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Reise

Lappland: Herbst-Wandern in endlosen Weiten

• 6. Dezember 2021
6 Min. Lesezeit
von Mark Buzinkay

Nicht nur für Fans von Schlittenhunden und Nordlichtern, auch für Wanderer ist Lappland eine Reise wert. Im Herbst präsentieren sich die Wege verwaist und der Winter kann jederzeit einbrechen. Mark Buzinkay hat sich in der Zwischensaison in den Norden Finnlands gewagt und die große Einsamkeit gefunden.

Lappland heißt Weite, Weite und nochmals Weite. Und irgendwann Schnee, Kälte und der hohe Norden. Aber alles der Reihe nach. Der Begriff „Weite” ist relativ. Für uns Alpen-Europäer ist es der atemberaubende Gipfelblick, der uns die Dimension der Alpen offenbart. In Lappland ist es Stille und Einsamkeit. Eine erste Vorahnung beschleicht mich auf meiner mehrtägigen Busfahrt von Helsinki nach Rovaniemi. Die Straßen sind lange, gerade und stets von Wald gesäumt. Dann, nachdem ich per vier Autostopps die letzten dreihundert Kilometer nach Ivalo bewältigt habe: Nichts, kein Geräusch, keine Bewegung – nur ich, mein Rucksack und gefrierender Nebel.

Wandern in Lappland
Foto: Mark Buzinkay
Die finnische Weite
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Die Landschaft prägt bekanntlich die Menschen und die Samen, die Bewohner Lapplands, sind tatsächlich ein eigener Menschenschlag. Was ich anfänglich für unfreundlich, kalt und uninteressiert gehalten habe, entpuppte sich wenig später als zurückhaltender Geistesschlag. Ist das Eis einmal aufgetaut, öffnen sich die Menschen und erzählen von ihrem Leben. Bei einem Autostopp schildert mir der Fahrer, der im Winter Motorschlittenführungen für Touristen anbietet, sein letztes Vorhaben: sich ein Grundstück kaufen. Ich bohre nach und erfahre: Er hat schon eines, aber das will er verkaufen. Nachbarn sind bis auf ein paar Kilometer an sein Haus herangerückt. Er braucht aber etwas wirklich Abgelegenes. Doch das sei schwierig zu finden. Niemand will so ein Grundstück verkaufen. Und der Staat Finnland ist immer noch der größte Grundbesitzer hier oben – einer, der nichts hergibt. Lappland heißt Weite, da bin ich mir nun ganz sicher.

Wandern in Lappland
Foto: T. Elliot Lane
Lappland, das bedeutet viel Wasser und Wald

Die Weite Lapplands erkunden

Der letzte Beweis fehlt mir aber noch und so steige ich in meine Wanderschuhe. Es ist Oktober und der Boden bereits gefroren, über Schlamm muss ich mir keine Gedanken machen, auch nicht über Mückenschwärme, die in den Sommermonaten in dem wasserreichen Land Mensch und Tier plagen. Das Thermometer hatte in der Nacht gar -9° C angezeigt und ich bin mir alles andere als sicher, ob ich mit meinem leichten Schlafsack gut über die Nacht komme. Proviant für zwei Tage, Stirnlampe, Messer und Zünder für das Feuer, Fotoapparat – das ist alles was ich mithabe. Plus eine abfotografierte Landkarte, die ich im Ortskern von Inari entlang der Straße entdeckt habe.

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Finnische Landschaft bei Inari

Ich betrete die erste, für Lappland so typische Landschaft: ein Mix aus Wald und Seen. Ein leicht gewelltes Gelände, das sich über tausende Quadratkilometer erstreckt. Die Wälder meist ohne Unterholz, aber mit zahlreichen Granitblöcken versehen, die wie von Riesen wahllos hingeworfene Murmeln herumliegen. Die recht dünnstämmigen Nadelhölzer dominieren die Szenerie. Am Wasser und im sumpfigen Gelände sind es wiederum Birken, die die Flora ausmachen. Moose und Flechten bedecken Fels und Holz, und langsam fließendes Wasser schleicht zwischen Grasinseln in scheinbar jede Richtung. Das Moor wirkt ruhig, und die Seen noch mehr: keine Wellen, keine Bewegung. Auch an den Wanderwegen ist Stille angesagt. Ganz besonders im Oktober, der eigentlich schon ein Wintermonat ist. An meinem ersten Ausflugswochenende in Inari sehe ich noch Grün, an meinem zweiten ist die Schneedecke bereits einige Zentimeter hoch.

