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Mit dem Seil verbunden: 4 grundlegende Sicherungtechniken

Tipps & Tricks6 Min.05.09.2017

Foto: argonaut.pro

von Peter Plattner

Das Bergseil ist das Symbol für Kameradschaft und Sicherheit. Nicht nur im Alpinismus. Als Seilschaft kann man aber nicht nur gemeinsam hohe Ziele erreichen, sondern auch gemeinsam tief abstürzen. Anseilen oder nicht Anseilen, am kurzen Seil oder mit viel Abstand? Unsere Sicherheitsexperten Peter Plattner und Walter Würtl haben die Antworten.

Text von Peter Plattner & Walter Würtl

Von den Anfängen des Bergsteigens bis heute geschehen regelmäßig Unfälle, bei denen ganze Seilschaften abstürzen. Aus welchen Gründen auch immer, schaffen es die durch das Seil verbundenen Kameraden nicht, den Sturz eines Menschen zu „halten“ und werden von diesem mitgerissen.

Bereits der Beginn des modernen Alpinismus, die Erstbesteigung des Matterhorns am 14. Juli 1865, wird  von einem solchen Mitreissunfall überschattet: Beim Abstieg der erfolgreichen 7-er-Seilschaft stürzt ein Bergsteiger und reißt die ganze Seilschaft mit – Eduard Whymper sowie Taugwalder Vater & Sohn überleben nur, weil das Seil vor ihnen gerissen ist. Die darauffolgenden Anschuldigungen und Vorwürfe gehen durch die europäische Presse, sind Tagesgespräch und polarisieren – ganz ohne soziale Medien.


Das Seil: Symbol der Sicherheit?

Für einen Außenstehenden bedeutet „angeseilt“ immer auch „Sicherheit“. Nicht nur diverse (Hollywood-)Bergfilme zeigen anschaulich, dass ein kräftiger Partner jeden Sturz „aus der Hüfte“ halten kann. Auch in Bergmagazinen, Katalogen und Werbefotos ist das Seil gerne in Bild und Wort im Mittelpunkt. Impliziert wird: „Gemeinsam am Seil – sicher unterwegs!

So ist es nachvollziehbar, dass die Boulevard- und Tagespresse nach Mitreißunfällen  berichtet, dass die „Bergsteiger abgestürzt sind, obwohl sie angeseilt waren“. Nach jedem schweren Alpinunfall ist der tatsächliche Hergang und die Ursachen – wenn überhaupt – erst dann erklärbar, wenn die Ergebnisse von Alpinpolizei und Sachverständigen vorliegen (was mehrere Monate dauern kann). Bei den Mitreißunfällen, die besonders tragisch sind, weil meistens mehrere Personen zu Schaden kommen, müsste die Kernaussage aber lauten: „die Bergsteiger sind abgestürzt, weil sie angeseilt waren.“

In vielen Fällen wäre ohne Seil zwar ein Mensch verunglückt, durch das Seil verbunden findet aber eine ganze Seilschaft den Tod. Hart formuliert, aber leider Tatsache. Willkommen in der Realität des Bergsteigens.

Tragisch auch deshalb, weil die Gefahr der Mitreißunfälle seit Jahrzehnten in allen Ausbildungen und Lehrbüchern thematisiert wird. Sie ist ebenso bekannt, wie die Maßnahmen, solche Unfälle zu verhindern. Deswegen ist kaum ein Thema für die verantwortlichen Experten der alpinen Vereine und Institutionen so frustrierend wie die Mitreißgefahr. Wann also ist ein Anseilen sinnvoll und wann nicht?


4 Sicherungsmöglichkeiten mit dem Seil

Es gibt verschiedenste Möglichkeiten, mit dem Seil zu sichern. Alle haben Vor- und Nachteile und wer das Handwerk versteht, verwendet je nach Situation die beste Technik. Folgend ein  Überblick über vier grundlegende Sicherungstechniken.

