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Interview

Ultraweitwanderer Carsten Jost: „Für den Körper ist das richtig krass“

• 17. September 2015
6 Min. Lesezeit
von Klaus Haselböck

Je länger die Trails, desto besser – so das Motto von Carsten Jost (40). Am liebsten tausende von Kilometern. Der deutsche Ultraweitwanderer über das Minimieren von Ausrüstung, Trail-Magie und warum Kartoffelchips und Junk-Food in den Wüsten Amerikas unentbehrlich sind.

Carsten Jost
Foto: Carsten Jost
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Bergwelten: Carsten, du bist heute Ultraweitwanderer mit Leib und Seele. Was war deine Initialzündung?

Carsten Jost: Ich war schon immer gerne wandern. In Deutschland, aber auch in Skandinavien. 2003 bin ich den Westcoast-Trail auf Vancouver-Island in Kanada gegangen. Das Wildnis-Erlebnis mit Bären, Seeadlern und uralten Bäumen war genau meines, aber nicht mit soviel Gepäck. Die 25 Kilogramm, die ich damals als Gepäck mit dabei hatte, waren verrückt. Ich wusste, dass ich mehr Kilometer gehen wollte, aber mit weniger Gepäck.
Dann habe ich das Buch „Picknick mit Bären“ von Bill Bryson gelesen und war total fasziniert: Der Autor war damals übergewichtig und untrainiert, überwand sich aber mit einem Freund den Appalachian Trail zu gehen. Der führt auf einer Länge von 3.500 Kilometer durch 12 US-Bundesstaaten. Für mich – damals 31 Jahre alt und ganz gut im Training – war die Frage: Schaffe ich das auch? Und es ist sich ausgegangen (lacht).

Wie lange warst du dann am Appalachian Trail unterwegs?

Ich habe 120 Tage gebraucht und ging damals, im Jahr 2004, allein. Danach wurde ich richtig süchtig nach Trails. Der Appalachian Trail ist gewaltig. Am Weg hörte ich aber immer wieder den Satz: „Wenn du möchtest, dass jeder Tag wie eine Postkarte aussieht, dann geh den Pacific Crest Trail.“  Und den ging ich dann schließlich auch 2008 – zum Teil allein, zum Teil mit meiner Freundin. Und alle, die vom PCT geschwärmt haben, hatten recht!
 
Ist Solo-Wandern für dich besser als zu zweit unterwegs sein?

Allein aufzubrechen heißt ja nicht, dass man am Weg allein bleibt. Die großen amerikanischen Wege sind vom Klima und dem Schnee her nur in einem bestimmten Zeitfenster – also zwischen April und September – möglich. Da starten dann alle und deshalb hat man immer Leute um sich herum. 2008 waren das rund 300, im Jahr 2015 schon mehr als 1.000. Das Buch „Der große Trip“ von Cheryl Strayed und der anschließende Film mit Reese Witherspoon haben da schon einen großen Boom ausgelöst. Ausreichend Platz zum Alleinsein hat man dort aber immer noch.
 
Bekommt man auch Unterstützung von den anderen Weitwanderern am Weg?

Total, das ist eine große Community, die zusammenhält. Da passiert auch immer wieder das, was wir „Trail Magic“ nennen: Ich hatte am PCT nichts zum Lesen mit, deshalb hat ein Amerikaner, mit dem ich einige Tage gemeinsam unterwegs war, sein Buch spontan auseinandergerissen und mir den Teil gegeben, den er schon gelesen hat. Einige Tage später haben wir uns wieder getrennt und als ich den Teil auch fertig hatte, kam ich am Trail an einem Baum vorbei, wo er mir den zweiten Teil des Buches mit Tape an einen Baum geklebt hatte. Er wusste ja, dass ich dort vorbeikommen würde.
Ein Kumpel von mir hatte sich am Continental Divide Trail völlig verlaufen und hätte es fast nicht mehr zur nächsten Siedlung geschafft. Er wusste, dass er ohne GPS  keine Chance hat den Weg zu Ende zu gehen. Er postete das im Web und als er in die nächste Stadt kam, erwartete ihn dort ein GPS, auf dem alle Etappen mit den wichtigen Wegpunkten eingespeichert waren. Ein Veteran des Trails hatte es ihm kostenlos zugesandt.

 

Carsten Jost
Foto: Carsten Jost
Kalorienhaltig und haltbar muss die Kost eines Weitwanderers sein. Big Mac mit Pommes und Schokoriegeln werden auch nicht verschmäht.

Apropos GPS: Wie anspruchsvoll sind die amerikanischen Weitwanderwege von der Navigation und der Logistik her?

Am Appalachian Trail gibt es alle 50 Meter eine Markierung, da kann eigentlich nichts schiefgehen. Deshalb ist der auch ideal für Einsteiger in Sachen Ultraweitwandern. Am PCT muss man schon Karte und Kompass, oder ein GPS dabei haben. Denn dort quert man lange Schneefelder und kann auch ins falsche Tal absteigen. Mittlerweile gibt es eigene Apps dafür, das macht die Sache deutlich einfacher. Der Continental Divide Trail, der auch durch die Rocky Mountains führt und eigentlich noch nicht fertiggestellt wurde, ist sicher der schwerste von den dreien. Da ist man noch richtig auf sich gestellt. Wenn man sich dort bei der Navigation verschätzt, oder zu wenig Verpflegung mit hat, kann das ins Auge gehen. Die Routenführung gibt vor, wann man sein Zelt aufschlägt und wo man Nahrung nachkaufen muss.
 
Was ist deine Leibspeise am Weg?

