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Foto: Maren Krings
Reise

100 Arten von Schnee: Unterwegs in Schwedisch Lappland

• 3. Januar 2022
5 Min. Lesezeit

Zwischen Ofenknistern und Schneeknirschen: Maren Krings ist in den hohen Norden Schwedens gereist, um bei minus 30 Grad der samischen Lebensart nachzuspüren.

Bericht: Maren Krings

Das Bullauge des Flugzeuges eröffnet mir die Sicht auf eine mit Eisschollen übersäte Ostsee. Ich frage mich, wie die Samen, die zweihundert Wörter für Schnee haben, diese Sorte von Gefrorenem bezeichnen? Vielleicht werde ich es erfahren, denn von Stockholm aus geht mein Flug weiter nach Kiruna, zum „Sapmi Nature Camp“, welches von Lennart Pittja, einem jungen Samen geführt wird. Ab hier reise ich in Begleitung von Martin Kössler, der seit gut zwanzig Jahren weltweit skandinavische Outdoor-Marken vertritt. Bedeutet: Mit Martin habe ich den Experten schlechthin für die besten Winterspots Schwedens an der Seite. So kann ich mich beruhigt zurücklehnen und entspannt den Wandel der Landschaft aus dem Fenster des Flugzeuges beobachten.

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Luftaufnahme von Kiruna. All diese Häuser müssen versetzt werden

Kiruna liegt knappe 200 Kilometer nördlich des Polarkreises und gilt als die größte Stadt der Welt. Nicht etwa der Einwohnerzahl wegen, diese ist mit knappen 17.000 Einwohnern eher klein. Es ist die Fläche des Stadtgebietes, welche mit 20.000 Quadratkilometern genauso groß ist wie Slowenien. Kiruna muss bis 2040 um fünf Kilometer nach Osten verlegt werden, da das Zentrum mittlerweile genau über den Aushöhlungen eines Eisenerzbergwerks liegt.

45 Kilometer östlich der Stadt, inmitten der Abgeschiedenheit, befindet sich der zivile Raketenstartplatz „Esrange“ und ein paar Kilometer außerhalb Kirunas das Eishotel von Jukkasjärvi. Wir machen einen kurzen Stopp, um die neuesten Kunstwerke aus Eis zu bestaunen. Jedes Jahr erschaffen hier Künstler neue Raumwelten aus Eis. Dank des großen, solargekühlten Gebäudes kann hier mittlerweile das ganze Jahr über im Eis übernachtet werden.

Ein Bett aus Eis im Eishotel

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Samisches Lebensgefühl bei minus 30 Grad

Knappe zwei Stunden Autofahrt gen Süden werden wir vom Licht einer Gaslaterne am Straßenrand zum Eingang des Sapmi Nature Camp geleitet. Idyllisch und einsam liegt es am Ufer des Sees Lulevatten, inmitten tief verschneiter Bäume. „Sapmi“ ist der samische Name für Lappland. Im „Sapmi Nature Camp“ übernachtet man in Lavvus (ein Lavvu ist ein samisches Tipi) – es möchte somit eine Brücke zwischen samischer Lebensart und dem berühmten „Friluftsliv“ (Freiluftkultur) Skandinaviens schlagen.

Schlafen im Tipi und das bei minus 30 Grad im tiefsten Winter? Puristisch und doch eine Erfahrung der gehobenen Klasse, denn das Tipi ist mit einem Holzofen und einem Gasofen beheizt. Sapmi-Glamping also? Nein, denn trotz der ziemlich luxuriösen Zelte bleibt das Camping-Leben bei Lennart eine äußerst naturverbundene und geerdete Erfahrung. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die samische Lebensweise, das Rentierhüten und den respektvollen Umgang mit Mutter Natur an Menschen aus der ganzen Welt weiter zu geben. Nichts kommt von alleine, weder das Wasser, welches wir trinken, zum Kochen verwenden oder gerade als Sauna Aufguss nutzen, noch der arktische Saibling, den Lennart gerade im Räucherofen vor der Blockhütte für das Abendessen vorbereitet.

Lennart prüft das Feuer für das Räuchern des Fischs

Mit dem Skidoo fahren wir auf den See, bohren ein Loch in das 50 Zentimeter dicke Eis und schöpfen Wasser für den kommenden Tag. Nach einer Runde Schwitzen in der vom Holzofen betriebenen Sauna, steht ein wahres „Candle-Light-Dinner“ in Lennarts Blockhütte an. Unbeabsichtigt nehmen unsere Stimmen eine gedämpfte Tonlage an. Zu präsent sind die Kräfte der Natur, welche uns umgeben, als dass wir sie übertönen wollten. Wir „fühlen samisch“! Über uns wird das Firmament aktiv und beschenkt uns nebst Vollmond und sternenklarer Nacht mit einem großen Nordlicht über dem erleuchteten Tipi!

