16.800 Touren,  1.600 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Manuel Perić
Regionsporträt

Das Ausseerland - eine Alpensinfonie

• 12. August 2021
4 Min. Lesezeit

Das Ausseerland zog in seiner Geschichte die großen Schriftsteller und Komponisten an. Eine Spurensuche zwischen Dichterklausen und inspirierenden Gipfelpanoramen.

Stefan Schlögl für das Bergweltenmagazin April 2018

Ein kurzer Zucker durchfährt dich dann schon, wenn du – mit gut geschnürten Wanderstiefeln, das Kapperl marschbereit in die Stirn gezogen und die Bergspitzen fest im Blick – von einem deiner Begleiter den schmucklosen, gleichwohl markanten Hinweis hörst:

„Wenn wir oben am Gipfel sind, flieg ich runter.“ Gut nur, dass Florian – durchtrainiert, wache blaue Augen, darüber ein dunkelblonder Schopf – kein Nebenerwerbs-Nostradamus, sondern leidenschaftlicher Paragleiter ist. Ohne Gleitschirm-Rucksack geht der 26-jährige Student und Kletterführer sommers quasi nicht vor die Tür, schon gar nicht, wenn eine Tour auf den Hausberg der Region, den Loser, ansteht.

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Der ist mit seinen 1.837 Metern das Wahrzeichen des Ausseerlands. Sein Name soll vom „Losen“, also vom Hören, abgeleitet sein: Die Ausseer, so berichtet die Legende, lauschten einst vom Gipfel ins Land hinein, ob sich in den Tälern Ankömmlinge oder gar Feinde näherten. Trotzig wie ein riesiger, von tiefen Denkerfalten zerfurchter Schädel ragt der Charakter-Gipfel über Altaussee auf, kalksteinerner Kontrast zur lieblichen Landschaft, den sanft gewellten, mit pittoresken Villen und Höfen betupften Wiesen, den apart von wogenden Baumwipfeln eingefassten Seen.

Jeder Winkel, jeder Ausblick hier im steirischen Salzkammergut ist Idyll, aufgeladen mit Klischees und Folklore, die irgendwo zwischen Habsburg-Verklärung, sich in Lederhosen zwängenden Zugereisten und den eher herb-charmanten, zu latenter Abschottung neigenden Einheimischen oszillieren.

Blick auf das Losertörl
Foto: Manuel Perić
Das Losertörl: eine Kulisse, die ein spätromantischer Landschaftsarchitekt nicht besser hinbekommen hätte.

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Ein illustrierter Kreis

Vielleicht kamen in den vergangenen 150 Jahren gerade deswegen vor allem Künstler, Schriftsteller oder Traumtänzer in diese Region, um sich in der Abgeschiedenheit ihren Gedanken, Ideen, Spintisierereien hinzugeben, die Welt neu zu erfinden – und um sich bei den abendlichen Soireen nicht nur an feinsinnigem Tratsch zu delektieren. 

Schnitzler, Kraus, Torberg, Broch, Hofmannsthal, Freud, Lenau, Herzl, Wassermann, Salten – sie alle ließen sich im Fin de Siècle sowie in der Zeit zwischen den Weltkriegen von diesem Landstrich betören; sie kurierten im Bad Ausseer Kurhaus die jeweils aktuelle Modekrankheit oder zogen sich ins versteckt verschwiegen gelegene Altaussee zurück. 

Bloß eine sich die Traun entlang schlängelnde Straße führt dorthin. Damals wie heute ein Idealort für Kontemplation, Muße, innere Einkehr – und nicht zuletzt Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Wanderungen und Touren. Eine gute Gelegenheit, um sich von oben herab, aus der Vogelperspektive, dieser oft besungenen, bis zum Kitsch verklärten Region anzunähern.

Der Loser in all seiner Pracht

Gemütlichkeit und Gipfeltour

Der Klassiker ist die Route auf und um den Loser, die von Altaussee weg als Tagestour oder als kurzweilige Bergwanderung von der Loserhütte weg begangen werden kann. Das auf 1.500 Metern gelegene urige Haus liegt an der sich in Schleifen die Südflanke hochwindenden Loser-Panoramastraße, es weist nicht nur eine Sonnenterrasse mit Postkarten-Fernblick auf, sondern auch eine im ganzen Umland bekannte Spezialität, die hausgemachte Cremeschnitte. Eine Delikatesse, der man jedoch nur in Maßen zusprechen sollte – andernfalls ist der Weg bis zum Gipfelkreuz eher nicht in den veranschlagten zwei Stunden zu bewältigen.

