15.800 Touren,  1.700 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Baciu Cristian Mihai/ Unsplash
Vergessener Urwald

Rumänien – Im Yellowstone der Karpaten

• 10. Juli 2022
6 Min. Lesezeit

In Rumänien kämpft eine Naturschutz-Stiftung für den größten Wald-Nationalpark Europas. Win Schumacher hat das zukünftige Yellowstone der Karpaten erkundet.

Bericht: Win Schumacher

Die Wildnis beginnt direkt vor seiner Haustür. Von seinem Reiterhof in Șinca Nouă blickt Christoph Promberger auf die nahen Făgăraș-Berge, blühende Wiesen vor dunklen Waldhängen – ein vertrautes Panorama im rumänischen Siebenbürgen. Doch die Gegend hält für Naturbegeisterte weit mehr als idyllische Aussichten bereit.

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„Ein so riesiges Gebiet ohne Straßen und Siedlungen, in dem noch immer Wolf, Bär und Luchs leben“, sagt Promberger, „das ist in Europa ziemlich einzigartig.“ Der deutsche Forstwissenschaftler und Wildbiologe leitet zusammen mit seiner in der Steiermark aufgewachsenen Frau Barbara Promberger-Fürpaß die Fundația Conservation Carpathia (FCC). Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, im Zentrum Rumäniens den größten Wald-Nationalpark Europas zu schaffen. Der bereits seit 1938 unter Naturschutz stehende Höhenzug der Südkarpaten soll gemeinsam mit den angrenzenden Făgăraș- und Leaota-Bergen in Zukunft ein Schutzgebiet von mehr als 250 000 Hektar bilden – annähernd so groß wie Luxemburg.

Christoph Promberger möchte mit seiner Stiftung Europas größten Wald-Nationalpark schaffen

Wanderer wägen sich in den wilden Făgărașbergen in einem seit Jahrhunderten vom Menschen vergessenen Urwald. Doch mancherorts geben Nebelschwaden den Blick auf ein völlig anderes Panorama frei. Als hätte eine Lawine den Hang überrollt, klafft inmitten des Bergwalds eine kahlgeschlagene Bergflanke. Einsame zurückgebliebene Baumstümpfe in der gigantischen Lichtung lassen erahnen, dass hier vor Kurzem noch ein uralter Wald gestanden haben muss.

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In den 2000er-Jahren wurden in Rumänien mehrere tausend Quadratkilometer Land aus Staatsbesitz an die Bevölkerung zurückgegeben. Viele der neuen Waldbesitzer hatten jedoch nur wenig Bezug zu ihrem Eigentum. So kauften Holzhändler ihnen für wenig Geld riesige Flächen ab und ließen sie roden. Eine regelrechte Mafia entwickelte sich und vermachte das Holz an inländische Holzeinschlagunternehmen und ausländische Konzerne. Abertausende Hektar Wald wurden vor allem zwischen 2005 und 2010 in den Karpaten illegal gerodet. „Wir waren schockiert, dass kein Mensch etwas unternommen hat“, sagt Promberger über die Situation in den Făgăraș-Bergen. Die FCC konnte den Holzeinschlag in dem von ihnen kontrollierten Gebieten inzwischen aufhalten. Andernorts wird noch immer Wald gerodet.
Barbara und Christoph Promberger gründeten 2009 die FCC. Er kam bereits 1993 aus München nach Rumänien, um über die Großraubtiere der Karpaten zu forschen. Sie schrieb ihre Diplomarbeit über Wölfe. Gemeinsam entschieden sie, hier zu bleiben und gründeten als begeisterte Pferdeliebhaber den Öko-Reiterhof Equus Silvania.

