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Reportage

Wenn der Weg plötzlich weg ist

Text: Simon Schöpf, Fotos: Katharina Wolf & Simon Schöpf, Illustration: Michael Paukner

Ein Weg für die Ewigkeit? Mitnichten. Im (hoch)alpinen Gelände sind Wanderwege den Naturgewalten ausgesetzt, Extremwetterereignisse nehmen zu. Was, wenn der Wanderweg plötzlich nicht mehr da ist, wo er gestern noch war?

Den Weg ändern, das passiert in den Bergen manchmal gewollt, manchmal aber von ganz allein. „Es war schon wahnsinnig viel Glück dabei. Passiert ist das mitten in der Nacht, für den nächsten Tag hatten wir genau an der Stelle in dem Gelände ein Tourenrennen geplant. Wäre alles ein paar Stunden später passiert, hätten wir gut und gerne 50 Tote haben können.“ Den Worten von Andreas Bstieler folgt eine andächtige Pause – und der Blick fixiert den riesigen hellen Fleck oben in der Hochwand, so groß wie ein Hochhaus. Wir stehen mitten in einem gewaltigen Trümmerhaufen, Blöcke so groß wie die nahe Alplhütte sind über das Gelände verstreut. „Über zwei Kilometer hat sich das Gestein Richtung Inntal geschoben, die Brocken sind im Aquaplaning-Prinzip über den harten Schnee runtergerutscht, über eine Million Kubikmeter Fels. Unvorstellbar, aber wahr.“ Andreas Bstieler weiß das alles so genau, weil der massive Bergsturz damals, am 21. März 2012, genau durch sein Arbeitsgebiet gefegt ist, in der Mieminger Kette in Tirol. Andi ist Vorsitzender der Sektion Hohe Munde des Österreichischen Alpenvereins, er kennt hier jeden Winkel.

Foto: Katharina Wolf
Wegewarte bei der Arbeit am Goetheweg im Karwendel oberhalb von Innsbruck. Durch zahlreiche Muren wurde der Weg im Sommer 2022 an vielen Stellen beschädigt.

Der Obmann der Alpenvereins-Sektion Hohe Munde, Andi Bstieler, erklärt die Herausforderungen der Wegeerhaltung in seinem Arbeitsgebiet.

Da, wo sich vorher schön angelegte Wanderwege befunden hatten, war dann über Nacht nur mehr ein riesiger Schotterhaufen. Mitten in ebenjenem Schotterhaufen stehen wir nun in der Mittagshitze, der Duft von Latschenkiefern liegt in der Luft. Mittlerweile, also über zehn Jahre später, führt wieder ein liebevoll angelegter Steig durch das Gelände, mitsamt Wegmarkierungen, Steinmännchen und gelben Schildern. Man kann wieder bequem Richtung Judenkopfkreuz spazieren, ohne über große Brocken klettern zu müssen, ohne sich ständig die Füße anzustoßen und umzuknicken. Stellt sich nur die Frage: Wer macht das eigentlich? Wer macht die Wege so schnell wieder für Wanderer zugänglich? Und wieso verläuft der Weg hier nun so und nicht wieder wie vorher?

Mit einer großen Portion Herzblut

Die Antwort ist erstaunlich: Die Wegewarte des Alpenverein machen das, ehrenamtlich, in ihrer Freizeit. „Das hat schon mit einer großen Portion Leidenschaft zu tun. Ein ehrgeiziger Wegewart will sich auch verewigen, seine Fußabdrücke hinterlassen. Ein gut angelegter Weg ist wie ein Kunstwerk“, weiß Andi Bstieler. Die Wege sind integraler Bestandteil der alpinen Infrastruktur und die Basis für jede Bergsportart – über 26.000 Kilometer Wanderwege betreut der Österreichische Alpenverein im Land, 143 Kilometer befinden sich hier im Arbeitsgebiet in der Mieminger Kette. So ist ganz Österreich genauestens durchkartografiert, jeder Meter Weg befindet sich im Zuständigkeitsbereich einer bestimmten Sektion. Eine klar definierte Grenze gibt es aber auch hier nicht, denn auch Tourismusverbände und Gemeinden kümmern sich um Wege, stellen Schilder auf, tischlern Bänke als Rastplatz für müde Wanderer. „Tendenziell fühlt sich der Alpenverein für die Wege oberhalb der Baumgrenze zuständig, das ist ein ungeschriebenes Gesetz“, erklärt Andi Bstieler weiter. „Das erfordert natürlich auch entsprechend geschultes Personal, zum Teil verlaufen die alpinen Wege ja durch sehr anspruchsvolles Gelände.“

Foto: Simon Schöpf
Wegewarte des Alpenvereins in vierbeiniger Begleitung am Weg zu ihrem Arbeitsgebiet in der Mieminger Kette, Tirol.

Und die Tätigkeit wird immer fordernder: Die Klimakrise wirkt sich ganz massiv auf die Wege aus. Wo früher Eis war, muss plötzlich ein Weg her. Extremwetterlagen und Starkregen mit der entsprechenden Erosion sind speziell für die alpine Infrastruktur eine riesige Herausforderung. Die Spuren der Extremwetterereignisse finden sich überall: So wurde im Juli 2022 der populäre Goetheweg im nahen Karwendel von gleich 20 Muren beschädigt, die Verwüstungen sind so groß, dass derzeit von einer Begehung gänzlich abgeraten wird. Oder, auch eines der prestigeträchtigsten Ziele in ganz Tirol, am Zuckerhütl in den Stubaier Alpen: Aufgrund des auftauenden Permafrostbodens und der steigenden Temperaturen kam es zu so viel Steinschlag, dass die Stubaier Bergführer mittlerweile auf eine Gipfelbesteigung mit ihren Gästen verzichten, „unverantwortlich“ sei das Risiko. Sie steigen stattdessen auf die benachbarte Pfaffenschneide, die weit weniger objektive Gefahren birgt.

