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Foto: Madlaina Walther
Hüttenportrait

Die Treschhütte im Fellital

• 9. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Im verwunschenen Fellital verbirgt sich die Treschhütte. Mit einer praktischen Hüttenwartin, mit Butter und Käse von der Nachbarsalp und mit eigenem Hausberg.

Miriam Fuchs aus dem Bergwelten-Magazin Oktober/November 2019 für die Schweiz

Einen klassischen Ausblick gibt es hier keinen. Von allen SAC-Hütten liegt die im unteren Fellital gelegene Treschhütte am tiefsten – gerade mal auf 1.475 Metern. Mächtige Tannen und hohe Berge umgeben das Steingebäude mit den blauweißen Fensterläden.

Darum schließt am besten kurz die Augen, wer nach den letzten steilen Metern auf der Terrasse angekommen ist und sich matt, aber glücklich auf die Bank setzt. Tosender Wildbach, flatternde Uri-Fahne, ein freundliches Hallo – so hört sich die Treschhütte an.

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Die einmalige Lage ist genau das, was der Hüttenwartin Franziska Kunz-Waser an der Treschhütte am besten gefällt. „Ich habe es gern, wenn’s obsi geht. Es hat so etwas Behütendes“, sagt die 52-Jährige, die sich mit auf die Bank setzt, um etwas zu plaudern. Seit elf Jahren schon führt die Mutter von vier Kindern, mit Wohnsitz im Unterland den Hüttenbetrieb – alles in Fronarbeit.

Eine Wandererin beim Aufstieg durch blühende Almenlandschaften.
Foto: Madlaina Walther
Hinauf zum Hausberg: Die Tour auf das Taghorn ist wunderschön.

Sie sei da einfach so hineingerutscht, wie sie salopp sagt. „Jetzt ist es mein Ausgleich zur Arbeit als Familienfrau“, sagt sie lachend und fügt an: „Ich schaffe einfach gern.“ Gern anzupacken ist Grundvoraussetzung für diesen Job: Ständig klingelt das Handy, das in Franziska Kunz-Wasers praktischer Gilettasche steckt. 

Die gebürtige Engelbergerin gibt Wandertipps, notiert Reservationen, dazwischen begrüßt sie Neuankömmlinge und trägt rasch einen leeren Kuchenteller in die Küche. Häufig bringt sie ihre Kinder mit auf die Hütte. „Sie helfen gerne mit“, sagt Franziska Kunz-Waser, ihre älteste Tochter plane nun sogar die Feier zu ihrem 18. Geburtstag auf der Treschhütte.

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Helfer, Freunde, Namensgeber

Immer wieder übernehmen auch freiwillige Helfer die in der Hütte mit 32 Schlafplätzen anfallenden Aufgaben: Kochen, Putzen und Holzhacken. Einer von ihnen ist Jörg Lipp aus Nürnberg. Der Mann mit Kochschürze pflückt gerade Kräuter im kleinen Gärtchen oberhalb der Terrasse.

Die Treschhütte

Seit zwei Wochen ist der 58-jährige Deutsche hier, für ihn ist die Arbeit Ausgleich zum Alltag in einem Immobilienbüro. Hier kommen nicht nur die Gäste hoch, um vom Alltagsstress hinunterzufahren. Jörg Lipp erzählt von der Kanne, mit der er täglich Milch holt auf der weiter oben gelegenen Alp – es ist seit 70 Jahren das gleiche Gefäß. Oder vom Gast, der sich als Enkel eines Gefährten des alten Felli-Tresch vorstellte. 

Der Namensgeber der Hütte hauste hier als Einsiedler und machte sich einen Namen als Bergführer von gipfelhungrigen Unterländern. „Einfach der Wahnsinn, was man hier für Begegnungen hat“, sagt er. „Hast du die Küche im Griff, hast du die Hütte im Griff», schließt er mit einem Augenzwinkern an. Jörg Lipp hat die Hütte gut im Griff, sehr gut sogar. 

Zum Mittagessen gibt es einen Teller Pasta mit Bolognese-Sauce und Alpkäse, für die vegetarische Variante improvisiert der Hüttenhelfer mit frischem Gemüse und Kräutern. Gekocht wird mit Holz auf einem Tiba-Ofen, groß wie Großmutters Kommode. Milch, Butter, Käse für die Hütte kommen von der Alp Fellenen, die nur einige Gehminuten von der Treschhütte entfernt weiter oben im Fellital liegt.

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Auch das Fleisch stammt aus der Region, vom Bergbauern Sämi Indergand. Kaum fällt sein Name, biegt Sämi Indergand mit seiner Familie um die Ecke. Die dreijährige Adriana sei heute zum ersten Mal fast alleine hochgewandert, erzählt er stolz. Sagt’s und setzt sich mit Baby Nico auf dem Schoss zur Hüttenwartin an den Tisch auf der Terrasse.

