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Foto: Nico Schaerer
Unterwegs im Val d’Anniviers

Wandern im Wallis: Val d’Anniviers

• 13. Oktober 2021
5 Min. Lesezeit

Ladakh in Indien, die afrikanische Savanne, Sibirien oder die schottischen Highlands: Statt um den halben Globus zu reisen, fahren wir einfach in das Val d’Anniviers, eines der schönsten Walliser Seitentäler.

Dominik Prantl aus dem Bergwelten-Magazin Juni/Juli 2020 für die Schweiz

Als Weltenbummler, der heute natürlich nicht mehr so heißt, weil selbst das Wort Globetrotter in die Jahre gekommen ist, hat man es entgegen dem landläufigen Glauben nicht mehr so leicht. Schon klar, die Postkarte ist längst durch Messaging-Dienste wie WhatsApp ersetzt, weshalb sich niemand mehr auf der schier aussichtslosen Suche nach Briefmarken die Füße wund laufen muss.

Und dank TripAdvisor ist die Recherche über sämtliche Geheimtipps zwischen afrikanischer Savanne und borealem Nadelwald nur noch einen einzigen Mausklick entfernt. Noch näher liegt freilich eine Weltreise durch die Heimat.

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Und damit geht es los – mit dem Postauto, direkt in eines der längsten Walliser Seitentäler. Wer das Val d’Anniviers nicht kennt, muss sich nicht schämen: Es liegt jenseits der Sprachgrenze im Schatten des benachbarten Mattertals mit dem zumindest auf Instagram alles überragenden Matterhorn.

Das ist ein wenig ungerecht, weil auch am Ende des Val d’Anniviers mit diversen Hütten bestückte Viertausender aufragen. Und es hat Grimentz. Grimentz, 500 Einwohner, auf 1.550 Metern gelegen, dürfen wir hier nicht einfach links liegen lassen. Niemand sollte das tun. Es bietet zwar noch keine Welt-, dafür aber eine kleine Zeitreise.

Das Dorf ist eine Anlaufstelle für Agrarromantiker: Historische Häuser aus dunklem Lärchenholz säumen die engen Gassen. Aus einem ausrangierten Bergschuh wächst das Edelweiß, ein Brunnen ist dem tierischen Kulturerbe der Region gewidmet, dem Kampf der Eringer Kühe.

Blumen blühen an den Hausfassaden um die Wette, und das ausnahmsweise wirklich im Wortsinn. „Es gibt in Grimentz einen Wettbewerb, wer die schönsten Geranien hat“, sagt Jean Luc Salamin.

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Wandern mit Aussicht auf wunderschön türkisblauen Stausee.
Foto: Nico Schaerer
Ohne Anstrengung geht es zur Anhöhe Basset de Lona hinauf. Ausgangspunkt ist der sagenhaft türkisblaue Lac de Moiry, eine Art von Lake Powell (USA) in der Schweiz, nur mit schönerem Namen.

Zeitreise mit Wanderschuhen

Monsieur Salamin passt mit seinem silbernen Haar irgendwie ganz gut in dieses mittelalterliche Ambiente. Er ist der Beschützer des Gletscherweins von Grimentz und der Kellermeister des Bürgerhauses, das am Ende dieser Tour steht.

Vorerst geht es durch Gemüsegärten mit fast schon paradiesisch anmutenden Himbeeren, vorbei an Raccards, jenen Vorratsspeichern, die sich mithilfe von Pfeilern über jedes hungrige Nagetier erheben. Der Zeitreiseleiter Salamin führt zum alten Dorfbackofen und dem rekonstruierten Mini-Sägewerk samt Wasserrad. Spätestens hier hat sich die Frage erledigt, warum Grimentz zu den schönsten Dörfern der Schweiz zählt.

Salamin spaziert weiter zum Bürgerhaus, dem Herzen des Dorfes aus dem 16. Jahrhundert. Der Raum für die Bürgerversammlungen liegt im ersten Stock, drinnen sieben Tische und ein großer Ofen, an der Wand Kannen aus Zinn, die allen Bürgern gewidmet sind, die was zu melden hatten.

„An den Tischen gab es eine klare Unterteilung in die unterschiedlichen Schichten“, erzählt Jean Luc Salamin. Hier die Jüngsten, dort die Arbeiter, „und ganz hinten der Table des Morts“, freundlich übersetzt: der Tisch der Ältesten. Eine ähnliche Altershierarchie herrscht im Keller. Dort lagert im Schummerlicht eines Gewölbes der AOC-zertifizierte Gletscherwein – geordnet nach Jahrgängen.