1. Fixpunkt-Sichern

Schlaghaken, Eisschrauben, Bohrhaken, Bäume, Felsköpfe, Eisenstangen, … – in Fels und Eis gibt es verschiedenste natürliche und künstliche Fixpunkte. Werden diese als zuverlässig beurteilt, kann der Vorsteiger (der Erste einer Seilschaft) an ihnen einen Standplatz einrichten und den oder die Anderen nachsichern. Im Falle eines Sturzes wird die ganze Belastung über eingehängte Zwischensicherungen oder direkt auf diesen Standplatz übertragen und so der Absturz verhindert. Sind die Nachsteiger am Standplatz angekommen, klettert der Vorsteiger eine Seillänge (40 - 60 m) oder kürzer weiter, bis zum nächsten guten Standplatz. Dieses Sichern von Standplatz zu Standplatz ist bei schwereren Fels- und Eistouren Standard und recht sicher – allerdings benötigt es Zeit.

Also: Bei Absturzgefahr wird von Fixpunkt zu Fixpunkt gesichert.

Mehrseillängentour am Traunstein
Berg & Freizeit

Seilschaftsablauf II: Standplatz und Nachstieg

Die Kletter- und Hochtourensaison ist in vollem Gange und das bedeutet oft die eine oder andere Mehrseillängentour. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben sich klare Seilkommandos mit dazugehörigen Abläufen bewährt, die wir euch näher bringen. Teil 2 der zweiteiligen Serie: Standplatz und Nachstieg. (Zum Teil 1: Vorbereitung und Vorstieg)
Wissenswertes2 Min.

2. Fixpunkt Mensch

Am Gletscher dagegen ist eine Seilschaft immer ohne solche Fixpunkte unterwegs. Stimmt nicht ganz, vielmehr sind die Kameraden und Kameradinnen die Fixpunkte: Stürzt einer in eine Gletscherspalte, überträgt sich der Seilzug auf den/die Nächsten, welcher der Belastung standhalten muss. Das funktioniert am Gletscher recht gut, weil – solange das Gelände nicht zu steil ist – die auftretenden Kräfte sehr gering sind und mit weiteren Maßnahmen (größere Seilschaften mit 3 und mehr Personen, Bremsknoten, mehr Abstand ...) das Halten erleichtert wird.

Also: Bei Spaltensturzgefahr wird mit großen Abständen (je kleiner die Seilschaft, desto grösser, mind. 8-10 m) gemeinsam am Seil gegangen!

Seilschaft am Gletscher im Tiroler Pitztal
Berg & Freizeit

Video: Verhalten am Gletscher

Eine Gletschertour will gut vorbereitet sein. Was es an Ausrüstung bedarf, wie eine Gletscherbegehung geplant wird und was man zur Technik wissen muss, verraten unsere Sicherheitsexperten Peter Plattner und Walter Würtl im Video.
Aktuelles1 Min.

3. Gehen am „Kurzen Seil“

Die Bergführertechnik schlechthin. Die Führerin steigt voraus und ganz knapp dahinter geht ihr Kunde parallel mit. Stolpert dieser muss sie sofort reagieren und durch  Zug am Seil einen Absturz verhindern. Das ist wichtig und wird oft – auch von Bergführern – falsch verstanden: Beim gemeinsamen Gehen am Kurzen Seil wird kein Sturz gehalten, sondern ein Sturz verhindert!

Obwohl kontrovers diskutiert, ist man sich heute weitgehend einig, dass diese Technik nicht nur eine entsprechend intensive Ausbildung benötigt, sondern nur mit einem einzigen „Nachsteiger“ und nur bei bestimmten Voraussetzungen (Verhältnisse, Gelände, Gewichtsunterschied, ...) funktioniert. Ansonsten kann der Sturz nicht verhindert werden und der Kunde reißt seine Führerin mit, was leider immer wieder passiert. Außerdem wird diese Technik auf Passagen beschränkt, wo nicht anders (z.B. von Fixpunkt zu Fixpunkt) gesichert werden kann.

Ungeführte Bergsteiger werden im klassischen „Kurze-Seil-Gelände“ seilfrei, also ungesichert unterwegs sein und in Kauf nehmen, dass ein Sturz für den Betroffenen fatal enden kann. Das nennt sich Eigenverantwortung und Risikoreduktion und ist eine gute Idee, wenn das den Bergsteigern bewusst ist und sie den Schwierigkeiten mehr als gewachsen sind.

Ob für bestimmte Situationen – leichte Verletzung bzw. Erkrankung, Erschöpfung, etc. eines Bergsteigers – auch Nicht-Bergführer auf das Kurze Seil geschult werden sollen, wird seit Jahren diskutiert. Nicht in der Schweiz: Dort zeigt der SAC (Schweizer Alpen Club) in seinen Ausbildungskursen von Beginn an, was die Vor- und Nachteile dieser Technik sind und wie man sie richtig verwendet, wenn es sich einmal nicht vermeiden lässt.

