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Hüttenportrait

Sesvennahütte: Wo die Sonne an den Fels klopft

• 7. Dezember 2017
4 Min. Lesezeit

Zur Begrüßung gibt es einen Schnaps, abends ein fünfgängiges Menü und vor der Tür eine große Auswahl schönster Skitouren: Besuch auf der Sesvennahütte hoch über dem Südtiroler Vinschgau.

Sesvennahütte
Foto: Enno Kapitza
Die Sesvennahütte auf 2.256 m und im Hintergrund ihr Hausberg Föllakopf (2.878 m)
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Text: Titus Arnu, Fotos: Enno Kapitza

Überraschung! Andreas Pobitzer – braungebranntes Gesicht, angegraute Haare, strahlendes Lächeln – balanciert sechs Dessertteller auf Händen und Unterarmen. Großes Ooooh und Aaaah an den Tischen. Es gibt hausgemachte Panna cotta mit eingelegten Kirschen, Pistazien und frisch gebackenen Waffeln. Das Ritual findet wieder einmal ein glückliches Ende.

Das Ritual geht so: Jeden Abend, kurz vor der Essenszeit um 18.30 Uhr, hockt sich der Hüttenwirt feierlich auf den hölzernen Tresen der Sesvennahütte, lässt die Beine baumeln und verschränkt die Arme über seiner Servierschürze. Dann bittet er um Ruhe, und 90 hungrige Gäste spitzen die Ohren. „Also, liebe Leute, heute gibt’s Radicchio-Risotto, dann Salatbuffet, Gulasch vom Bio-Laugenrind, und zum Abschluss eine kleine …“ – Kunstpause – „… Überraschung!“ Pobitzer, ein stattlicher Mann von 42 Jahren, freut sich jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn er seine Ansprache hält.

Sesvennahütte
Foto: Enno Kapitza
Hüttenwirt Andreas Pobitzer

Ein „zfridn“ steht auf dem T-Shirt, das Andreas Pobitzer trägt, weiße Buchstaben auf rotem Stoff. Und grundzufrieden sieht  der Mann auch aus. Von fünf Uhr morgens, wenn er den ersten Tourengehern Kaffee, Semmeln und Marschtee herrichtet, bis zum späten Abend, wenn er das Überraschungsdessert aufträgt, Witze reißend an der Kasse sitzt und abreisenden Gästen noch einen Schnaps spendiert.

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Ein „gmiatlich“ steht auf Haralds T-Shirt, weiß auf braun, auch das passt ziemlich gut. Die Sesvenna-T-Shirts kann man als Souvenir kaufen, es gibt eine weitere Version mit der Aufschrift „pearig“. Bärig? Nein, pearig. „Wenn eine weibliche Sau paarungsbereit ist, dann sagen wir in unserem Dialekt dazu ‚pearig‘“, erläutert Andreas Pobitzer. Ein „pearig“ bedeute „geil“, und es könne auf alles Mögliche angewendet werden.

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Peariges Wochenende

So ziemlich alles ist an diesem Wochenende pearig. Peariges Wetter mit viel Sonne und wenig Wind. Peariger Pulverschnee. Peariges Zimmer mit eigener Dusche und WC. Pearige Touren mit dem Hüttenwirt, der so ziemlich jeden Stein in der Umgebung mit Vor- und Nachnamen kennt. Pearige Leute, die rotgesichtig vom Berg zurückkommen. Peariger, fluffiger Kaiserschmarrn und peariges Bier auf der Terrasse. Und eine pearige Hütte sowieso.

Ob man die Haube nun hinter oder über den Ohren trägt – das Bier schmeckt in jedem Fall

Die Sesvennaütte liegt auf einem Sattel zwischen den Dreitausendern der Sesvenna-Gruppe und dem Reschenpass, mit Blick auf den mächtigen Ortler im Süden, im Dreiländereck Südtirol-Österreich- Schweiz. Sesvenna, das ist ein rätoromanisches Wort, es bedeutet „Wo die Sonne an den Fels klopft“.

Zur Hütte geht es vom Vinschgauer Bergdorf Schlinig aus zwei Stunden erst sanft, dann ziemlich zackig bergauf. Wir haben das Gepäck nach einer halben Stunde Gehzeit in die Materialseilbahn gelegt und sind mit Tourenskiern weitergestapft. Erst spät kommt die Hütte in Sicht: ein massives Holzhaus mit einer großen Terrasse und einem Schuppen nebenan. Davor wehen Alpenvereins- und Südtiroler Fahne, es sieht fast wie ein Tiroler Bauernhof aus. Die Sesvennahütte wurde erst 1975 gebaut – als Ersatz für die seit dem Ersten Weltkrieg geschlossene Pforzheimer Hütte; dort ist jetzt ein kleines Heimatmuseum untergebracht, in dem es um den Schmuggel in dem Grenzgebiet geht.

