16.700 Touren,  1.600 Hütten  und täglich Neues aus den Bergen
Foto: Rudi Wyhlidal
Bergporträt

Das Kitzsteinhorn

• 19. August 2021
5 Min. Lesezeit

Das Kitzsteinhorn ist einer der schönsten Gipfel Salzburgs und eines der traditionsreichsten Gletscherskigebiete Österreichs: ein Fest für alle, die gerne Pisten fahren, freeriden oder auch Touren gehen.

Christina Geyer & Malte Roeper für das Bergweltenmagazin Dezember/Jänner 2017/18

Das trockene Knirschen der Stiefel im Schnee verrät, wie kalt es ist – eisige minus fünfzehn Grad. Und weil schon die ganze Woche Sibirienwetter war, reflektiert der Schnee die Sonne, als sei er frisch gefallen. Der Zeller See ist gefroren und offiziellzum Betreten freigegeben. Welch ein Winterwundermorgen, der Atem dampft, und wir strahlen um die Wette, wobei die Sonne die Temperaturen nicht ganz so stark anhebt wie unsere Stimmung.

Aber muss und will man da nicht hinauf zum Kitzsteinhorn? Auf Skitour oder zum Pisteln? Oder zumindest für einen Imbiss ins Gipfelrestaurant? Mit Blick auf den vis-à-vis gelegenen 3.800 Meter hohen Großglockner und hinunter nach Zell am See? „So einen Tag kann man aber schon auch im Tal genießen“, meint Werbefachfrau Marlene Lumpi, die uns gemeinsam mit Eventmanager Hans-Peter Kreidl auf einer ersten Wanderung am See begleitet.

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Winterwonderland Kitzsteinhorn

Im Süden des Salzburger Lands und damit im Norden der Hohen Tauern gelegen, ist das Kitzsteinhorn dafür berühmt, dass die Pisten von Herbst bis Frühling geöffnet sind: schneesicheres Skivergnügen auf vierzig Pistenkilometern mit modernsten, blitzschnellen Liftanlagen. Aber diesen Schnee, dank der Kälte immer noch trocken und pulverig wie am ersten Tag, findet man auch hier nicht alle Tage. Hoch über alldem thront der Gipfel des Kitzsteinhorns und wirkt von hier unten mindestens so groß wie der K2. 

Bei Tagesanbruch konnten wir das Schauspiel verfolgen, als die Pyramide Licht bekam und der Schatten langsam abwärtssank wie das Tuch an einem Denkmal, das enthüllt wird. Jeder Sonnenaufgang ein besonderes Spektakel. So elegant, wie der sicherlich schönste Berg des Bundeslandes Salzburg in den Himmel ragt, kann man jedenfalls verstehen, warum ein gewisser Wilhelm Fazokas so besessen von der Idee war, dort hinauf eine Seilbahn zu bauen. Der damalige Bürgermeister von Kaprun wollte mit der Bahn aber nicht den Gipfel erschließen, sondern die Gletscherflächen unterhalb.

Damit man oben Ski fahren könnte – auch im Sommer! In den 1960er-Jahren technisch und wirtschaftlich ein unerhört kühner Plan. Und dazu noch Ski fahren, während vernünftige Menschen das Heu einbringen! Fazokas ließ sich nicht beirren. Als erstes Gletscher- und Sommerskigebiet Österreichs in Betrieb genommen, wurde das Kitzsteinhorn ab 1965 zum Tourismusmagneten und Wirtschaftsfaktor – und Wilhelm Fazokas zu einer Art Stadtheiligem von Kaprun.

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Den Gipfel jedoch sparte man von jeglichen Aufbauten aus. Die Bergstation auf 3.029 Metern blieb knapp dreihundert Höhenmeter unter der Gipfelpyramide, eine weise Entscheidung, die dem Kitz seine Schönheit gelassen hat, die sich bis heute von den meisten Wanderungen im Tal bewundern lässt. Der Skilauf am Kitz kam nie wirklich aus der Mode. Das liegt unter anderem natürlich daran, dass es im Bundesland Salzburg nicht so viele hochgelegene und damit schneesichere Skigebiete gibt – auch wenn der Betrieb in den Sommermonaten heutzutage ruht. Und zum anderen auch daran, dass das Kitz eben so schön aufs Tal herabschaut.

Das Horn und seine Menschen

Nach oben mit Aufstiegshilfe

Im Skigebiet brummt es, wir suchen die ruhigeren Ecken und haben uns mit Bergführer Berni Egger an der Bahnstation Langwied zu einer Skitour auf den Tristkogel verabredet. Das Kitzsteinhorn ist ein Paradies für Skisportler, ein Fest für Freerider und Pistenfahrer. Einerseits. Andererseits eignen sich die Bahnen aber auch hervorragend als Ausgangspunkte für ein paar wunderbare Skitouren.

Das weiß keiner besser als Hans Nindl, einer der Ersten, die den Tristkogel im Winter auf Skiern erreichten. Das war vor ungefähr 40 Jahren, ganz genau erinnert er sich selbst nicht mehr, wie er uns schon während der Vorbereitung erzählte. Seither stand er wohl über 700-mal auf diesem Gipfel, schätzt er. Mit Seehundfellen unter den Skiern und ohne Tourenbindung war er damals unterwegs, oft gemeinsam mit Hans Pregenzer, mit dem er regelmäßig bis zu 1.700 Höhenmeter bergauf stieg, um die Berge der Gletscherlandschaft zu besteigen.