Noch etwas: Auch für den Kunden bzw. Seilzweiten ist das Gehen am Kurzen Seil kein grosser Spass. Er muss sprichwörtlich wie an einer sehr kurzen Leine unmittelbar hinter seiner Führerin und in genau demselben Tempo wie sie steigen.

Also: Gemeinsam am Kurzen Seil wird primär von Bergführern und so selten wie möglich gegangen!

4. Halblanges Seil, Gestaffeltes Gehen, Running Belay

Sobald Fixpunkte verfügbar sind, wird ein Bergführer im Absturzgelände sofort vom Kurzen Seil auf eine andere Technik wechseln. Auch für Privatseilschaften kann das in leichterem Gelände ein guter Kompromiss zwischen zeitaufwendigem Standplatzsichern und seilfreiem Gehen sein. Dazu gibt es verschiedene Techniken, die eines gemeinsam haben: die Seilschaft bewegt sich zwar gemeinsam, allerdings läuft das Seil immer wieder durch Fixpunkte, die einen kompletten Seilschaftsabsturz verhindern.

Also: Im leichten Absturzgelände können eingehängte Fixpunkte den Absturz einer ganzen, gemeinsam gehenden Seilschaft verhindern!


Seiltechnik: Wann wie entscheiden?

Techniken sind also genug vorhanden und deren Anwendung kann man auf allen Niveaus lernen. Dennoch passieren auch erfahrenen Experten hier regelmäßig Unfälle. Was auf dem Papier und in der Ausbildung offensichtlich scheint, wird in der Praxis auf Tour zur Herausforderung: Neben all den anderen Dingen, die es zu berücksichtigen gibt, zu entscheiden, wann ich auf welche Sicherungstechnik wechsle.

Vor allem auf Hochtouren, die über vergletschertes Gelände führen, gilt es zu entscheiden:

  • Wann überwiegt die Spaltensturzgefahr (d.h. ich gehe angeseilt & in langen Gletscherabständen)?

  • Wann überwiegt die Absturzgefahr (d.h. ich muss Fixpunkte verwenden & die Abstände verkürzen)?

Bei gleichwertigen Partnern, die eigenverantwortlich unterwegs sind und die Schwierigkeiten mit gutem Gefühl und Reserven meistern, ist es üblich und macht auch Sinn, dass in einem schwer zu sicherndem Gelände ohne Seil gegangen wird. Mit dem vollen Bewusstsein, dass ein Fehltritt fatal endet – aber nur für den, der ihn macht. Nicht zuletzt der Zeitgewinn gegenüber dem konsequenten Sichern von Stand zu Stand kann hier auf klassischen Hochtouren ein Sicherheitsgewinn sein. Aber das muss jeder selbst entscheiden. Und es gibt tatsächlich Touren, die mit keiner der beschriebenen Techniken seriös gemacht werden können. Auch nicht am Kurzen Seil des Bergführers.


Fazit: Anseilen oder nicht?

Und die Moral von der Geschichte? Genau, es ist kompliziert. Aber eines ist klar: Ein Seil bedeutet nicht automatisch Sicherheit!

  • Mit der falschen Seiltechnik kann es im Alpinismus zu Mitreißunfällen kommen, bei denen eine Seilschaft als Ganzes abstürzt.

  • Ein Seil ist ein Sicherheitsgewinn, wenn ...
    ... Absturzgefahr besteht und verlässliche Fixpunkte zum Sichern verwendet werden.
    ... Spaltensturzgefahr am Gletscher besteht und passende Seilschaften gebildet werden
    ... beim laufenden Seil regelmäßig Fixpunkte eingehängt werden.

  • Ein Gehen am „kurzen Seil“ funktioniert nur unter bestimmten Voraussetzungen und erfordert Können, Erfahrung und permanente Aufmerksamkeit.

  • Seilfrei steigen ist im leichteren Gelände unter gleichwertigen Partnern üblich und dann ein Sicherheitsgewinn, wenn beide fit sind und das Gelände und die Schwierigkeiten souverän im Griff haben.

  • Die Entscheidung, ob mit oder ohne Seil gegangen wird, hängt von mehreren Faktoren ab und muss für jeden Geländeabschnitt neu entschieden werden.


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