Wandern in Lappland
Foto: T. Elliot Lane
Lappland: Schnee kann auch schon mal im Oktober die Landschaft dominieren

Hütten ohne Wirt, dafür mit Sauna

Nicht nur in Inari, sondern in ganz Finnland, treffe ich auf eine höchst erfreuliche Einrichtung, die Tagesausflügler wie Langstreckenwanderer gleichermaßen erfreut: Schutzhütten. Sie bieten bei widrigen Verhältnissen eine Möglichkeit sich aufzuwärmen und etwas zu essen. Mit Alpenvereinshütten sind sie aber nicht zu vergleichen – es sind einfache Blockhütten, meist aus einem einzigen Raum bestehend, mit einer Feuerstelle, einem Tisch und Sitzbänken. Die Tür ist immer offen und in der Hauptsaison sind die Hütten bis auf wenige Ausnahmen nicht bewartet. In Pielpajärvi betrete ich den Schutzraum bei Einbruch der Dunkelheit, also am Nachmittag, leuchte das Innere mit meiner Stirnlampe aus: Feuerholz sorgfältig gestapelt, Kochplatte mit Gasflasche, Kerze, Wasserkessel und Hüttenbuch. Perfekt! Die Toilette ist in einem separaten Gebäude und siehe da, auch eine Sauna findet sich wenige Meter von der Türe entfernt.

Wandern in Lappland
Foto: Mark Buzinkay
Schutzhütte à la Lappland

Auch beliebt

Den Abend verbringe ich letztlich nicht allein, zwei tschechische Wanderinnen machen hier für die Nacht halt. Sie sind schon seit vier Monaten auf den Wanderwegen Finnlands unterwegs. Ich bleibe für das Wochenende in der Gegend um Inari – zahlreiche gut markierte Wege würden locker für eine knappe Woche ausreichen. Neben dem Inarisee ist es der Juutuanjoki, der bei Ausflüglern recht beliebt ist. Besonders wenn Regen fällt oder die Schneeschmelze einsetzt, schwillt der Fluss mächtig an. An seiner wildesten Stelle, einer gefürchteten Stromschnelle, spannt sich eine Hängebrücke zwischen den Ufern. Schautafeln entlang des Weges erzählen Geschichten vom Fischen und den alten Tagen der Sami entlang dieses Gewässers.

Am Fluss Juutuanjoki

Gute 70 Kilometer weiter südlich, in Saariselkä, entdecke ich die zweite, typische Landschaft Lapplands: die baumlose Hochebene, wobei der Höhenunterschied zur Waldlandschaft nicht einmal fünfhundert Höhenmeter beträgt. Saariselkä liegt am Nationalpark Urho Kekkonen und ist vielleicht das bekannteste Zentrum für Outdoor-Aktivitäten in Lappland. Hotels und Ferienhäuser finden sich hier zuhauf, die Infrastruktur ist sowohl für den Sommer- wie Winterbetrieb eingestellt. Auch Skilifte stehen bereit, im Oktober sind diese aber noch nicht geöffnet. Ich unternehme mehrere Ausflüge in den Nationalpark. Im Herbst umhüllt das Hochland gelegentlich Nebel, nachts sind Nordlichter keine Seltenheit. Die Wege verlaufen entlang von Bächen und Teichen quer über Anhöhen, die sich scheinbar endlos gegen den Horizont aneinanderreihen. Rentier und Elch sind hier zuhause. Wie in Inari bieten Schutzhütten oder auch einfachere offene Unterstände (eine überdachte Sitzgelegenheit mit Schutz gegen den Wind samt Feuerstelle) eine Möglichkeit, den Ausflug für eine Nacht zu unterbrechen.

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Wandern im Nebel am Hochland

