MEINUNG
Dafür oder dagegen?
Wo die Freiheit des einen beginnt, endet die des anderen. Auch am Berg gilt es, Interessen stets abzuwägen – jene von Mensch und Natur. Wir haben zu drei großen Alpin-Fragen Pro-und-Kontra-Positionen eingefangen. Welche Stimme spricht euch eher aus dem Herzen?
Text: Sissi Pärsch, Illustration: Romina Birzer
Sollen alle Wege für Mountainbikes geöffnet werden?
PRO
Thomas Giger,
Chefredakteur Magazin RIDE
Ja! Meine Vision ist die Umkehr der heute verbreiteten Praxis: Alle Wege sollen für Mountainbiker befahrbar sein, sofern nicht punktuell und begründet verboten. In meiner Heimat, dem Schweizer Kanton Graubünden, ist das seit Jahren der Fall. Die andernorts ins Schild geführten Schreckensszenarien sind allesamt nicht eingetroffen. Im Gegenteil, das Auskommen mit den Wanderern hat sich positiv entwickelt, weil die gemeinsame Wegnutzung zur akzeptierten Norm wurde. Die Flora und die Fauna wurden ebenfalls nicht in Mitleidenschaft gezogen. Wo ist das Problem? Eine lebenswerte Gesellschaft wird an ihrer Toleranz gegenüber Andersartigen gemessen. Das gilt für die große Politik wie auch für den Alltag in der Natur. Ich erachte es als bedenklich, Mountainbiker prinzipiell von den Trails und aus der Natur verbannen zu wollen, bloß weil sie auf Gummireifen statt mit Lederschuhen unterwegs sind. Sie sind nicht schlechter (und auch nicht besser) als alle anderen, sondern einfach ganz normale Menschen, die gerne aktiv in der Natur unterwegs sind.
CONTRA
Markus Pekoll Ex-Downhill Profi,
MTB-Koordinator Land Steiermark
Eine radikale Umkehr von kaum legal befahrbaren Wegen auf ‚Alles frei‘ wäre für uns Biker sicher toll. Aber es löst eben nur unsere Wünsche und nicht die Wünsche aller anderen Beteiligten. Wir teilen uns den Naturraum mit anderen Interessengruppen und Interessenvertretern sowie mit der Tier- und Pflanzenwelt. Auf alle gilt es Rücksicht zu nehmen. Als MTB-Koordinator der Steiermark kenn ich das breite Spektrum an Positionen, die ich als Downhill-Profi kaum im Blickfeld hatte: Was sagen Alpenverein und Naturfreunde als zuständige Wegewarte dazu? Was sagt der Grundstücksbesitzer, was der Jagdpächter? Ist die Destination bereit, die Strecken auszuweisen und zu kommunizieren. Ist der Biker bereit, wenn er Rechte bekommt, sich auch an Pflichten zu halten? Es gibt Beteiligte, die bereit sind, Schritte zu gehen. Aber es erfordert noch viel Aufklärungsarbeit, speziell zur rechtlichen Thematik, welche mit Verträgen gelöst werden kann. Es erfordert aber vor allem auch ein Aufeinanderzugehen. Eine generelle Öffnung schafft mehr Unfrieden als Lösungen.
Sollte man auf Hütten verpflichtend reservieren müssen?
PRO
Elli Zangerl, Wirtin Warnsdorfer Hütte
Für uns als Hüttenwirtsleute wäre eine Reservierungspflicht – wie sie in den letzten beiden Jahre wegen Covid auch vorausgesetzt war – zu begrüßen.
Die Anforderungen der Hüttengäste an die (österreichischen) Schutzhütten, was die Unterbringung und die Verpflegung betrifft, werden stetig höher. Diesen sind wir auch sehr bemüht zu entsprechen, ebenso wie wir auch besondere Ernährungsformen und/oder Unverträglichkeiten bestmöglich in unseren Speisen umzusetzen versuchen. Diesem Mehraufwand stellen wir uns gerne, er verlangt allerdings unbedingt eine gewisse Vorlaufzeit und Planungssicherheit. Nicht zu vergessen ist auch der alpine Notfall. Jeder Gast, der nicht um 18 Uhr bei uns auf der Hütte eingetroffen ist – Ausnahme: Es ist explizit ausgemacht worden –, wird von mir angerufen und im schlimmsten Fall im Hüttenumfeld gesucht bzw. werden Nachbarhütten kontaktiert. Dieser Aspekt stellt für den Hüttengast eine, wenn auch nur kleine Sicherheit im Notfall dar.