Die Umweltbaustelle am Wegesrand

Ein weiterer Baustein im Spektrum der Wegeerhaltung wartet, als wir den neu angelegten Weg bergan steigen. Ein kunstvoll angelegter Steinhaufen präsentiert sich neben dem Steig, verziert mit Zeichen und Symbolen, in großen roten Lettern steht ganz unten: „UWB 21“. Will man wissen, was dieses kryptische Kürzel inmitten der Mieminger Berge bedeutet, muss man nur den Helmut „Helli“ Maier fragen. „Da haben sich unsere Teilnehmer verewigt, das muss auch sein“, schmunzelt er. „Heuer im Juli hatten wir hier unsere Umweltbaustelle, die Truppe war wieder sensationell – und richtig international!“ Als Beweis zeigt er auf ein chinesisches Schriftzeichen auf einem der Steine, ein Name. Dazu noch aus Deutschland, England und aus allen Regionen Österreichs sind die jungen Teilnehmer, höchst motiviert, der Bergnatur auch mal etwas zurückzugeben, nicht immer nur zu konsumieren. „Viele nehmen sich extra eine Woche Urlaub für die Hilfe bei der Wegeerhaltung!“

Helli Maier ist im Brotberuf Musikpädagoge, in seiner Freizeit organisiert er in Tirol Umweltbaustellen für den Alpenverein. Gut ein Dutzend davon gibt es jedes Jahr im ganzen Land, die Idee ist simpel: Junge Leute bis 30 Jahre melden sich freiwillig für sinnvolle Arbeit in den Bergen, Kost und Logis werden übernommen. „In einer Woche intensiver Arbeit schaffen wir dann das, wofür ein einzelner Wegewart Monate brauchen würde“, erklärt Helli Maier weiter.

Foto: Simon Schöpf
Zeichen aus der Steinzeit: UWB steht für Umweltbaustelle, eine Initiative des Alpenvereins, in der Freiwillige eine Woche lang ein Wegeprojekt verfolgen. Und sich dabei auch ein klein wenig selbst verwirklichen.

Der Weg als Kunstwerk

Manchmal gibt es aber auch tatsächlich einen Wegewart, der sich Monate – oder sogar Jahre – für einen neuen Weg Zeit nimmt: Hansjörg Randl hat über einen ganzen Sommer lang in Eigeninitiative und mühevoller Handarbeit den durch den Felssturz komplett verschütteten alten Bachsteig wiederhergestellt. „Mit der Brechstange hab ich da die ganzen Steine rausgemergelt, komplett ohne Bagger. So manche Leute haben behauptet, ich hätt’ einen Vogel“, erinnert sich der mittlerweile pensionierte Steig- und Wegewart der Gemeinde Telfs. „Aber im Nachhinein sind alle wahnsinnig froh drum, die Rückmeldungen sind gigantisch!“

Foto: Simon Schöpf
Spielerisch durch ein Labyrinth aus Stein: Der neue Weg zur Alplhütte führt durch den massiven Bergsturz, heißt jetzt “Steinernes Meer” und ist spannend für jung & alt.

Der Weg verläuft jetzt anders als vorher, schlängelt sich elegant um die großen Blöcke herum und ist gespickt mit Verschönerungen von Menschenhand: Auf Steine geschriebene Lebensweisheiten, kunstvolle Malereien gar, eine kleine Andachtshöhle mit einer Madonnenstatue drinnen. Ein Paradies für Kinder, die spielerisch durch dieses Felslabyrinth turnen, fast schon reibungslos durch das „Steinerne Meer“ hindurchgleiten können. Insofern hatte der massive Bergsturz trotz all der schweißtreibenden Arbeit auch seine gute Seite: Der Zustieg zur Alplhütte ist um ein wahres Weg-Aushängeschild reicher, dem Hansjörg sei Dank.

Es muss ja nicht gleich ein Bergsturz sein, aber zwei Sachen sind gewiss: Die Natur in den Bergen ist unbarmherzig, ein Wanderweg ist eine Dauerbaustelle. Und ohne die hingebungsvolle Arbeit aller Wegewarte wäre das Wandern, wie wir es in den Alpen gewohnt sind, schlicht nicht möglich. Ein gepflegter, gut angelegter Weg ist keine Selbstverständlichkeit, er ist zugleich harte und kreative Arbeit. Ein Kunstwerk für unsere Füße – auf dass uns das bei jedem Schritt bewusst sei.

Neugierig geworden? Willst auch du der Natur etwas zurückgeben und dich ehrenamtlich einbringen? Der Alpenverein freut sich über motivierte Helfer*innen, ob bei einer Umweltbaustelle, einem Bergwaldprojekt oder als Funktionär*in in einer der vielen Sektionen, die mehr als 10.000 freiwilligen Mitarbeiter*innen und 16.000 Funktionär*innen sind das Herz und die Seele des Vereins!

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