Bald kommt der Winter

In Saariselkä beginnt der Winter schon im Oktober. Autofahrer haben Reifen mit Spikes aufgezogen, die Schneestecken entlang der Straße sind schon vorbereitet. Alles wartet auf den Schnee, der Mitte Oktober dann in einer ersten Welle fällt. Die Landschaft verändert sich dramatisch. Teiche gefrieren, Flüsse beginnen sich unter einer Eisdecke zu verstecken. Sobald diese mehr als fünf Zentimeter dick ist, geht es mit dem Eislaufen los. Im tiefen Winter sind die Gewässer derart zugefroren, dass sie ideale Bedingungen für Motorschlitten bieten. Wanderer wechseln auf Ski und Schneeschuhe und so mancher Besucher lässt sich auf das Abenteuer einer Hundeschlitten-Safari ein. Ich besuche eines dieser Camps in der Vorbereitungszeit. Die Hunde spüren den kommenden Wintereinbruch, sind aufgeregt und lechzen nach dem Schlitten-Auslauf. Im Camp ist vor dem Wintereinbruch allerdings noch viel zu tun – die Yurten für die Gäste werden erweitert, das Feuerholzdepot angelegt und notwendige Reparaturen an Schlitten und Gerät durchgeführt. Ein empfehlenswerter Anbieter für Hundeschlitten-Safari ist Primtif Aventures. Das Familienunternehmen hat 34 Hunde als Nachkommen von Expeditionshunden in seiner Obhut.

Im Schlittenhunde-Camp

Unweit des Hundeschlitten-Camps und auf halbem Weg zwischen Saariselkä und Inari liegt Ivalo, mit einigen tausend Einwohnern die vielleicht wichtigste Siedlung zwischen Rovaniemi und der norwegischen Grenze. Es hat einen Flughafen und einen Busbahnhof, zwei Supermärkte und mehrere Tankstellen, eine Bibliothek, mehrere Hotels und Restaurants: ein idealer Stützpunkt für Erkundungen auch ohne eigenes Auto.

Im Schneefall bekommt Ivalo einen eigenen Charme, es wirkt wie ein Außenposten der Zivilisation in der nordischen Arktis. Ivalo liegt gute zweihundert Kilometer nördlich des Polarkreises, kann sich im Winter mit Nordlicht und wenig Sonnenstunden rühmen. Für mich, der nicht einmal sechs Wochen hier oben verbringt, hat der „kurze“ Tag eine gewisse Faszination, die Stirnlampe bleibt fast den ganzen Tag im Rucksack und meine Augen gewöhnen sich an das Restlicht, das im Kontrast zwischen dunklem Wald und hellem, schneebedecktem Boden mehr als ausreicht, um fast alle Tätigkeiten ohne künstliches Licht auszuüben. Der Oktober ist nicht nur in den Alpen ein ausgezeichneter Wandermonat, sondern auch hier in Lappland. Im Übergang zum Winter offenbart der Landstrich besonders eindrücklich sein ureigenes Wesen: eine fast menschenleere Weite.

Der Lappajärvi-See schließt sich allmählich

Infos und Adressen: Wandern in Lappland (finnischer Teil)

Beste Wanderzeit: Juni bis September. Ab Oktober muss mit Wintereinbruch gerechnet werden.

Visa: österreichische, deutsche und Schweizer Staatsbürger benötigen für die Einreise kein Visum, da Finnland Teil der Europäischen Union ist.

Anreise: Entweder im Flugzeug über Helsinki nach Ivalo oder per Fernbus aus Helsinki/Rovaniemi. Mit eigenem Auto ist die E4 eine wunderschöne Strecke vom Süden oder auch vom östlichsten Norwegen aus. Allerdings können schon im Oktober winterliche Fahrverhältnisse herrschen (Winterreifen und Schneeketten notwendig).

Weiterkommen: Zwischen Inari, Ivalo und Saariselkä verkehren mehrmals am Tag Busse.

Unterkünfte: In Inari, Ivalo und Saariselkä gibt es Unterkünfte in fast allen Preisklassen. Das Ivalo River Camping ist für Autofahrer interessant. Im Winter sind die Hotels schnell ausgebucht.

Kommunikation: Finnisch ist Landessprache, Englisch wird aber fast überall verstanden. WiFi gibt es in Cafés und Unterkünften, auch in Bussen und an öffentlichen Plätzen, nicht jedoch in den Schutzhütten. Mit einer europäischen SIM-Karte kann man auch in den Nationalparks eine Verbindung herstellen.

Ausrüstung: Normale Wanderausrüstung inklusive Verpflegung. Regenausrüstung und warme Sachen gehören auch an scheinbar schönen Tagen in den Rucksack. Telefon, Streichhölzer und Stirnlampe ebenso. Falls eine Übernachtung angedacht ist, Schlafsack und Isoliermatte mitnehmen, evtl. auch Zelt und Kocher.

Allgemeine Hinweise zum Wandern: Hunde sollten stets an der Leine geführt werden, da Wanderwege oft Gebiete mit Wild und Rentieren kreuzen.

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