Die sieben höchsten Siebentausender der Welt
Foto: Wikimedia Commons/ Wolfgang Dressel
Zum Teil nur wenige Meter niedriger, aber oft genauso beeindruckend wie die 8.000er: Die sieben höchsten Berge aus der „zweiten Reihe“ faszinieren durch ihre Erscheinung ebenso wie durch ihre Besteigungsgeschichte.
8.000 ist auch nur eine Zahl. Aber offensichtlich eine entscheidende. In dieser Fotostory geht es um jene Berge, deren Höhe knapp unterhalb der künstlichen Trennlinie von 8.000 Metern liegt: die höchsten sieben 7.000er. Nur wenig mehr als 200 gibt es insgesamt von ihnen und alle stehen sie in Hoch-Asien. Anders als bei den 14 8.000ern blieben sie von nationalistisch geprägten Wettkämpfen weitgehend verschont. Ihre Namen, Formen und Besteigungsgeschichten sind also weniger bekannt, aber oft genauso beeindruckend und dramatisch. Der erste 7.000er wurde übrigens im Juni 1907 bestiegen: der Trisul (7.120 m) im indischen Himalaya, und zwar vom Engländer Tom Longstaff und den Gebrüdern Brocherel.
1. Gyachung Kang (7.952 m), Nepal/China
Der Gyachung Kang (siehe Bild oben) ist der höchste Berg der Erde, der kein Achttausender ist. Nur knappe 50 Meter trennen ihn vom Nimbus, den wir den 14 höchsten Bergen zumessen. Er liegt im Solu Khumbu, genau am Grenzverlauf zwischen Nepal und dem chinesisch besetzten Tibet. Er ist auch der höchste Berg zwischen dem Mount Everest und dem westlich von diesem gelegenen 8.000er Cho Oyu. Mit dem Cho Oyu bildet er einen etwa acht Kilometer langen Kamm, dessen Ankerpunkte die beiden Berge bilden. Berühmt ist der Gyachung Kang vor allem für seine doppelgipfelige Südwand (siehe Bild), die an einen buddhistischen Torbogen (Japanisch: Torii) erinnert. Vielleicht hat dies dazu beigetragen, dass sich besonders japanische Alpinisten von ihm angezogen fühlten. Jedenfalls erreichte 1964 eine Expedition unter der Leitung von Kazuyoshi Kohara den Gipfel über den Südwestgrat. Die Nordwand wurde erstmals 1999 von einer slowenischen Seilschaft durchstiegen. Die imposante Südwand hingegen hat man bislang gemieden. Warum? Das oberste Wanddrittel ist von einem etwa 400 Meter hohen, überhängender Querriegel versperrt und der Gipfelgrat darüber ist ein einziger langer Sérac, der für Lawinen und Eisschlag sorgt.
2. Annapurna II (7.937 m), Nepal
Was der Gyachung Kang für den Cho Oyu ist, ist die Annapurna II für die Annapurna I: nämlich der gegenüberliegende Ankerpunkt des jeweiligen Massivs. Im Gegensatz zur Annapurna I, die sich von allen Seiten hinter Vorbergen versteckt, ist die Annapurna II nicht zu übersehen. Sowohl vom nördlichen Manang, als auch vom südlich gelegenen Pokhara zeigt sie sich als hoch über dem Tal schwebendes Trapez. Mit einer Schartenhöhe von sagenhaften 2.437 Metern ist sie auch einer der prominentesten Ultra- Gipfel unter 8.000 Metern („Ultras“ haben eine Schartenhöhe von mehr als 1.500 Meter). Von den weitläufigen Schneefeldern und Hängegletschern, in die sie eingebettet ist, donnern oft riesige Lawinen herab. Stürme mit viel Neuschnee sind ein weiterer Grund, weshalb nur ein halbes Dutzend Seilschaften ihren Gipfel erreicht haben. Die erste war ein britisch-nepalesisches Team im Jahr 1960: Chris Bonington, Richard Grant und Sherpa Ang Nyima gelang der Aufstieg über den Nordwestgrat der Annapurna IV (links im Bild) und weiter über den Westgrat der Annapurna II. Die erste Winterbesteigung glückte dem Deutschen Philipp Kunz 2008, gemeinsam mit den Sherpas Lhakpa Wangyel, Temba Nuru und Lhakpa Thinduk.
