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Foto: Julian Rohn
Skitouren in der Silvretta

Skitour auf den Piz Buin

• 7. September 2021
4 Min. Lesezeit

Weltcup-Pisten waren gestern. Heute lotst Bergführer Martin Marinac Gäste an Gletscherspalten vorbei auf den Piz Buin.

Uwe Grinzinger für das Bergweltenmagazin Februar/März 2019.

„Schlurp, schmatz!“ Der nasse Schnee gibt seltsame Töne von sich, fast wie in einem Comic. Es ist später Winter in der Silvretta im Westen Österreichs und High Noon. Bei T-Shirt-Wetter schieben wir ein Steigfell vors andere und schlurfen ins Bieltal hinein. „Immerhin: ’s Lüftl, des isch Gold wert“, bemerkt Bergführer Martin Marinac, sprachlich angesiedelt irgendwo zwischen Vorarlbergerisch und Hochdeutsch.

„Weil sonst würd ma do eini von da Sonne’grillt werdn.“ „Die langen, zachen Zuaschtiege, die sind ein bissl mühsam bei den SilvrettaSkitouren“, ergänzt Martin. „Zum Beispiel des Ochsental, des wer’ ma morgen merken. Da usse musst sogar auf der Abfahrt schieben. Deswegen geh i lieber durchs Bieltal uffe zum Piz Buin.“

Üblicherweise beginnt die Piz-BuinSkitour in Partenen im Montafon. Von dort geht’s mit der Vermuntbahn hinauf, dann weiter zur Bielerhöhe, dem eigentlichen Ausgangspunkt – und zwar mit Shuttlebussen durch abenteuerliche Tunnel, Grottenbahn-Anmutung inklusive.

Seilbahn und Bus nehmen einem eintausend Höhenmeter Aufstieg ab – wodurch wir nun vom kürzeren Ochsental-Anstieg abweichen und uns eine Fleißaufgabe leisten können: den Weg übers Bieltal zur Wiesbadener Hütte.

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Die Gruppe am Plateau vor dem Piz Buin
Foto: Julian Rohn
Es ist nicht mehr weit: auf dem Plateau kurz vor dem Piz Buin (rechts der Bildmitte). Bald werden die Ski abgeschnallt, und es geht über leichte Felspassagen auf den Gipfel.

Martin Marinac ist sogar schon „by fair means“ auf den Piz Buin gestiegen: vom Tal aus, ohne Seilbahn, ohne Straße. Macht 2.300 Höhenmeter oder sechseinhalb Stunden bis zum Gipfel. „Aber des machsch nur alle fünf Jahr’“, meint er, „bis wieder vergessen hast, wia zach des ist.“ Man lasse sich vom Lausbubengesicht des Fastvierzigers nur nicht täuschen: Dieser Mann ist ein echter Montafoner Kraftlackel.

Dreimal Top Ten

Das verwundert nicht. Martin war immerhin bei 47 Weltcup-Skirennen im Einsatz. Bei seinem ersten Slalom raste er im Jänner 2002 in Kitzbühel mit Nummer 55 auf Platz 10. Danach stagnierte seine Entwicklung, und im Februar 2007 zog er nach insgesamt drei Top-Ten-Resultaten einen Schlussstrich unter das Skirennläufer-Dasein. „Weil ich meine skifahrerischen Grenzen akzeptiert habe“, so seine ehrliche Einschätzung.

Seine Heimat, das Montafon, war ein Grund fürs Aufhören. Als Bergführer, sein heutiger Beruf, lebt er zwar tageweise aus dem Rucksack, aber nicht wochenlang aus dem Koffer, Zur Bekanntheit des Piz Buin, der mit 3.312 Metern der höchste Berg Vorarlbergs und der dritthöchste Gipfel der Silvretta ist, hat vor allem die Sache mit der Sonnencreme beigetragen:

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Hier, am Ochsentaler Gletscher, holte sich 1938 nämlich der junge Chemiestudent Franz Greiter den Sonnenbrand seines Lebens und ersann daraufhin Revolutionäres: einen Sonnenschutz zum Eincremen. Der heißt seitdem aus gutem Grund „Piz Buin“. Denn im Bündnerromanischen bedeutet der Bergname übersetzt „Ochsenspitze“, und das würde die Sonnencreme-Käufer wohl eher weniger ansprechen.