Im Nationalpark Piatra Craiului

Vorbild Yellowstone

Der dramatische Kahlschlag in den Karpaten ließ die beiden nicht kalt. Die einzige Möglichkeit, die Wälder zu retten, sahen sie darin, sie statt für den Holzeinschlag für den Naturschutz aufzukaufen. Mit der Stiftung des Mäzens Hansjörg Wyss, die weltweit Naturschutzprojekte fördert, gewannen sie einen mächtigen Unterstützer. Der Milliardär war nach einem Rumänien-Besuch begeistert: Am besten sollte gleich das gesamte Făgăraș-Gebirge mit den höchsten Gipfeln Rumäniens zum Schutzgebiet werden. Bis heute wurden mehr als 25.000 Hektar Land aufgekauft – eine Fläche größer als der Nationalpark Bayerischer Wald. Auf 75.000 von der Stiftung kontrollierten Hektar patrouillieren inzwischen FCC-Ranger, insgesamt 80.000 sind jagdfreie Zonen. Über acht Quadratkilometer, die bereits abgeholzt worden waren, wurden wieder aufgeforstet, fast drei Millionen Bäume gepflanzt. In Rumänien soll, so hoffen es die Prombergers, irgendwann einmal ein europäisches Yellowstone entstehen.
„Yellowstone ist ein Symbol, eine Ikone“, sagt Promberger. „Amerika und Afrika haben solche Nationalparks, die wirklich jeder kennt. In Europa sticht jedoch keiner heraus.“ In den Karpaten sieht der Biologe das Potenzial für ein riesiges Wildnisgebiet, in der die Natur das Sagen hat. „In zwei oder drei Jahren ist das nicht zu schaffen“, sagt Promberger, „aber ja vielleicht in 20“.

Reise Rumänien Karpaten Piatra Craiului Nationalpark
Foto: Win Schumacher/Weltwege.de
Das berühmte Schloss Bran befindet sich am östlichen Rand des Nationalparks Piatra Craiului

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Ein Ausflug in das Stramba-Tal, nicht weit vom Hof der Prombergers gelegen, gibt einen farbenfrohen Eindruck von der einzigartigen biologischen Vielfalt, die der zukünftige Park bewahren soll. Durch das von Mischwald gerahmte Wiesental plätschert ein Flüsschen. Perlmuttfalter und Blauflügel-Prachtlibellen taumeln entlang der Ufer. Lichtnelken und Knabenkraut streuen ein zartes Violett ins Sattgrün der Wiesen. Auf das dumpfe Quaken der Gelbbauchunken und das knarrende Rufen der Wachtelkönige antwortet der Kuckuck vom nahen Waldrand und der flötende Gesang des Pirols aus den Baumkronen.

Hermann Kurmes sucht mit seinem Fernglas den Waldrand nach seltenen Vögeln ab. „Wenn wir Glück haben, erwischen wir auch einen Schreiadler oder Neuntöter“, sagt er. Kurmes war einer der  Initiatoren der rumänschen Vereinigung für Ökotourismus und ein Pionier für Naturreisen in den Karpaten. Die meisten Touristen kommen jedoch wegen der Braunbären.
„Am Anfang sagten die Leute: Ihr seid verrückt!“, erzählt Kurmes und lacht. Als er Ende der Neunziger gemeinsam mit seiner deutschen Frau Katharina, die er als Biologiestudent in Göttingen kennengelernt hatte, begann Wanderungen auf den Spuren von Wölfen, Bären und Luchsen anzubieten, glaubten sie beide selbst noch nicht so richtig an den Erfolg. Es waren die Prombergers, die sie dazu motivierten.

Der Wolf gilt für viele hier noch immer als Hauptfeind des Menschen. „Bären waren in der Ceaușescu-Zeit die größten Devisenbringer durch die Trophäenjagd“, sagt Kurmes. „Das macht es schwer, einem Schäfer oder Jäger den Nutzen von Ökotourismus zu erklären.“ Aus der Idee wurde trotzdem ein Erfolgskonzept. „Irgendwann haben die Leute verstanden: Zum Bergwandern können die Touristen auch nach Österreich oder in die Schweiz“, sagt Kurmes, „die Chance, Wölfe oder Bären zu beobachten, haben sie jedoch nur hier.“

Reise Rumänien Karpaten Piatra Craiului Nationalpark
Foto: Win Schumacher/Weltwege.de
Im Stramba-Tal haben Wanderer die Chance, Braunbären zu beobachten

