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Eine der schwersten Mehrseillängenrouten der Alpen

Mit Spaß und Sturheit. Barbara Zangerl klettert „Bellavista“

• 15. September 2015
4 Min. Lesezeit
von Simon Schöpf

Der Extremkletterin Barbara Zangerl gelang diesen Sommer die Wiederholung von gleich zwei der schwersten Mehrseillängenrouten der Alpen: "Bellavista" und „Unendliche Geschichte“. Bergwelten sprach mit Barbara über riesige Überhänge, weite Stürze und den finalen Triumph der Sturheit.

Barbara Zangerl in der Bellavista, Westliche Zinne
Foto: Stefan Kürzi
Barbara Zangerl in der „Bellavista“, Westliche Zinne
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So ziemlich jeder, der zum ersten Mal nordseitig am Fuße der berühmten Drei Zinnen stand, wird sich mehr oder weniger dasselbe gedacht haben: „Woooaaahh.“ Es gibt wohl nur wenige Felsformationen in den Alpen, ja man könnte sogar behaupten weltweit, welche vergleichbare Reaktionen bei den Betrachtern hervorrufen.
 
Die allermeisten Besucher begnügen sich mit dem Blick vom Paternsattel, und natürlich mit den obligaten Wandfotos: Wenige Berge werden ähnlich frequentiert abgelichtet wie die Drei Zinnen.

Drei Zinnen Nordseite
Foto: Simon Schöpf
Die imposante Nordseite der Drei Zinnen

Ein paar wenige entscheiden sich allerdings für einen spektakulären Perspektivenwechsel: Angehörige der seltsamen Spezies der Alpinkletterer. Kleine, Große, Westliche Zinne – ein Turm spektakulärer und massiver als der andere. Als eines der markantesten Merkmale fällt das riesige, ausladende Dach der Westlichen Zinne jedem sofort ins Auge – kaum jemand würde wohl auf die Idee kommen, hier eine Kletterroute durchzulegen.
 
Kaum jemand – abgesehen natürlich von Alexander Huber. Im Winter des Jahres 2000 eröffnete der Alpinkletter-Großmeister hier die Route „Bellavista“ – im Alleingang. 2001 konnte Alex die Route auch sturzfrei durchsteigen, Schwierigkeit: 11ter Grad (8c). Damit war und ist „Bellavista“ eine der schwersten Alpinrouten weltweit.
 
Im August 2015 lockte das warme Wetter die österreichische Extremkletterin Barbara Zangerl in die schattige Nordwand der Westlichen Zinne, die zweite Damenbegehung des Huber-Extremklassikers musste dann auch gar nicht lange auf sich warten lassen.

Bergwelten: Wie kam es zum Projekt „Bellavista“ an der Westlichen Zinne?
Barbara: Vor der „Bellavista“ bin ich viele längere Routen geklettert, zwar mit weiten Hakenabständen aber eben doch mit Bohrhaken. An den Zinnen warten ganz andere Herausforderungen: Eine im Vergleich zu früheren Projekten von mir extrem schlechte Felsqualität und ein Klettern an „alten Rostgurken“ (Anm. d. Red.: alte, rostige Schlaghaken). Aber genau das macht den Reiz der Zinnen aus: die gewaltigen Wände, die genialen Linien, die ganze Geschichte des Kletterns dort. Selten, dass eine Wand so cool ausschaut.
 
Das Besondere an der „Bellavista“ ist natürlich der gigantische Überhang, eines der größten frei kletterbaren Dächer der Alpen. In der Route dreht sich alles um das Dach – wenn man stürzt, fällt man durch die extreme Steilheit soweit weg von der Wand, dass man sich erst einmal wieder 10 Meter am Seil nach oben ziehen muss, sonst kommt man nicht mehr zurück an die Wand. Projektieren ist natürlich dementsprechend mühsam und langwierig.
 
Rostige Schlaghaken, brüchiger Fels, dazu klettern im 11. Schwierigkeitsgrad – wie bewältigt man die psychische Belastung in solchen Situationen?
Also beim ersten Versuch hab ich mir schon gedacht, oje, das ist zu wild. Aber kaum war ich dann wieder am Boden, musste ich zurück hinauf zum Dach schauen und ich hab mir gedacht: ‚Harrschdigott!’ Warum hab ich’s nicht einfach probiert? Schlussendlich habe ich es dann einfach nochmal probiert, und nochmal, und nochmal ... obwohl ich mich am Anfang echt angeschissen hab. Aber meine Sturheit war am Ende größer als meine Angst!
 