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Florian lässt sich zum Frühstück eine schmecken, während seine Freunde, Claudia und Martin, bereits gen Gipfel drängen. Sie Rechtsanwältin in Bad Aussee und ehemalige Leichtathletin, er passionierter Berggeher, Taucher, Kletterer. Alle drei gesegnet mit strammen Wadeln – ein zarter Hinweis darauf, dass die Region mehr als nur Narzissenfest und Salzbarone zu bieten hat. 

„Wann immer wir Zeit haben sind wir in der Region unterwegs, gehen klettern oder eine Runde um den See laufen“, erzählt Claudia. Und Martin ergänzt mit einem Grinser: „Wenn im Tal unten nicht so viel los ist, machen wir es uns halt auf den Hütten gemütlich.“

Die Bandbreite zwischen Gemütlichkeit und Gipfeltour ist im Ausseerland tatsächlich enorm, die jeweiligen Zustiege sind schnell erreicht, die Linienboote auf Altausseer See und Grundlsee als Zubringertaxi nicht zu verachten. Von erfrischenden Wanderungen rund um die Seen bis zu anspruchsvolleren Touren auf die umliegenden Berge, wie etwa den Sandling, gehen einem hier die Varianten nicht aus. 

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Rund um den 1.717 Meter hohen Nachbarn des Loser ist auch eine ziemlich knackige Mountainbike-Strecke ausgelegt, in sechs Stunden kann man sich hier insgesamt 1.700 Höhenmeter in die Oberschenkel packen. Wir hingegen gehen den Loser eher kontemplativ an, wandern entlang sattgrünen, von Latschenwäldern gesprenkelten Bergwiesen und von Regen und Wind zu skurrilen Skulpturen verformtem Karstgestein. 

Man ist schließlich Sommerfrischler! So wie Arthur Schnitzler, der Tiefenbohrer der menschlichen Seele, der unzählige Male von Altaussee her aufstieg. Einer der treuesten Begleiter des Wiener Literaten war Hugo von Hofmannsthal, der Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Auch Kaiserin Elisabeth, vor allem als Sisi bekannt, war schon hier heroben, widmete dem Berg gar ein Gedicht, das „Loserlied“.

Blick auf einen Wanderweg in den Latschen des Toten Gebirges
Foto: Manuel Perić
Von Aussee durch das Tote Gebirge entlang des Nordalpenwegs

Alpine Bildgewalt

Süden hinein ins Tal mit dem funkelnden Altausseer See und dem Dachsteingletscher am Horizont. Die milchig weißen Hochflächen des Toten Gebirges, die abebbenden Kuppen des Alpenvorlands und die hoch aufragenden Tauernzinnen: Was Wunder, dass sich ausgerechnet hier der Legende nach der Komponist Richard Strauss zu seinem monumentalen, im Jahr 1915 uraufgeführten Tongemälde „Eine Alpensinfonie“ inspirieren ließ.

Von der musikhistorischen Weihestätte lassen wir uns, vorbei an Dolinentümpeln und keck aufragenden Karsttürmen, Richtung Nordosten treiben, werfen einen Blick durchs Loserfenster, ein mächtiges Felsentor, auf die nahezu senkrechten Abhänge an der Rückseite des Massivs. Über den Augstsee stapfen wir, bildergesättigt, nach vier Stunden bergauf, bergab prächtig ermattet, bis zu einer Kuppe über der Loseralm – wo Florian, endlich!, seinen Gleitschirm in den Aufwind stellt und sich laut jubelnd auf dem Luftweg hinunter Richtung Altaussee macht.

Bald schon ist er nur noch ein kleiner Punkt vor der Trisselwand, während Claudia, Martin und ich zurück zur Loserhütte stapfen. Dort warten bereits ein sehr notwendiges Pfandl mit „Kasnocken nach Art des Hauses“ sowie das süffige Loser Bier. Das ist nicht nur von einer kräftig kupferroten Farbe,  sondern außerdem herrlich zischig – auch eine würdige Form der Sommerfrische.

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