Wir holen Wasser aus dem See

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Schweigsam durch den Schnee

Leise knirschen unsere Tegsnäs durch den frischen Schnee, den der letzte Sturm hinterlassen hat, „gielbit“ nennen die Samen diesen Schnee! Und Tegsnäs heißen die Holzskier, deren Form teils an Telemark- und teils an Langlaufskier erinnert. Die Bindung aus Hartplastik versetzt mich in die Zeit zurück, als ich mit drei Jahren das Skilaufen lernte. Genau der richtige Ski, um lange Touren durch die lappische Wildnis zu machen. Genau das steht heute auf unserem Programm. Über zugefrorene Seen und Flüsse, durch Wälder und über die hügeligen Weiten marschieren wir schweigsam dahin – fast meditativ. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Hin und wieder holen uns ein davonfliegendes Schneehuhn oder die Fährten eines arktischen Tieres zurück in die Gegenwart.

Lennart ist mit dem „Zeitunglesen“ beschäftigt, wie er das Deuten der Tierfährten im Schnee nennt. Ein Blick des Samen reicht, um eine genaue Prognose der Laufrichtung und Befindlichkeit des Tieres abzugeben. Ich bin tief beeindruckt. Und hier bekomme ich auch des Rätsels Lösung zu den Eisschollen auf der Ostsee, wenn Schnee sich als Eisscholle manifestiert, dann nennen die Samen dies „baldu“!

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Lennart auf den Tourenskiern. Die alten Samen legten bis zu 100 Kilometer am Tag auf Skiern zurück

Lennart bleibt stehen und stellt seinen Rucksack ab. Zum Vorschein kommen eine Rentiersalami und geräuchertes Rentierfleisch. Alles selbst hergestellt, wirklich Bio von den eigenen Rentieren. Gestärkt ziehen wir weiter über die zugefrorene Seenlandschaft und kommen langsam wieder zurück zum Camp. Während Lennart sich der Zubereitung des Abendessens widmet, bestücken wir den Ofen in der Sauna mit Holz und schüren die Temperatur, bis die Scheiben des Fensters komplett beschlagen sind. Es fühl sich gut an, in der Hitze zu schwitzen und der trockenen Kälte draußen vorübergehend zu entfliehen.

Mitte März bis Ende April ist eine gute Zeit, um den hohen Norden Schwedens zu bereisen. Die Seen und Flüsse sind dann immer noch unter tiefen Eisschichten verborgen, was das Tourengehen viel flexibler gestaltet. Auch wenn die bissigste Kälte dann meist schon vorbei ist, sollte man dennoch mit den klassischen skandinavischen Wetterkapriolen rechnen. Das Wetter dort ändert sich oft extrem schnell und Stürme oder gar das gefürchtete Whiteout können durchaus hartnäckig lang andauern. Eine Daunenjacke zu viel in diesen Breiten ist somit nie ein Fehler. Gut ist es, Touren in Begleitung von Einheimischen zu machen, oder zumindest einen Expertenrat von vor Ort einzuholen, bevor man sich in die schier endlose Wildnis Lapplands aufmacht!

Schwedisch Lappland Reise
Foto: Maren Krings
Die Autorin unterwegs in Schwedisch Lappland

In Begleitung eines samischen Guides beginnt „Sapmi“ erst so richtig zu leben. Für mich ist diese Tour ein Anfang und ich ahne, wieviel ich noch von dem Sami lernen muss, um Schnee nicht nur als Basis für meine sportlichen Herausforderungen anzusehen, sondern ihn riechen, fühlen und verstehen zu können. Um Schnee als das zu schätzen, was er eigentlich ist: Ein überlebenswichtiges Geschenk von Mutter Natur.

Cross-Country-Iceskating im Archipelago bei Stockholm

Infos und Adressen: Schwedisch Lappland

Flüge: SAS und Lufthansa bieten gute direkte Verbindungen von allen größeren deutschen Flughäfen nach Stockholm an. SAS fliegt auch weiter nach Kiruna.

Weiterreisen: Umweltbewusste Reisende gelangen auch mit dem Zug ans Ziel. Über das Bahnportal www.sj.se können alle Weiterreisen innerhalb Schwedens einfach organisiert werden. Der Nachtzug nach Kiruna oder Gällivare ist mit komfortablen Schlafkabinen ausgestattet.

Samen-Camp: Von Kiruna oder Gällivare kann der Shuttleservice von Lennart Pittja zum Sapmi Nature Camp in Anspruch genommen werden. Man kann sich dort auch ein Auto mieten und selbst anreisen. Dabei sollte aber unbedingt auf Spikes geachtet werden, da die Straßen oft mit einer hartgefahrenen Schnee-und Eiskruste überzogen sind. Für Überraschungen im Verkehr sorgen auch plötzlich kreuzende Elche oder Rentiere.

Stockholm: Wer nach dem Hohen Norden noch Zeit für einen Aufenthalt in der Schwedischen Hauptstadt hat, sollte unbedingt Cross-Country-Iceskating im Archipelago (Inselgruppe östlich von Stockholm) ausprobieren. Meine Guide-Empfehlung dafür ist Jonas Hållen.

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