Im Stramba-Tal ist die Dämmerung eingebrochen. Wir folgen einem Ranger durch das Halbdunkel des Waldes. Vor einer Lichtung steigt Hermann Kurmes auf einen speziell für die Tierbeobachtung gebauten Hochstand. Hier haben mehr als zehn Touristen Platz, doch an diesem Abend ist nur ein französisches Paar gekommen. Mit dem Fernglas verfolgen sie einen Fuchs, der sich von den ausgelegten Schlachtabfällen die ersten Happen holt. Raben und Bussarde haben wohl auch bereits auf die Fütterung gewartet. Bald taucht tatsächlich ein Bär auf und macht sich über eine Schweinehälfte her. Ihm folgen nach und nach acht weitere, darunter auch eine Mutter mit ihrem Jungen. Zeitweise sind sechs Bären gleichzeitig auf der Lichtung. Die Franzosen sind begeistert.
„Ich bin ein wenig reserviert gegenüber diesen Fütterungen“, sagt Christoph Promberger am Tag danach auf seinem Hof. Naturschutz und Tourismus bilden eine Zweckgemeinschaft, die auch in den Karpaten voneinander abhängen.
Viele Umweltschützer hoffen, dass bald wieder Wanderer und Naturfreunde aus ganz Europa in die Făgăraș-Berge kommen werden. Fehlt das Geld durch den Ökotourismus, verliert das Nationalpark-Projekt an Aufwind. Mit der Covid-19-Pandemie dürfte es schwer werden, in nächster Zukunft die steigenden Gästezahlen aus den Vorjahren zu erreichen.

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Bauwerke und Tiere im Nationalpark Piatra Craiului

Rückkehr der Wisente

Eine gute Nachricht könnte jedoch einige Wildnisbegeisterte zusätzlich in die Karpaten locken. Seit 2019 ist das Carpathia-Schutzgebiet seinem Vorbild Yellowstone noch ein klein wenig ähnlicher geworden. Während riesige Herden von Bisons, die Wappentiere des US-Parks, dort tausende Touristen anlocken, streifen in den Făgăraș-Bergen nun wieder acht ihrer eurasischen Verwandten durch die Wälder: Wisente. Sie wurden nach einem lange geplanten Wiederansiedlungsprojekt in die Freiheit entlassen. 2020 wurde das erste Kalb geboren – für die Naturschützer ein wichtiges Zeichen für einen Erfolg des Projekts. 17 weitere Tiere aus Artenschutzprogrammen in Großbritannien, Schweden und Deutschland warten in zwei weiträumigen Gattern auf ihre Auswilderung im Frühjahr. Die zotteligen Urrinder, die größten Landsäugetiere Europas, waren in Rumänien spätestens im 19. Jahrhundert ausgestorben. In den kommenden vier Jahren sollen weitere Tiere in die Wildnis zurückkehren.

Dass sich, wie in Yellowstone, irgendwann einmal Autoschlangen um Wildrinder und Bären bilden, fürchtet Promberger allerdings nicht. „Wir werden einen langen Atem brauchen. Aber die Făgăraș-Berge werden eine echte Wildnis bleiben.“

Infos und Adressen: Nationalpark Piatra Craiului, Rumänien

Anreise: Zum Beispiel mit Lufthansa, Austrian Airlines oder TAROM nach Sibiu (Hermannstadt) oder Bukarest. Eine Anreise ist auch mit dem Fernbus oder Zug mit Umsteigen in Wien oder Budapest möglich. Für die Karpaten empfiehlt sich in jedem Fall ein Mietwagen.

Unterkünfte:

Die familiengeführte Villa Hermani ist eine der schönsten Pensionen im Bergdorf Măgura in perfekter Ausgangslage für Wanderungen in den Piatra Craiului-Nationalpark. Die Zimmer haben Aussicht auf das Hochgebirge ringsum und die herzhafte Küche setzt ganz auf frische lokale Produkte. DZ inkl. Frühstück ab 32 EUR p.P. www.cntours.eu

Pferdeliebhaber finden auf dem ökologisch geführten Reiterhof Equus Silvania das ideale Quartier für Ausritte in die Südkarpaten. Die Prombergers organisieren auch Wildtierbeobachtungen im Stramba-Tal und den Fotoverstecken wie der Bunea-Hütte in den Făgăraș-Bergen, DZ inkl. VP ab 61 EUR p.P., (Übernachtung in Bunea inkl. VP ab 200 EUR). www.equus-silvania.com

Die Cobor Biodiversity Farm ist ein erst kürzlich  restaurierter und von der der Fundația Conservation Carpathia geführter Bauernhof mit mehreren Gästezimmern, organischem Gemüseanbau und gleichzeitig ein Rückzugsort für alte Pferde und seltene Haustierrassen. DZ inkl. VP ab 58 EUR p.P. www.cobor-farm.ro

Nationalpark Piatra Craiului: www.pcrai.ro

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