3. Gasherbrum IV (7.932 m), Pakistan
Formschönheit, Ausstrahlung und Eleganz: Der „G4“ gehört sicher zu den unverwechselbaren Berggestalten des Karakorum, wenn nicht sogar der Welt. Während des Treks über den Baltoro-Gletscher ist seine Westwand (siehe Bild) ein unwiderstehlicher Blickfang. Sein beige-graues Gestein aus Granit und Marmor leuchtet bei Sonnenuntergang und hat der gesamten Gasherbrum-Gruppe ihren Namen gegeben: leuchtender (oder auch: schöner) Berg. Ursprünglich vom Survey of India als K3 verzeichnet, gestaltete sich seine Besteigung technisch schwieriger als angenommen.
Denn um den Gipfel (rechts im Bild) zu erreichen, muss man tatsächlich gut felsklettern können – und das in fast 8.000 Metern Höhe! Ein nicht zu unterschätzender Unterschied zur steilen Schneestapferei auf den Nachbarbergen K2, Broad Peak oder den anderen Gasherbrums. Die ersten Alpinisten, die zum höchsten Punkt gelangten, waren Carlo Mauri und der große Walter Bonatti als Mitglieder einer italienischen Expedition unter Riccardo Cassin, im Jahr 1958. Ihr Weg führte über den Nordostgrat und den mit Felstürmen gespickten Gipfelgrat. Die diagonale Direttissima durch die Westwand, mit der sich 1985 Wojciech Kurtyka und Robert Schauer verewigten, gilt als Meisterwerk des Alpinstils.
4. Himalchuli (7.893 m), Nepal
Himalchuli bedeutet soviel wie „Schneegipfel“. Dieser Schneegipfel, mit zwei prominenten Nebengipfeln, steht südsüdöstlich des 8.000ers Manaslu in Nepal. Vom Marsyangdi River an seinem südwestlichen Fuß erhebt sich das Profil des Berges über 7.000 Meter, also beinahe so hoch wie der Höhenunterschied zwischen dem Gipfel des Dhaulagiri und dem Boden des Kali-Gandaki-Tales im tiefsten Gebirgseinschnitt der Welt. Die Erstbesteigung verbuchten 1960 die japanischen Alpinisten Hisashi Tanabe und Masahiro Harada. Zum Gelingen der Expedition trugen zwei Dinge bei: künstlicher Sauerstoff (eher unüblich bei 7.000er-Besteigungen) und ausreichende Finanzmittel für die Bürokratie in Kathmandu, bei der sie sich den Weg „freispenden“ mussten. Das soll die Leistung der Japaner nicht schmälern, denn allein der Normalweg zum Gipfel des Himalchuli über dessen Südwestflanke ist ein langer und schwieriger: Bereits 1955 war hier eine britische Seilschaft auf 7.000 Metern gescheitert, genauso wie zwei weitere in den Jahren 1958 und 1959. Bis heute wurde der Berg nur sieben Mal bestiegen. Fotoscheu ist er auch noch: Auf dem bekannten Manaslu Circuit Trek bekommt man ihn nur einmal zu sehen, indem man hinter dem Dörfchen Sumdo ein wenig bergauf spaziert.
5. Distaghil Sar (7.885 m), Pakistan
Der Distaghil Sar (auch manchmal als Disteghil Sar geschrieben) im Karakorum ist wie die Annapurna II ein ultra-prominenter 7.000er. 2.525 Höhenmeter trennen seinen Gipfel von der nächstniedrigen Scharte. Dieser Gipfel ist eine von drei Erhebungen eines drei Kilometer langen Höhenkamms und wurde erstmals am 9. Juni 1960 erreicht: Günther Stärker und Diether Marchart waren über die Südflanke und den Südwestgrat aufgestiegen – eine Route, die bereits 1957 eine britische Seilschaft abgewiesen hatte.
Marchart und Stärker konnten vor Kälte ihre Eispickel kaum noch halten und entkamen beim Abstieg nur ganz knapp einem Sturm mit Unmengen von Neuschnee. Leiter dieser österreichischen Expedition war Wolfgang Stefan, ein Seilgefährte des zweifachen 8.000er-Erstbesteigers Kurt Diemberger. Erst 1982 gelang die zweite Besteigung, die bislang auch die letzte war. Der Ostgipfel hingegen wurde 1980 von einer polnischen Expedition über die Ostwand erstiegen. Der Disthagil Sar ist relativ schwer zu erreichen und baut sich dramatisch nördlich des Hispar-Gletschers auf. In seiner Nachbarschaft finden sich einige weitere hohe 7.000er, so etwa der Kanjut Sar oder der Kunyang Chhish, von dem weiter unten noch die Rede sein wird.