Alles, was viele Kalorien hat (lacht). Weitwandern – das unterschätzen viele – geht ordentlich an die Substanz. Das ist eine richtig krasse Belastung für den Körper. Man verbraucht durchschnittlich 4.500 Kalorien, im Hochgebirge bis zu 6.000 und das jeden Tag. Ein großes Big Mac-Menu mit Pommes und Cola bringt dir 2.000 Kalorien. An Karotten und Salat braucht man da gar nicht zu denken – da ist viel zu viel Wasser drinnen und soviel davon kannst du gar nicht mitschleppen, das man davon satt wird!
Das perfekte Essen für Ultraweitwanderer sind Tortilla-Fladen: Die kann man perfekt im Rucksack lagern und dick mit Nutella, Honig oder Marmelade bestreichen. Sehr praktisch sind auch Asia-Nudeln, die wiegen und kosten nichts, lassen sich aber mit Thunfisch, Käse, oder Wurst zu einem tollen Eintopf verarbeiten. Wenn du tagelang durch die Wüsten in Kalifornien wanderst und wirklich alles gibst, dann brauchst du am Abend eine Belohnung. Für den Kopf ist daher Junk-Food wie Kartoffelchips und Schokoriegel enorm wichtig.
 
Ultraweitwanderer sind Minimalisten: Wo spart ihr das meiste Gewicht?

Es gibt die „großen Vier“: Rucksack, Zelt, Schlafsack und Isomatte. Dort kann man richtig abspecken. Ein normaler Trekking-Rucksack wiegt bis zu 2,5 Kilogramm, meiner nur 600 Gramm. Uns Ultraweitwanderer geht es immer um das Basisgewicht. Also die Ausrüstung ohne Wasser und Nahrung. Das lässt sich – wenn man schlau packt und das richtige Equipment findet  – auf rund sechs Kilo drücken. Ich gebe dazu auch mittlerweile Kurse, denn es braucht viel Know-how und das Interesse am Utraweitwandern wird immer größer.
 
Mit welchen Schuhen bist du am PCT gegangen?

Für mich sind Trailrunning-Schuhe perfekt: Die haben kein Gewicht, sie rollen gut ab und geben ordentlichen Halt im Gelände. Wenn der Rucksack nur so wenig wiegt, dann braucht man auch keine superrobusten und damit sehr schweren Trekkingstiefel. Genauso wenig braucht es Gore Tex, oder andere Membranen. Vom Geruch her wäre das schon nach einigen Tagen nicht mehr auszuhalten. Dagegen ist es kein Problem, einmal nasse Füße zu haben. Das kann auch eine Membran nicht verhindern, wenn man mehrere Wochen über Schneefelder geht.
Die Schuhe halten im Schnitt 800 Kilometer, dann muss ich sie wechseln. Auch, weil sie dann zu klein für meine Füße geworden sind. Für den PCT habe ich fünf Paar Schuhe verbraucht.
 

Wanderer

Was machst du eigentlich, wenn du nicht unterwegs bist?

Gelernt habe ich eigentlich gar nichts. Ich habe lange Betriebswirtschaft studiert, dann aber keinen Abschluss gemacht, als Fahrradbote gearbeitet und zehn Jahr bei Outdoor-Händlern gejobbt.
Seit zwei Jahren – das kam über meine Frau – bin ich als Sprachtrainer bei Englisch-Feriencamps tätig. Diese finden outdoor statt. Das heißt, wir sind mit Kindern und Jugendlichen viel draußen in der Natur, gehen Felsklettern, Segeln, oder sind mit Kanus unterwegs. Gesprochen wird aber nur Englisch. Diese Camps kommen total gut an.
Mein Schul-Englisch hätte dafür nicht gereicht. Aber durch meine Reisen und Wanderungen in englischsprachigen Ländern habe ich das drauf.
 
Du hast mittlerweile auch Familie. Welchen Platz hat das Ultraweitwandern heute in deinem Leben?

Wenn man mit Utra-Trails einmal angefangen hat, kommt man nicht mehr davon los. Denn das Leben am Trail ist so wunderbar easy: Alle Verpflichtungen sind rausgenommen. Das Leben ist plötzlich ganz einfach: Essen, Schlafen, Scheißen, Laufen. Wenn man jemanden trifft, eine gute Zeit hat und sich dann erst 400 Kilometer später, oder gar nicht mehr wiedersieht, dann ist das auch okay. Klar, momentan steht meine Familie im Mittelpunkt. Weitwandern kann man altersunabhängig, bei guter Gesundheit also ein ganzes Leben lang machen.
Ich werde daher ganz sicher wieder durchstarten: Ganz oben auf meiner Liste steht der 5.000 Kilometer Continental Divide, der von Mexico bis nach Kanada führt. Der ist die Krönung der drei großen amerikanischen Wege und der Gedanke an ihn lässt mich nicht mehr los. In Europa gäbe es auch einiges zu tun: Von Monaco nach Triest in 161 Tagesetappen etwa, oder Norwegen der Länge nach. Das sind auch 5.000 Kilometer. Das Maß der Dinge sind für mich aber trotzdem die Trails in den USA.
 
Infos
Weitwanderer Carsten Jost ist im Netz mit seinem eigenen Blog Fastpacking.de zu finden, dort kann man auch seine Leichtgewichts-Trekking-Kurse buchen. Hier geht es zu den Sprachcamps.

Im Bergwelten Magazin (03/2015) breitet Carsten Josts den Inhalt seines Rucksacks aus – vom bärensicheren Lebensmittelsack bis zur ultraleichten Daunenjacke.

 

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