In der Wiesbadener Hütte, dem Ausgangspunkt für den Gipfeltag, stecken wir unsere Köpfe über der Landkarte zusammen. Martin beschreibt die morgige Route: Es geht über den Ochsentaler Gletscher in die Buinlücke zwischen Großem und Kleinem Piz Buin und danach mit Steigeisen über eine kurze Felspassage auf den höheren der beiden.

Staatliche Dreitausender

Welche Skitouren uns Martin hier sonst noch empfehlen könnte? Prompt verfällt er ins Namedropping: um die Wiesbadener Hütte noch Jamspitze, Ochsenkopf oder Rauhkopf, allesamt stattliche Dreitausender. Oder gar die Überschreitung vom Silvrettahorn zur Schneeglocke – eine „Hammer-Skitour“ für Profis, samt eindrucksvollem Grat und Direktabfahrt durchs Klostertal zur Bielerhöhe.

Ein Tal weiter östlich, in Tirol, steht die Jamtalhütte, im Westen die Silvrettahütte auf Schweizer Boden, noch weiter drüben die Saarbrücker Hütte in Vorarlberg. Jede von ihnen bietet eine Fülle eigener Skitourenziele. Und Experten schwingen von der Buinlücke über eine Steilrinne nach Süden zur Tuoi-Hütte hinunter, die ebenfalls in der Schweiz liegt.

Mit singenden Steigfellen trotten wir in der Früh über den gefrorenen Schnee. Was gestern weich war, ist heute „knuschprig“, so Martin. Gesprochen wird jetzt, bei Tagesanbruch, nicht viel. Martin schwenkt in weitem Bogen hinüber zum Ochsentaler Gletscher. Wir schummeln uns an Gletscherspalten und türkis schimmernden Eistürmen vorbei – mit den Skiern am Rucksack. Das bringt den Puls auf Touren.

Später schrammen unsere Steigeisen übers Gestein, auch der Pickel schlägt dumpf dagegen. Am Seil gesichert, arbeiten wir uns einen Felskamin oberhalb der Buinlücke hinauf – die Schlüsselstelle am Weg zum Piz Buin. Einen „etwas krausigen“ Eindruck machte sie schon auf Johann Jakob Weilenmann aus St. Gallen in der Schweiz.

Ihm glückte am 14. Juli 1865 mit drei Gefährten die erste Besteigung des Piz Buin – im hellen Anzug übrigens. So viel Stil musste sein. Es war der exakt selbe Tag, an dem auch das Matterhorn erstmals erstiegen wurde. Wir erreichen den luftigen Gipfel mehr als 150 Jahre später. Mit dem rechten Fuß in Vorarlberg und dem linken in der Schweiz, überfällt uns die Aussicht regelrecht.

Zwar relativiert Martin: „Heute isch a biz diesig.“ Wir aber sind mit dem Blick zu Ortler, Bernina und Ötztaler Alpen recht zufrieden. Und da drüben, behauptet Martin, könne man sogar ein Eckerl des Bodensees ausmachen.

Die Gruppe am Gipfel des Piz Buins
Foto: Julian Rohn
Ganz oben: Ex-Skirennläufer Martin Marinac (links) mit seinen Gästen am höchsten Punkt des Piz Buin (3.312m).

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Knackendes Eis

Bedenklich rumort das Eis des zugefrorenen Silvretta-Stausees, der uns noch vom Ende der Tour trennt. Martin meint: „Das hält!“ Wird schon stimmen, denken wir uns und skaten schnürlgerade übers Eis. Schließlich sollte Martin auch mit seiner Prognose zur Ochsental-Abfahrt recht behalten: oben zischender Firn, unten dagegen schmatzender Sulz, der uns zu einigen Verrenkungen zwingt. 

Nur Martin carvt runter, als wär’s eine planierte Piste. Keine Spur von den skifahrerischen Grenzen, die er gestern eingestanden hat. Den Berggasthof Piz Buin vor Augen, tauchen Kalorien-Trugbilder in unseren ausgedörrten, unterzuckerten Gehirnen auf: von eiskalten Getränken und einer riesengroßen, üppig belegten Pizza. 

Die muss aber gar nicht erst serviert werden, denn uns gegenüber stehen gleich zwei Riesen-„Pizze“: der Große und der Kleine Piz Buin. Und die sind wahre Premiumprodukte mit all den Zutaten, die sich Skitourengeher wünschen.

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