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Hütten-Backstage

Hinter der Hütte: Wie funktioniert eine Alpenvereinshütte?

• 28. Mai 2021
5 Min. Lesezeit
von Simon Schöpf

Wie betreibt man eine Hütte mit möglichst kleinem ökologischen Fußabdruck? Und wie kommt eigentlich der Kaiserschmarrn so weit hinauf? Für einen Blick hinter die Kulissen des Hüttenalltags waren wir mit dem ÖAV auf der Steinseehütte in Tirol unterwegs. Eine Verständnisübung in vier Etappen.

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Die Steinseehütte (2.061 m) liegt unterhalb des gleichnamigen Sees auf einer grünen Terrasse, umrahmt von der mächtigen Parzinn-Gruppe, in den Lechtaler Alpen
Foto: Simon Schöpf
Die Steinseehütte (2.061 m) liegt unterhalb des gleichnamigen Sees auf einer grünen Terrasse, umrahmt von der mächtigen Parzinn-Gruppe, in den Lechtaler Alpen
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Zzzzzummmm, kaum hörbar und wie von Geisterhand gezogen summt sie über unsere schwitzenden Köpfe hinweg, während sich unsere Füße gerade durch den Latschengürtel hocharbeiten: Die Materialseilbahn der Steinseehütte in den Lechtaler Alpen. Beladen mit Eiern, Brot, Bier – den Essentialien für ein Leben auf der Hütte. Doch von Geisterhand bewegen sich eben nur im Märchen Dinge, in der Realität brummt da oben ein 50 Jahre alter VW-Motor, den Hüttenwirt Buggy manuell bedienen muss, wie er uns später noch erklären wird.

Wir wandern mit Vertretern des Österreichischen Alpenverein (ÖAV) auf die Steinseehütte, um exemplarisch an ihr ein paar der fundamentalen Fragen rund um ein Leben auf der Hütte zu klären. Um über die Dinge zu sprechen, die der Gast oft nicht mitbekommt: die Organisation im Hintergrund, die Strapazen und die Herausforderungen. Und ganz viel über bauliche „Auflagen“, die im Tal zwar Sinn machen, am Berg aber oft nur im Wege stehen.

Die Materialseilbahn der Steinseehütte
Foto: Simon Schöpf
Gut bepackt: Die Materialseilbahn der Steinseehütte

1. Wie kommt der Kaiserschmarrn auf die Hütte?

Auf der Hüttenterrasse ein Kaiserschmarrn – welch ein Traum! Doch was wir alle lieben, ist auch harte Arbeit: Oder wer hat schon einmal auf 2.000 Metern Höhe glückliche Hühner herumrennen gesehen? Irgendwie müssen die Eier ja auch nach oben kommen, fliegen können sie bekanntlich noch nicht selbst. Eine leise Ahnung davon bekommt man beim Zustieg auf die Steinseehütte.

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„Bis das Essen auf der Hütte landet, wird es mindestens vier Mal umgeladen. Vom Hersteller im Tal ins Auto bis zum Parkplatz, dann in den kleinen Traktor bis zur Talstation der Materialseilbahn, auf die Hütte, rein in die Küche. Und erst dann beginnt die Zubereitung!“, klärt uns Hüttenwirt Burkhard „Buggy“ Reich auf.

Deshalb gibt es auf Hütten auch primär traditionelle Speisen. Einfach, aber köstlich. Kasspatzeln und Brettljause liest man da, das Tagesgericht sind Spaghetti mit selbstgemachtem Almkräuterpesto, frisch gepflückt im Umkreis der Hütte. Regionalität lautet das Stichwort, das der Alpenverein auch mit seinem Qualitätssiegel „So schmecken die Berge“ belohnt. Auf der Steinseehütte weiß man genau, wo die Wurst und der Käse herkommen. „Ich hol‘ mir fast alle Produkte von Almbauern in der Region. Es ist zwar nicht immer ganz einfach, das logistisch zu lösen, aber die gegenseitige Wertschätzung ist in den Bergen sehr wichtig“, sagt Hüttenwirtin Jutta, Buggys Frau und Küchenchefin. Und das dies keine leere Floskel ist, schmeckt man bei ihr mit jedem Bissen.