CONTRA
Thomas Höfler, Bergsteiger
Wenn ich eine Wanderung unternehmen will oder mit der Familie ein Wochenende plane, dann kann ich problemlos ein halbes Jahr im Voraus buchen. Doch beim Klettern, auf Hochtour oder am Klettersteig gibt es keine Planungssicherheit, da bin ich abhängig von den aktuellen Bedingungen, insbesondere vom Wetter und der vorherrschenden Lawinengefahr. Wenn alle Hütten zureserviert sind, bleiben wir Bergsteiger, die situationsangepasst unterwegs sind, außen vor. Wir würden uns zumindest ein Kontingent an Plätzen wünschen, das für uns Alpinisten freigehalten wird. Zudem sehe ich durch Reservierung auch einen gefährlichen Druck entstehen. Es gibt Menschen, die bei schwierigen Bedingungen zur Hütte aufsteigen, um die Reservierung ja nicht verfallen zu lassen, bzw. dann, um dem Lagerkoller zu entgehen, Touren unternehmen, die eigentlich nicht angebracht sind. Meiner Meinung nach sollte der ursprüngliche Zweck der AV-Hütten, nämlich ein alpiner Stützpunkt zu sein, nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Mir ist hier das Schweizer Modell ein Vorbild, bei denen die Hüttenwirte finanzielle Unterstützung erfahren und so flexibler agieren können.
Sollte es Sperrstunden am Berg geben – und somit das Verbot von Nachtskitouren?
PRO
Josef Faas, Fachstelle Naturschutz,
Landratsamt Miesbach (Oberbayern)
Freizeitaktivitäten am Berg sind in den Dämmerungs- und Nachtzeiten naturschutzfachlich besonders kritisch zu sehen. Warum? Ein Beispiel: Speziell im Winter, wo die Nahrungsaufnahme sehr erschwert und zeitlich auch nur begrenzt möglich ist, ist Energiesparen für alle Wildtiere essenziell. Störungen lösen Stress und Flucht aus, rauben viel Energie und letztlich auch das Leben. Zur Balzzeit können z. B. wenige kleine Störungen das Birkhuhn den Nachwuchs für ein komplettes Jahr kosten, da die Hennen nur an wenigen Tagen im Jahr empfängnisbereit sind. Deshalb ist die Winter- und Frühjahrszeit generell viel kritischer als der Hochsommer, wo Nahrung ausreichend zur Verfügung steht. Eine Lenkung auf wenige Dämmerungs- und Nachtskirouten in möglichst unsensiblen Gebieten wäre naturschutzfachlich eine Überlegung wert. Wildtiere gewöhnen sich an diese Gebiete und meiden sie in der Folge. So wären z. B. Pistenskitouren auf explizit dafür ausgewiesenen Routen durchaus vertretbar. Generell sollten aber solche Angebote möglichst naturverträglich ausgesucht und gut beschildert werden. Und es geht nicht um die Alternative ‚Mensch oder Huhn‘. Der Stärkere sollte auf den Schwächeren Rücksicht nehmen. Ein Wort zum Schluss: Ich fühle mich erst dann frei, wenn ich auch meiner Verantwortung gerecht werde.
CONTRA
Stefan R., Bergsportler
aus Bayern
Ich bin gegen ein generelles Verbot, weil es den Menschen von der Natur ausschließt, anstatt ihn durch eine bewusste Aufklärung für die Natur zu sensibilisieren. Wir sind vor einigen Jahren auch mit den Stirnlampen noch in den Wald zum Biken. Aber mein Vater ist selbst Waldbesitzer, und als er mitbekommen hat, was wir machen, hat er uns erklärt, was das für das Wild bedeutet. Im Winter sind wir nach der Arbeit oft noch auf Skitour unterwegs. Aber nur in offenem Gelände. Nach einem Arbeitstag habe ich das Bedürfnis, meine Verbundenheit mit der Natur auszuleben. Aber ich mache das rücksichtsvoll. Und das geht. Aufklärungsarbeit ist wichtiger, als die Schranke runter zu machen. Mit einer kompletten Regulierung – speziell in der freien Natur – tue ich mich sehr schwer.
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