Mit der Erschließung des Kitzsteinhorns eröffneten sich nicht nur den Pistenfahrern neue Areale, auch die Tourenmöglichkeiten vergrößerten sich. „Man war schon mächtig stolz darauf, am ersten Gletscherskigebiet Österreichs heimisch zu sein“, verrät Nindl, der Mann mit dem wilden Bart und der Pfeife im Mund, der nach wie vor über 100 Tage im Jahr am Kitzsteinhorn verbringt. Unter Nutzung der Aufstiegshilfen kommt man nun wesentlich schneller weiter und höher hinaus.

Nindls Gletscherwunderland hat sich dadurch vergrößert, das Paradies ist durch die Erschließung des Kitzsteinhorns noch ein Stück größer geworden. „Ich kenne hier jeden Winkel und jede Kuppe und weiß genau, wo und wann ich die besten Pulverhänge finde“, sagt Nindl stolz. Er hat das Horn nie lange verlassen. Einzig in den 1960er-Jahren ist er dem Ruf des Zeitgeists gefolgt und als ehrgeiziger Hippie in seinen VW-Bus gestiegen, um von Kaprun nach Indien zu fahren.

„Aber ich bin wie ein Lachs: Ich komme immer wieder zurück“, sagt Nindl. So ganz ohne das Kitzsteinhorn kann er eben nicht wirklich sein. Ganz hinauf zum höchsten Punkt des Tristkogels geht es nicht mit Skiern, aber an diesem perfekten Tag müssen wir auch auf den Gipfel. Für die Abfahrt hat sich Berni jeden unverspurten Meter gemerkt, und wir nehmen alles, alles mit. Dank der langen Kälte hat sich der schon vor zwei Wochen gefallene Schnee hervorragend konserviert: Wir schweben durch den Pulver Richtung Tal, mehr Genuss kann man sich in diesem Moment nicht wünschen.

Die Snowboarderin fährt den unverspurten Hang
Foto: Rudi Wyhlidal
Die Liebe zum Kitzsteinhorn: die junge Freeriderin Siobhan „Chevy“ Challis.

Auch für den nächsten Tag sind wir mit einem intimen Kenner des Gebiets verabredet, mit Günther Brennsteiner, technischer Leiter und Herr über sämtliche Anlagen am Berg. Er kennt nicht nur jeden Meter Piste, sondern auch junge, engagierte Freeriderinnen wie Siobhan „Chevy“ Challis. Und glücklicherweise bleibt manchmal die Zeit für einen gemeinsamen Ausritt. Dann kommandiert Brennsteiner, um rascher zu den „secret spots“ zu kommen, schon einmal eine Pistenraupe ab. Chevy strahlt wie ein kleines Kind, das im Feuerwehrauto mitfahren darf. 

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Als Snowboard-Freeriderin ist die staatlich geprüfte Skilehrerin solchen Luxus nicht gewöhnt. Das Kitz ist für die gebürtige Kaprunerin mit dem irisch-gälischen Namen ein großartiger Spot vor der Haustür. „Das ist mein Wohnzimmer. Klingt vielleicht kitschig, aber ich trage das Kitz wirklich im Herzen.“ 

Mit einem Lächeln schnallt sie sich das Board an und fährt ab. Derweil erklärt uns Günther noch die Geschichte mit den im Gletschereis schwimmenden Seilbahnstützen: „Die Stützen stehen auf Eis, wir verankern sie am Stützenkopf über Halteseile, die zwischen Berg- und Talstation gespannt sind. Am Fuß können die Stützen daher mit dem Eis talwärts schwimmen. Bei Erreichen der Toleranzgrenze werden sie wieder ausgegraben und neu eingerichtet.“

Spricht’s, als sei es das Einfachste auf der Welt. Und lächelt verschmitzt, weil er genau weiß, wie schwierig es in Wahrheit ist, und fährt – kaum weniger elegant – Chevy im Gelände hinterher. Österreichs Ingenieure haben am Kitzsteinhorn immer wieder beeindruckende Pionierleistungen vollbracht. Zunächst war da der gewaltige Stausee von Kaprun, erbaut auf einer Höhe von über 2.000 Metern in der Nachkriegszeit. Dann folgte der Seilbahnbau unter dem bereits erwähnten Wilhelm Fazokas. Und eben die schwimmenden Seilbahnmasten.

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Die Krefelder Hütte thront über dem Lichtermeer im Tal
Foto: Rudi Wyhlidal
Je kälter und dunkler draußen, desto gemütlicher ist es drinnen. Warm leuchten die Fenster der Krefelder Hütte über dem kleinen Lichtermeer von Zell am See.

Und es gab das Unglück im Jahr 2000, als bei einem Brand in der Gletscherbahn 155 Menschen starben, das hier natürlich niemand vergessen hat. Die Bahn wurde danach nicht mehr in Betrieb genommen, der Streckenabschnitt komplett neu gebaut. Nach der Abfahrt stärken wir uns mit einem Kaiserschmarrn in der Krefelder Hütte. Mehr als fünfzig Jahre lang stand diese schon hier oben, als Wilhelm Fazokas seinerzeit mit dem Seilbahnbau begann: 1909 wurde die Schutzhütte eröffnet. 

Im Gelände ringsum mag sich vieles geändert haben, auch das Haus selbst wurde natürlich immer wieder renoviert und ausgebaut. Was sich aber nicht geändert hat: die prächtige Lage auf rund 2.300 Meter Höhe mitten im Skigebiet, die prächtige Aussicht von der Terrasse. Und über allem steht das Kitz und freut sich auf den nächsten Sonnenaufgang.

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