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Berg-Know-How

Skitour: Die richtige Spuranlage

• 25. Januar 2022
5 Min. Lesezeit
von Riki Daurer

Ob auf vermeintlich sicheren Mode-Skitouren oder auf unberührten Hängen – für ein gesundes Ins-Tal-Kommen ist es essenziell, rechtzeitig Gefahrenstellen zu erkennen. Mit diesen Tipps findest du die beste Aufstiegsspur und Abfahrtslinie.

Spur durch die winterliche Landschaft
Foto: Hendrik Morkel / Unsplash
Gute Linie: Die Spur könnte man als Handschrift des Skitourengehers bezeichnen
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Viele Tourengeher sind heute vor allem auf sogenannten Mode-Skitouren unterwegs und folgen einer bereits vorhandenen Aufstiegsspur. Auch bei der Abfahrt orientieren sich die meisten an vorhandenen Spuren. Ein solcher regelmäßig verspurter Hang vermittelt Sicherheit. Zu Recht! Denn durch das permanente Befahren baut sich keine natürliche Schneedecke auf und damit gibt es auch keine Zutaten für eine Schneebrettlawine.

Aber Vorsicht, dieser Vorteil gilt ...

  • nur bei Anstiegen und Abfahrten, die den ganzen Winter über permanent begangen bzw. befahren werden.

  • nur, wenn nach einem Schneefall auch genügend Spuren vorhanden – sprich sichtbar – sind.

  • ausschließlich in den vielbefahrenen Korridoren. Verlässt man diese „Standardstrecken“, gelten schlagartig andere Spielregeln!

Das bedeutet somit zwangsläufig, dass „sichere“ Mode-Skitour und fetter, unverspurter Pulver kaum miteinander vereinbar sind.

Doch auch auf solchen Mode-Skitouren sind in den vergangenen Jahren Lawinenunfälle geschehen, die bei Berücksichtigung einiger grundlegender Punkte zur Linienwahl meist vermeidbar gewesen wären. Für alle Skibergsteiger, die gern und regelmäßig spuren, sowie für Freerider, die unberührte Hänge befahren wollen, gelten die nachstehend aufgelisteten Hinweise umso mehr.

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1. Lokale Gefahrenquellen beachten

Wind in den Bergen
Foto: Alexis Marchand Maillet / Unsplash
Der Wind gilt als der „Baumeister der Lawine“

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Der aktuellen Lawinenprognose entnimmt man die regionale Gefahrenstufe und erfährt, auf welche Gefahrenquellen in welchem Bereich geachtet werden müssen.

Diese Informationen gelten allerdings für eine ganze Region (kleinstenfalls für ca. 1.000 Quadratkilometer) und müssen nun auf die eigene Tour übertragen werden. Dazu müssen während des Aufstiegs und der Abfahrt diese lawinenrelevanten Informationen laufend mit der Realität vor Ort abgeglichen werden. Also Augen auf und mit allen Sinnen das Gelände um uns wahrnehmen und nach folgenden Kriterien beurteilen:

  • Ist die vorhergesagte Neuschneemenge korrekt oder hat es tatsächlich mehr / weniger Niederschlag gegeben?

  • Wie schaut es mit dem Wind aus? Ist der Schnee noch locker oder bereits gebunden?

  • Sehe ich frische Windzeichen?

  • Wie ist die Temperatur? Ist der Harschdeckel gut tragfähig?

  • Sehe ich irgendwo frische Lawinenabgänge? Höre ich Setzungs-(Wumm)-Geräusche? Sehe ich Risse?

Diese Einschätzung ist nur mit dem entsprechenden Wissen und Können möglich. Das zu erlernen ist kein Hexenwerk. Im Gegenteil! Sich dieses Wissen mithilfe einer kompetenten Bergführerin anzueignen, macht Spaß – und ist der erste Schritt auf dem Weg vom Einsteiger zum Könner.

2. Lokale Gefahrenstellen identifizieren

Jetzt wissen wir zwar, welche (Lawinen-)Probleme lokal auf unserer Tour bestehen – das bringt uns aber nichts, wenn wir die kritischen Bereiche im Gelände nicht identifizieren können. Schließlich ist es unser Ziel, genau diese zu umgehen. Auch hier sind die Informationen aus dem regionalen Lawinenlagebericht – insbesondere die spezifischen Informationen bezüglich Höhenangabe und Hangexposition – hilfreich. Zugleich muss aber klar sein, dass sich nichts meter- oder grad-genau verändert. Will heißen: Die Gefahrenstufe springt nicht schlagartig bei angegebenen 1.600 Metern Höhe von 2 (mäßig) auf 3 (erheblich).

Der Lagebericht weist aber (in seiner Schlagzeile oder im Text) immer auf besondere Gefahrenstellen hin, wie zum Beispiel den „Übergang von wenig zu viel Schnee“, „sonnenexponierte Hänge“, „kammnahe, Triebschnee gefüllte Rinnen“. Diese Hinweise gilt es unbedingt zu berücksichtigen!

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3. Geländefallen erkennen und meiden

Freerider in einer steilen Abfahrt
Foto: Inspire Toud / Unsplash
Felsen und Gräben sind typische Geländefallen bei der Abfahrt

Mindestens ebenso wichtig wie die im Lawinenlagebericht angeführten Gefahrenstellen ist die Beurteilung „meines“ nächsten Hanges nach seinen spezifischen Gefahrenstellen beziehungsweise seinem Gefahrenpotenzial. Es macht zum Beispiel einen großen Unterschied, ob der nächste Hang, dessen Fuß ich quere , 50 Meter lang ist und unter mir sanft ausläuft oder ob er 300 Meter lang ist und unter mir in einem engen Bachbett endet. Spätestens hier beginnt die „Was wäre, wenn ...?“-Fragerei: Was würde beispielsweise passieren, wenn meine Gruppe in diesem Hang von einer Lawine erfasst wird? Beim ersten Beispiel hätte sie recht gute Karten, beim zweiten würde sie metertief im Bachbett verschüttet werden.