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Wandern im Val d’Anniviers

Das älteste Fass mit Weißwein stammt von 1886, ein Vin des Morts sozusagen, aber den zapft Salamin heute nicht an. Im Grunde lässt sich das Alter des Weins ohnehin nicht bestimmen. „Jedes Jahr wird das, was aus einem Fass entnommen wurde, mit dem Inhalt des nächstälteren nachgefüllt“, sagt Salamin, womit endgültig klar wird, dass jeder Schluck wahrlich einzigartig ist. Es geht hinaus aus dem Keller der Vergangenheit, hinauf zum Lac de Moiry – und damit in die weite Welt.

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Wandern in dünner Luft

Der Stausee aus Gletscherwasser ist eine Art Lake Powell (USA) in der Schweiz, nur mit einem viel schöneren Namen, intensiv türkisblauem Wasser und fast doppelt so hoch gelegen, auf 2.250 Metern. Es ist der Auftakt zu einer Wanderung durch die Kontinente. Dabei hat es hier oben nicht einmal mehr Bäume.

Dennoch gibt es keinen Moment der Langeweile. Nach der ersten Anhöhe Basset de Lona (2.782 m) liegt da beispielsweise der Lac de Lona, türkisfarben wie jener Gifttümpel in Sibirien, der als „Die Malediven von Nowosibirsk“ über die sozialen und auch unsozialen Medien dieser Welt geheizt wurde.

Der Lac de Lona wäre folglich die Malediven des Wallis. Bald darauf kommt der nächste Anstieg, und wäre da nicht der ein oder andere Wegweiser, wähnte man sich in Ladakh auf dem Zanskar-Trek oder auch als Hobbit mit Gandalf in Mittelerde.

Ein Wanderer überquert einen Bergbach.
Foto: Nico Schaerer
In den Hochebenen zwischen Val d’Anniviers und Val d’Hérens bewegen sich Wanderer oft jenseits der 2.500-Meter-Höhenlinie und öfters auch abseits ausgetretener Wege.

Später als erhofft taucht die Cabane des Becs de Bosson aus dem Nebelmeer auf, kein alpines Steinhaus wie oftmals anderswo im Wallis, sondern mit blau-metallisch schimmernder Verkleidung. Es könnte irgendwo in Skandinavien sein.

Der erste Stein dazu, sagt Hüttenwart Eloi Turrillot, sei erst 1997 gesetzt worden, und wer immer den Standort wählte, hatte ein gutes Auge für Hüttenstandorte sowie ein Faible für Viertausender. Alle scheinen sie Spalier zu stehen: Weißhorn, Bishorn, Grandes Jorasses, Mont Blanc.

Turrillot spricht von einem „360-Grad-Panorama“, was nur ein paar Grad übertrieben ist. Hüttengäste aus aller Welt Drinnen geht die Weltreise weiter. Turrillot benutzt sogar dieselben Worte, als er von seinen Kunden erzählt: „In der Cabane des Becs de Bosson zu arbeiten ist wie eine wahrhaftige Reise um die Welt, während man an gleicher Stelle bleibt.“

Die meisten Besucher seien Schweizer, aber es kämen auch Engländer, Spanier, Deutsche, Japaner und Brasilianer. Schon am nächsten Morgen geht es weiter, zuerst durch Ladakh, die vergletscherten Riesen im Hintergrund, später an einem kleinen Fluss, der Rèche, entlang durch eine Moorlandschaft, wie sie sonst in den schottischen Highlands zu finden ist.

Hin und wieder scheint in diesem sagenhaften Kontinentekonzentrat und Naturschutzgebiet namens Val de Réchy die Schweiz durchzuschimmern: hier eine renovierte Alphütte, dort das Pfeifen eines Murmeltiers. Könnte aber auch nur eine Sinnestäuschung sein. Bevor sich die Rèche im Stil des Sambesi an den Victoriafällen über einen Abgrund stürzt, bildet es ein Okawango-Delta, das hier den Namen L’Ar du Tsan trägt.

Eindrücke aus dem Walliser Tal

Erst danach scheint sich Afrika wieder in die Alpen zu verwandeln, die sich an der Crêt du Midi mit all ihren Begleiterscheinungen zeigen: Gleitschirmflieger, Selbstbedienungsrestaurant und Gondelbahn. Oberhalb von St-Luc, also auf der anderen Seite des Val d’Anniviers, gibt es den Chemins des Planètes, den Planetenweg.

Der führt durch unser gesamtes Sonnensystem im Miniaturformat, hin zum außerirdisch schönen historischen Hotel Weißhorn. Von dort senden Weltenbummler vielleicht – ganz altmodisch – eine Postkarte mit Briefmarke hinein in unsere große Welt.

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