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Die „Großküche“ auf der Steinseehütte
Foto: Simon Schöpf
Die „Großküche“ auf der Steinseehütte

2. Woher hat die Hütte den Strom?

„Der Österreichische Alpenverein war schon immer Vorreiter in Sachen Solarenergie“, weiß Peter Kapelari, Leiter der Abteilung Hütten, Wege und Kartografie, der ebenfalls mit auf der Steinseehütte ist. „Rund 100 unserer Hütten wurden bereits mit Photovoltaikanlagen ausgerüstet.“

Einen Steinwurf entfernt liegt der gleichnamige Steinsee – eine ideale Möglichkeit, um sich nach einer ausgiebiegen Bergtour abzukühlen
Foto: Simon Schöpf
Einen Steinwurf entfernt liegt der gleichnamige Steinsee – eine ideale Möglichkeit, um sich nach einer ausgiebiegen Bergtour abzukühlen

Hüttenwirt Buggy nimmt uns für einen Blick hinter die Kulissen mit in den Technikraum. Vorsichtig öffnet er eine riesige Box, die aussieht wie ein überdimensionaler Gefrierschrank. „24 Lithium-Batterien zu je 48 Volt – 9 Kilowatt können wir speichern. Das entspricht in etwa dem Stromverbrauch von zwei Tagen, wobei wir 50 Quadratmeter Solarpanele am Hüttendach haben.“ Alle 10 Jahre müssen die Batterien erneuert werden. Bevor wir wieder raus ans Tageslicht gehen, zeigt Buggy noch auf eine moderne Schaltanlage in der Ecke. „Die neue Brandmeldeanlage, seit kurzem in Betrieb. 50 Brandmelder gibt es in der Hütte insgesamt, wie in einem Hotel im Tal.“ Die Kosten? 50.000 €. „Nichts gegen Sicherheit“, so Buggy weiter, „aber solche Auflagen, da schwitzt man schon einmal. Und wieder vier neue Kasteln, bei denen man sich auskennen muss!“

Die Zauberbox der Steinseehütte: 24 Lithium-Batterien zu je 48 Volt
Foto: Simon Schöpf
Die Zauberbox der Steinseehütte: 24 Lithium-Batterien zu je 48 Volt
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3. Was kostet eigentlich eine Hütte und wer finanziert das?

Peter Kapelari fährt mit dem Finger über eine lange Tabelle, ganz unten eine Zahl. „572.000 €. So viel kostete der Umbau der Steinseehütte im letzten Jahr.“ Schön sind sie geworden, die neuen Zimmer und Waschräume, nur sollte man noch eine Zahl im Kopf behalten: 2,5. Um diesen Faktor sind die Baukosten höher als im Tal. Beton ist sogar rund 40 Mal so teuer wie unten, weil: „Betonmischer kann hier oben keiner vorfahren!“, sagt Buggy. Der Umbau musste akribisch geplant werden und ist dazu stark wetterabhängig, denn das Material wird mit dem Hubschrauber angeflogen. „Zwar hatten wir letztes Jahr mit sieben Regenwochenenden in Folge eine katastrophale Saison, aber im Zuge des Umbaus hatten wir dann immer Glück. Der Heli macht keinen einzigen Leerflug, der Bauschutt kommt gleich wieder mit ins Tal.“

Peter Kapelari, Leiter der OEAV-Abteilung Hütten, Wege und Kartografie im Gespräch
Foto: Simon Schöpf
Peter Kapelari, Leiter der OEAV-Abteilung Hütten, Wege und Kartografie im Gespräch