Doch es braucht nicht einmal eine Lawine. Allein wenn der Hang hart bzw. gefroren ist, kann ein Sturz mit Abschürfungen oder schwereren Verletzungen im eisigen Wasser liegend enden. Geländefallen wie Rinnen, Gräben oder Felsabbrüche gilt es also zu erkennen und zu berücksichtigen.

Gefahren ober- und unterhalb

Dabei spielt auch das skifahrerische Können der Gruppe eine Rolle. Besonders bei unübersichtlichen und komplexen Abfahrten muss man sich – nicht nur in sehr steilem Gelände – darauf verlassen können, dass einer Spur oder Querung genau gefolgt oder eine Ausfahrt aus einer Rinne mit genügend Schwung gemeistert werden kann. Im Zweifelsfall also lieber eine andere Linie wählen!

Doch nicht nur das, was sich unter mir befindet (Geländefallen, Absturzgelände), sondern auch das, was sich über mir abspielt, ist von Bedeutung. Neben Hanggröße und Einzugsgebiet oberhalb der geplanten Spur spielen auch andere Skifahrer und Gruppen eine Rolle. Es hilft nichts, wenn wir durch einzelnes Abfahren die Schneedecke nur gering belasten, wenn von oben eine andere Gruppe im Rudel in den Hang einfällt. Daher müssen wir vorausschauend handeln und eventuell die Abfahrt anderer Gruppen abwarten. Auch eine entsprechende Kommunikation mit anderen Skitourengehern empfiehlt sich: Freundlich ansprechen und vereinbaren, welche Gruppe zuerst in den Hang einfährt. Aus solchen Gesprächen sind übrigens schon glückliche Ehen hervorgegangen!

4. Sammelpunkte bestimmen

Gruppe von Freeridern
Foto: domitian / Pixabay
Jeder Sammelpunkt muss lawinen- und absturzsicher sein und eine gute Sichtverbindung gewähren

Vor allem bei der Abfahrt sind gute Rast- beziehungsweise Sammelpunkte enorm wichtig und werden nach folgenden Kriterien gewählt:

  • Lawinensicheres Gelände (z. B.: genügend Abstand zu Steilhängen)

  • Absturzsicheres Gelände (z. B.: nicht unmittelbar neben einem Steilabbruch)

  • Gute Sichtverbindung zum letzten Sammelpunkt / zur Gruppe (zur Registrierung von Stürzen oder Lawinenabgängen)

5. Sichtverhältnisse beachten

Skitourengeher im Nebel
Foto: Thijs Kennis / Unsplash
Bei schlechter Sicht kann das Gelände nicht beurteilt werden

Alle oben aufgelisteten Punkte können nur berücksichtigt werden, wenn gute Sichtverhältnisse herrschen. Ich muss mindestens so weit sehen können, dass ich den nächsten Hang bzw. die kommenden Geländekammern beurteilen kann. Das gilt auch dann, wenn bereits eine oder mehrere Spur(en) vorhanden sind: Woher will man wissen, dass diese nicht direkt in einen mit frischem Triebschnee geladenen Steilhang führen oder über einem Felsabbruch enden?

Tourenplanung und Geländekenntnis erweitern zwar den Spielraum – ebenso wie der Blick auf eine digitale Karte am Handy–, doch Übermut ist fehl am Platz, denn auch ein GPS-Track gibt keinerlei Hinweise auf die aktuell herrschende (Schnee)-Situation.

6. Rechtzeitig umdrehen

Bleibt zum Schluss noch der Hinweis auf eine Entscheidung, die fast immer eine gute Idee ist: das Umdrehen! Umdrehen, aus welchen Gründen auch immer, ist zentraler Bestandteil jeder Natur-Sportart und möchte gleichermaßen gelehrt wie gelernt sein. Umdrehen tut nicht weh (außer manchmal ein bisschen dem Ego …) und ist unverzichtbar für die Entwicklung als Bergsteiger.

Bergsteiger im Winter bei Wind
Foto: Simon / Pixabay
Wind, ungünstige Wetterverhältnisse und Kälte können zum Umdrehen zwingen

Wenn auch nur leise Zweifel hinsichtlich der weiteren Aufstiegsspur oder der Gefahreneinschätzung aufkommen, bleibt die Option des Umdrehens immer bestehen. Eigenverantwortlich handeln heißt in einer solchen Situation: Nicht abzuwarten, ob sich die nachfolgende Gruppe weitertraut, sondern abzubrechen und sich Kaffee und Kuchen im nächsten Gasthaus schmecken zu lassen.

Auch wenn die nachfolgende Gruppe weitergeht, ihr hoffentlich nichts passieren und sie im Gegenteil eine tolle Abfahrt haben wird: Kein Berg läuft davon und beim nächsten Mal sind die Verhältnisse garantiert noch viel besser! Oder zumindest dann beim übernächsten Mal.

Beim Variantenfahren und bei Überquerungen ist es mit dem Umdrehen manchmal nicht mehr ganz so einfach. Deshalb sind die Gefahrenbeurteilung sowie die Wahl der richtigen Abfahrtslinie fast immer anspruchsvoller als die Spurwahl beim Aufstieg.

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