Passagier der Stella Australis kann man heute den markanten Felsklotz zwischen atlantischem und pazifischem Ozean nicht nur umfahren, sondern auch besteigen. Dazu bedarf es aber einiges an Wetterglück. Denn das „Ende der Welt“ befindet sich in der Sturmzone der „Roaring Forties“. Permanente Winde bescheren unbeständiges Wetter und hohen Seegang. Man schätzt, dass in der unberechenbaren See vor Kap Hoorn mehr als 800 Schiffe verloren gegangen sind und 10.000 Menschen ihr Leben verloren haben.

Die Expeditionsteilnehmer haben Glück. Die See ist zwar rau und beim horizontalen Regen scheint die Schwerkraft außer Kraft gesetzt. Aber der Mythos Kap Hoorn wirkt und jeder will seinen Fuß auf den historischen Boden setzen. Bei der Landung gelingt es der Crew nur mit Mühen die Schlauchboote zu stabilisieren und viele Kap Hoorn-Aspiranten bekommen eine satte Ladung Salzwasser ab. Von der kleinen Kiesbucht führt eine steile Holztreppe auf das Inselplateau. Über einen schmalen Steg geht es weiter zum Denkmal, das an gestorbene Seeleute erinnert. Wenige Minuten daneben steht der Leuchtturm mit Wohnhaus und Kapelle. Ein chilenischer Marineoffizier versieht hier Dienst. Er lebt mit seiner Frau und den zwei Kindern auf diesem fernen Außenposten der Zivilisation. Ein familiendynamisches Versuchslabor. Im gemütlichen Salon der Stella Australis sorgt das Los des Leuchtturmwärtes für angeregte Diskussion, während sich im Hintergrund das Kap Hoorn hinter einer grauen Wand aus Regentropfen verliert.

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Die berühmte Gletscher-Avenue

Yamana-Indianer

Bei der Fahrt durch den Murray-Kanal bessert sich das Wetter ein wenig und als das Schiff in der Wulaia-Bucht ankert kämpfen sich die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken. In der Bucht befand sich einst eine Siedlung der Yamana-Indianer. Die Yamana waren Nomaden und befuhren mit ihren Kanus die Küsten Feuerlands. Über Jahrtausende hatten sie sich perfekt an die extremen Lebensbedingungen angepasst. Trotz kalter Temperaturen trug die indigene Urbevölkerung kaum Kleidung. Nur das Feuer, Tierfette und die im Laufe der Evolution um einen Grad gestiegene Körpertemperatur hielten sie warm. Mit Ankunft europäischer Immigranten und einsetzender Schafzucht wurde die Urbevölkerung systematisch dezimiert und war nach 1900 fast ausgerottet.

Landgang in eindrucksvoller Kulisse

Neben dem einsamen Museum über die traurige Geschichte der Yamana lädt die Wulaia-Bucht auch zu einer schönen Wanderung ein. Der schmale und rutschige Steig führt durch den dichten Regenwald auf eine Bergkuppe. Dieser Platz begeistert mit tollen Blicken auf das schier endlose Inselgewirr. Welch ein Geschenk hier stehen und staunen zu dürfen! Am nächsten Morgen erreicht die Expedition Ushuaia. Damit endet auch das kurze Eintauchen in die lebensfeindliche, aber faszinierende Urlandschaft von Feuerland.

Infos und Adressen: Feuerland, Argentinien/ Chile

Karte Feuerland
Foto: Wikipedia/ Bergwelten
Karte Feuerland
  • Anreise: Mit dem Flugzeug über Santiago de Chile nach Punta Arenas (Chile) oder über Buenos Aires nach Ushuaia (Argentinien).
  • Beste Reisezeit: Oktober bis Mai.
  • Mietautos: In Punta Areanas oder Ushuaia können Autos gemietet und Feuerland auf eigene Faust erkundet werden.
  • Expeditionen per Schiff: Die Expeditionsschiffe von Australis cruisen durch die Kanäle und Fjorde der Inselwelt. Nur Gästen dieses Anbieters sind Landgänge und Wanderungen in den ökologisch sensiblen Naturschutzgebieten gestattet.
  • Unterkünfte: Die Infrastruktur auf Feuerland ist spärlich. Hotels oder Zimmervermietungen sind auf wenige Orte begrenzt.

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