„Ich komme schon mein ganzes Leben hier herauf“, sagt der 33-Jährige, früher als Geissenbub, heute als Alpvogt. Dieses Jahr besorgt eine andere Bergbauernfamilie die Alp Fellenen. Sämi Indergand ist nur zu Besuch. Dass er dabei auch bei der Treschhütte vorbeischaut, sei selbstverständlich. „Eine gute Nachbarschaft ist wichtig“, sagt er, „wir sprechen beispielsweise die Helikopterflüge miteinander ab.“

Die Hüttenwartin Franziska lacht aus dem Fenster.
Foto: Madlaina Walther
Die Engelbergerin Franziska Kunz-Waser heißt seit elf Jahren Gäste auf ihrer Hütte willkommen.
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„In der Hauptsaison versorgt ein Helikopter die Treschhütte alle drei Wochen mit dem Nötigsten, bringt Bier oder frisches Gemüse und holt leere Flaschen und den Käse der Älpler. In den letzten Jahren ist diese Zusammenarbeit verstärkt worden.“ So bezieht die Treschhütte heute Milchprodukte und Fleisch von den benachbarten Alpbetrieben.

Warum war das nicht schon immer so? „Es kostet halt mehr, als wenn man alles beim Großverteiler bezieht“, sagt Franziska Kunz-Waser und zuckt mit den Schultern. Doch gehe es ihr um Grundsätzliches: „Alle reden vom ökologischen Haushalten, aber man muss es halt auch machen“. Natürlich kann bei solchen Entscheidungen auch die Hütten-Besitzerin, die SAC-Sektion Am Albis, mitreden. Aber Franziska Kunz-Wasers Wort hat Gewicht.

Und so trägt die Treschhütte die Handschrift der beliebten Hüttenwartin. Es ist die Handschrift einer vierfachen Mutter, die vor allem praktisch denkt. Das zeigt sich beim Rundgang durch den modernen Anbau, der die 1947 erbaute Treschhütte seit 2012 erweitert und ihr zu Annehmlichkeiten wie etwa einer Warmwasserdusche oder Toiletten im Haus verholfen hat.

Strom für die Hütte liefern Sonnenkollektoren und ein kleines Wasserkraftwerk. Im oberen Stock, in den beiden Familienzimmern „Taghorn“ und „Bristen“, hat Franziska Kunz-Waser ein zusätzliches Kinderhochbett unter die Dachschräge bauen lassen. Das riesige Panoramafenster im Treppenhaus, das nicht nur Fans modernen Bauens verzückt, sieht sie eher kritisch: „Einmal geöffnet, bringt man es kaum mehr zu, so schwer ist es.“

So modern der Anbau, so urchig ist der alte Teil der Treschhütte. Die Wände der Stube sind aus dunklem Holz, auf den Bänken liegen weiß-rot karierte Kissen, an den Wänden hängen Erinnerungen an alte Zeiten. Zum Beispiel ein altes Gemälde der Treschhütte vor dem Anbau.

Auf der Hütte gibt es selbstgemachten Kuchen und frischen Kaffee.
Foto: Madlaina Walther
Kann man nie genug bekommen: selbst gemachte Kuchen.

Die Gipfel auf dem Gemälde erinnern an die lohnenden Touren, die es hier gibt. Etwa auf das Taghorn, auch Fellihorn genannt, den Hausberg der Treschhütte. Wer den rund zweieinhalbstündigen Aufstieg aufs Taghorn gemacht hat, kann auch mitreden bei der Diskussion, die sich beim Abendessen unter einigen Hüttengästen ergibt: Ist das wirklich noch Bergwandern, wie es heute offiziell heißt? Oder müsste die Tour als Alpinwanderung gelten, also weiß-blau-weiß markiert sein? Schließlich sind einige Stellen mit Ketten gesichert.

„Man sollte schon schwindelfrei sein“, sagt eine junge Frau. Der Mann neben ihr fügt an: „Und Ausdauer haben – es ist steil“. Am Schluss einigt man sich darauf, dass weiß-rot-weiß für den größten Teil der Tour die richtige Markierung ist. Seit Jahrzehnten darf im Fellital nicht mehr gejagt werden, die Natur steht unter Schutz. Tiere und Pflanzen leben beinahe ungestört. 

Um zu sehen, dass die Artenvielfalt hier besonders groß ist, muss man übrigens kein Biologe sein: Schmetterlinge tanzen von Blume zu Blume, Ameisen wuseln über Granitblöcke voller Flechten, und eine Tafel informiert, dass hier „das größte zusammenhängende Artenvorkommen auf der Schweizer Alpennordseite“ zu bestaunen ist.

Das Fellital wird immer wieder als wildromantisch beschrieben. Die Gäste auf der Treschhütte sprechen davon, und auch Bergbauer Sämi Indergand oder Hüttenwartin Franziska Kunz-Waser kommt dieses Wort als Erstes in den Sinn, wenn man sie nach dem fragt, was das Fellital für sie ausmacht. Er komme immer wieder gern hier hinauf, sagt der Bergbauer am Tisch auf der Hüttenterrasse. Die Hüttenwartin nickt: „Ich habe mein Herz an das Fellital verloren.“

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