In der holzgetäfelten Stube begrüßt Andreas Pobitzer jeden Neuankömmling mit einem Schnaps. Der Raum ist bis auf den letzten Platz besetzt, auch der Nebenraum mit dem Kachelofen ist gerammelt voll. In der Skitourensaison ist die Hütte an den Wochenenden gut gebucht. Das verwundert kaum, denn die Zimmer (von 4 bis 5 Betten) sind gut ausgestattet mit eigener Dusche und WC, zusätzlich gibt es 50 Lager-Schlafplätze.

Andreas Pobitzer hat schon als Jugendlicher auf der Sesvennahütte mitgeholfen. „Damals habe ich oft sehnsüchtig ins Tal geschaut“, erzählt er. Während er Gläser abräumte und Tische wischte, spielten  seine Freunde unten im Tal Fußball. Die Eltern waren der Meinung, der Bub solle erst einmal einen Beruf lernen, und meldeten ihn zu einer Friseurlehre an. Zwölf Jahre lang arbeitete Andreas Pobitzer als Friseur. In seiner Freizeit ging er bergsteigen, Gleitschirm fliegen und Ski fahren. Dann wurde die Hütte neu ausgeschrieben. Sein Onkel, der sie lange betrieben hatte, wollte nach dem Tod seiner Frau aufhören. Andreas, damals 27, sei der beste Nachfolger, meinte der Familienrat. Es traf sich gut, dass Bruder Harald, gelernter Tischler, und Vater Luis, Direktor der örtlichen Sparkasse, auch keine rechte Lust mehr hatten auf ihren Job.

Skitourengeher hinter der Sesvennahütte. Links die alte Pforzheimer Hütte, rechts hinten am Horizont der Ortler
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Seit 16 Jahren schmeißen die Pobitzer-Brüder nun schon den Laden, mit tatkräftiger Hilfe von Familie und Freunden. Trotz der ganzen Arbeit nimmt Andreas Pobitzer sich im Winter fast täglich die Zeit für eine kleine Skitour. „Tourengehen ist gut für den Kopf, das macht frei“, sagt er, während er durch den Schnee spurt. Die beliebtesten Skitouren im Vinschgau führen an der Hütte vorbei, die attraktivste davon ist sicher die Gletscherroute auf den Piz Sesvenna mit 3.204 Metern.

Andreas Pobitzer ist glücklich – „ich kann mir im Moment nichts anderes vorstellen“, sagt er. Er ist dankbar für das pearige Leben, das er als Hüttenwirt führen kann – und das spüren auch seine Gäste. Die Qualität stimmt, denn der Wirt legt großen Wert auf Bio-Zutaten, mit denen er seine Menüs zusammenstellt: Butter, Milch und Käse kommen aus der Region; das Fleisch stammt von glücklichen Bio-Tieren; Gemüse und Kräuter kommen aus dem Garten der Mutter; das Brot bäckt der Dorfbäcker; die Marillenmarmelade kocht die Schwiegermutter ein. Ein „zfridn“-T-Shirt kann man dem Wirt deshalb auch jederzeit abkaufen.

Update: Familie Pobitzer hat sich nach 16 „pearigen“ Jahren nun doch entschlossen, die Führung der Sesvennahütte abzugeben. „Wenn es am schönsten ist, soll man gehen“, erläutern uns die Brüder Pobitzer ihre Entscheidung. Allerdings: Während der kommenden Skitourensaison (7.2. bis 2.5. 2018) sind sie noch auf der Hütte - ein Grund mehr, ihr einen Besuch abzustatten!

Die Sesvennahütte im Detail

Sesvennahütte
Foto: Bergwelten
Sesvennahütte
  • Höhe: 2.256 m
  • Pächter: Andreas und Harald Pobitzer (bis 2018)
  • Schlafplätze: 50 Plätze im Matratzenlager, 30 Schlafplätze in 4- und 5-Bett-Zimmern mit Dusche.
  • Preise: Zimmer/HP 55 Euro pro Person (45 Euro für AV-Mitglieder), Lager/HP: 50 Euro (40 Euro für AV-Mitglieder).
  • Geöffnet: 7. Februar bis 02. Mai und 9. Juni bis 28. Oktober 2018.
  • Kontakt: www.sesvenna.it

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