Wenn man dann ein paar Mal gestürzt ist und merkt, es passiert einem eh nichts, weil man im Riesendach im Falle eines Sturzes durch die Steilheit den Fels gar nicht berührt, dann wird mit der Zeit auch die Angst weniger. Das gefühlte Risiko ist immer größer als das wirkliche Risiko.
 
Viel gefährlicher als die schweren, überhängenden Seillängen sind eigentlich die ‚leichteren’, vertikalen. Die sind dann wirklich zum Teil sehr spärlich abgesichert, da gibt es schon genug Stellen, wo man einfach nicht stürzen darf. Da heißt’s dann, totale Konzentration und viel überlegen.

Christian Winklmair und Barbara Zangerl am Gipfel der Westlichen Zinne – um 2 Uhr früh
Foto: Barbara Zangerl
Christian Winklmair und Barbara Zangerl am Gipfel der Westlichen Zinne – um 2 Uhr früh

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Warst du dann vom schnellen Durchstieg überrascht?
Ja, eigentlich schon! Christian „Pinky“ Winklmair und ich sind an diesem Tag erst relativ spät und noch merklich müde von den Versuchen des Vortages in die Route gestartet. Ich dachte, ich schau einfach mal, wie weit ich komme. Aus irgendeinem Grund bin ich in der Schlüssellänge dann aber gar nicht gestürzt, da mussten wir quasi weitermachen. Danach warten allerdings nochmals 17 Seillängen, man ist also erst bei einem Drittel der gesamten Wand!

Gegen 19:00 Uhr waren wir dann am Band, wo die „Bellavista“ mit der klassischen „Cassin“ zusammenläuft. Nach nur 5 weiteren Seillängen in der „Cassin“ begann es schon zu dämmern und wir mussten mit Stirnlampen weiterklettern. Im Dunkeln den richtigen Weg und die wenigen vorhandenen Schlaghaken zu finden war schon ein Nervenkitzel. Man sieht eben nur die 2 Meter des Lichtkegels der Stirnlampe und kann nicht mehr so richtig einschätzen, ob der Griff, den man gerade angreift, auch wirklich hält; und man klettert schon mal 20 Meter über die letzte, wackelige Sicherung! Schlussendlich waren wir dann um 2 Uhr nachts am Gipfel – und dann kam erst der Abstieg, im 3er Gelände! Da wir diesen beide noch nicht kannten haben wir uns natürlich auch gleich verlaufen. Das Härteste war dann aber wohl, dass wir seit 20 Stunden nur je einen halben Liter getrunken haben – völlig am Verdursten! Im Morgengrauen waren wir dann wieder zurück am Auto, total fertig, aber überglücklich. Da wir leider beide am nächsten Tag arbeiten mussten folgte wohl die schrecklichste Autofahrt meines Lebens – 4 Stunden zurück nach Bludenz. Echt wild. Und danach direkt in die Arbeit ...

7. Kirchlispitze, Rätikon, Graubünden, Schweiz; Route: Unendliche Geschichte (10+); Climbers: Barbara Zangerl und Nina Caprez
Foto: Robert Bösch
Barbara Zangerl und Nina Caprez suchen die „Unendliche Geschichte“ im Rätikon

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Man hört, du warst nach den Zinnen gleich wieder im kompakteren Rätikon-Fels unterwegs?
Ja, und wie! Am 9. September konnten Nina Caprez und ich nach 10 Tagen ausbouldern tatsächlich die „Unendliche Geschichte“ (8b+, 12 Seillängen) sturzfrei klettern, echt gewaltig. Die Route wurde 1991 vom Rätikon-Großmeister Beat Kammerlander rotpunkt geklettert und erst 2005 von Pietro dal Prà wiederholt. Seit zehn Jahren konnte also niemand mehr die Route durchsteigen. Es gab keinerlei Magnesiumspuren und wir mussten zusätzlich viel Fels putzen, sehr spannend. Eine geniale Linie, und Riesenrespekt vor Beats Erstbegehung!
 
Babsi, Gratulation zu deinen beeindruckenden Begehungen und vielen Dank für das Interview!

Barbara Zangerl und Nina Caprez in der Unendlichen Geschichte, Ratikon
Foto: Robert Bösch
Barbara Zangerl und Nina Caprez lesen die „Unendliche Geschichte“, Rätikon

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