6. Ngadi Chuli (7.871 m), Nepal
Vorerst wenden wir uns der Nachbarschaft eines Berges zu, den wir in diesem Ranking schon kennengelernt haben: die des Himalchuli. Gleich neben diesem erhebt sich im Nordwesten der Ngadi Chuli, auch als Peak 29 bekannt. Überragt werden beide vom 8.000er Manaslu im Norden. Die Flanken des Ngadi Chuli sind lawinengeladen und in fast allen Richtungen von Gletschern mit unzähligen Spalten umgürtet. Zu dieser Misere gesellt sich auch noch viel schlechtes Wetter, denn gerade der Manaslu Himal ist den Wolken aus dem Flachland im Süden direkt ausgeliefert. An einem blitzblauen und vor allem windstillen Herbsttag 1970 standen die beiden Bergsteiger Hiroshi Watanabe aus Japan und Lhakpa Tsering Sherpa aus Nepal am Gipfel. Wahrscheinlich. Denn beweisen konnten sie ihre Erstbesteigung nicht: Die beiden stürzten im Abstieg über eine Eiswand tödlich ab und wurden dabei vom Base Camp aus beobachtet. Die Kamera mit dem Gipfelfoto konnte allerdings nicht gefunden werden und der Eispickel, an dem Gebetsfahnen für den Gipfel befestigt (oder eben nicht mehr befestigt) waren, war beim Absturz zerbrochen. Den nachweislichen Gipfelsieg holte sich 1979 ein polnisches Duo: Ryszard Gajewski und Macieij Pawlikowski. Seither ist niemand mehr auf dem Ngadi Chuli gestanden.
7. Kunyang Chhish (7.852 m), Pakistan
Wir kehren noch einmal ins Karakorum zurück, zum 21. höchsten Berg der Erde, der in unserer Story der siebente und damit auch letzte ist: der Kunyang Chhish. Anders als sein Bezugsberg im Hispar-Massiv, der eher runde Distaghil Sar (siehe weiter oben), ist der Kunyang Chhish eine steile Spitze mit komplexem Aufbau. Zwei Versuche, 1962 und 1965, endeten jeweils fatal. Sein Gipfel wurde auch nur zweimal bestiegen, zum ersten Mal 1971 von einem polnischen Team unter der Leitung von Andrzeij Zawada, der sich später auf Winterbesteigungen im Himalaya spezialisierte. Zawadas Route führte über den Südgrat und zum Erfolg, allerdings verunglückte Jan Franczuk bei einem Spaltensturz.
Einen anderen, technisch schwierigeren Weg fanden die beiden Briten Mark Lowe und Keith Milne 1988 auf dem Nordwestsporn und weiter über den Nordgrat. Davor waren sie stattliche viermal (1980, 1981, 1982 und 1987) angereist und gescheitert. Mit einer schnellen, schlank gehaltenen Expedition zum pyramidenförmigen Nebengipfel Kunyang Chhish East (7.400 m) über die schwierige Südwestwand sorgten 2013 drei Alpinisten für Aufsehen: der Schweizer Simon Anthamatten, zusammen mit dem unvergessenen Tiroler Hansjörg Auer und dessen Bruder Matthias.
Anmerkung: Nicht in dieser Auflistung enthalten ist der Gasherbrum III (7.946 m) im Karakorum, dessen Schartenhöhe die für einen eigenständigen Himalaya-Gipfel notwendigen 500 Meter nicht erreicht und darum als Nebengipfel des 8.000ers Gasherbrum II gilt (Vergleich: In unseren Ostalpen genügt eine Schartenhöhe von 100 Metern, in den mächtigeren Westalpen sind es 300 Meter). Eine ebenso unzulängliche Prominenz hindert den Nuptse (7.861 m) im Everest-Massiv daran, als eigenständiger 7.000er gewertet zu werden: Seine Schartenhöhe zwischen ihm und dem Nachbarberg Lhotse ist mit 320 Metern zu gering.
Was macht einen Gipfel eigentlich zum Gipfel?
Zum Autor: Simon Schreyer war mehrere Jahre lang als Reporter für das Red Bulletin- Magazin unterwegs. Wenn er nicht gerade an der Überwindung seiner Höhenangst arbeitet, schreibt er über Popkultur, Literatur und ferne Orte. Besonders angetan haben es ihm die Berge und Kulturen des Himalaya, die bereits sein Urgroßonkel Peter Aufschnaiter erforschte.
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