Skitouren im Allgäu: Die Nacht leuchtet!
Dass Allgäuer Skitourengeher in der Dunkelheit auf Berge steigen, ist längst keine Seltenheit mehr. Ein besonderes Erlebnis bleibt es allemal. Frank Eberhard stellt einige seiner Lieblingstouren bei Nacht vor.
Jedes Mal eröffnet sich eine neue Welt, jedes Mal wartet ein kleines Abenteuer. An einem Abend hüllt sich der Gipfel der Alpspitz (1.575 m) über dem Allgäuer Nesselwang in dichten Nebel. Die Sicht in dieser milden Winterwaschküche ist gleich Null und wir finden den höchsten Punkt erst nach einigem Herumgestocher im Schnee. An einem anderen Mittwoch leuchten die Sterne am klaren Himmel und die Lichter der Orte weit unter unseren Skiern erhellen die kalte Nacht. Wieder in einer anderen Nacht peitscht uns stürmischer Wind den Schnee schmerzhaft ins Gesicht.
Nachtskitouren, teils auf beleuchteten Pisten, teils nur im Schein der Stirnlampe, haben ihre eigenen Reize: Nachts sieht die Welt völlig anders aus. Schon eine kleine Lichtquelle kann die Umgebung in eigentümliche Farben tauchen. Wer sich darauf einlässt, stellt fest, dass die Dunkelheit ihre eigene optische Vielfalt hat. Und auf diejenigen, die über die Pisten hinaus wollen, um auf einen Gipfel zu steigen, warten ungewohnte Herausforderungen wie erschwerte Orientierung und Kälte. Das macht selbst kürzere, normalerweise leichte Skitouren zu kleinen alpinen Aktionen. Möglichkeiten dazu gibt es im Allgäu mittlerweile an jedem Tag und an vielen verschiedenen Orten. Dann haben die Wirtschaften länger geöffnet und die für Skifahrer lebensgefährlichen Pistenarbeiten beginnen später.
Die umfassendste Aussicht über das verschneite Allgäu bietet sich vom Hausberg Grünten (1.738 m). Norbert Zeberles Grüntenhütte liegt knapp 300 Höhenmeter unter dem Gipfel. Am Mittwochabend füllt sich die Gaststube mit Tourengehern. „Viele steigen selbst bei schlechtem Wetter auf“, sagt Zeberle. Wegen der guten Luft hat er mittlerweile sein Leben komplett auf den Grünten verlagert. Für Alpinisten lohnt es sich jedoch, die Einkehr auf den Rückweg zu verschieben. Denn auf dem Weg zum Gipfel erwartet sie ein kleines Abenteuer: Nach der letzten Schlepplift-Station folgt der windausgesetzte Gipfelhang. Oben angekommen heißt es Ski abschnallen und zu Fuß weiter. Wo im Sommer eine Metalltreppe hochführt, wartet im Winter eine steile Rinne mit beunruhigend viel Auslauf. Auch bei den letzten Schritten zum Kriegerdenkmal auf dem Gipfel ist Konzentration gefragt. Das Gelände ist nicht schwer, ein Fehltritt könnte jedoch fatal enden. Was bei Tag und erst recht im Sommer kein Problem ist, stellt sich in einer Winternacht als ungleich schwieriger heraus – und als ungleich faszinierender.
Viel los ist abends in Nesselwang, wo jeden Tag Flutlicht-Skifahren stattfindet: Bis zu vier Wirtschaften bedienen dort ihre Gäste bis tief in die Dunkelheit hinein und bis zur Mittelstation strahlen die Pisten im hellen Kunstlicht. Neben der Piste ist mittwochs viel los: Es sind längst nicht mehr nur ein paar Verrückte, die sich nach Feierabend noch zu einer Skitour aufmachen. Denn mitten in der Woche das zu tun, worauf sich Winterbergsteiger das ganze Jahr über freuen, sorgt für gute Laune. Zudem lockert es die Arbeitswoche auf. Die meisten von ihnen kehren später im Sportheim Böck nahe der Bergstation ein. Dabei legen sie die zweite Hälfte ihrer Tour im Schein ihrer Stirnlampen zurück.
Die Grüntenhütte im Detail
Grüntenhütte
Bei guten Bedingungen lohnt es sich jedoch, ins freie Gelände darüber vorzustoßen. Mit Alpspitz (1.575 m) und Edelsberg (1.630 m) warten gleich zwei Gipfelchen. Gut 650 beziehungsweise 700 Höhenmeter sind es vom Parkplatz bis dort hinauf – besseres Feierabend-Training als an der Kanapee Nordwand. Der Alpspitz ist über einen steilen Hang direkt über dem Sportheim Böck und einen breiten bewaldeten Grat schnell erreicht. Bei nicht allzu harschen Bedingungen finden sich dort einige Bergsteiger ein.
Der hinter einer Hochebene gelegene Edelsberg bleibt nachts wesentlich einsamer. Die Spur nach oben passiert zuerst eine breite Schneise – die spätere Abfahrt. Weiter windet sie sich in Serpentinen und durch dichten Wald. Besonders stark wirkt das Erlebnis nach frischen Schneefällen, wenn Schneekristalle lautlos im Schein der Stirnlampen von den Ästen rieseln. Wie am benachbarten Alpspitz wartet oben ein Holzkreuz aus schlanken grauen Stämmen. Ganz anders präsentiert sich die Aussicht: Im Süden reihen sich die Gipfel des Tannheimer Tals in Tirol auf – viele von ihnen sind beliebte Skitourenberge: Ponten, Bschießer, Gaishorn, Krinnenspitze, um nur ein paar wenige zu nennen. An letzterem breiten Klotz gibt es donnerstags einen Skitouren- und Rodelabend. Dann hat die Krinnenalpe auf 1.530 Metern Höhe länger geöffnet.
Doch wer auf dem Edelsberg steht, sieht die Krinnenpsitze nur im Hintergrund. Eine Reihe davor flößt die felsige Nordseite des Aggensteins Respekt ein, vor der sich wiederum der Breitenberg viel Platz nimmt und seinem Namen alle Ehre macht. Auf dessen Gipfel (1.838 m) leuchtet ein einsamer Punkt: die Ostlerhütte. Dort zieht es vor allem mittwochs Skitourengeher hin. Ein langer, besonders schöner Aufstieg führt von der bayerischen Seite und größtenteils über Forstwege hinauf.
Ohne Pistenbetrieb ist dieser Aufstieg jeden Tag möglich, mit knapp 800 Höhenmetern aber für eine Feierabendtour recht lang. Oben warten Wirtin Andrea Heiligensetzer und ihre Familie mit Allgäuer Spezialitäten. Noch fast 100 Höhenmeter länger und vor allem steiler ist die Tour zum Tegelberghaus, vis-á-vis Schloss Neuschwanstein. Donnerstags walzen die Pistenraupen im äußersten Osten des Allgäus erst zu nachtskitouren-freundlichen Zeiten. Am anderen, westlichen Ende der Bergkette treffen sich Schnee-Enthusiasten auf dem Staufner Haus unter dem 1.834 m hohen Hochgrat. Knapp 750 Höhenmeter legen sie bis zur Hütte zurück. Wo und wann auch immer – der nächtliche Aufstieg lohnt sich. Denn im Schnee eröffnet sich ohnehin jedes Mal eine neue Welt. Und die Nacht verstärkt diese Einmaligkeit noch.
Das Staufner Haus im Detail
Staufner Haus
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