Klettersteige: Sex und Seil
Warum der Berg eine gigantische Spielwiese ist, das Angurten ein prickelndes Vorspiel und ein Gipfel der Höhepunkt. „Profil“-Herausgeber Christian Rainer erklärt uns die Verbindung zwischen Körper und Karabiner.
Alles rund um Klettersteige findest du im Bergwelten Klettersteig-Special mit 41 Steigen für Anfänger und Könner.

Von Christian Rainer
Die Ausgangslage ist nicht vielversprechend: Der Glamourfaktor des Bergsteigens abseits von Kunstfiguren wie Luis Trenker und Sylvester Stallone bewegt sich auf einer Ebene mit Badminton oder Biathlon und schlägt nur knapp Darts und Bowling. Sehr viel Erotik scheint da auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nicht versteckt drinnen zu liegen. Ein Befund, der mit der Realität im Einklang steht: der alte Schweiß in den Poren der Funktionskleidung, schmutzgeränderte Fingernägel, von Atemfeuchtigkeit tropfende Zeltwände in verschnarchten Basecamps, nervöse Überforderung – gepaart mit Versagensangst –, der hochgejazzte Zusammenprall von männlicher Machowelt mit Frauenvernunft. All das scheint keinen Raum zu lassen für zweisame Romantik oder für kalten Porno.
Und doch ist es anders. Wahr ist vielmehr, dass Bergsteigen wie kaum eine andere Lebensart alle Spielformen der Erotik rauf und runter deklinieren kann. Während zum Beispiel Fußball in der Komplexität des Teamsports hängen bleibt, während der Motorsport-Rennzirkus das Jonglieren mit Illusionen ausweidet, wird der Mensch am Berg auf die nackten Tatsachen des Lebens reduziert. Und da stehen Begehren und Balzen und Paaren als Bedingung für dieses Leben eben ganz oben.
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Wenn jene Realität von Schweißgeruch und alles verdrängender Anspannung gegen die Erotik am Berg spricht, dann führt gerade diese Beobachtung doch auf die Spur, die uns zu der Erklärung führt: warum der Berg eine gigantische Spielwiese ist, das Angurten ein prickelndes Vorspiel, der Klettersteig eine strenge Kammer, ein Gipfel (ja, eine billige Pointe) der Höhepunkt. Die sinnliche Aufladung ist eben nicht in der Realität zu suchen, sondern in den Möglichkeiten. Bergsteigen ist Fantasie, Märchen, Drama, Aufschneiderei bei der Leistung und Untertreibung der Gefahren. Bergwelten sind die größte Projektionsfläche, die Landschaft dem Menschen bieten kann.
An diesem Punkt findet sich die Verbindung zwischen Sex und Seil, zwischen Körper und Karabiner. Denn unser Liebesleben ist doch auch ein Fantasiegebilde. Wir projizieren Gefühle auf den Partner, versuchen, ihn nach unserer Wunschvorstellung zu formen. Wir verdrängen im Schwärmen die Schattenseiten. Wir heiraten verknallt und überstürzt, weil wir die Banalität der Ehe ausblenden. Wir wollen gemeinsam alt werden, weil wir glauben, die Unmöglichkeit der Vorstellung des Totseins zumindest teilen zu müssen. Die Liebe als Weg in die Todeszone.
So ist es auch auf dem Berg. Das fängt schon bei diesem Ende an: „Bergsteigen ist der Widerstand gegen den herausgeforderten Tod“, schrieb der deutsche Dichter Gottfried Benn. Da steht das Klettern in seiner ganzen Künstlichkeit da: Es sucht den Übergang zur letzten Ungewissheit und verweigert dann doch wieder widerständig. Gleicht dieses Spiel mit dem Leben zwischen den Felsen nicht dem Lebensliebesspiel zwischen den Matratzen? Wir riskieren beim Anbraten, uns die Finger zu verbrennen; die Ablehnung des selbst Herausgeforderten bringt uns unendlich scheinende unglückliche Liebe. Wir gehen den Pakt für ein Leben ein; wenn der scheitert, müsste eigentlich auch das Leben gescheitert sein (ist es aber oft nicht). Die meisten Morde geschehen aus Eifersucht (das wäre dann umgekehrt ein Tod gegen den Widerstand). Freud hat den Eros als Lebenstrieb als Gegenpol zum Todestrieb konzipiert – aber das führt jetzt zu weit und ist als Menschenmodell auch etwas veraltet.
Es geht ja auch viel banaler: Wer mit den Habelers und den Messners dieser Welt spricht, könnte meinen, dass die Eroberung jedes Achttausenders ohnehin geprägt war vom Wechselspiel zwischen klammen Biwak und heißen Zeltnächten. Der Pfau am Berg, die Besteigung als Gesamtkonzept. Aber es geht auch romantischer: Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits galten lange als Brangelina der Höhenwelt, und das oberösterreichische Extremklettererpärchen Marlies Czerny und Andreas Lattner rührt bei seinen Vorträgen zu Tränen: „Wir haben Glück zum Quadrat, weil wir draufgekommen sind, dass mehr als das Doppelte herauskommt, wenn wir etwas gemeinsam angehen.“
Und schließlich geht es sehr sinnlich: Wer jemals aus einer durchstiegenen Wand über die Kante gestolpert ist und sich in der lieblichen Gegenwelt des Gipfelplateaus wiedergefunden hat, wird sich tief drinnen erinnert haben: Ein Orgasmus dauert zwei Wimpernschläge, aber wir fokussieren das gesamte Leben auf diese Sekunde. An den Berg denken wir ein halbes Leben, auf seiner Spitze stehen wir eine halbe Stunde.
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Zum Autor: Christian Rainer
Der 55-jährige Herausgeber des österreichischen Nachrichtenmagazins „profil“ stammt aus Ebensee in Oberösterreich. Seit der Kindheit ist er den Bergen ski- und kajakfahrend verbunden, seine Liebe zu Klettersteigen lebt er auf fordernden Dachstein-Klassikern wie dem „Johann“, dem „Sky Walk“ oder der „Seewand“ aus.
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