Am Berg ist vieles aber auch nicht planbar. Muren oder starke Schneefälle können den „Inseln im Gebirge“ arg zusetzen oder die Zustiege dorthin unpassierbar machen. Damit bei solchen Extremereignissen die Hütte nicht auf langwierige Förderungen angewiesen ist, gibt es beim Alpenverein den Katastrophen- und Hüttenfond, unterstützt von der Firma Handl Tyrol, für schnelle und unbürokratische Hilfe. „Eine Art Eigenversicherung für die Hütten eben“, weiß Peter Kapelari, „denn der Bedarf steigt stetig. Oben in den Bergen spüren wir den Klimawandel deutlich, der Permafrost taut auf und Ereignisse wie Starkregen nehmen immer mehr zu“.

Rechtlich gesehen gehören die Alpenvereinshütten natürlich dem Alpenverein, schließlich kommen die Sektionen auch für die Baukosten auf. Die Wirtsleut‘ sind oben Pächter, die Einnahmen aus den Nächtigungen gehen an den ÖAV, die Einnahmen aus der Bewirtung kommen dem Hüttenwirt zu.

So kommt der Kaiserschmarrn auf die Hütte: Antransport der Lebensmittel, zuerst im Traktor, dann mit der Materialseilbahn
Foto: Simon Schöpf
So kommt der Kaiserschmarrn auf die Hütte: Antransport der Lebensmittel, zuerst im Traktor, dann mit der Materialseilbahn

4. Wer arbeitet auf einer Hütte (und warum tut man sich das an)?

Wenn man länger mit Buggy spricht, merkt man vor allem eines: Der Mann kennt sich aus in seinem Haus. „Hüttenwirte müssen Multitalente sein“, sagt Peter Kapelari, aber mit Multitalent meint er eigentlich Alleskönner. „Neben den gastronomischen Aufgaben muss die Hütte auch sauber sein, insofern sind die Wirtsleute für die Wasserqualität zuständig und benötigen eine Ausbildung zum Wasserwart. Auch haben sie die Verantwortung über den Brandschutz, müssen also auch Brandschutzwart sein. Die Kläranlage muss auch bedient werden, Gebietskenner sollte man sowieso sein, und dazu am besten noch ein Mediator für Konfliktfälle.“

Die Hüttenwirte Burkhard „Buggy“ Reich und seine Frau Jutta
Foto: Simon Schöpf
Am Arbeitsplatz: Die Wirtsleute Burkhard „Buggy“ Reich und seine Frau Jutta

Wie schaut der typische Tagesverlauf aus, Buggy? „5:00 aufstehen, Frühstück machen, ab 7:00 kommen die Leute, um 8:30 kann ich dann selber schnell etwas essen, dann muss ich in den Technikraum, ab 10:00 geht dann das Tagesgeschäft los, da kommen die ersten Leute aus dem Tal an.“ Jutta kümmert sich derweil um Anfragen und Reservierungen, „eine eigene Sekretärin könnt‘ ich schon oft gut gebrauchen,“ meint sie nicht ganz ohne Ironie.

Dass bei all diesen Anforderungen nur noch eine Handvoll Leute übrig bleibt ist verständlich. „Die Vorstellung vom guten, einfachen Leben da oben als Hüttenwirt klingt zwar sehr romantisch, die Realität schaut aber anders aus,“ weiß Peter Kapelari. Buggy und Jutta gehören jedenfalls zum erlesenen Kreis der Vorzeige-Hüttenwirte, auch ein Grund, der einen Besuch auf der Steinseehütte einzigartig macht. „Der richtige Bergsteiger ist ein dankbarer und zufriedener Gast, das macht die Arbeit heroben so schön,“ sagt Buggy. „Und wenn’s wieder einmal einen bombastischen Sonnenuntergang gibt, dann lass‘ ich auch mal kurz alles liegen und schau mir das auf der Terrasse an. Etwas Schöneres gibt’s nicht für mich.“

Die Steinseehütte im Abendlicht
Foto: Simon Schöpf
Ein Vorzeigeexemplar: Die Steinseehütte im Abendlicht

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