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Foto: Jochen Schievink
Essay

Ein Plädoyer für Pläne

• 15. Januar 2022
2 Min. Lesezeit
von Katharina Brunnauer-Lehner

Warum das Träumen viel großartiger ist als das Abhaken. 

Üblicherweise laufen große Bergvorhaben in vier Phasen ab:  

1. Der Traum: Etwas Aufregendes kommt einem in den Sinn, sagen wir eine Alpenüberquerung. Man fängt an, sich Bilder im Internet anzuschauen, kauft sich vielleicht einen Führer, öffnet die Tourenapp und beginnt mit der Planung.  

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2. Der Anfang: Man steigt aus dem Zug, rückt den vollgepackten Rucksack auf den Schultern zurecht und geht den ersten von tausenden Schritten.  

3. Der Weg: Man setzt einen Fuß vor den anderen, bergauf, bergab, der Atem geht schwer, die Landschaft zieht nur langsam vorbei, und man vergisst die Zeit.  

4. Das Ende: Endlich ist das Ziel erreicht, Erfahrungen sind gesammelt, an mehreren Stellen des Körpers spürt man, dass man etwas getan hat. Das Häkchen auf der To-do-Liste kann gesetzt werden. 

Jede der Phasen hat etwas für sich. Im Beliebtheitsranking der Bergfexe würde aber sicher Nummer 3, der Weg, als Gewinner hervorgehen. Oder vielleicht das Erreichen des Ziels. Die meistunterschätzte Phase wäre jedenfalls der Traum. Dabei sind das Träumen und Pläneschmieden definitiv der beste Part, meiner Meinung nach. Dicht gefolgt vom Aufbrechen und dem Unterwegssein. Das Erreichen des Ziels wiederum kommt erst, nachdem lange nichts kommt. Sicher, es ist befriedigend, etwas abhaken zu können und zu wissen, dass der Körper Großes geleistet hat – gleichzeitig schwingt an diesem Punkt mit, dass etwas Schönes nun vorbei ist. Man kommt nicht drum herum, einen Verlust zu spüren und sich die leise Frage „Was jetzt?“ zu stellen. 

Beliebt auf Bergwelten

Dennoch wird dem Erreichen von Zielen in unserer Gesellschaft ein großer Wert zugemessen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Trend, den alle kennen, die viel auf YouTube oder Instagram unterwegs sind: Bullet Journaling. Man trägt seine Ziele mit bunten Stiften in ein Notizbuch ein, verziert das Ganze und überwacht dann, ob man auch alles erreicht, was man sich vorgenommen hat. Zum Beispiel, indem man Prozessbalken ausmalt. Oder Listen abhakt. Oder Erfolge dokumentiert. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Schön anzuschauen ist das; der Drang zur vollständigen Dokumentation und zur Selbstkontrolle löst – zumindest bei mir – nicht vorwiegend positive Gefühle aus. Viel wichtiger und motivierender als die Erledigung ist doch der Traum. Ganz egal, ob er sich erfüllt. 

Ich selbst habe schon vieles geplant, was ich nie umgesetzt habe: eine sechsmonatige Weltreise, eine wochenlange Bergtour vom Heimatort meines Mannes bis zu meinem, einen Umzug nach Tirol, einen Umzug in den Van… ich könnte die Liste lange fortsetzen. Und obwohl nichts davon zu einem Häkchen auf meiner To Do Liste geführt hat, denke ich doch gerne an die Zeit zurück, in der ich von all dem geträumt habe. Die Grundgefühle: Freiheit, Aufbruch, Möglichkeiten. Der Unterschied zu den tatsächlich durchgeführten Plänen – alleine am Jakobsweg wandern, ein Roadtrip nach Albanien, eine Woche durch die polnischen Masuren paddeln – sind die geschossenen Fotos, in manchen Fällen die geschriebenen Tagebuchzeilen, und dass die abstrakte Vorstellung im Kopf einer konkreten Erinnerung gewichen ist. Die Grundgefühle sind aber dieselben. 

Wenn ich mir also ein Motto überlegen müsste für Bergpläne und Lebenspläne, dann wäre es folgendes: Alles, was man sich vorstellen kann, wird möglich. Ob man die Möglichkeit dann nutzt, steht auf einem anderen Blatt. Das ist aufregend und entspannt gleichzeitig. 

 

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